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Titel: Früher war nicht alles besser … die Tagesschau aber schon

Datum: 21. Februar 2019 um 10:35 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Medien und Medienanalyse
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Gestern beklagte sich Albrecht Müller in seinem Artikel zum Framing Manual der ARD über die abnehmende Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und ging dabei auch auf das Flaggschiff der ARD ein – die Tagesschau. Leider wird derartige Kritik schnell unter dem Label „Früher war alles besser“ abgehakt. Ist das so? Ist unser Blick auf die vermeintlich guten alten Tage des ÖR-Journalismus vielleicht eine sentimentale Glorifizierung, die einer objektiven Prüfung nicht standhält? Machen wir doch einmal die Probe aufs Exempel. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am 10. Oktober 1981 kam es im Bonner Hofgarten zur bis dato größten Demonstration in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Friedensbewegung ging es um Abrüstung, ein atomwaffenfreies Europa und eine Fortsetzung der Entspannungspolitik. Bereits im Vorfeld kam es zu politischen Spannungen – der damalige Oppositionsführer Helmut Kohl wetterte, die Demonstration sei „eindeutig im Interesse Moskaus“, der Bundesvorstand des DGB verbot seinen Unterorganisationen die Teilnahme an der Demo und auch die SPD war gespalten. Der Antiamerikanismus-Vorwurf machte die Runde und Kohl warf dem progressiven Teil der SPD sogar vor, „zusammen mit den Kommunisten eine Volksfront“ bilden zu wollen … offenbar ein Vorläufer des heutigen „Querfront-Vorwurfs“.

Diese Hintergrundinformationen sind wichtig, um die Tagesschau-Sendung vom 10. Oktober 1981 richtig einschätzen zu können. Vor allem deshalb, weil sie in der Berichterstattung nur am Rande vorkommen.

Bereits in der Anmoderation fällt positiv auf, wie neutral Sprecher Werner Veigel in das Thema einführt. Die Ziele der Demonstration werden unvoreingenommen aufgezählt. Es wird aber auch erwähnt, dass es Kritik an der Veranstaltung gibt und die Organisatoren diese Kritik zurückweisen. Noch positiver fällt auf, was in Veigels Moderation fehlt. Der Tagesschau-Sprecher trägt die Nachrichten vor, ohne sie ideologisch einzuordnen. Die „Sowjetunion“ wird nur am Rande erwähnt und kommt auch im gesamten Bericht nur einmal vor. Auf „Kriegs-Rhetorik“ wird betont verzichtet. Man vermeidet es, sich auf die sicherheitspolitische Logik einzulassen und die Position eines Militärstrategen einzunehmen. Es wird kein Bedrohungsszenario aufgebaut und Veigels Einführung endet sogar mit einem Zitat der Friedensbewegung, das die „Bewahrung des Friedens“ in den Mittelpunkt stellt.

Dieser Kurs setzt sich in den Einspielern fort. Auch hier wird erfreulich zurückhaltend dokumentiert. Man konzentriert sich auf die Masse der friedlichen Demonstranten und sucht nicht mühevoll nach „Chaoten“, wie man es aus zeitgenössischen Beiträgen kennt. Noch einmal geht man auf den Vorwurf des Antiamerikanismus ein und berichtet fair und neutral über die Redebeiträge, die man zudem auch noch in einen größeren Kontext setzt, ohne die Position der Friedensbewegung zu diskreditieren. Die Teilnehmer werden stattdessen ernstgenommen, ihren Sorgen und Ziele werden transportiert. Die Tagesschau verzichtet auf schlecht artikulierte oder wirre O-Töne von Demonstranten, sondern lässt stattdessen – und dies sehr ausführlich – die Redner der zentralen Kundgebung im Hofgarten zu Wort kommen. Auch hier gibt man der Friedensbewegung Raum, die Vorwürfe, die von konservativer und reaktionärer Seite gegen sie erhoben werden, zu widerlegen. Bemerkenswert ist dabei auch der Mut, selbst in der 15-Minuten-Ausgabe der Tagesschau längere O-Töne einzufangen und auf hektische Schnitte zu verzichten.

Nach einer kurzen Einführung und sechs Minuten Einspielern vor Ort spielt die Tagesschau dann einen Kommentar von Friedrich Nowottny ein, den man wohl als wohlwollend beschreiben könnte. Nowottny schildert einmal mehr konstruktiv die Motive und Ziele der Demonstranten und bewertet die gesamte Veranstaltung schon fast euphorisch positiv – wann haben Sie zuletzt in der heutigen Tagesschau oder in den Tagesthemen einen Kommentar gesehen, der Demonstrationen in einem westlichen Land positiv kommentiert hat?

Bemerkenswert: In den ersten fast neun Minuten des neun Minuten und vierzig Sekunden dauernden Beitrags kommt kein Kritiker der Demonstration zu Wort. Damals hat man noch auf die Unsitte verzichtet, permanent unter dem Mäntelchen der „Ausgewogenheit“ reaktionäre, transatlantische oder wirtschaftsnahe Stimmen einzufangen, um durch sie verdeckte Kritik zu üben. Stattdessen liest Werner Veigel in einem kurzen Block mit Reaktionen auf die Veranstaltung das Statement des CDU-Sprechers emotionslos im O-Ton vor („Volksfront zwischen Teilen der SPD, Kommunisten und Chaoten“) und gibt sie so dem Zuschauer zur Bewertung frei.

So stellt man sich Qualitätsjournalismus vor. Doch leider hat die heutige Tagesschau mit dieser Tagesschau nichts mehr gemein. Wie würde die Tagesschau wohl heute aussehen, wenn sich 300.000 Menschen zu einer Friedensdemonstration zusammenfinden würden?


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