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Titel: Schande über dich, Deutschland, und deinen Anti-BDS-Beschluss

Datum: 21. Mai 2019 um 9:45 Uhr
Rubrik: Antisemitismus, Bundestag, Strategien der Meinungsmache
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Deutschland hat gerade die Gerechtigkeit kriminalisiert. Ein Gemisch berechtigter Schuldgefühle, das durch zynische und manipulative israelische Erpressung orchestriert und auf die ekelerregende Spitze getrieben wurde, veranlasste das Bundesparlament am Freitag, einen der empörendsten und bizarrsten Beschlüsse seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu verabschieden. Der Bundestag hat die Boykott-, Desinvestitions- und Sanktionsbewegung gegen Israel als antisemitisch bezeichnet. Benjamin Netanyahu und Gilad Erdan freuten sich. Deutschland sollte sich schämen. Von Gideon Levy aus dem Englischen auf Haaretz von Jürgen Jung.

Von nun an wird Deutschland jeden Unterstützer von BDS als Judenhasser betrachten; „die israelische Besatzung” sagen wird gleichbedeutend mit “Heil Hitler” sein. Deutschland kann sich von nun an nicht mehr seiner Meinungsfreiheit rühmen. Es ist zu einem Erfüllungsgehilfen des israelischen Kolonialismus geworden. Es gibt zwar Antisemiten unter ihnen, aber die Mehrheit der BDS-Anhänger sind Menschen mit Gewissen, die glauben, dass ein Apartheidstaat es verdient, boykottiert zu werden. Was ist daran antisemitisch? Die Mehrheit der Parteien im Bundestag unterstützte den Beschluss, darunter auch die von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem Gewissen Europas. Wie traurig. So lähmend sind die Schuldgefühle, so effektiv die Propaganda.

Glaubt Merkel etwa, dass Daniel Barenboim – der musikalische Leiter der Berliner Staatsoper und lebenslanger Chefdirigent ihres Orchesters, der Staatskapelle, ein Paradebeispiel für einen Künstler, der sich dem Gewissen und der Moral verpflichtet fühlt, ein stolzer Jude und beschämter Israeli, der Mitbegründer des West-Östlichen Diwan-Orchesters, ein israelischer Patriot, ja, ein Patriot, der mit jeder Faser seines Seins um die Zukunft des Landes seiner Jugend bangt – dass auch er ein Antisemit ist? Barenboim mag BDS nicht explizit unterstützen, aber seit Jahren boykottiert er stillschweigend die israelischen Konzertsäle. Er bringt es nicht über sich, für Israelis zu spielen, während weniger als eine Autostunde vom Auditorium entfernt eine Nation unter der Besatzung stöhnt. Das ist seine noble Art, Protest zum Ausdruck zu bringen. Merkel ist seine Freundin. Sie bewundert zweifellos seinen Gerechtigkeitssinn. Was wird sie ihm jetzt sagen?

Was werden die deutschen Gesetzgeber über diejenigen sagen, die zum Boykott der Produkte von ausbeuterischen Betrieben oder der Fleischindustrie aufrufen? Werden sie auch diese kriminalisieren? Was ist mit den Sanktionen gegen Russland, wegen seiner Invasion auf der Krim? Warum wird eine Besetzung boykottiert und eine andere bejubelt? Was haben die Deutschen von den Sanktionen gegen Südafrika gehalten? Worin besteht der Unterschied?

Es ist zulässig, einen Boykott gegen ein tyrannisches Regime zu fordern, sogar eine Pflicht. Es ist auch gestattet, anders zu denken, zu denken, dass es überhaupt kein palästinensisches Volk und keine Besatzung gibt, sondern nur ein auserwähltes Volk im verheißenen Land. Aber nach Gerechtigkeit strebende Deutsche als Antisemiten zu kriminalisieren? Ich kenne einige von ihnen, und sie haben absolut nichts gemein mit Antisemiten. Ein weiterer Vorstoß der Erdans, und BDS wird als terroristische Organisation bezeichnet.

Schuldgefühle sind immer ein schlechter Ratgeber, diesmal erwiesen sie sich als ein besonders fürchterlicher. Deutschland ist kein Land wie jedes andere. Es ist dem Staat der Juden zutiefst verpflichtet. Es ist verpflichtet, zu seiner Sicherheit und seiner Entwicklung beizutragen, aber diese Verpflichtung darf nicht moralische Blindheit und einen Freifahrtschein für Israel umfassen, alles zu tun, was es will, und die Grundsätze der internationalen Institutionen zu missachten, die in der Folge des Kriegs, den Deutschland anzettelte, entstanden sind. Deutschland hat die Pflicht, Israel zu unterstützen, aber wie jeder wahre Freund muss es auch alles tun, um zu verhindern, dass es ein Schurkenstaat wird. Den Widerstand gegen die Besatzung zu bekämpfen, ist keine Freundschaft.

Deutschland mag Israel mit U-Booten versorgen, muss aber auch ethische Forderungen gegenüber dem Staat erheben. Als Nebenaspekt seiner Schuld gegenüber den Juden trägt es auch eine indirekte moralische Verantwortung für das Schicksal jener Menschen, die in dem Land leben, in das die Juden in Panik aus Deutschland geflohen waren und in dem sie einen Staat gründeten. Deutschland hat auch eine Verpflichtung gegenüber denen, die ohne den Holocaust nicht ihres Landes und ihrer Rechte beraubt worden wären. Dieses Volk lebt seit Jahrzehnten unter dem israelischen Stiefel. Deutschland muss bei seiner Befreiung mithelfen.

Mit dieser Resolution hat der Bundestag weder Israel noch der Justiz oder dem Völkerrecht einen Dienst erwiesen. Allein die israelische Besatzung profitiert davon. Der Bundestag muss die BDS-Bewegung nicht unterstützen, es ist zulässig, gegen die Boykottbewegung Einspruch zu erheben, sie aber als antisemitisch zu kriminalisieren, insbesondere in Deutschland? Dieses “andere Deutschland” hat seine Pflicht gegenüber der eigenen, vom Gewissen getriebenen Zivilgesellschaft gegenüber den Palästinensern und auch gegenüber Israel verraten.

Titelbild: FreshStock/Shutterstock.com


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