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Titel: Der Gründer der „Weißhelme“ ist tot
Datum: 14. November 2019 um 8:35 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Militäreinsätze/Kriege
Verantwortlich: Redaktion
Der mutmaßliche britische Geheimdienstmitarbeiter James Le Mesurier ist unter unklaren Umständen in Istanbul gestorben. Im Syrienkrieg erfüllten Le Mesurier und sein „Syrischer Zivilschutz“ eine „Scharnierfunktion“ zwischen Militär und zivilem Umfeld. Kritiker sehen die „Weißhelme“ als Akteure der ausländischen Intervention gegen Syrien. Von Karin Leukefeld.
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Die in Amsterdam und Istanbul ansässige Stiftung “Mayday Rescue“ hat den Tod ihres Gründers und Geschäftsführers James Le Mesurier bestätigt. Le Mesurier habe sein Leben der Hilfe von Zivilisten in Notlagen, Konflikten und Naturkatastrophen geweiht. „Nirgends war die Auswirkung seiner wichtigen Arbeit so sehr zu spüren wie in Syrien“, heißt es in der knappen Mitteilung auf der Webseite von „Mayday Rescue“ weiter. Dort habe man „ein Netzwerk von freiwilligen Rettungshelfern unterstützt, das als Syrischer Zivilschutz, auch Weißhelme genannt, bekannt geworden ist.“ Unzählige Leben von Zivilisten habe man gerettet, so „Mayday Rescue“ weiter. Le Mesurier sei „ein großartiger Führer, Visionär, ein lieber Kollege und Freund“ gewesen.
Die Umstände des Todes von James Le Mesurier sind unklar. Er wurde in den frühen Morgenstunden des 11. November 2019 tot vor einem Haus in Beyoglu, einem Stadtteil in Istanbul aufgefunden, in dem er mit seiner Frau wohnte und in dem sich auch das Büro von „Mayday Rescue“ Istanbul befand. Seine Frau berichtete, beide hätten am frühen Morgen des Tages Schlaftabletten genommen, ihr Mann habe unter Stress und Depressionen gelitten. Sie sei erst aufgewacht, als die Polizei an ihre Wohnungstür klopfte und vom Tod ihres Mannes berichtete.
Le Mesurier soll Agent des britischen Geheimdienstes MI6 gewesen sein, eine Bestätigung dafür wird es vom britischen Geheimdienst nicht geben. Fest steht, dass er ein erstklassig ausgebildeter und hochdekorierter britischer Elite-Soldat war. Spiegel Online schreibt, er habe im Balkankrieg begriffen, „dass humanitäre Hilfe besser geeignet sei, Kriege zu verhindern, als bewaffnete Einsätze“. Er habe seinen Militärdienst im Jahr 2000 quittiert und einige Jahre für private Sicherheitsfirmen in der „humanitären Sparte“ gearbeitet. 2013 habe er mit türkischer Unterstützung „die ersten 25 Syrer darin ausgebildet, Kriegsopfer zu bergen“. (Spiegel Online, 12.11.2019). Daraus wurden schließlich die international bekannten „Weißhelme“.
Scharnierfunktion im Syrien-Krieg
Le Mesuriers‘ Erfahrungen auf dem Balkan waren nicht ausschließlich persönlicher Art. Er folgte einem Angebot an Elitekräfte, sich – außerhalb des Militärs – für ein neues NATO-Konzept zu engagieren, die zivil-militärische Zusammenarbeit. Das neue Konzept beruht auf der militärischen Notwendigkeit, in Kriegs- und Krisengebieten das zivile Umfeld einzubeziehen. Doch „Schuldächer reparieren und Brunnen bohren“ sei „keine Entwicklungshilfe sondern Bestandteil der militärischen Operationsführung“, heißt es in einer Erläuterung der deutschen Bundeswehr zur Aufgabe der zivil-militärischen Zusammenarbeit.
