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Titel: Brasilien – Der Korruptionssumpf des Bolsonaro-Clans und seine Involvierung in das organisierte Verbrechen

Datum: 6. Februar 2019 um 8:52 Uhr
Rubrik: Innere Sicherheit, Länderberichte, Lobbyismus und politische Korruption
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Kaum ist die Regierung Jair Bolsonaro einen Monat im Amt, schon steht sie im Mittelpunkt eines Skandals, der von massiver Geldwäsche bis zur Verbindung mit Verbrecher-Syndikaten reicht, die mehrheitlich von ehemaligen oder noch beamteten Polizisten der berühmt-berüchtigten und verfilmten “Elitetruppe” der Polizei Rio de Janeiros kontrolliert werden. Von Frederico Füllgraf.

Schlimmer noch: Ermittlungen von Staatsanwaltschaft und kritischen Medien beweisen vielfältige Verstrickungen des Präsidenten-Sohns und gerade gewählten Senators Flávio Bolsonaro in den Mitte März vergangenen Jahres verübten Mordanschlag auf die Stadtverordnete Marielle Franco. Allerdings, als selbst konservative brasilianische Medien den Fall wochenlang als Aufmacher ihrer TV-Nachrichtensendungen und ihrer Titelseiten beharrlich der Öffentlichkeit präsentierten, kamen seiner Klärung, insbesondere der längst fälligen Anklage des Präsidentensprößlings, zwei rettende Ereignisse in die Quere, die mit dem Skandal vorübergehend um die Schlagzeilen konkurrierten.

Zum einen der Dammbruch von Brumadinho mit seinen mehr als 300 Todesopfern, zum anderen die Einlieferung des Präsidenten zur chirurgischen Entfernung eines Kolostomiebeutels, den Jair Bolsonaro seit dem auf ihn angeblich ausgeübten Attentat vom September 2018 als künstlichen Darmausgang benutzte. Die einschränkende Wortwahl „angeblich“ ist deshalb empfohlen, weil selbst an der vermeintlichen Messerattacke auf den damaligen Präsidentschaftskandidaten in Brasilien mittlerweile ernsthafte Zweifel gehegt werden. Keine Blutspuren, umso mehr viele offene Fragen, weswegen ein akribisch-investigativer Dokumentarfilm die Möglichkeit einer politisch-medialen Inszenierung erwägt, die die Wahl des seit Jahren darmerkrankten Bolsonaro befördern sollte.

Was aber bedeutet das Schweigen und die Untätigkeit des Ex-Richters und seit dem 1. Januar 2019 amtierenden Justizministers Sérgio Moro? Mehrfach von lokalen Medien auf den Fall Flávio Bolsonaro angesprochen, redete sich die Ikone der Korruptionsbekämpfung bereits Anfang Januar mit dem fadenscheinigen Hinweis heraus, der Präsident habe „den Fall geklärt“. Was absolut nicht stimmte. Im Gegenteil: Je mehr der frischgewählte, rechtsradikale Ex-Hauptmann die Affäre von sich abzuwenden versuchte, umso konfuser und suspekter wirkte sie danach.

„Er ist über die Maßen zynisch!“, kommentierte der nordostbrasilianische Richter im Ruhestand, Marcelo Tadeu Lemos de Oliveira, die Haltung des neuen Justizministers. Nach Meinung Oliveiras sollte Moro sich schämen und seinen Hut nehmen, wenn er seine Legende retten wolle. „Entweder die falsche Legende oder den scheinheiligen Glanz. Weil er jetzt wegen seiner Haltung völlig demoralisiert wird. Dieser Richter Sergio Moro hat mich nie getäuscht!”, warnte der Kollege im Ruhestand.

Die Geldwäscherei des Bolsonaro-Clans

An Oliveiras Tadel ist mehr dran als bloße Kritik an der Loyalität Moros zum Präsidenten. Sein Ministerium überwacht nämlich seit dem 1. Januar den Kontrollausschuss für finanzielle Unternehmungen (COAF), der seit rund zwei Jahrzehnten als Abteilung des Finanzministeriums die Rechtmäßigkeit von Finanz-Transaktionen, darunter eventuelle Geldwäsche, überwachte. Von Bolsonaro auf den Posten des Justizministers angesprochen, machte Moro die Ausgliederung des COAF ins Justizministerium zur Bedingung einer Zusage; angeblich zur effektiveren Überwachung von Wirtschafts- und Finanzkriminalität.

