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Titel: The Intercept-Leak – Wie Lulas Scharfrichter Sérgio Moro mit Transparency International politisch in Venezuela intervenierte

Datum: 19. Juli 2019 um 9:23 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte
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Die Fortsetzungs-Serie von The Intercept Brasil mit der Veröffentlichung des #VazaJato-Mega-Leaks über die bestürzenden Machenschaften des ehemaligen Richters und amtierenden Justizministers Sérgio Moro, insbesondere in Komplizenschaft mit dem Staatsanwalt Deltan Dallagnol, schlägt trotz der schrägen Dementis beider und mehrfacher Androhungen von Repressalien des Bolsonaro-Regimes immer gewaltigere Wellen; nun auch in Partnerschaft und mit dem gleichzeitigen Abdruck in respektierten internationalen Medien wie El País. Von Frederico Füllgraf.

„Ist es schließlich möglich, die Authentizität der von The Intercept geposteten Nachrichten nachzuprüfen?”, fragte die portugiesisch-sprachige Ausgabe der spanischen Tageszeitung und versicherte ihren Lesern: „El País hatte Zugang zu einem Teil der Archive von #VazaJato und bestätigte mit Hilfe von Experten, die nichts mit dem Nachrichtenportal (The Intercept), das Brasilien erschüttert, zu tun haben, dass die ausgetauschten Nachrichten authentisch sind”.

In der zweiten Juliwoche ließ The Intercept zum ersten Mal ein Ton-Archiv durchsickern, in dem Dallagnol mit seinen Kollegen von der Staatsanwaltschaft eine Entscheidung des Richters Luiz Fux vom Obersten Gerichtshof (STF) feiert. Auf illegale Weise hatte Dallagnol von Fux erfahren, dass dieser die von seinem STF-Kollegen, Richter Ricardo Lewandowski, zuvor erteilte Erlaubnis für ein Interview der Tageszeitung Folha de S. Paulo mit dem inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Luis Inácio Lula da Silva annulliert hatte.

Das Interview sollte 12 Tage vor der ersten Wahlrunde im Oktober 2018 stattfinden. Das Verbot und die Schadenfreude Dallagnols bestätigen, dass das Verbot – nicht nur des Interviews, sondern der Kandidatur Lulas – und der Wahlsieg Jair Bolsonaros mit aktiven, illegalen parteipolitischen Machenschaften Moros, Dallagnols und Fux‘ erzielt wurden. Auf die illegalen Absprachen des STF-Richters mit der Staatsanwaltschaft bezogen, hatte Moro bereits im April 2016 ironisch auf Telegram gepostet: „Großartig. In Fux we trust”.

Die Hinterlist gegen Venezuela

Nach dem geheimen O-Ton-Mitschnitt Dallagnols schlägt nun ein weiterer politischer Skandal Wellen der Empörung, bei dem diesmal offizielle Stellen von Brasilien über Washington bis Berlin wegsehen möchten, aber nicht mehr können. Es handelt sich um eine internationale Intrige gegen die Rechtsstaatlichkeit Venezuelas.

In den Vorgang involviert sind wieder Richter Sérgio Moro, die Einsatzgruppe “Autowaschanlage” unter Führung von Staatsanwalt Dallagnol, die brasilianische Sektion der in Berlin ansässigen NGO Transparency International (TI), der brasilianische Großbau-Konzern Odebrecht, die ehemalige Generalstaatsanwältin Venezuelas, Luísa Ortega Díaz, die Regierung Nicolás Maduro und der einstige Führer der konservativen Opposition, Enrique Capriles.

Indirekt verstrickt sind jedoch auch mindestens ein halbes Dutzend EU-Regierungen, die Europäische Kommission, europäische Banken, drei deutsche Bundesministerien – Umwelt (BMU), Internationale Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Auswärtige Amt (AA) – sowie internationale politische Stiftungen – darunter George Soros‘ Open Society, Pierre Omydiars Network, die US-amerikanische Ford-Foundation – und transnationale Konzerne wie Microsoft, Google, Norsk Hydro und selbst die in vielfältige Korruptionsaffären involvierte deutsche Siemens-Gruppe. Alle zusammen – Regierungen, Stiftungen, Banken und Konzerne – finanzieren TI, jene vom ehemaligen deutschen Weltbank-Funktionär Peter Eigen gegründete NGO, deren Etat 2019 sich auf stolze 23,77 Millionen Dollar beläuft und die seit 1993 als weltgrößter angeblicher “Anti-Korruptions-Watchdog” auftritt.