Für die „Scharnierfunktion zwischen militärischem Einsatzstab und dem zivilen Umfeld“ bedarf es hoch motivierter und ausgebildeter Personen, die als Spezialkräfte mit militärischem Hintergrund mit der Zivilbevölkerung kooperieren. Es liegt nahe, dass diese Personen nicht nur Militärs in Zivil sind, sondern auch Aufklärer für die Geheimdienste der jeweiligen kriegführenden NATO-Staaten. Informationen von vor Ort aus einem Kriegs – und Krisengebiet hilft dem militärischen Stab bei der Einsatzplanung, ermöglicht – in Verbindung mit Luftaufklärung und Satellitenaufnahmen – „Präzisionsschläge“ gegen bestimmte Ziele oder auch Einzelpersonen. Die Aufklärung liefert nicht zuletzt Material, um Politik und Medien entsprechend dem Einsatzplan zu „informieren“. Aufbau und Einsatz der „Weißhelme“ in Syrien entsprechen in idealer Weise dem Konzept der NATO für die zivil-militärische Zusammenarbeit. Man operiert als „humanitäre Helfer“ in einem Kriegs- und Krisengebiet (Syrien) mit der Bevölkerung, die gegen den Kriegsgegner – die syrische Regierung und deren Verbündete – eingestellt sind.
Die Arbeit von Le Mesurier und seiner Partner in der „Mayday Rescue“-Stiftung und bei den „Weißhelmen“ war den NATO-Auftraggebern viel Geld wert. Deren „humanitärer“ Einsatz sicherte das militär-strategische Interesse des NATO-Engagements in Syrien und der Region ab. Die europäischen NATO-Staaten, allen voran Großbritannien, die USA und Kanada, förderten die „Weißhelme“ mit Millionensummen. Die Bundesregierung zahlte mehr als 12 Millionen Euro. Geld kam auch vom Entwicklungsfond des Emirats Katar und von den Vereinten Nationen. Japan und Israel, die als wichtige „Nicht-NATO-Alliierte“ in die NATO-Strukturen eingebunden sind, zahlten ebenfalls. Israel half im Juli 2018 Hunderten „Weißhelmen“ und ihren Familien, den Südwesten Syriens zu verlassen, wo sie mit dortigen Kampfgruppen kooperiert hatten. Sie wurden über den von Israel besetzten Golan nach Jordanien transportiert, von wo sie in verschiedene NATO-Staaten ausreisen konnten.
Akteure der ausländischen Intervention?
Wer als humanitäre Organisation im militärischen Interesse in einem Kriegs- und Krisengebiet an der Seite einer der Kriegsparteien agiert, kommt an den militärischen Akteuren nicht vorbei. Bildmaterial belegt, dass „Weißhelme“ Tote abtransportieren, die zuvor von Kämpfern der Nusra Front oder anderer islamistischer Kampfgruppen hingerichtet wurden. Es gibt Bilder, auf denen sie Waffen tragen und an der Seite bewaffneter Islamisten die Einnahme von syrischen Orten feiern. Eine Filmsequenz zeigt den Abtransport von getöteten syrischen Soldaten auf einem Pick-Up. „Weißhelme“ stehen auf den Leichen und machen ein Siegeszeichen in die Kamera, die den Vorgang festhält.
Le Mesurier und die von ihm gegründeten „Weißhelme“ werden in einem Teil der Welt bejubelt und ausgezeichnet. In Syrien und bei dessem wichtigsten Verbündeten Russland allerdings werden die „Weißhelme“ als Akteure der ausländischen Intervention gegen Syrien kritisiert. Eine Pressekonferenz in Genf, bei der die freie Reporterin Vanessa Beeley im November 2017 über ihre Recherchen zu den „Weißhelmen“ berichten wollte, wurde u.a. von Reportern ohne Grenzen so sehr angegriffen, dass dem Veranstalter der Pressekonferenz, dem Schweizer Presseclub Genf, sogar mit dem Entzug öffentlicher Gelder gedroht wurde.
Warum Le Mesurier jetzt ums Leben kam, ist unklar. Die Bild-Zeitung spekulierte bereits, dass der „mysteriöse Todesfall in Istanbul“ mit der Kritik aus Russland zu tun haben könne. Wenige Tage vor dem Tod sei Le Mesurier von Russland „zum Terroristen erklärt“ worden.
Die Medien sollten sich von „unnötigen Spekulationen über seinen Tod zurückhalten und abwarten, bis die Untersuchung abgeschlossen“ sei, hieß es in der Erklärung von „Mayday Rescue“. Seine Familie, Freunde und Kollegen bräuchten Zeit, um den „schrecklichen Verlust“ zu verkraften.
Titelbild: Alexander Lukatskiy / Shutterstock
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