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Titel: WDR treibt die „Umweltsau“ durchs Dorf

Datum: 2. Januar 2020 um 13:32 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik
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„Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ bewegt die Gemüter. Der Vorgang um die WDR-Version des Kinderlieds fügt jedoch allen Beteiligten Schaden zu: Einerseits wurde dabei ein infamer und spaltender Beitrag fälschlich als Satire bezeichnet und es wurden dafür Kinder eingespannt. Andererseits haben sich viele Menschen davon zu einer übertriebenen und ablenkenden Empörung anstacheln lassen. Deshalb wiederum hat der WDR eine kritikwürdige Löschung veranlasst. Insgesamt ist die Debatte von Heuchelei geprägt: Es geht um Klimaschutz, soziale Spaltung, Altersarmut und sprachliche Verrohung. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Der Vorgang um das vom WDR umgedichtete und vom Kinderchor des Senders umgesetzte Kinderlied „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ hat zum Jahreswechsel zahlreiche Gemüter bewegt (man kann das vom WDR gelöschte Video unter diesem Link noch ansehen). Allein diese Hysterie begründet die nähere Betrachtung eines Ereignisses, das man zu anderen Zeiten als Petitesse abgetan hätte: Auffallend ist hier nicht die Brisanz, sondern die Nichtigkeit des Vorgangs. In diesem Sinne wird er zu einem Beispiel der erschöpfenden und dadurch systemerhaltenden Empörung. Zudem muss man feststellen, dass sich alle Beteiligten selber beschädigt haben.

Verunglücktes Lied

Das Lied selber ist aus mehreren Gründen als verunglückt zu bezeichnen: Zum einen werden diffamierende Kraftausdrücke wie „Meine Oma ist ‚ne alte Umweltsau“ mit dem unzutreffend erscheinenden Etikett „Satire“ beschützt. Diese Umettikierung sprachlicher Degeneration (ohne inhaltliche Grundierung) konnte man bereits beim „Ziegenficker“-Gedicht von Jan Böhmermann feststellen – in Form einer sprachlichen Unterbietung durch den WDR rächt sich nun, dass diese Form der billigen, beleidigenden und inhaltsarmen Tirade so offensiv (und fälschlich als Satire) verteidigt wurde.

Zum anderen hat das „Oma“-Lied des WDR einen spaltenden und alten-feindlichen Charakter. Und es transportiert sozialpolitisch abwegige Botschaften, etwa indem billige Lebensmittel indirekt diffamiert werden. Außerdem wurden bei der Produktion Kinder instrumentalisiert, die die Tragweite der Aktion nicht abschätzen können. Zu guter Letzt wird im Text auch Heuchelei transportiert – die würde mutmaßlich deutlich werden, wenn man die CO2-Abdrücke der besungenen „Omas“ mit denen der singenden Kinder vergleichen würde.

Verunglückte Reaktionen

Dieser in mehrfacher Hinsicht bedenkliche Charakter des Videos rechtfertigt aber weder die Intensität der nun erlebten Aufregung vonseiten zahlreicher Bürger noch die übereilt vollzogene Löschung des Beitrags durch den WDR. Zur Empörung ist zu sagen, dass diese eine gerechtfertigte Erregung teilweise weit überstiegen hat. Die von Medien beschriebenen Morddrohungen gegen die Autoren des Beitrags sind scharf zu verurteilen. Und diese sind nur die Spitze eines Eisbergs: Darunter verbirgt sich die anscheinend verbreitete und anmaßende Haltung, den öffentlichen Raum von Äußerungen „säubern“ zu wollen, die einem gegen den Strich gehen. Diese Haltung steht im konkreten Fall jedoch in klarem Widerspruch zu den Forderungen, die „eigenen“ Positionen vor Zensur zu schützen. Etwa beim Fall des Kabarettisten Uwe Steimle, den die NachDenkSeiten kürzlich hier beschrieben haben, waren die Vorzeichen eher „andersherum“.

Beim WDR-Kinderlied kommt erschwerend der Aspekt der instrumentalisierten Kinder hinzu – aber davon abgesehen kann man, grob zugespitzt, formulieren: Sowohl Steimle als auch das WDR-Kinderlied hätten von den jeweiligen Kritikern ausgehalten werden müssen. Auf die Frage, ob die aktuelle Kritik an dem Lied nur aus der „rechten“ Ecke kommt, wird weiter unten eingegangen.

WDR liegt gleich zwei Mal falsch

Der Sender hat beim Vorgang um das Kinderlied gleich zwei Mal falsch reagiert: Zum einen, als er den Beitrag fahrlässig die interne Prüfung passieren ließ. Zum anderen, als er den Beitrag durch das schnelle Einknicken vor einem sich anbahnenden Shitstorm löschen ließ: Mehr als 40.000 Facebook-Kommentare hatten sich allein bis Sonntagvormittag beim Westdeutschen Rundfunk angesammelt, wie Medien berichten. Der WDR hatte das Video schon am Freitagabend von der WDR2-Facebookseite gelöscht und hatte sich „für die missglückte Aktion“ entschuldigt.