An den Korruptions-Erhebungsmethoden von TI wird ohnehin seit Jahren scharfe Kritik geübt. Doch nun gerät auch der moralische Anspruch der Berliner NGO ins Kreuzfeuer und mit ihm die rechtsstaatliche Glaubwürdigkeit aller ihrer Sponsoren; darunter die deutsche Bundesregierung.

„Die Hauptmotivation war politisch. Die Staatsanwälte wussten, dass sie im Verborgenen handeln mussten”, kommentiert The Intercept einen explosiven Textaustausch von Richter Moro mit Staatsanwälten auf der Telegram-Plattform. Private Gespräche auf Telegram vom August 2017 entlarven, dass die Lava-Jato-Staatsanwaltschaft auf Vorschlag Moros versuchte, vertrauliche Zeugenaussagen erpresster Direktoren des in mehreren Dutzend Ländern tätigen und wegen schwerer Korruption angeklagten brasilianischen Odebrecht-Baukonzerns an die venezolanische Opposition durchsickern zu lassen.

„Es könnte eine gute Gelegenheit dafür sein, die Odebrecht-Aussage über Bestechungszahlungen in Venezuela öffentlich zu machen. Sind die Akten hier oder in der PGR (Generalstaatsanwaltschaft)?”, fragte Moro am 5. August 2017 um 14:35 Dallagnol. „Die Sache zu veröffentlichen, ist aus dem einfachen Grund nicht möglich, weil dies gegen eine Vereinbarung verstoßen würde, man könnte aber Informationen auf spontane Weise [in Venezuela] streuen. Die Wahrscheinlichkeit in diesem Fall wäre, dass irgendwo auf dem Weg jemand sich dazu entscheidet, etwas zu veröffentlichen”, antwortete Staatsanwalt Deltan Dallagnol.

Zuvor hatte Dallagnol den Richter zwar gewarnt, jedoch der geplanten Verschwörung als „Ermutigung” der Venezolaner zugestimmt. Das Gespräch bestätigt noch einmal, dass Moro nicht etwa als Richter, sondern als rechtswidriger De-facto-Koordinator der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Korruption und als internationaler politischer Agent handelte. Das Ganze trug sich im Moment äußerster Spannung zu, nämlich am Vorabend der Wahl der verfassunggebenden Versammlung.

Zu Recht erinnert The Intercept daran, dass die USA bereits einen Monat davor, im Juli 2017, der Regierung Maduro mit neuen Sanktionen gedroht hatten, falls Venezuela am Plan der verfassunggebenden Versammlung festhalten sollten. Wenig später schlug US-Präsident Donald Trump einen noch schärferen Ton an und drohte gar mit der Anwendung militärischer Maßnahmen.

Artikel 325 des brasilianischen Strafgesetzbuchs warnt davor, dass die unbefugte Weitergabe vertraulicher Informationen durch die Staatsanwaltschaft ein Verbrechen charakterisiert, das mit Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren geahndet wird. Doch, auf gut Deutsch gesagt, das Gesetz und die internationale Legalität scherte Moro und seine Bewunderer und De-Facto-Befolgten einen feuchten Dreck.

Da die Verschwörer in Caracas nur über wenige Kontakte verfügten, wandten sie sich an die frühere Generalstaatsanwältin Luísa Ortega Díaz, die zu diesem Zeitpunkt bereits ihres Amtes enthoben worden war und sich auf ein Exil in Kolumbien vorbereitete. Man beachte die Unverfrorenheit von Richter Moro: er schlug die Verbreitung vertraulicher Aussagen des Odebrecht-Konzerns für jenen Tag vor, an dem die verfassunggebende Versammlung die Entlassung Ortegas genehmigte. Moro wollte einen Schlagabtausch mit Präsident Nicolás Maduro.

Wenige Tage nach einem vorübergehenden Selbstexil in Brasilien traf sich Ortega mit Rodrigo Janot, dem damaligen Generalstaatsanwalt. Das Intercept-Leak der Telegram-Gespräche offenbart nun, was Ortega im Schilde führte: obwohl nicht mehr amtsbefugt, dennoch mit Richter Moro und „seinen“ Staatsanwälten kooperieren. „Wir sind Zeugen einer institutionellen Vergewaltigung der venezolanischen Staatsanwaltschaft“, protestierte lauthals Janot, und willigte in die Verschwörung ein.

