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Titel: „Was aber leider komplett fehlt, ist der Einstieg in die Verkehrswende“

Datum: 9. Juni 2020 um 14:53 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Interviews, Umweltpolitik, Verkehrspolitik
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Die Bundesregierung hat gerade ein milliardenschweres Konjunkturpaket beschlossen – Kritik daran kommt auch von der Deutschen Umwelthilfe. Zwar hat die Regierungskoalition sich doch nicht dazu durchgerungen, eine Auto-Kaufprämie für Benziner und Diesel mit in das Paket aufzunehmen, doch eine Prämie wird es unter anderem für Plug-In-Hybride geben. Diese Fahrzeuge stoßen „auf der Straße ein Vielfaches mehr an CO2“ aus, als „die Herstellerangaben vermuten lassen“, sagt Dorothee Saar, Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Im NachDenkSeiten-Interview kritisiert Saar, dass die Regierung durch das Konjunkturpaket kein klares Signal hin zur Verkehrswende gesendet habe. Von Marcus Klöckner.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Frau Saar, die Regierung hat sich bei ihrem Konjunkturpaket gegen Kaufprämien für neue Autos entschieden. Wie bewertet die Deutsche Umwelthilfe diese Entscheidung?

Die Große Koalition hat sich nicht gegen Kaufprämien entschieden. Sie hat in ihrem Konjunkturprogramm die Prämien für Neufahrzeuge, die es ja auch schon vor Corona gegeben hat, verdoppelt – unter anderem für klimaschädliche Plug-In-Hybride, die auf der Straße ein Vielfaches mehr an CO2 ausstoßen, als die Herstellerangaben vermuten lassen. Sie hat außerdem die Anreize in der Dienstwagenbesteuerung noch einmal so verändert, dass nun noch teurere Fahrzeuge mit noch mehr Steuergeld subventioniert werden.

Zum Glück hat sie auch beschlossen, ein bisschen mehr Geld in den öffentlichen Verkehr, insbesondere in die Schiene zu stecken und die längst überfällige Revision der Kfz-Steuer mit einem Aufschlag für hoch emittierende Fahrzeuge anzugehen. Wir werden sehen, wie das am Ende aussieht. Was aber leider komplett fehlt, ist der Einstieg in die Verkehrswende, das klare Signal, dass wir dieses größte Konjunkturpaket aller Zeiten dazu nutzen, endlich die Herausforderungen von Klimawandel, zunehmender Bevölkerungsdichte in den Städten, Luftreinhaltung und Lärmschutz anzugehen.

In der öffentlichen Diskussion wurde von „Hilfen“ für die Autoindustrie gesprochen. Benötigt die Auto-Industrie überhaupt „Hilfen“?

Schon lange vor Corona war klar, dass die Branche den Einstieg in die Transformation zu klimafreundlichen Antrieben verpasst hat und sich stattdessen kurzfristigem Gewinnstreben verpflichtet sieht. Die falsche Schwerpunktsetzung auf Klimakiller-Fahrzeuge hängt deutsche Autobauer von anderen europäischen, asiatischen und innovativen US-Autobauern ab. Der Autoindustrie mangelte es bereits vor Corona nicht an staatlicher Förderung. Über zehn Milliarden Euro flossen in den letzten beiden Jahrzehnten in die Förderung der Brennstoffzellen-/Wasserstofftechnologie und der E-Mobility. Unabhängig davon, dass die Deutsche Umwelthilfe den Einsatz von Wasserstoff im Pkw-Sektor ablehnt, ist festzustellen, dass es bis heute keine Serien-Brennstoffzellenautos aus deutscher Produktion gibt. Außer dem in die Jahre gekommenen BMW i3 und dem Supersportwagen Porsche Taycan sind auch keine neu entwickelten reinen Elektroautos erhältlich. Eine Branche, die in den letzten Jahren Milliarden erwirtschaftet hat, profitiert ja schon jetzt durch die Inanspruchnahme von Kurzarbeiterregelungen für weite Teile der Belegschaft. Gleichzeitig werden Milliarden an Dividenden ausgezahlt – im Fall von BMW 1,6 Milliarden Euro, von denen ein Großteil an einige wenige Großaktionäre geht. Diese Firmen sollen nun erneut mit Steuergeldern zusätzlich belohnt werden? Das ist zynisch.

