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Titel: Schröder gewinnt an Misstrauen – eine Groteske im Deutschen Bundestag

Datum: 1. Juli 2005 um 21:10 Uhr
Rubrik: Bundesregierung, Bundestag, Wahlen
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Der Bundeskanzler hat die Misstrauensabstimmung im Deutschen Bundestag „gewonnen“. Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern hat er damit nicht gewonnen. Obwohl um die Begründung des Antrages nach Art. 68 GG viel Geheimniskrämerei betrieben wurde, hat man Neues nicht erfahren. Über die wahren Ziele, die Gerhard Schröder mit der Vertrauensfrage verfolgte, kann man mangels einer plausiblen, geschweige denn in sich stimmigen Begründung weiter nur spekulieren.

Im Wesentlichen hat Schröder drei Gründe genannt, warum er die Vertrauensfrage stellte.

Erstens: Die Wahlniederlagen hätten negative Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit seiner Regierung: Mit der „Kette zum Teil empfindlicher und schmerzlicher Wahlniederlagen“ sei deutlich geworden, „dass es die sichtbar gewordenen Kräfteverhältnisse ohne eine neue Legitimation durch den Souverän, das deutsche Volk, nicht erlauben, meine (!) Politik erfolgreich fortzusetzen“.

Wenn also die politischen Kräfteverhältnisse belegt durch ständige Wahlniederlagen gezeigt haben, dass das deutsche Volk es ´nicht erlaubt` , dass Schröder „seine“ Politik fortsetzt, wie kann er dann ernsthaft hoffen, dass ihm die Wählerinnen und Wähler urplötzlich eine neue Legitimation geben könnten? „Schien“ doch, wie er in seiner Rede selbst eingestand, die „Agenda 2010“ „zum wiederholten Male ursächlich für ein Votum der Wählerinnen und Wähler gegen meine Partei“. Will er seiner Partei, den „Anschein“, dass die Agenda 2010 von den Wählern abgelehnt wird, nach neun Niederlagen bei Landtagswahlen nun noch bei der Bundestagswahl ein zehntes Mal und das dann endgültig als Tatsache beweisen? Für wie dumm, uneinsichtig und lernunfähig hält Schröder eigentlich „seine“(!) Partei?

Ich bleibe dabei, mit dem „Befreiungsschlag“ Neuwahlen, kann Schröder allenfalls einen ihm wohl schmählich erscheinenden Rücktritt oder einen seinen Stolz offenbar noch mehr kränkenden Kurswechsel weg von seinem „in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen“ Reformprozess vermeiden. Diese „Befreiung“ von einer persönlichen Niederlage geht aber auf Kosten vieler Menschen, die unter einer solchen Reformpolitik, unter ihrer Ungerechtigkeit und vor allem unter ihrer Erfolglosigkeit leiden. Schröders Abstimmungssieg geht natürlich auch zu Lasten „seiner“ Partei, die er absehbar in eine ihrer schlimmsten Wahlniederlagen in der Nachkriegsgeschichte führt. Und weil sich ins kollektive Gedächtnis eingraben wird, dass die SPD es war, die freiwillig das Tor für die neokonservative Machtübernahme aufgestoßen hat, dürfte sie sich davon über lange Jahre nicht mehr erholen.

Zweitens: Die Regierungsmehrheit sei gefährdet. Die Agenda 2010 habe in den regierenden Parteien und Fraktionen „zu inneren Spannungen und auch zu Konflikten um die richtige Richtung“ geführt. „SPD-Mitglieder drohten damit, sich einer rückwärts gewandten, linkspopulistischen Partei anzuschließen, die vor Fremdenfeindlichkeit nicht zurückschreckt“. „Solche eindeutigen Signale aus meiner Partei … muss ich ernst nehmen“. In den Koalitionsfraktionen seien „vermehrt abweichende, jedenfalls die Mehrheit gefährdende Stimmen laut geworden.“

