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Titel: „Aufstehen“ für Anfänger

Datum: 18. Dezember 2018 um 12:19 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Rezensionen, Soziale Bewegungen
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Die Gründung der neuen Sammlungsbewegung „Aufstehen“ war eines der prägenden politischen Ereignisse des Jahres. Erwartungsgemäß hat die Bewegung mit starkem Gegenwind aus der Presselandschaft zu kämpfen. Ein Buch versucht, diesen medialen Verzerrungen eine andere Sicht entgegenzusetzen. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Eines der wichtigsten innenpolitischen Ereignisse dieses Jahres war die Gründung der neuen politischen Sammlungsbewegung „Aufstehen“. Entsprechend heftig waren die Reaktionen auf das Projekt rund um die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sahra Wagenknecht – im Positiven wie im Negativen. Positiv muss die Resonanz vieler Bürger beschrieben werden, die sich in über 100.000 Anmeldungen niederschlägt.

Dieser starken Reaktion der Bürger steht aber eine entschlossene Medienlandschaft gegenüber, die keine Gelegenheit versäumt, die Bewegung als künstliche und autoritäre Kopfgeburt, als rückwärtsgewandt, „populistisch“ oder als tendenziell „rechts“ zu beschreiben. Die Reaktionen auf das vielversprechende Projekt schwanken also zwischen giftiger Ablehnung durch ehemals „links“ genannte Akteure sowie große und kleine Publikationen einerseits – und möglicherweise übertriebenen Projektionen durch die Anhänger andererseits.

Kader-Schmiede und Personenkult

Die Argumentation der Kritiker ist inkonsistent: So wird „Aufstehen“ einerseits als „von oben“ installiert dargestellt. Gleichzeitig werden aber organisatorische Defizite, die dieser Darstellung als straffer Kader-Schmiede widersprechen, mit großer Häme medial ausgeschlachtet. In diese Kategorie fällt etwa die Berichterstattung über aktuelle Verwirrungen oder mutmaßliche/angebliche Sabotage-Akte rund um die neue Internet-Domain der Bewegung.

Die zentrale Aussage der Bewegungs-Gegner, eine Bewegung könne nicht „von oben“ ins Leben gerufen werden, trifft gleich in mehrfacher Hinsicht nicht zu: Wenn ausreichend mediale Macht verfügbar ist, können selbstverständlich auch virtuelle „Bewegungen“ gegründet werden. Das konnte man an dem für den französischen Präsidenten Emmanuel Macron geschaffenen Medienkonstrukt “En Marche” beobachten.

Prominente in die erste Reihe!

Demgegenüber ist aber offensichtlich, dass „Aufstehen“ eben keine künstliche Medien-Farce wie „En Marche“ ist. Dafür würden “Aufstehen” schon die notwendigen publizistischen Verbündeten fehlen. Im Gegensatz zur europaweiten Werbung durch große Medien für “En Marche” erlebt „Aufstehen” mediale Anfeindung. Diese Bewegung hätte also gar nicht ausreichend Propaganda-Verbündete, um den künstlich-autoritären Charakter zu haben, der ihr unterstellt wird.

Dass bei allen Vorhaben von „Aufstehen“ die klügsten und beliebtesten Köpfe vorne stehen sollten (also vor allem Sahra Wagenknecht), ist selbstverständlich. Dass die Kritiker der Bewegung nun heuchlerisch einen „Personenkult“ kritisieren, ist ebenso nachvollziehbar: Alles, was der Schwächung dient, wird ins Feld geführt. Am liebsten hätte man wohl eine Bewegung, die ihre Prominenten versteckt und als Folge in machtloser politischer Beschäftigungstherapie verharrt.

Mediale Häme und Verzerrung

Angesichts dieses feindlichen medial-politischen Dickichts, dem sich „Aufstehen“ gegenübersieht, kann man es begrüßen, dass der Journalist Rainer Balcerowiak eine Art Gegendarstellung zur Bewegung verfasst hat: „Aufstehen – und wohin geht’s?“ heißt sein im Eulenspiegel-Verlag erschienenes Buch.

Das Buch ist keine abschließende Analyse. Viele der angerissenen Aspekte bedürfen einer weiteren Vertiefung – etwa die Schilderungen der Wurzeln und Wirkungen der neuen „linken“ europäischen Bewegungen oder die Deutung des emotional besetzten inner-linken Asyl-Konflikts. Eine zentrale Frage dürfte auch sein, ob sich die sehr heterogene Anhängerschaft von „Aufstehen“ auf das von Balcerowiak ausgemachte politische Fernziel einigen kann: eine an die Sozialreformen der 70er Jahre angelehnte „neue Sozialdemokratie“. Andererseits benennt der Autor die bisherige programmatische Unschärfe auch deutlich als Problem.

Wird „Aufstehen“ zur wählbaren Partei?

Ein Verdienst Balcerowiaks ist, dass er interessante Gesprächspartner gefunden hat. Und dass er im Buch teils die richtigen Fragen stellt. Viele Antworten kann er allerdings nicht geben – so auch auf die Titelfrage „wohin gehts?“. Denn dieses „Wohin“ verraten bislang nicht einmal die treibenden Kräfte bei „Aufstehen“: Sie halten sich in zentralen Fragen bedeckt. Dieses Abwarten der Entwicklung und das Offenhalten der Optionen wird nun teils kritisiert – so wird etwa die Gefahr formuliert, dass sich viele der zehntausenden eingeschriebenen Sympathisanten bei andauerndem Leerlauf wieder abwenden könnten. Doch auch die zentralste und von vielen Menschen mit Hoffnungen verknüpfte Frage zu „Aufstehen“ wird im Buch nicht beantwortet: Wird sich „Aufstehen“ in eine wählbare Partei wandeln?

Diese „Hängepartie“ wird vom Autor ebenso problematisiert wie die Gefahr der Unterwanderung durch Spinner oder Rechte oder seine Zweifel, ob es das von der Bewegung vielbeschworene, auf drei Parteien verteilte „linke“ Lager überhaupt gibt.

Der Autor hegt offensichtliche Sympathien mit dem Projekt. Das mag manchem Leser als parteiisch erscheinen. Andererseits war es höchste Zeit, dass dem teils hysterischen medialen Gegenwind etwas entgegengesetzt wird. Die angerissenen Analysen müssen, wie gesagt, noch vertieft werden. Aber das prinzipielle Vorhaben, eine Bresche durch die Diffamierungen der großen (und auch einiger kleiner) Medien zu schlagen, ist zu begrüßen. Auch die allgemeinen Einführungen und die Chronologie der Gründungsgeschichte sind vor allem für interessierte politische Neulinge nützlich: Dadurch erlaubt es Balcerowiak den Neugierigen, einen von Propaganda unverstellten Einstieg in die Bewegung zu vollziehen: „Aufstehen“ für Anfänger.


Rainer Balcerowiak: „Aufstehen und wohin gehts?“, 144 Seiten, broschiert, Eulenspiegel Verlag/Das Neue Berlin


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