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Titel: „Panorama verliert jeden journalistischen Anstand – INSM-Propaganda zur Rentenpolitik.“

Datum: 15. Oktober 2019 um 12:09 Uhr
Rubrik: Medienkritik, Rente, Strategien der Meinungsmache, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Reiner Heyse vom Senioren-Aufstand in Kiel kommentiert und analysiert den Rententeil der Panorama-Sendung vom 10. Oktober. Seine Analyse und seine Bewertung sind sehr berechtigt. Nicht ganz richtig ist seine Überschrift. Denn bevor Panorama den journalistischen Anstand beim Stück über die Rente verloren hat, gab es ein eindrucksvolles Stück mit Äußerungen des Sohnes Niklas Frank des Statthalters Adolf Hitlers in Polen, Hans Frank. Niklas Franks Äußerungen über seinen Vater und dessen Äußerungen und Taten waren verglichen mit dem, was die AfD heute sagt und zu tun androht, aufschlussreich. Dieser berechtigte Vergleich hilft bei der Einordnung. Albrecht Müller.

Nichtsdestotrotz, der Beitrag von Panorama zur Renten-Problematik war irreführend, bewusst gemacht irreführend. Daran konnte man sehen, wie in thematisch wichtigen Beiträgen bei einem Medium wie Panorama die Ordinate nach rechts verschoben wird. Das ist ein Phänomen, das typisch ist für ehedem fortschrittliche Formate und Medien, für Panorama genauso wie für die Zeit oder den Spiegel, für die taz, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau u.a.m.

Nun aber zu:

Reiner Heyses „Panorama verliert jeden journalistischen Anstand – INSM-Propaganda zur Rentenpolitik.“

Panorama sendete am 10.10.2019: „Arme Rentner, reiche Rentner – Warum werden alle beschenkt?“ Wer bisher glaubte, dass die öffentlich-rechtlichen Sender das BILD-Zeitungsniveau nicht unterschreiten könnten, wurde nach acht Minuten eines Besseren belehrt.
 
An Verhöhnung, Verzerrung und interessengeleiteter Propaganda war der Beitrag kaum zu übertreffen.

Eine Frau zu Beginn soll wohl die armen Rentner repräsentieren. Biografische Daten von ihr (etwa Alter, Wohnort, Beruf, Einzahlungsdauer)? Fehlanzeige. Soviel wird verraten: Sie erhält 900€ Rente netto, „was nicht genug ist, um normal leben zu können“, deshalb muss sie von Montag bis Freitag zusätzlich Essen ausfahren.

Mit 900€ netto ist die Frau als Rentnerin noch überdurchschnittlich bezahlt und zeigt mit ihrem Beispiel um so drastischer auf, wieviel härter das Leben sehr vieler Rentnerinnen ist, die deutlich weniger erhalten (in den alten Bundesländern erhalten 8 Millionen Frauen ein Rente von durchschnittlich 650€).

Aber das interessiert in dieser Sendung weniger. Dafür wird ein großer Wert auf ihre Meinung gelegt: „Den meisten Rentnern geht’s ganz gut …die Kleinstrenten sollten mehr bekommen, als die, die relativ mehr Rente bekommen.“

Das Geld sollte nicht mit der Gießkanne ausgegeben werden, denn den meisten Rentnern geht es ganz gut – so Redakteur Johannes Jolmes.

Der Beweis wird angetreten. Auf der Strandpromenade vom Ostseebad Grömitz träfe man besonders viele Rentner. Vier Ältere werden gefragt. Die sind so namenlos wie biografiefrei. Das Alter, ob sie von Renten- oder Pensionseinkommen, oder ob sie von Vermögenserträgen leben? Spielt alles keine Rolle. Nur eines interessiert: wie geht es ihnen im Alter? „Gut, sehr gut, könnte nicht besser sein, super“. Ein Paar erklärt, viel zu verreisen – „nach Indien, Mexiko, Südamerika, China, Südvietnam …“ Dem zweiten Befragten geht es nicht schlechter „wir sind viel auf Reisen, fast jeden Monat zwei Wochen…“. Der Dritte macht auch viel Urlaub „wir sind essenstechnisch viel unterwegs…“

Man muss wissen, dass die maximal mögliche Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht über 2.500 netto steigen kann. Wenn man das weiß kommt man schnell darauf, dass die vier (anonym) Befragten wohl kaum als die typischen Rentner in Frage kommen. Selbst als “Spitzen”Rentner hätten sie nicht die Mittel für den von ihnen dargelegten Lebensstil.

