NachDenkSeiten – Die kritische Website

Titel: Der Kampfbegriff einer super großen Koalition: Verschwörungstheoretiker!

Datum: 5. Juni 2020 um 16:02 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Gestern Abend war ich zum ersten Mal nach corona-bedingter Absage aller Veranstaltungstermine bei einem öffentlichen Gespräch – in der Karlsruher Hemingway Lounge. Gesprächsgegenstand sollten meine Erfahrungen mit Willy Brandt und anderen Politikern sein – einschließlich meiner politischen Tätigkeit und der Aufklärungsarbeit bis hin zu den NachDenkSeiten. Der Gesprächsleiter, Ullrich Eidenmüller, eröffnete die Diskussion mit einem Zitat aus Wikipedia. Dort wird den NachDenkSeiten unterstellt, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Albrecht Müller.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wörtlich heißt es:

„Müller gründete 2003 … die … NachDenkSeiten. Die kritische Website, eins der meistgelesenen politischen Blogs in Deutschland. Dieses wurde anfangs als wichtiger Bestandteil einer Gegenöffentlichkeit gelobt, sieht sich in den letzten Jahren jedoch vermehrt dem Vorwurf ausgesetzt, Verschwörungstheorien zu verbreiten.“

Da ich von Wikipedia nicht viel halte, weil dort unentwegt manipuliert wird, schaue ich selbst selten dort nach. Das ist allerdings vermutlich ein Fehler, weil sich viele Menschen am Urteil dieses Mediums orientieren, wie zum Beispiel der Gastgeber von gestern Abend und zum Beispiel auch einige frühere Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten und Besucher des Facebook-Forums, die als Kommentare zu den NachDenkSeiten genau wiedergeben, was sie auf Wikipedia gelesen haben. „Früher mal gut, jetzt Hang zur Verschwörungstheorie oder Querfront“ – das ist die Sprachregelung, die offensichtlich zum Kampf gegen die NachDenkSeiten ausgegeben worden ist.

Im konkreten Fall ist interessant, dass die Behauptung von Wikipedia nicht direkt aufgestellt wird. Man bedient sich anonymer Vorwürfe. Diese Methode ist besonders patent, weil sich der Angegriffene, im konkreten Fall die NachDenkSeiten, nicht wehren können. Der Absender der üblen Nachrede ist ja nicht bekannt.

Die Behauptung ist durch nichts zu belegen. Wir, die Redaktion der NachDenkSeiten, haben nichts Derartiges verbreitet. Wir haben allerdings auf Quellen hingewiesen und auch auf Personen, die Verschwörungstheoretiker genannt werden:

Zum Beispiel auf Daniele Ganser und seine Vorstellung vom Vorgang 9/11. Wir haben das getan, weil unsere Leserinnen und Leser auch seine und ähnliche Positionen kennen sollten und weil es gute Gründe gibt, hinter die offizielle Version ein paar Fragezeichen zu setzen. Wenn ich in der NachDenkSeiten-Redaktion fragen würde, dann würde wahrscheinlich eine Mehrheit die offizielle Version teilen.[*] Aber wir halten zum Beispiel die Arbeiten von Daniele Ganser über die Kriege des Westens für so gewissenhaft und verdienstvoll, dass wir ihm jedenfalls wegen seiner Sicht der Vorgänge vom 11. September das Etikett Verschwörungstheoretiker nicht anhängen würden.

Zum Beispiel Corona. Auch hier haben wir in der Redaktion schon verschiedene Meinungen zum Geschehen selbst und seiner Dramatik. Wir haben auch verschiedene Meinungen zur Sprache gebracht. Wir haben vermutlich keine Meinungsdifferenzen im Redaktionskreis darüber, dass bei den Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit keinesfalls gewahrt worden ist und Schäden verursacht wurden und werden, die wir noch bitter zu spüren bekommen werden. Und die vermeidbar gewesen wären. Deshalb gibt es unter uns vermutlich niemanden, der oder die Angela Merkel wegen ihrer ruhigen und abgewogenen Art des Umgangs mit dieser Krise anhimmelt. Es gibt auch niemanden, der mit dem Gespenst der 2. Welle hantiert hat oder sogar noch hantiert. Und wir haben früh darauf hingewiesen, dass die Härte der Maßnahmen auch mit dem Versuch zu tun hat, möglichst vielen Menschen viel Angst einzujagen. Diese Vermutung ist sogar belegt.

Dennoch würde man uns auch deshalb vermutlich Verschwörungstheoretiker nennen.

