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Titel: Neue Töne aus der SPD? Münteferings Ehrenrettung des Staates und seine Kritik am Primat der Ökonomie

Datum: 14. April 2005 um 18:52 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Markt und Staat, Wertedebatte
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Soweit ist die politische Debatte schon heruntergekommen, dass es Schlagzeilen macht, wenn ein führender Politiker – dazu noch in einer abgehobenen Programmdebatte – die Rolle des Staates in der Demokratie und das Spannungsverhältnis von Staat und Markt anspricht. Man muss zugeben, auch aus der SPD sind solche Diskussionsbeiträge schon lange nicht mehr zu hören gewesen. Hat Müntefering aber wirklich einen neuen Akzent gesetzt, der wütende Kritik aus dem Unternehmerlager nachvollziehbar machen könnte?

Dem vorherrschend gewordenen marktradikalen Dogma entsprechend, dass der Markt alles besser kann, ist es in den letzten Jahren üblich geworden, den Markt und den Wettbewerb zu idealisieren und den Staat als unfähigen bürokratischen Moloch zu beschimpfen. Zurückführung der staatlichen Aufgaben vor allem aus dem Bereich der Daseinsvorsorge, Senkung der Staatsquote und der Steuern, Privatisierung, Deregulierung, Entstaatlichung sind zu Hauptparolen in Politik und Medien geworden. Ronald Reagan war es, der Anfang der 80er Jahre das Bild vom Staat als gierige “Bestie” prägte. Die Kampfparole der Reagonomics „Starve the beast“ wurde auch in Deutschland zum politischen Schlachtruf.

Franz Müntefering hat mit seiner Situationsbeschreibung völlig Recht:
„Mancher putzt sicher gerne die Füße an ihm (dem Staat) ab und macht ihn zum Synonym für eine Krake und für Bonzen, für Bürokratie und für Unfähigkeit. Manche reden aus Gedankenlosigkeit abfällig über ihn, andere auch gezielt. Sie fordern den schlanken Staat und wären doch nicht böse, wenn er denn verhungerte. Ja, sie legen es darauf an.“
Dass Demokratie Staat braucht und der Staat mehr als nur ein Reparaturbetrieb ist sondern eine Gestaltungsaufgabe hat, ist zwar trivial, hat aber, wenn man die Reaktionen auf die Müntefering-Rede hört offenbar Neuigkeitswert.
Wenn Müntefering den „Primat der Ökonomie“ kritisiert, weil Ökonomie bestenfalls „indirekt auf das Sozialwesen Mensch“ zielt, dann spricht er eigentlich nur eine Selbstverständlichkeit aus. Die prompten Reaktionen etwa von Arbeitgeberpräsident Hundt und Deutschlands „klügsten Wirtschaftsprofessor“ (BILD), Ifo-Chef Sinn zeigen, wie heruntergekommen die öffentliche Debatte inzwischen ist. „Realitätsferne“ wirft ihm Hundt vor und der betriebsblinde Ökonom Sinn meint: “Die Entrüstung über die Gesetze des Kapitalismus ist müßig. Auch wenn diese Entrüstung die Fallgesetze beträfe, hätte Gott dafür nur ein müdes Lächeln übrig.” (Quelle: SPIEGEL ONLINE)
An beiden Einlassungen kann man ablesen, in was für einer fundamentalistischen, ja sogar totalitaristischen Scheinwelt die Leute ihres Schlages denken und handeln. Hundt hält es eben um so schlimmer für die Realität, wenn Sie nicht mit seinen Arbeitgeberinteressen übereinstimmt, und Sinn macht den Kapitalismus gar zu einer göttlichen Weltordnung. Dabei merkt er nicht einmal, dass er gedanklich ein „Eigentor“ schießt: Gerade wenn der Kapitalismus wie ein physikalisches „Fallgesetz“ wäre, müsste die Gesellschaft und müssten die Einzelnen doch alles tun, um nicht erschlagen zu werden.
Demokratie hat in solchem Denken keinen Platz mehr, sie hat sich den „Gesetzen des Kapitalismus“ blind unter zu ordnen.

Was hat Müntefering eigentlich mehr gesagt, als das, was jeder im Grundgesetz nachlesen kann: Dass unser Staat ein Rechtstaat ist, dass er das Gewaltmonopol besitzt, dass wir einen Bundesstaat haben und – oh Schreck – dass unser Staat ein Sozialstaat ist.
Er hat die von kaum jemand bestreitbaren „international forcierten Profit-Maximierungsstrategien“ und die „international wachsende Macht des Kapitals“ kritisiert.
Er hat darüber hinaus – absolut Linientreu – sogar die Agenda-Politik verteidigt, wenn er etwa die soziale Sicherung über einen Mix aus Beiträgen, Steuern und individueller Vorsorge finanzieren will.

Nichts Neues also. Weder hat er eine aktive Rolle des Staates in der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik oder in der Finanzpolitik gefordert, noch hat er eine gerechtere Verteilung des Volksvermögens, noch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik, noch eine Abkehr von der Unternehmenssteuersenkungspolitik angemahnt.

Müntefering hat die Linie der Bundesregierung vertreten, er hat auf die Macht des Kapitals hingewiesen und hat das Grundgesetz wiedergegeben. Das war alles. Aber schon das genügt inzwischen in Deutschland um sich härteste Kritik einzufangen. Soweit ist die „Realität“ des Herrn Hundt schon von unserer Verfassung und von der Wirklichkeit entfernt.

Quelle: Rede von Franz Müntefering »


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