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Titel: „Angst vor der Angst“. Rainer Mausfeld zeichnet „Angst und Macht“ als neoliberale Herrschaftstechnik. Eine Rezension von Albert Klütsch.

Datum: 10. Oktober 2019 um 8:45 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
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Das Buch – Westend Verlag, Erstausgabe im Juli 2019 – macht mir Angst; Angst vor meiner unverarbeiteten Angst im Angesicht jener unbeherrschten, vielleicht unbeherrschbaren Mächte, die sich ihrer in einer „marktkonformen Demokratie“ als Medium bedienen. Bislang konnte ich darauf vertrauen, dass nur Menschen, denen es gut geht, sich Demokratie leisten können, Menschen aber, die Angst haben, sich in autoritären, ja totalitären Systemen im Bedürfnis nach angstfreiem Leben besser aufgehoben fühlen.

Rainer Mausfeld projizierte schon zuvor in „Warum schweigen die Lämmer“ seine Forschungsergebnisse als emeritierter Inhaber des Lehrstuhls für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung an der Universität Kiel auf die Folgen des Neoliberalismus als tragender Ideologie eines Systems, das geeignet ist, demokratische Gesellschaften in einen autoritären Sicherheitsstaat umzuwandeln. Mit seiner neuerlichen Schrift verarbeitet er die Gefahren kollektiver Ängste für eine kapitalistisch genormte Demokratie unter dem Angebot einer reichen Zahl an Verweisen anderer Kritiker des Zeitgeistes – wie Bourdieu, Chomsky, Postman.

In fünf Kapiteln verfolgt er die Wege von „Angst und Macht“ als Herrschaftstechniken zur Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien und sucht nach geeigneten Wegen, Freiheit von gesellschaftlicher Angst zu gewinnen. Das gelingt ihm in einer Fülle von kompakten, gelegentlich allzu abstrakten Bildern, in die sich der Leser selbst im „Lebensgefühl unserer Epoche“ eingebettet fühlt, in der er eine schier unbegrenzte Variation an Ausmaß und Intensität der Erscheinungsformen von Angst vorfindet.

Der „neoliberale Transformationsprozess“ hat es in den Zeiten der Globalisierung seit den achtziger Jahren geschafft, den „homo sapiens“ zum „homo oeconomicus“ zu degradieren, der in seiner Würde und Wertigkeit nurmehr nach Maßgabe seiner wirtschaftlichen Verwertbarkeit nützlich ist – mit der Folge wachsender sozialer Ungleichheit und immer unsicherer, nicht mehr existenzsichernder Arbeitsverhältnisse: Und dann ist er angehalten, sich sein Versagen in fehlender Anstrengung und mangelnder Anpassung an den „Markt“ selbst zuzuschreiben, in dem ihm jene sozialen Bindungen und solidarische Hilfen genommen worden sind, die ihm zuvor soziale Sicherheit gewährleisteten.

Dieser Verführung zu widerstehen, ist nur einer aufgeklärten Bürgerschaft möglich, die aber zu steuern dem neoliberalen Projekt mit demokratischen Mitteln unmöglich ist; deswegen greifen jene Mächte zu einer Bewusstseinssteuerung, indem sie systematisch und manipulativ gesellschaftliche Ängste erzeugen, die wirksamer sind als die Mechanismen traditioneller Meinungsmache. Wir sind in diesem Kampf – so seine Schlussfolgerung – auf der Seite der Verlierer, wenn es nicht gelingt, „Solidarität und Gemeinschaftssinn als Fundamente unseres Handelns zurückzugewinnen“ – eine schmerzliche Einsicht, die notwendig ist, um sich gegen manipulativ erzeugte Ängste zu immunisieren.

Rainer Mausfeld: „Angst und Macht. Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien“, Westend Verlag, 128 Seiten, Juli 2019

Zum Autor der Rezension siehe hier: der-schauspieler.de.


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