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Titel: Arte im Propaganda-Modus: Stundenlange Meinungsmache am Stück

Datum: 18. März 2020 um 13:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Der antirussischen Indoktrination, der medialen Heuchelei und der verfälschten Darstellung des Kriegs gegen Syrien diente ein ausgedehnter Themenabend beim TV-Sender Arte. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Das Corona-Virus verdeckt im Moment alle anderen Themen, das ist zum Teil auch nachvollziehbar. Sich dieser medialen Dynamik zu widersetzen, ist einerseits wichtig – schließlich wird das Virus mutmaßlich auch genutzt, um unbequeme Tendenzen auf anderen Gebieten zu vernebeln, das sollte nicht gestattet werden. Andererseits ist eine Themensetzung abseits von Corona aktuell nicht leicht und es bedarf dafür einer bewussten Entscheidung: Nämlich den Fokus nun etwa nicht auf das die Menschen vor allem bewegende Spannungsverhältnis zwischen medizinischer Vorsorge und eingeschränkten Freiheitsrechten zu legen. Der TV-Sender Arte hat diese Entscheidung getroffen – er hat sich entschieden, dass es am gestrigen Dienstag wichtiger war, seinen Zuschauern die geballte Ladung antirussischer „Berichterstattung“ zu liefern.

Putins „Propaganda 3.0.“ und die „demokratische Revolution“ in Syrien

Der deutsch-französische TV-Sender hat dementsprechend am Dienstag einen Themenabend zum russischen Präsidenten Wladimir Putin präsentiert. Für diese stundenlange Übung in verzerrender Meinungsmache wurden verschiedene Dokumentationen ausgestrahlt – zur Situation im syrischen Idlib, zum Verhältnis zwischen US-Präsident Donald Trump und Putin, zu Putins Anfängen als prägender Politiker und zur „Propaganda 3.0“, die Russland gegenüber dem Westen entfalten würde.

Beginnen soll die Betrachtung mit dem Arte-Bericht über Syrien, den man nur als skandalös bezeichnen kann. Das umkämpfte Idlib wird als „letzte Bastion des Widerstands“ verklärt. Laut dem Bericht „brach“ der Krieg (wie eine Naturgewalt) einfach so „aus“ – natürlich nach einer „demokratischen Revolution“. Und auch „neun Jahre nach dem Beginn der Revolution in Syrien“ sei Idlib die letzte schwer umkämpfte Region „der Rebellen.“ Diese „Rebellen“ sind demnach die Guten, die Bösen sind „das Regime“, Russland und Iran. „Orte des öffentlichen Lebens“ nehme „das Regime“ denn auch „regelmäßig ins Visier“:

„Wer fliehen kann, der flieht vor den Bomben des Regimes, das unterstützt wird von Russland und dem Iran.“

Die interviewten „Zivilisten“ stützen diese eindeutige (aber falsche) Sicht auf den Krieg gegen Syrien: „Wir halten durch, bis zum Sturz des Regimes“, hört man hier. Und „mit der Hilfe Gottes“ werde „die Revolution“ siegen. Als Kontrapunkt liefert der Bericht kein Wort zum Hintergrund der in Idlib kämpfenden Dschihadisten, zu ihren westlichen Unterstützern und zur Kriegsschuld dieser islamistischen Kämpfer: Würden diese „Oppositionellen“ und die „Rebellen“ in ihrer „letzten Bastion“ endlich die Waffen niederlegen und ihre westlich befeuerte islamistische, aber dennoch irgendwie „demokratische Revolution“ beenden – dann wäre dieser Krieg vorbei.

Doku fordert indirekt erneuten Einmarsch in Syrien

Doch ein Ende des Krieges ist mutmaßlich nicht das Ziel der Doku – im Gegenteil fordern die Filmemacher in einer Offenbarung der totalen Verantwortungslosigkeit indirekt eine (weitere) Intervention in Syrien:

„500.000 Tote, Millionen Flüchtlinge, der Einsatz geächteter Waffen durch das Regime mit Unterstützung der Russen und der Iraner – alles kein Grund für eine internationale Intervention.“

Die Darstellung der Doku ist einmal mehr radikal verkürzt – dadurch werden die verteidigenden Streitkräfte der syrischen Armee, die das eigene Staatsgebiet von militanten Besatzern befreien, zu Aggressoren umgedichtet. Diese falsche Darstellung wird flankiert von Bildern des Elends und des Leids: Wie in der aktuellen und fragwürdigen Kino-„Dokumentation“ zu Syrien, „Sama“ , den die NachDenkSeiten in diesem Artikel besprochen haben, wird diesem unleugbaren Leid aber die Ursache genommen, indem diese konsequent verschwiegen wird: Die liegt im Regime-Change-Versuch des Westens und seiner Verbündeten und der dafür praktizierten Aufrüstung von Islamisten. Die Versuche vieler Medien, die eigene Lügen-Geschichte vom „Volksaufstand“ in Syrien noch immer aufrechtzuerhalten sowie die mediale Ignoranz gegenüber der totalen Enttarnung dieser Kampagne haben die NachDenkSeiten kürzlich in diesem Artikel beschrieben.

