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Titel: Streitfall: Militärische Forschung an deutschen Unis

Datum: 11. Januar 2019 um 12:10 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Hochschulen und Wissenschaft, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Strategien der Meinungsmache
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Zu Wochenbeginn berichteten wir über den Aufbau einer deutschen Zelle des britischen Propaganda-Programms „Integrity Initiative“, das maßgeblich vom britischen Außenministerium und der NATO finanziert wird und die öffentliche Diskussion pro NATO, pro Militär und vor allem gegen Russland beeinflussen soll. Dieser Bericht blieb nicht unbeachtet. Der Leiter der Kieler Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) – der ebenfalls zum Umfeld der Integrity Initiative zählt – nahm einen verbalen Rundumschlag vor – unser Artikel sei demnach eine „russische Desinformationskampagne gegen ein wissenschaftliches Projekt zur Analyse russischer Desinformationspolitik“. Außerdem sei sein Institut weder direkt noch indirekt vom Verteidigungsministerium oder der Rüstungsindustrie finanziert. Absurd. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Joachim Krause

Für Prof. Dr. Joachim Krause ist die Sache klar: „Russische Nachrichtenagenturen und sogenannte kritische Wissenschaftler vor allem aus Großbritannien, darunter einschlägig bekannte Verschwörungstheoretiker“, seien es, die es auf ihn und die Integrity Initiative abgesehen hätten. Aber auch in Deutschland würden „Personen aus der politischen Linken, die meist der Bewegung ´Aufstehen´ von Sarah Wagenknecht nahestehen“ an dieser „Desinformationskampagne“ mitwirken, so Krause. Insbesondere ginge es dabei neben „russischen Nachrichtenagenturen“ um „die einschlägig bekannten, sehr weit links stehenden Webseiten NachDenkSeiten und Telepolis“. – Offenbar hat der Kieler „Politikwissenschaftler“ so seine Probleme mit Kritik. Kritiker der NATO und insbesondere Kritiker seines Instituts und dessen Drittmittel-Zuwendungen aus dem militärischen Sektor verortet Krause schon immer mehr oder weniger wortgewaltig „im linken und vor allem linksextremen“ Umfeld.

Mit vielen Worten und wenig Inhalten arbeitet sich Krause auch an „einem gewissen Jens Berger“ ab, der „erwecke“ – so Krause – „den Eindruck intimster Kenntnisse der Finanzierung des ISPK, schreibt aber nur Unsinn, denn das ISPK [werde] weder vom Verteidigungsministerium noch von der Rüstungsindustrie direkt oder indirekt finanziert, sondern einzig von der unabhängigen und gemeinnützigen Wissenschaftsstiftung ´Wissenschaft und Demokratie´, was auch völlig transparent gemacht [werde]“. – Das ist eine erstaunliche Aussage, wenn man bedenkt, dass es niemand anderes als Joachim Krause war, der vor rund fünf Jahren als Lautsprecher der Gegner einer Zivilklausel an deutschen Universitäten eben jene Drittmittel aus dem Verteidigungshaushalt und der Rüstungsindustrie mit Zähnen und Klauen verteidigt hat. Sogar der SPIEGEL berichtete damals über diesen Fall und schrieb – übereinstimmend mit zahlreichen anderen Quellen –, dass die Christian-Albrechts-Universität Kiel (CAU) zwischen 2005 und 2012 2,7 Millionen Euro vom Bundesverteidigungsministerium und der NATO erhalten habe und diese Gelder zu großen Teilen an eben jenes ISPK flossen, dessen Leiter heute öffentlich das Gegenteil behauptet.

Die Gelder, um die es damals ging, waren beispielsweise für ein vom Bundesverteidigungsministerium in Auftrag gegebenes Forschungsprojekt mit dem Titel „Counterinsurgency – Aufstandsbewältigung in Afghanistan“ vorgesehen. Projektpartner des ISPK war das Center for a New American Security, dessen Vorsitzende niemand anderes als “Fuck the EU“ Victoria Nuland ist, die vor allem wegen ihrer unrühmlichen Rolle im US-Außenministerium während der Ukraine-Krise bekannt sein dürfte. Selbstgestellte Aufgabe des Center for a New American Security ist übrigens die Ausweitung und der Schutz amerikanischer Werte und Interessen.