Schröder misstraut also seiner eigenen Mehrheit. Er strickt also schon jetzt an der Legende, dass er von den Linken außerhalb und in seiner Partei im Stich gelassen worden sei. „Ebenso klar muss auch sein, dass dort, wo Vertrauen nicht mehr vorhanden ist, öffentlich nicht so getan werden kann, als gäbe es dieses Vertrauen“. Mit solchen giftigen, weil von niemand widerlegbaren Verdächtigungen werden Sündenböcke gesucht, um von den eigenen „Sünden“ los zu kommen. Die oppositionellen Nachredner Merkel und Glos haben diese Vorlage mit großer Genüsslichkeit aufgegriffen, um den Vorwurf, CDU/CSU betrieben Blockadepolitik, kontern zu können.
Schröder wünscht wohl die selbe Legende wie sie um den Sturz von Helmut Schmidt als Kanzler gerankt wurde; nicht der Koalitionsbruch von Genscher und Lambsdorff sollen damals Kohls Wahl ermöglicht haben, sondern die eigene Partei und die Linke habe Schmidt gemeuchelt.
Man muss kein Prophet sein: Wie nach 1982 werden auch jetzt beim Machtverlust von Schröder die Medien wieder für eine solche Interpretation sorgen.

Und noch auf einem anderen Feld scheint sich Geschichte zu wiederholen, wenn man nicht bereit ist, aus der Geschichte zu lernen:
Wie damals Helmut Schmidt in völliger politischer Fehleinschätzung mit Arroganz und Häme über die Friedens- und Ökologiebewegung hergezogen ist, zieht Schröder über ein entstehendes Linksbündnis her. Er weigert sich wahrzunehmen, dass er mit seiner Agenda-Politik ein politisches Vakuum geschaffen hat, das sich – wie in den achtziger Jahren damals mit den „Grünen“ auch jetzt mit dem Linksbündnis wieder – sein parteipolitisches Auffangbecken suchen muss und wird. Nicht diejenigen, die in eine sträflich offen gelassene politische Lücke hineinstoßen oder sogar hineingetrieben werden, spalten die Linke, sonder Gerhard Schröder und zunehmend auch der Parteivorsitzende der SPD, Franz Müntefering, die meinen, das linke politische Spektrum in Deutschland schlicht preisgeben zu können – ja sogar noch mehr: mit Arroganz und Beschimpfungen eine Spaltung regelrecht betreiben.

Drittens: Dass die Mehrheit der unionsregierten Länder im Bundesrat durch „ihre destruktive Blockadehaltung“ die Regierungspolitik blockiert hat, ist nun wirklich nichts Neues.

Aber erstens, die Agenda-Politik hat ja wesentlich dazu beigetragen, dass im Bundesrat inzwischen 11 Ministerpräsidenten von der Union gestellt werden.
Und Zweitens, die „machtversessene Parteipolitik, die über die Interessen des Landes gestellt wird“, würde sich aber auch dann nicht ändern, wenn Schröder die Wahl wider Erwarten gewinnen würde. Eine viel wahrscheinlichere Prognose hat Frau Merkel gegeben:
Nach den möglichen Neuwahlen hat die Union nicht nur im Bundesrat die Mehrheit, sondern auch um Bundestag um dann wörtlich hinzuzufügen: „Damit wir durchregieren können“.
Das „Durchregieren“ der Konservativen, das ist also unbeabsichtigt (oder gar beabsichtigt?) das Ergebnis der Schröderschen Politik.

Da mögen sich manche Sozialdemokraten allenfalls noch an einen Versprecher von Angela Merkel klammern, die peinlicher Weise sich zunächst verplapperte und von: „CDU und CSU gemeinsam mit der SPD…“ sprach. Sollte die (dank der Verluste der SPD gar nicht mehr so) große Koalition die letzte Hoffnung für die SPD sein?

Man braucht Werner Schulz nicht in allen Punkten zustimmen, mit seinem Resümee gegenüber dem Vorgehen des Kanzlers trifft er sprichwörtlich ins Schwarze:
„Sie haben mit Ihrem genialen Schachzug alles erreicht, was Sie vermeiden wollten: Die Opposition ist geeint und geschlossen wie nie zuvor, die Formierung einer neuen Linkspartei und die Erosion der SPD wurden beschleunigt.“ Wenigstens das ist, um mit Schröder zu sprechen „einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik“

Sollte der Abgeordnete Werner Schulz mit seiner angekündigten Klage vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg haben, dann könnten die Karlsruher Richter Rot-Grün – selbst wenn sie das gar nicht mehr wollten – zum Regieren verurteilen. Aber diese Sorge ist wohl unbegründet, denn wie der Bundespräsident steht auch die Mehrheit der Bundesverfassungsrichter der Union nahe, beide Verfassungsorgane werden also die CDU wohl kaum daran hintern wollen, dass sie jetzt endlich „durchregieren“ kann. Das ist auch ein Ergebnis von 7 Jahren Rot-Grün.

Siehe auch unsere Beiträge zu diesem Thema:


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