Moros Doppelspiel erhellte sich jedoch am Tag seiner Amtsübernahme, als mit Artikel 7 des Erlasses 9.663 vom 1. Januar 2019 die Ermittlungstätigkeit des COAF unter rigorose Zensur gestellt wurde. Wortwörtlich heißt es in Absatz III des Novellierungstextes, „Dem Präsidenten, den Ratsmitgliedern und den im COAF amtierenden Bediensteten ist es untersagt, in jedwedem Medium eine Stellungnahme zu im Plenum anhängigen Verfahren abzugeben”. Das Dekret verbietet Bediensteten auch, „vertrauliche Informationen, die bereits bekannt sind oder aufgrund ihrer Amtsausübung ermittelt wurden, auch gegenüber ihren Herkunftsorganen” bereitzustellen oder weiterzugeben.

Mit der Verhängung dieser Schweigepflicht, so kommentieren vereinzelte brasilianische Medien, dürfte vor allem ein prominenter Tatverdächtiger gegen seine Anklage gepanzert werden: der ehemalige Stadtverordnete und im Oktober 2018 zum Senator gewählte jüngste Präsidenten-Sohn, Flávio Bolsonaro. Der 38-jährige Bolsonaro-Junior hatte nämlich das Pech, dass COAF zwischen Juni und Juli 2017 rund 48 „ungewöhnliche“ Einzahlungen in Höhe von 2.000 Reais (umgerechnet ca. 500 Euro) und ein Depot im Wert von 1 Million Reais (rund 250.000 Euro) auf seinem Bankkonto ermittelte.

Es blieb nicht dabei, die COAF-Beamten stießen auf einen noch skurrileren Fund. Sie stellten fest, dass der bis Ende 2018 als „Referent“ – sprich: Fahrer und Leibgardist – beim Stadtverordneten Flávio Bolsonaro beschäftigte ehemalige Polizist Fabrício Queiroz innerhalb von drei Jahren nicht weniger „atypische” Kontobewegungen in Höhe von 7 Mio. Reais (1,7 Millionen Euro) verzeichnete. Queiroz‘ Kontobewegungen waren nicht nur „atypisch“, weil seine Eigentumsverhältnisse mit seinem Grundgehalt unvereinbar waren, sondern weil der Ex-Polizist wiederum Dutzende Einzelbeträge auf fremde Konten überwies.

Queiroz versteckte sich zunächst in der Hochburg der kriminellen Milizen in Rio das Pedras und ließ sich später wegen einem angeblichen Herzversagen in Brasiliens teuerstem Albert-Einstein-Hospital einliefern, in dem er allerdings wenig später bei einem Freudentanz von einem Mobiltelefon gefilmt wurde. Die Szene untermauerte den vielfältigen Eindruck von Brasilien als einem unberechenbaren Irrenhaus.

Im Dezember 2018 trafen die Ermittlungen plötzlich den gerade zum Präsidenten gewählten Jair Bolsonaro in Person. Queiroz hatte nämlich einen Scheck in Höhe von 24.000 Reais (umgerechnet 8.000 Euro) an Frau Michelle Bolsonaro, die zukünftige First Lady, überwiesen. Ihr Ehemann, der rechtsradikale Ex-Hauptmann, redete sich damit heraus, es habe sich um die „Rückzahlung einer Anleihe“ seines langjährigen Freundes Queiroz gehandelt, die er „mangels Zeit, einen Geldautomaten zu bedienen“, auf das Konto seiner Ehefrau habe überweisen lassen. Die mehr als zweifelhafte Ausrede wurde von einem stotternden und den Blickkontakt meidenden, nun auch verdächtigten Staatspräsidenten vorgetragen.

Die COAF-Behörde war nur zufällig auf die Unregelmäßigkeiten des Bolsonaro-Clan-Geldverkehrs gestoßen. Der den Medien zugespielte Ermittlungsbericht war im Rahmen von „Operation Furna da Onça (Leoparden-Grube)” zur Korruptionsermittlung gegen Rio de Janeiros inhaftierten ehemaligen Gouverneur Sérgio Cabral, zahlreiche seiner Referenten und 20 Abgeordnete von Rios Legislative entstanden, gegen deren Mehrheit die Staatsanwaltschaft Haftbefehle beantragte.

Die Bolsonaros, Rios Milizen und der Mordanschlag auf Marielle Franco

Lange vor dem COAF-Skandal hatten Brasiliens beherrschende Medien Fragen nach dem plötzlichen Reichtum des Bolsonaro-Clans gestellt. Bolsonaro-Sohn Eduardo erhöhte beispielsweise in knapp vier Jahren sein Vermögen um 55 Prozent, sein Bruder Flávio um erstaunliche 432 Prozent. Die nach wie vor offene Frage lautet: Flossen Flávios „atypische“ Einnahmen in sein Privatvermögen oder wurden Teilsummen seiner und der Kontobewegungen seines Leibgardisten Queiroz zur Finanzierung des organisierten Verbrechens weitergeleitet beziehungsweise kassieren umgekehrt die Bolsonaros Beuteanteile der kriminellen Milizen?