Wahlspenden an Capriles werden aus Zeugenaussage entfernt

Im Schatten des Rampenlichts führten Moro und die jungen Staatsanwälte eine heiße Debatte auf Telegram über die angebliche Aussage des ehemaligen Odebrecht-Geschäftsführers in Venezuela, Euzenando Azevedo, wonach sein Konzern 35 Millionen Dollar für Maduros Wahlkampf gespendet hatte; eine explosive Nachricht, die – so befürchteten allerdings ein paar junge Staatsanwälte – die Krise in Venezuela nur weiter anheizen würde.

Nach einem Gespräch mit Moro am frühen Abend des 5. August 2017 diskutierte Deltan Dallagnol die Angelegenheit mit seinen Kollegen in der Chat-Gruppe „Filhos do Januario 2“. Staatsanwalt Orlando aus São Paulo hatte um 19:29:47 gewarnt: „Wir können nicht einfach Justizgeheimnisse preisgeben. Wir würden die Vereinbarung missachten, das können wir nicht riskieren, das hätte auch zivilrechtliche Konsequenzen für uns und den Bund“. „Seht doch, ein Bürgerkrieg ist möglich, und jede Handlung von uns kann zu mehr sozialen Unruhen und Todesfällen führen“, sinnierte Staatsanwalt Paulo Galvão. Das Gespräch dauerte einige Stunden, bis tief in die Nacht hinein.

Stunden später versuchte Dallagnol die Ängste seiner Kollegen zu zerstreuen. „Paulo Galvão, was das Risiko angeht, darüber müssen die venezolanischen Bürger nachdenken. Sie haben das Recht zu rebellieren“. Am Tag darauf insistierte Deltan Dallagnol: „6. August 2017 – Chat Filhos do Januario 2 Gruppe: Deltan – 14:50:42 – „Zweck der Priorisierung wäre, für den Kampf eines Volkes gegen Ungerechtigkeit einen Beitrag zu leisten, Tatsachen aufzudecken und zu zeigen, dass Repression herrscht, wenn es keine Rechenschaftspflicht gibt. Um die Möglichkeit der Bearbeitung dort zu unterbinden, sollten wir uns nur auf einen Teil der Tatsachen beziehen, die das Problem lösen würden“.

Es vergingen einige Wochen.

Die Hinterlist mit Hilfe von Transparency International

Am Nachmittag des 28. August sandte Staatsanwalt Orlando Martello eine Nachricht an die Gruppe, in der über ein Telefongespräch mit Vladimir Aras – zuständig für internationale Zusammenarbeit in der Generalstaatsanwaltschaft – berichtet wurde. Darin wurde kommentiert, dass Aras Anfang 2016 gesagt hätte, er vertraue Ortega nicht. „Wir haben guten Kontakt zu ein oder zwei ‘Staatsanwälten’ in Venezuela, aber die dortige Generalstaatsanwaltschaft weckt kein Vertrauen”, erklärte Meirelles.

Wegen der Verbindung mit Orlando hatte Aras seine Meinung geändert und Ortega wurde zur entscheidenden Brücke, um die geheime Zusammenarbeit zu organisieren. Während der Gespräche organisierte Aras den Empfang von zwei venezolanischen Staatsanwälten, die Mitte September heimlich nach Brasilien kamen, um an den Dokumenten zu arbeiten; eine Idee Ortegas. Zwei Staatsanwälte in Curitiba boten ihre Häuser an, während Deltan Dallagnol Transparency International um die Finanzierung ihres Aufenthalts in Brasilien bat.

Ortega traf am 22. August vor ihnen in Brasilien ein. „Ihr wolltet Informationen in Venezuela leaken? Das ist der Moment. Die Frau ist in Brasilien”, scherzte der Staatsanwalt Paulo Galvão, seine Kollegen reagierten mit Ironie.

Wochen später, im Oktober, veröffentlichte Ortega zwei Videos auf ihrer Website: Auszüge aus Aussagen des ehemaligen Odebrecht-Direktors Euzenando Azevedo, in denen er zugibt, 35 Millionen Dollar für Maduros Wahlkampf gespendet zu haben. Anderen Angaben zufolge hat Capriles jedoch 27 Millionen Dollar erhalten. Doch er hatte in der gleichen Aussage bestätigt, außerdem 15 Millionen US-Dollar in die Kampagne des Oppositionskandidaten Henrique Capriles investiert zu haben – diese Angabe hat Ortega allerdings in den veröffentlichten Videos gelöscht.