Auch wenn diese Zahlen nun schon mehr als fünf Jahre alt sind, gibt es keinen Grund anzunehmen, dass sich an dieser Situation etwas geändert hat. Im Gegenteil. Auch heute stehen bei drei der sieben Projekte, die auf den Seiten des ISPK vorgestellt werden, das Bundesverteidigungsministerium und das Auswärtige Amt als Auftraggeber aufgeführt. Wer konkret hinter den anderen Projekten steht und wer sich finanziell und organisatorisch an anderen Projekten und Aktionen beteiligt, bei denen das ISPK mitspielt, ist ohne „intimste Kenntnisse der Finanzierung des ISPK“ aber leider eben nicht zu beantworten, da das ISPK – anders als Krause es darstellt – alles andere als transparent ist. Dabei gäbe es durchaus Klärungsbedarf.

Das ISPK veranstaltet beispielsweise jährlich zusammen mit dem Chatham House die internationale Militärkonferenz „Europe’s Strategic Choices“. Die „Gold-Level-Sponsoren“ dieser Veranstaltung sind Rolls-Royce, Eurofighter Typhoon und Eurojet. Zu den übrigen Sponsoren gehören Honeywell, Boeing, OHB, Leonardo, Daimler, Rheinmetall Defence und Lürssen – also die Creme de la Creme der Rüstungsindustrie. Der Co-Veranstalter Chatham House hieß übrigens bis vor wenigen Jahren noch „Royal Institute of International Affairs“, arbeitet eng mit der NATO zusammen und ist die wohl einflussreichste britische Denkfabrik, zu deren „Corporate Members“ ebenfalls zahlreiche Rüstungskonzerne gehören.

Eine weitere große Militärkonferenz war in den Jahren 2015 und 2016 die „Kiel Conference“, die zusammen vom ISPK und dem „Centre of Excellence for Operations in Confined and Shallow Waters“, einem Kompetenzzentrum der NATO, veranstaltet wurde. Partner dieser Veranstaltungsreihe waren unter anderem auch Atlas Elektronik, HDW, Blohm + Voss, Irving Shipbuilding und Gabler Naval Technology. Seit 2017 wird diese Veranstaltung offenbar durch das „Kiel International Seapower Symposium“ abgelöst, das nun in Kooperation mit dem Center for Naval Analyses veranstaltet wird. Das CNA ist übrigens das von der US-Regierung finanzierte Forschungs- und Entwicklungszentrum der US Navy und des US Marine Corps.

Alles Unsinn? All diese Programme, Symposien, Konferenzen und Projekte, die vom ISPK durchgeführt, veranstaltet oder mitveranstaltet werden, sind hier mit ihren Originalquellen verlinkt – auf Links aus „linken, linksextremen, friedenspolitischen“ oder – Gott bewahre – „russischen“ Quellen haben wir bewusst verzichtet, so dass sich jeder Leser seinen Eindruck machen kann. Es gehört angesichts der zahlreichen gut dokumentierten Beispiele schon eine Menge Chuzpe dazu, eine indirekte Finanzierung des ISPK und seiner Aktivitäten durch den militärischen Sektor abzustreiten.

Krauses Frontalangriff auf die NachDenkSeiten erinnert in gewisser tragikomischer Weise an den berühmten schwarzen Ritter aus dem Film „Ritter der Kokosnuss“, der trotz seiner „Fleischwunde“ so lange tapfer siegessicher zum Kampf antritt, bis es – nun ja – nicht mehr geht und er ein Unentschieden anbietet. Mit solchen sinnfreien Angriffen hat Krause übrigens durchaus Erfahrung. In einer ersten Version seiner Philippika gegen das Verbot militärischer Forschung an deutschen Universitäten schrieb Krause, dass ihn die Zivilklausel „fatal an Zeiten, in denen Universitäten in Deutschland nicht mit Menschen oder Institutionen kooperieren durften, weil diese jüdisch waren“, erinnere. In seinem Weltbild steht also die politische Linke und die Friedensbewegung für das NS-Regime, das den Universitäten die Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie, die in dieser Metapher dann wohl für die verfolgten Juden steht, verbieten will. Verglichen damit ist seine Attacke gegen die NachDenkSeiten ja schon wieder fast zurückhaltend.

Wenn man sich den ganzen Vorgang noch einmal nachdenklich anschaut, dann fällt vor allem auch auf, dass die NATO und die zuständigen Ministerien zumindest in Großbritannien und in Deutschland Institutionen unterstützen, die mit der ursprünglichen sicherheitspolitischen Konzeption der Entspannung und der gemeinsamen Sicherheit in Europa nichts und gar nichts mehr zu tun haben.

Titelbild: Victor Moussa/shutterstock.com


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