Nach Jair Bolsonaros Amtsübernahme erhellte sich das Familien-Narrativ zur Abwendung jedweden Verdachts allerdings im Licht einer makabren Pointe. Als die Staatsanwaltschaft Rio de Janeiro ihr „Unternehmen Die Unantastbaren“ (Operação Intocáveis) mit einem Haftbefehl gegen Milizionäre eröffnete, denen vorgeworfen wurde, das Gangster-Syndikat und gefährlichste Killerkommando in der Favela Rio das Pedras mit dem einfältigen Namen „Escritório do Crime“ („Verbrecherbüro“) angeführt zu haben, stieß sie nicht nur auf zwei jener Drehbuch-Helden aus dem im Jahr 2008 auf der Berlinale preisgekrönten Film „Die Elite-Truppe“ (siehe Poster), sondern noch einmal auf den Präsidenten-Sohn Flávio Bolsonaro.

Im Jahr 2003 hatte der damalige Stadtverordnete Bolsonaro den ehemaligen Hauptmann des BOPE (Bataillon für Polizei-Sondereinsätze), Adriano Nóbrega, und seinen Kollegen Major Ronald Pereira von der Stadtverordnetenkammer mit einer Medaille „für außerordentliche Dienste“ auszeichnen lassen. Beide wurden allerdings wenige Tage später wegen der Zugehörigkeit zu einer „Garnison des Übels“ angeklagt und verhaftet, jedoch auf unerklärliche Weise wieder auf freien Fuß gesetzt.

Nach vielfältigen Recherchen – insbesondere des vom ehemaligen Brasilien-Korrespondenten des britischen Guardian, Glenn Greenwald, herausgegebenen Investigativ-Portals The Intercept – stellte die Tageszeitung Folha de S.Paulo vergangenen 30. Januar die Bolsonaros mit einem denkwürdigen Diagramm bloß.

Der Titel servierte schweren Tobak: „Das PowerPoint-Diagramm zu den Verbindungen der Bolsonaros mit Queiroz und den Milizen“, das u.a. von mehrfachen parlamentarischen Lobesliedern Jair Bolsonaros auf die Milizen und Zufallsbildern aus den vergangenen Jahren untermauert wird, auf denen Vater und Sohn Bolsonaro Arm in Arm mit verbrecherischen Milizionären lächelnd in die Kamera schauen. In einem Wort: Der Milizionär Adriano Nóbrega ist der mutmaßliche Mörder der erschossenen Stadtverordneten Marielle Franco.

Doch die ahnungslosen brasilianischen Leser bekamen vor Staunen den Mund nicht mehr zu, als sie erfuhren, dass die Mutter und die Ehefrau Nóbregas ebenfalls bis Ende 2018 im Stadtverordnetenbüro Flávio Bolsonaros angestellt waren.

Was sind die Milizen?

Milizen bezeichnet den Modus Operandi Mafia-ähnlicher, krimineller Vereinigungen in Rio de Janeiro, insbesondere in den Favelas (einkommensschwache Gemeinden und Elendsviertel), die unter dem Vorwand der Bekämpfung des Verbrechens und des Drogenhandels in den vergangenen 20 Jahren paramilitärischen Charakter angenommen haben und illegal operieren. Aus ehemaligen und amtierenden Polizeibeamten, Feuerwehr- und Wachleuten, Gefängnis- und Militäragenten rekrutiert, werden sie von Gemeindevorständen unterstützt sowie von lokalen Politikern gedeckt und gar zu Mordanschlägen unter Vertrag genommen. Zahlreiche Milizionäre agieren seit Jahren als Stadt- und Landtagsabgeordnete in Rio de Janeiro.

Ihr Hauptfinanzierungsmittel ist die Erpressung von Geschäftsleuten und selbst der armen Bevölkerung mit der Erhebung von „Schutzgebühren“, sie betreiben jedoch auch den illegalen Handel mit Gas, Kabelfernsehen, Spielautomaten, Immobilien sowie alternative Massenverkehrsmittel in den Vorstädten. Nach Angaben des Zentrums für Gewaltforschung der staatlichen Universität von Rio de Janeiro (UERJ) beherrschten die Milizen bereits im Jahr 2010 mindestens 41 Prozent der 1.006 Favelas in Rio de Janeiro. Acht Jahre später berichtete die April-Ausgabe 2018 von The Intercept, „Die Milizen haben die vollständige Kontrolle über Rio de Janeiro übernommen“.

Titelbild: Marielle Franco


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