Vor der Corona-Krise wurde viel über das Klima diskutiert. Das Klima-Problem dürfte sich durch das Virus kaum aufgelöst haben. Was hätte es für die Umwelt bedeutet, wenn die Kaufprämien doch gekommen wären?

Eine Kaufprämie für Verbrenner zementiert die Absage an das völkerrechtlich bindende Pariser Klimaabkommen. Dafür zahlen die nachfolgenden Generationen doppelt: einmal für die Rückzahlung der Schulden, ein zweites Mal für die Bewältigung der Folgen des Klimawandels. Eine klimafreundliche Verkehrswende ist zentral, um die Klimaziele zu erreichen, Städte gesünder und lebenswerter zu machen und zukunftsfähige Mobilität für alle zu ermöglichen. Grüne Konjunkturanreize tragen außerdem wesentlich dazu bei, zukunftssichere Arbeitsplätze im Mobilitätssektor zu erhalten, zu schaffen und langfristigen Wohlstand zu sichern. Während die CO2-Emissionen bei Pkw-Neuzulassungen seit den 1990er Jahren zunächst kontinuierlich zurückgingen, steigen sie seit 2016 jedes Jahr wieder stärker an. Im Durchschnitt haben Pkw-Neuwagen von Jahr zu Jahr höhere CO2-Emissionen. Dass die geforderten Steuermillionen als „Verjüngungsprämie“ tituliert werden, ist blanker Hohn.

Wie sehen Sie die aktuelle Entscheidung? Nun wird es höhere Prämien für Elektroautos geben. Ist das ein Schritt in die richtige Richtung?

Wenn die Bundesregierung von Elektrofahrzeugen spricht, dann schließt sie Plug-In-Hybride mit ein. Diese Fahrzeuge vereinen mit einem Elektro- sowie einem Verbrennungsmotor zwei Technologien auf unglücklichste Art: Im Batteriebetrieb kommt das oft tonnenschwere Gefährt nicht weit, schon gar nicht, wenn Heizung oder Klimaanlage in Betrieb sind. Und der Verbrennungsmotor ist hoch motorisiert, ohne sich mit Effizienzvorgaben plagen zu müssen. Die offizielle Verbrauchsmessung im Rahmen der Typgenehmigung ist so gestrickt, dass wundersam niedrige Werte zu Verbrauch und CO2-Ausstoß herauskommen. Aus diesem Grund sind die Fahrzeuge bei Herstellern zunehmend beliebt, denn sie sorgen für die Einhaltung der Flotten-Grenzwerte – auf dem Papier. In der Realität, das belegen Tests von Fachzeitschriften oder des ADAC, liegen die Verbrauchswerte massiv über dem, was die technischen Daten uns versprechen. Nun hat die Bundesregierung angekündigt, darüber zu diskutieren, wie der „Nutzungsgrad des elektrischen Antriebs“ optimiert werden könnte. Mir wäre wohler, man hätte diese Diskussion geführt, bevor man Milliarden von Steuergeldern für diese klimaschädliche Mogelpackung verbrennt.

Was sollte aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe getan werden, damit eine tragfähige ökologische Wende, was die Automobilindustrie angeht, möglich wird?

Eine klimafreundliche Verkehrswende ist zentral, um die Klimaziele zu erreichen, Städte gesünder und lebenswerter zu machen und zukunftsfähige Mobilität für alle zu ermöglichen. Grüne Konjunkturanreize mit dem Pariser Klimaschutzabkommen als Richtschnur tragen außerdem wesentlich dazu bei, zukunftssichere Arbeitsplätze im Mobilitätssektor zu erhalten, zu schaffen und langfristigen Wohlstand zu sichern. Die Deutsche Umwelthilfe erläutert in einem 15-Punkte-Papier, wie ein klimafreundlicher und zukunftsorientierter wirtschaftlicher Neustart mit Investitionen in ÖPNV, Schienen- und Radverkehr oder ordnungsrechtliche Veränderungen z.B. durch eine veränderte Dienstwagenbesteuerung oder ein Tempolimit die Verkehrswende unterstützen kann.

Welche Schritte wären noch notwendig?

Da die Autokonzerne von sich aus nicht umsteuern, fordern wir die Bundesregierung auf, den Ausstieg aus dem Verbrenner 2025 zu beschließen. Nur so werden die Autoindustrie wieder auf zukunftsweisenden Kurs gebracht und die Klimaschutzziele erreicht.

Titelbild: Smile Fight/shutterstock.com


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