“Oppositionelle werden in Russland erschossen“

Im Zusammenhang mit der hier besprochenen Meinungsmache muss die Skandalisierung russischer Propaganda durch Arte natürlich heuchlerisch erscheinen – denn der Arte-Themenabend erfüllt genau den Tatbestand, den er der russischen Seite vorwirft. Das hält aber den Sender nicht von der Ausstrahlung der Dokumentation „Propaganda 3.0. – Putin und der Westen“ ab. Demnach versucht „der Kreml“, mit einem medialen Krieg „Europa und die USA zu spalten“:

„Die wichtigsten Waffen des Kremls sind zwei internationale Staatsmedien: der Fernsehsender RT (Russia Today) und das Nachrichtenportal Sputnik.“

Immerhin kommt in dem Beitrag auch Margarita Simonjan, die Chefredakteurin der russischen Nachrichtenagentur „Rossija Sewodnja“, zu Wort – teils hält sie mit klugen Antworten dagegen, aber nicht immer macht sie eine perfekte Figur. Wie angreifbar die Haltung deutscher Medien und Politiker gegenüber dem Sender RT ist, das haben die NachDenkSeiten kürzlich in dem Artikel „Die große Medien-Koalition gegen RT Deutsch“ beschrieben. Wie der russische Sender die Berichterstattung in Deutschland um wichtige Facetten ergänzen kann, hat Albrecht Müller kürzlich in diesem Artikel beschrieben. Das bizarre Missverhältnis zwischen dem feurigen Engagement für unterdrückte russische Journalisten und der kalten Ignoranz gegenüber dem Schicksal etwa von Julian Assange haben die NachDenkSeiten unter anderem in dem Artikel „Wenn Julian Assange doch nur ein Russe wäre: Die Medien und das Messen mit zweierlei Maß“ beschrieben. Zum Vorwurf, RT würde den Kontakt zu Rechtspopulisten in Europa suchen, haben die NachDenkSeiten in diesem Artikel beschrieben, warum diese Aussage zwar nicht ganz falsch ist, sie aber erheblicher Konkretisierung bedarf. Konkretisierung ist aber die Sache der Doku nicht – im Gegenteil, es werden scharfe Angriffe ohne weiteren Hintergrund formuliert:

“Oppositionelle werden in Russland erschossen“

Oder:

„Journalisten verschwinden einfach“

„Wer verbirgt sich hinter RT?“

Auch wird im Film raunend gefragt: „Wer verbirgt sich hinter RT?“ Als würde diese Information in irgendeiner Weise vernebelt. Ferner klingen die altbekannten, darum aber trotzdem nicht angemessen belegten Vorwürfe gegen Russland an: Einmischung in Wahlkämpfe in den USA und in Frankreich, russische Online-Provokateure und natürlich die legendäre „Trollfabrik“. In diesem Text soll russische Propaganda übrigens nicht geleugnet werden – natürlich wird sie, wie überall auf der Welt, auch dort praktiziert. Im Vergleich zu den monumentalen westlichen Propaganda-Strukturen erscheinen die russischen Pendants aber (noch) erheblich harmloser – zumal das westliche Publikum vor allem westlicher Propaganda ausgesetzt ist. In dem Artikel „Die Propaganda der Anderen: Die russischen Auslandssender und die ‚Medien-NATO‘“ haben die NachDenkSeiten zu diesem Aspekt etwa geschrieben:

„Das Jahresbudget von RT lag 2016 laut offiziellen russischen Angaben bei rund 300 Millionen US-Dollar, also unter dem der „Deutschen Welle“ (DW). Man muss zusätzlich beachten, dass DW im Zweifels- oder „Bündnis“-Fall eine ideologische Symbiose mit anderen westlichen Staatsmedien wie der britischen BBC (Budget: 524 Millionen Euro), dem französischen RFI (Budget: 380 Millionen Euro) und US-amerikanischen Kanälen wie Voice Of America, Radio Liberty oder Radio Swoboda (für Osteuropa) eingeht.

Gemeinsam mit DW bringt diese „Medien-NATO“ weit über eine Milliarde Euro für weitgehend im Gleichklang befindliche Auslandspropaganda von den guten Kriegen des Westens und der unentschuldbaren „Annexion“ der Krim auf die Waage. Flankiert werden diese Staatsorgane durch zahllose ins gleiche Horn stoßende Privatmedien sowie (halb-)private bzw. (halb-)staatliche Nachrichtenagenturen wie Reuters, dpa, AP und AFP. “

„Vermutlich war Putin möglicherweise an Terror beteiligt“

Aus Gründen der Kapazität konnten wir nicht alle Beiträge des Arte-Themenabends komplett ansehen. Zu den Arte-Beiträgen „Putins Zeugen“ und „Erzfreunde Trump und Putin“ sei hier deshalb auf die Beschreibungen des Senders (hier und hier) sowie auf Sekundärquellen verwiesen. Das Portal „T-Online“ brachte zum Themenabend etwa einen vielzitierten DPA-Beitrag unter dem Titel „Putin für die Ewigkeit“. Arte schreibt, der Film „Putins Zeugen“ böte „intime Einsichten“ in die Geschehnisse rund um Putins „Machtübernahme“. Und der „Tagesspiegel“ unterstellt dem russischen Präsidenten unter der Überschrift „Facetten eines Autokraten“ sogar, für diese Machtübernahme terroristischen Massenmord unterstützt zu haben. Denn nach dem Rücktritt Boris Jelzins sei Putin noch weitgehend unbekannt gewesen – aber:

„Das ändert sich, als 367 Menschen bei einer Serie von Sprengstoffanschlägen auf Wohnhäuser sterben, an denen, wie man heute vermutet, Putin möglicherweise beteiligt war. Damals stieg die Popularität des Apparatschicks schlagartig.“

Die Chefredakteurin der russischen Nachrichtenagentur „Rossija Sewodnja“, Margarita Simonjan, lehnt den Begriff vom „Informationskrieg“ übrigens ab. In der Doku fragt sie aber – und diese Frage könnte man auch etwa an den hier zitierten Redakteur des „Tagesspiegel“ richten:

„Wenn wir uns aber doch in einem Informationskrieg befinden – auf welcher Seite kämpfen dann Sie?“

Titelbild: BrAt82 / Shutterstock


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