Dennoch werden diese vier aus dem Leben gegriffenen Situationsbefunde  „wissenschaftlich“ untermauert. Jochen Pimpertz, beschäftigt bei dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW), kommt dreimal zu Wort. Kein Wort wird darüber verloren, dass das Institut durch Arbeitgeberverbände finanziert wird und dass sich das IW den neoliberalen Think Tank „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ INSM unterhält. Letzteres schaltet regelmäßig Anzeigenkampagnen gegen jedwede Rentenreform, die ihren Namen auch nur ansatzweise verdient.
 
Erster Block “wissenschaftlicher” Erkenntnis: Das Ausmaß der Altersarmut wird übertrieben. Grundsicherung im Alter erhalten 3,2%, gegenüber 9,6% Hartz IV-/Sozialhilfeempfänger der anderen Bevölkerungsteile. Sie sei also deutlich unterrepräsentiert. Was Pimpertz ausblendet: gerade einen Monat zuvor hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) veröffentlicht, dass zwei von drei Grundsicherungsberechtigten keinen Antrag auf Grundsicherung stellen. Die Quote läge also tatsächlich ebenso bei 9,5%. Was Pimpertz auch verschweigt, ist die International vereinbarte Armutsdefinition. Arm ist demnach nicht nur jemand, der staatliche Sozialhilfe erhält, sondern armutsgefährdet sind alle, die als Einzelpersonen ein Einkommen beziehen, das 60% unter dem mittleren Nettoeinkommen liegt. Für Deutschland derzeit etwa 1.050€. Über 16% der Rentnerhaushalte leben unterhalb dieses Niveaus. Jeder Journalist, der zu dem Thema die Zuschauer informieren soll, muss das wissen. 

Zweiter Block “wissenschaftlicher” Erkenntnis: „Die Rentengeschenke (explizit Rente ab 63 und Mütterrente) der vergangenen Jahre gehen zu Lasten der jüngeren Generation… Sie sind mit Blick nach vorne kontraproduktiv“. Das IW hat jede noch so kleine Rentenverbesserung gebetsmühlenartig mit diesen Argumenten, vor allem seit 2014, begleitet. In der Sendung wiederholen Pimpertz und der Journalist Jolmes das fast synchron. Wahr ist dagegen, dass die Mehrkosten der Rentenverbesserungen so gut wie ausschließlich durch die Beitragszahler finanziert wurden bzw. werden und nicht aus Steuermitteln. Und obwohl das passierte, wurden die Rentenversicherungsbeiträge von 18,9% auf 18,6% gesenkt. Ein Beitragsniveau, dass es zuletzt vor 30 Jahren gegeben hat. Da gab es allerdings 25% weniger RentnerInnen als heute. Auch das sollte jeder Journalist wissen, der zu dem Thema informiert.

Ein Journalist sollte auch hinterfragen: wieso hat das IW im Verlauf der Rentenreform 2014 für 2020 einen Beitragssatz von über 20% voraus orakelt? Danach kamen noch einmal die Reformen 2017 (Mütterrente II und bessere Erwerbsminderungsrenten). Trotzdem bleibt der Beitragssatz  bei 18,6% und die Rücklagen der Rentenversicherung steigen auf den Rekordwert von 40 Milliarden €. Das ist der Nachfrage wert, statt in den Chorgesang des IW einzustimmen.

Dritter Block “wissenschaftlicher” Erkenntnis und zugleich finaler Tiefpunkt der Verhöhnung: Pimpertz: „Altersvorsorge gelingt am Besten, wenn es mir gelingt, im Arbeitsmarkt integriert zu sein. Das ist die entscheidende Stellschraube. Wer arbeitet als Angestellter, zahlt automatisch in die Rentenkasse ein, das wirkt armutspräventiv.“ Ein Vertreter des Instituts, das die Niedriglohnpolitik der Agenda 2010 stets gefordert hat und im Mindestlohn völlig faktenfrei bis heute ein Instrument der Arbeitsplatzvernichtung sieht, darf im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen schwadronieren, gutbezahlte Jobs seien die  effektivste Rentenpolitik. Mehr Dreistigkeit geht nicht.

Zur Grundmelodie des Beitrags gehört dann die suggestive Aussage: Jede/Jeder hat es selbst in der Hand, zu einem anständigen Job zu kommen. Ein wichtiges Instrument dazu sei – man glaubt es kaum – Bewerbungstraining. Und dann kommt noch zur Abrundung des Arguments die Agentur „Joblinge“ zu Wort, die diesen Service anbietet. Was dazu selbstverständlich auch verschwiegen wird: “Joblinge“ wurde schon im Jahr 2007 in die Welt gesetzt und zwar als Stiftungsbetrieb (gibt schöne staatliche Fördergelder) der Boston Consulting Group und arbeitetet seitdem mit sehr bescheidenen Ergebnissen.
 
Der Beitrag ist eine Programmbeschwerde und eine Rüge des verantwortlichen Redakteurs, Johannes Jolmes, wert.


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