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Titel: Israel-Kritik – Münchner Gericht hält Saalverweigerung für Diskussion über Stadtratsbeschluss für zulässig

Datum: 2. Januar 2019 um 9:00 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Erosion der Demokratie, Staatsorgane
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Es klingt absurd, aber in München ist es Wirklichkeit: Die bayerische Landeshauptstadt ist die einzige deutsche Stadt, in der in städtischen Räumen nicht mehr eine Diskussion über einen umstrittenen Beschluss des Stadtrats geführt werden darf. Dieser Beschluss lässt die Kritik an der israelischen Besatzungspolitik seit Dezember 2017 nur noch in privaten Räumen zu. Das Münchner Verwaltungsgericht hat jetzt in einem Urteil die Verweigerung eines städtischen Raums für eine solche Diskussion für rechtens erklärt. Das löst heftige Kritik aus. Von Rolf-Henning Hintze.

Wenige Tagen vor Weihnachten lehnte das Gericht eine Klage ab, die sich mit der Saalverweigerung für eine solche Diskussion durch das Stadtmuseum nicht abfinden wollte. Der Kläger, der im Ruhestand lebende Physiker Klaus Ried, sah in der Entscheidung eine Verletzung sowohl des Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) wie auch der Bayerischen Gemeindeordnung (Art. 21). Er hatte ein Streitgespräch „Wie sehr schränkt München die Meinungsfreiheit ein?“ veranstalten wollen, bei dem es um den Stadtratsbeschluss vom 13.12.2017 und seine Folgen gehen sollte. Das Stadtmuseum berief sich auf den Stadtratsbeschluss („Gegen jeden Antisemitismus! Keine Zusammenarbeit mit der antisemitischen BDS-Bewegung“) und verweigerte den Saal. Es könne nicht ausgeschlossen werden, hieß es in der schriftlichen Begründung, dass in der Diskussion auch über BDS gesprochen werde. (BDS ist die Abkürzung für die internationale Kampagne „Boycott, Divestment,Sanctions“ mit dem Ziel, die israelische Regierung vor allem durch wirtschaftlichen Druck dazu zu bringen, die Besatzung zu beenden und den Palästinensern ihre Rechte zu gewähren.) Der Stadtratsbeschluss untersagt jegliches „Befassen“ in städtischen Räumen mit BDS, selbst Veranstaltungen gegen BDS könnten nicht stattfinden.

Das Verwaltungsgericht begründete seine Ablehnung der Klage zunächst damit, dass der Widmungszweck des Stadtmuseums der Veranstaltung entgegenstehe. Dieser sieht „die Förderung der Kunst, der Kultur, der Volksbildung und der Heimatpflege“ vor. Der Kläger ist hingegen der Ansicht, dass „Volksbildung“ durchaus eine Diskussion über ein brisantes kommunales Problem einschließt.

Das Gericht folgte in seinem Urteil im Wesentlichen den Argumenten der Stadt. Diese habe einen Gestaltungsspielraum, der die Raumverweigerung städtischer Einrichtungen rechtfertige. Im Stadtratsbeschluss vom Dezember 2017 sahen die Richter eine zulässige allgemeine Widmungsbeschränkung, die „ein legitimes Interesse“ verfolge und „nicht auf sachfremden Erwägungen“ beruhe.

Demgegenüber stellt Rechtsanwalt Gerd Tersteegen als Vertreter des Klägers in seinen Schriftsätzen besonders heraus, dass die Verweigerung einen Verstoß gegen das Grundrecht der Meinungsfreiheit (Art. 5 Grundgesetz) darstelle. Das Münchner Gericht sieht einen solchen Verstoß hingegen nicht:

„Der Stadtratsbeschluss greift nicht in unzulässiger Weise in das Grundrecht der Meinungsfreiheit (…) ein.“

Zur Überraschung vieler hatte der Rechtsvertreter der Stadt in der mündlichen Verhandlung am 14. November vor einem vollen Gerichtssaal wörtlich eingeräumt:

„Wir schränken die Meinungsfreiheit ein“ (nachlesbar im Schriftsatz des Klägeranwalts vom 27. November).

In der Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichts versucht ein bemerkenswert gedrechselter Satz diesen Eindruck abzuschwächen:

„Der Stadtratsbeschluss ist allerdings nicht final und unmittelbar gegen eine bestimmte Meinung im Zusammenhang mit den Themen der ‘BDS-Kampagne’ gerichtet, wendet sich also nicht gezielt gegen eine bestimmte Meinung hierzu und verbietet eine solche auch nicht. Es wird somit weder das Bilden noch das Haben, Äußern und Verbreiten befürwortender wie kritischer Meinungen zu den Themen der ‘BDS-Kampagne’ in städtischen Räumen untersagt oder gar verboten.“

Dass andere Richter das Grundrecht der Meinungsfreiheit anders bewerten können, zeigt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg in einem teilweise vergleichbaren Konfliktfall. In der vor wenigen Wochen veröffentlichten Urteilsbegründung heißt es, das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit schütze auch die Arbeit der BDS-Bewegung. Die Stadt Oldenburg hatte eine für Mai 2016 geplante Veranstaltung zum Thema „BDS – die palästinensische Menschenrechtskampagne stellt sich vor”, die sie erst genehmigt hatte, später durch Raumentzug verhindert. Das erklärte das Verwaltungsgericht Oldenburg für rechtswidrig. Bei zukünftigen Vermietungen muss die Stadt Oldenburg das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie der allgemeinen Gleichbehandlung der BDS-Initiative schützen, urteilte das Gericht.