Der Begriff wird von Seiten der etablierten Medien und der amtlichen Politik benutzt, um die kritischen Medien zu schwächen. Deshalb auch die Angriffe auf die NachDenkSeiten, von Wikipedia und anderen.

In der gesamten Kampagne ist erstaunlich, wie breit sie schon angelegt ist und mit welcher Selbstverständlichkeit die „Gänsefüßchen“ bei der Benutzung dieses Kampfbegriffs weggelassen werden.

In der Überschrift dieses Artikels ist von einer „super großer Koalition“ die Rede. Diese Kennzeichnung habe ich benutzt, weil sich wider Erwarten ein von uns und vielen unserer Leserinnen und Leser bewundertes Format des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in dieser Woche des gleichen Begriffs bedient hat. Auch in der „Anstalt“ vom vergangenen Dienstag war von Verschwörungstheoretikern die Rede – ohne Hinterfragung des Begriffes und sogar noch verbunden mit einem Tüpfelchen auf dem i – mit der Personifizierung und Darstellung des Verschwörungstheoretikers durch einen trottelhaften Schwaben.

Wir wünschen uns von Herzen, dass die Anstalt möglichst bald zu ihrem bewährten Niveau zurückfindet. So etwas wie am vergangenen Dienstag hat sie nicht nötig.

Wenn man die Begriffe Verschwörungstheorie und Verschwörungstheoretiker wirklich benutzen will, dann aber bitte auf alle angewandt. Ich möchte Ihnen mal ein paar Beispiele für die gängigen Verschwörungstheorien der etablierten Medien und Politik nennen:

Zum Beispiel: Jahrelang haben uns die Medien und die Politik in ihrer Mehrheit erzählt, wir seien ein sterbendes Volk, der demographische Wandel sei dramatisch.

Zum Beispiel: Jahrelang hat man uns entsprechend der Lehre der Angebotsökonomie erzählt, niedrige Löhne und ein Niedriglohnsektor würden unsere ökonomischen Probleme lösen. Tatsächlich wurde damit die katastrophal schlechte Verteilung von Einkommen und Vermögen weiter verschärft.

Zum Beispiel: Heute erzählt man uns, die Russen wollten uns angreifen und deshalb beteiligen wir uns an neuer Aufrüstung, an Abschreckung, an der Politik der Stärke und Manövern an der russischen Grenze.

Zum Beispiel: Jahrelang hat man uns erzählt, die gesetzliche Rente sei nicht sicher und deshalb müssten wir alle privat vorsorgen und diese private Vorsorge müsse vom Staat, also von uns Steuerzahlern, finanziell gefördert werden.

Das sind im Sinne des neuen Kampfbegriffs und der neuen Kampftruppen durch die Bank Verschwörungstheorien. Die Hauptträger dieser Verschwörungstheorien sind die etablierten Medien und die etablierte Politik.

Zum Schluss eine Bitte an NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser:

Alleine können wir uns gegen die üblen Methoden übler Nachrede wie bei Wikipedia nicht wehren. Wir brauchen dafür Ihre Unterstützung. Und bitte sagen Sie weiter, dass es die NachDenkSeiten gibt. Und empfehlen Sie neuen Lesern, ihre hoffentlich guten Erfahrungen weiterzugeben.

Und bitte widersprechen Sie der willkürlichen Nutzung des Kampfbegriffes Verschwörungstheoretiker – auch unabhängig von den NachDenkSeiten.

Titelbild: Who is Danny / Shutterstock


[«*] Ergänzende korrigierende Anmerkung:

Eine Umfrage in der Redaktion Thema 9/11 ergab, dass ich die Meinung der Kolleginnen und Kollegen nicht ganz richtig eingeschätzt habe. Anders als ich vermutete, würde eine Mehrheit der NachDenkSeiten-Redaktion die offizielle Version des Vorgangs 9/11 nicht teilen. Ich selbst maße mir kein abschließendes Urteil an. Hier die Positionsbeschreibung von Jens Berger, die mehrheitlich wohl geteilt würde: „Ich gehöre zu den LIHOP-Verschwörungstheoretikern, also denen, die glauben, dass die Regierung Informationen ignoriert und damit die Anschläge indirekt herbeigeführt hat. Die MIHOP-Thesen, die eine aktive Beteiligung der US-Dienste implizieren, teile ich genau so wenig wie die offizielle Darstellung. 

Zu den Begrifflichkeiten LIHOP und MIHOP:


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