Nach Ortegas zensiertem Leak sandte Mauricio Bezerra, ein Anwalt von Odebrecht, eine Beschwerde an Staatsanwalt Carlos Bruno Ferreira beim Sekretariat für internationale Zusammenarbeit, die wiederum von Roberson Pozzobon an die Chat-Gruppe Filhos do Januario 2 weitervermittelt wurde. Darin beklagte sich Bezerra darüber, dass das Leak das Sicherheitsrisiko für mehrere Firmenmitglieder erheblich erhöht habe. In ihrer Chat-Gruppe reagierten die Staatsanwälte mit scheinheiliger Aufregung, so als ginge sie die Klage Bezerras nichts an.

Bezerra durchschaute den Zynismus, ging einen Schritt weiter und reichte Klage beim Obersten Gerichtshof ein, was stark darauf hindeutete, dass die Generalstaatsanwaltschaft, die für die Überwachung der Dallagnol-Gruppe zuständig war, das Video zugespielt haben könnte, denn nur sie hatte Zugriff auf die Aufzeichnung.

Die Generalstaatsanwaltschaft wurde um Aufklärung gebeten. Das war vor zwei Jahren. Erst vor einem Monat, im Juni 2019, berichtete Janots Nachfolgerin, Generalstaatsanwältin Raquel Dodge, dass vor dem Bundesgericht in Brasilia eine geheime Untersuchung stattgefunden habe.

Die Chat-Gespräche bezeugen jedoch auch die Besorgnis von Transparency International über die zunehmend kritische Situation Venezuelas. Die NGO vertrat die Meinung, es solle eine Klage gegen die Regierung Nicolás Maduro eingereicht werden und diskutierte den Plan mit Lulas Vorgänger, dem Soziologen und Ex-Präsidenten Fernando Henrique Cardoso (kurz FHC genannt) während einer Veranstaltung in Brasilien. „Am Ende kam FHC, um mit mir zu sprechen, und sagte, dass dies eine gute Idee ist”, ließ Bruno Brandão – Geschäftsführer der brasilianischen Sektion von Transparency International – Staatsanwalt Dallagnol mit einer Nachricht vom 31. Oktober 2017 wissen.

Die beiden waren per Du.

Privater Chat Bruno – 15:59:13 – Irgendwelche Einwände?
Deltan – 19:51:31 – Keine Einwände.
Deltan – 19:51:50 – Es ist sogar gut, um Gelände zu testen.
Bruno – 20.04.16 – FHC kam am Ende zu mir und sagte, es sei eine gute Idee Bruno – 20.04.27 – andere kamen auch.

Auf ihre Involvierung in illegale Umtriebe angesprochen, reagierte Transparency International mit erstaunlichem Zynismus. Die Organisation befürworte die Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit im Rechtsbereich sowie Maßnahmen der brasilianischen Behörden gegen ausländische Beamte, die wegen Korruption angeklagt seien.

Doch Transparency Internationals Verstrickung mit der kriminellen Gruppe um Richter Moro baute auf einer Vorgeschichte auf. Am 9. Dezember 2016 lud Prof. Markus Pohlmann – Politologe und Jurist vom Max-Weber-Institut für Soziologie der Universität Heidelberg – Sérgio Moro zu einem Vortrag ein, der seinerzeit auf erbitterten Widerstand stieß.

Heidelberg war des Richters erster Auftritt in Deutschland. Wenige Tage zuvor hatte jedoch die in Berlin ansässige Transparency International die Preisauszeichnung der von ihm geleiteten Einsatzgruppe “Unternehmen Waschanlage” als “weltgrößtes Unternehmen der Korruptionsbekämpfung des Jahres 2016” verkündet.

Mein Kommentar zu Moros Preisauszeichnung und Auftritt lautete schon damals: „Wer die Medienbegierde des Juristen (Moro) kennt, hat gute Gründe zur Annahme, nach seiner Beweihräucherung durch konservative US-Medien, wie das Time-Magazin, dürfen der Transparency-Preis und der Heidelberger Vortrag als Beginn einer Propagandaschau Moros nun auch in Deutschland gedeutet werden. Als Auftakt dazu diente bereits die Ausgabe vom 8. November des Manager-Magazins, mit dem Werbetext aus Korruption in Brasilien: “Operation Autowäsche” der Feder des Heidelberger Moro-Amphitryons Markus Pohlmann. ”

Von mir am 11. Juli darauf angeschrieben, ob sie als TI-Vorstandsmitglied von der skandalösen Involvierung ihrer NGO wusste, reagierte Karen Hussmann mit Schweigen.

Titelbild: Casimiro PT/shutterstock.com


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