Diese schnelle Reaktion erstaunt aus zwei Gründen: So werden andere mutmaßliche inhaltliche Verzerrungen – etwa zu den Themen NATO oder Sozialpolitik – teils erheblich stärker verteidigt. Und der WDR lädt durch das Einknicken zum nächsten, das Programm „kontrollierenden“ Shitstorm wahrscheinlich geradezu ein. Für die Löschung und eine dadurch empfundene mangelnde Unterstützung der Autoren wird der WDR mittlerweile scharf kritisiert, etwa von der Gewerkschaft Verdi, die erklärt:

„Designierter ARD-Vorsitzender fällt Mitarbeiter*innen in den Rücken: Mit seiner Reaktion auf einen von rechtsaußen dominierten Shitstorm, das Video von WDR 2 mit einer Satire-Version von „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ zu löschen, hat WDR-Intendant Tom Buhrow Fakten geschaffen. (…) Buhrow hat mit der Löschung in die innere Rundfunkfreiheit eingegriffen und damit den beteiligten Kolleg*innen die Rückendeckung genommen. Mit seiner persönlichen Entschuldigung beim empörten Teil des Publikums in einer WDR2-Callin-Sendung kam dann noch ein zusätzliches „in den Rücken fallen“ obendrauf.“

Und auch SPD-Chefin Saskia Esken schreibt laut Medien auf Twitter:

„Mich beunruhigt das, wenn Journalisten, Medienschaffende, Künstler in diesem Land keine Rückendeckung haben, weil Verantwortliche einem Shitstorm nicht standhalten.“

In diesem Sinne argumentiert auch LINKEN-Chef Bernd Riexinger:

„Die Empörungswelle rund um das Satire-Video des WDR entbehrt jedweder Realität und Normalität. (…) Dass der WDR-Intendant sich nicht sofort konsequent hinter die Beteiligten gestellt hat, ist unverständlich und töricht.“

Kritik nur von „rechtsaußen“?

Kritisiert werden soll hier aber auch die vereinfachende Betrachtung der Bürgerwut gegen das Lied durch einige Beobachter. Denn wenn man dem Unmut pauschal unterstellt, von „rechtsaußen“ zu kommen, dann werden dadurch zahlreiche Bürger, die sich (aus guten Gründen) über das Video geärgert haben, nach „rechtsaußen“ gestellt – und das, ohne Nazi zu sein oder die Löschung gefordert zu haben. Manche medial so verfrachtete Bürger verbleiben dann womöglich in dieser ihnen zugewiesenen „rechten“ Ecke – ein fatales Ergebnis.

Zum Inhalt des Lieds soll wiederholt werden, dass hier das Etikett „Satire” nicht so recht passt. Sollte sich Satire nicht an den Mächtigen abarbeiten? Das Lied tut das Gegenteil: Es spaltet die Schwachen (in Alt und Jung) und es suggeriert falsche Verantwortlichkeiten: So macht die Oma nicht den Preis des Discount-Fleisches – zusätzlich würde sich manche von Altersarmut betroffene Dame vielleicht gerne edleres Fleisch kaufen, kann es sich aber nicht leisten. Und auch die Aussage „Motorradfahren ist voll cool“ entspringt eher einer milliardenschweren Werbeindustrie als älteren Individuen. Diese Kritik ist jedoch kein Grund, die Zensur eines bereits erschienenen Beitrags zu fordern. Die Gesellschaft muss lernen, solche Dinge manchmal einfach auszuhalten.

Empörung als Beschäftigungstherapie

Um es ganz deutlich zu sagen: Die im Song ausgedrückte Forderung nach Klimaschutz ist prinzipiell sehr berechtigt, das Engagement der Jugend ist begrüßenswert – aber in der im konkreten Song präsentierten Form richtet es sich eben auch gegen Schwächere, darum erscheint die Produktion, auch durch die nicht adressierten Verantwortlichen aus der Groß- und der Werbeindustrie, eher systemerhaltend.

Andererseits hat auch die erlebte Form der massiven Empörung diesen erhaltenden und ablenkenden Charakter: Es kann dadurch der Eindruck entstehen, dass die fiktive Umbenennung einer fiktiven „Weihnachtswurst“ oder eben das Umtexten eines Kinderlieds dramatischer erscheinen als Altersarmut oder eine kaputtgesparte Verwaltung – denn diese empörenden wirtschaftspolitischen Fakten rufen nicht annähernd die gleiche Aufregung hervor. Einige der nun über das WDR-Lied empörte Menschen wählen (dieser vor allem sprachlichen Symbolen verhafteten Haltung entsprechend) mutmaßlich die AfD – also eine systemerhaltende Partei, die nur scheinbare und nur sprachlich-symbolische Veränderungen vorantreiben möchte – und die etwa auf dem Gebiet der Sozial- und Wirtschaftspolitik für den „kleinen Mann“ nichts, aber auch gar nichts, zu bieten hat.

Einmal mehr erscheint es angesichts dieses Beispiels des Kinderlieds, als sei „Empört Euch!“ eine zumindest ungenügende Haltung.

Zum medial geschürten „Konflikt zwischen den Generationen“ haben die NachDenkSeiten kürzlich diesen Artikel veröffentlicht. Zur medialen Tendenz, zahlreiche gesellschaftliche Spaltungen mit dem Ziel der Ablenkung und der Beschäftigung zu fördern, wurde dieser Artikel veröffentlicht.

Titelbild: Olena Yakobchuk/shutterstock.com


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