Zum Münchner Urteil liegen inzwischen neben lobenden Stellungnahmen – u.a. von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) – auch erste kritische Reaktionen vor. So meint Rolf Verleger, Vorsitzender des Bündnisses zur Beendigung der israelischen Besatzung (BIB) und ehemaliges Mitglied des Zentralrats der Juden in Deutschland:

„Hier wird der Sinn eines Grundrechts zerscheibelt, das kann doch keinen Bestand vor höheren Instanzen haben.“

Der Kläger Klaus Ried erklärte gegenüber den Nachdenkseiten, schon während der Verhandlung im Verwaltungsgericht München habe die vorsitzende Richterin erkennen lassen, dass sie auf Seiten des Münchner Rathauses stand.

„Das absurde Schauspiel dieses Verfahrens birgt die Gefahr, dass die universellen Menschenrechte und 250 Jahre Tradition der europäischen Aufklärung weiter in Vergessenheit geraten. Dazu dürfen wir es nicht kommen lassen.“

Der viele Jahre am Bayerischen Verwaltungsgerichthof tätige Richter i.R. Peter Vonnahme meint, „im Kern geht es um die Frage, inwieweit eine Kommune unter Berufung auf das gemeindliche Selbstverwaltungsrecht einen Bürger in der Wahrnehmung seiner Grundrechte beschränken darf. Ich denke, dass das Verwaltungsgericht die Bedeutung der Grundrechte falsch gewichtet hat. Das bedarf einer Korrektur – und zwar letztlich durch das Bundesverfassungsgericht,“ sagte er den Nachdenkseiten. Eine Klärung hält er auch deshalb für notwendig, „weil die Frage der Überlassung kommunaler Räume an Bürger aktuell in vielen deutschen Städten ein politisches Streitthema ist und eine richtungsweisende Rechtsprechung fehlt.”

Wolfgang Stöger, ein Vorstandsmitglied der Humanistischen Union München und Südbayern, hält den Stadtratbeschluss und seine Umsetzung für „nicht hinnehmbar“. Dadurch würden „die Informations- und Meinungsfreiheit sowie die Versammlungsfreiheit sehr wohl eingeschränkt, z.B. durch ein geringes Angebot von geeigneten Räumen in zentraler Lage und deutlich höhere Kosten für die Raummiete bei privaten Vermietern. Auch müssen private oder gemeinnützige Vermieter befürchten, dass der städtische Zuschuss entzogen wird, warnte er gegenüber den Nachdenkseiten. Als sehr problematisch sieht es Stöger auch an, dass sich der Stadtratsbeschluss auf die Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) stützt. „Diese unbestimmte Formel lässt sich sehr gut instrumentalisieren, so dass jede Kritik an der israelischen Politik unter den Generalverdacht des Antisemitismus gestellt werden kann. Die notwendige Auseinandersetzung mit Antisemitismus wird dadurch eher behindert,“ meint er.

In einem (bisher unveröffentlichten) Leserbrief an die „Süddeutsche Zeitung“ erinnert Judith Bernstein, Sprecherin der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe in München, daran, dass der Leiter des Jüdischen Museums in Berlin, Professor Peter Schäfer die Ausbreitung einer „Kultur des Verdachts“ mit Sorge beobachtet, und schließt die Frage an: „Leistet das Münchner Verwaltungsgericht mit dem Urteil zu BDS der Schnüffelei Vorschub, wenn es befindet, ‘die Stadt München muss keine städtischen Räume für Veranstaltungen zur Verfügung stellen, bei denen zu befürchten ist, dass dort Inhalte und Ansichten der als antisemitisch eingestuften BDS-Kampagne diskutiert werden’? Soll eine vorauseilende Vermutung ausreichen, eine Veranstaltung zu verbieten, weil dort jemand den Begriff BDS in den Mund nimmt?“ Sie führt die BDS-Kampagne auf das Versagen der deutschen und internationalen Politik zurück, die israelische Regierung zur Beendigung der Besatzung zu veranlassen.

Der israelisch-deutschen Publizistin wird durch den Stadtratsbeschluss verwehrt, was über Jahre möglich war: in städtischen Räumen über ihre Geburtsstadt Jerusalem zu referieren. Im Falle der israelisch-deutschen Schauspielerin Nirit Sommerfeld hatte sogar ein Gericht unter Hinweis auf den Stadtratsbeschluss die Entscheidung der städtischen Gasteig GmbH bestätigt, ihr einen Saal für einen Vortrag zu verweigern, bei dem es nicht um BDS gehen sollte.

Ein Beiratsmitglied der Humanistischen Union, der Bremer Rechtsprofessor Johannes Feest, führte in einem Aufsatz der Zeitschrift „Vorgänge“ bereits vor mehr als einem Jahr, noch vor dem Stadtratsbeschluss aus, dass „eine klare, juristisch haltbare Definition von Antisemitismus“ benötigt werde, um gegen antisemitische Aktionen vorgehen zu können. „Die kürzlich von der Bundesregierung verabschiedete ‘Arbeitsdefinition’ bietet dafür keine ausreichende Grundlage“, schrieb er.

„Kritik an der israelischen Politik mag im Einzelfall wegen der besonderen Beziehung Deutschlands zu Israel, als politisch inkorrekt empfunden werden, das entzieht sie jedoch nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit.“

Die aus nur zwei Sätzen bestehende „Arbeitsdefinition“ der IHRA lautet:

Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.” (Übersetzung Bundesinnenministerium; Markierung d. Verf.)

Nicht angenommen wurden vom Plenum der IHRA verschiedene Beispiele, die oft zusammen mit der “Arbeitsdefinition” zirkulieren. Diese Beispiele legen nahe, dass Antisemitismus nicht nur gegen Juden, sondern auch gegen den Staat Israel und seine Anhänger gerichtet sein kann. Im In- und Ausland stoßen diese Erweiterungen auf starken Widerspruch.


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