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Titel: “Wer hat uns 1945 befreit? Interviews mit Kriegsveteranen und Analysen zu Geschichtsfälschung und neuer Kriegsgefahr”.

Datum: 10. Juli 2020 um 8:58 Uhr
Rubrik: Gedenktage/Jahrestage, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege, Strategien der Meinungsmache
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Ulrich Heyden dürfte den allermeisten Lesern bekannt sein. In regelmäßigen Abständen berichtet der in Moskau lebende freie Korrespondent für die NachDenkSeiten aus Russland und dem Raum der ehemaligen Sowjetunion. Nun hat Ulrich Heyden auch ein neues Buch geschrieben. Das Buch ist im Hamburger Verlag tredition erschienen und ist über den Verlag erhältlich. Die NachDenkSeiten freuen sich, daraus einen Auszug zu präsentieren.

Der Inhalt:

Dass die sowjetischen Soldaten beim Sturz der NS-Herrschaft in Europa eine entscheidende Rolle spielten, wird seit 2014 immer mehr heruntergespielt oder sogar gänzlich verleugnet. Immer mehr verdrängt wird in den großen deutschen Medien, dass im Zweiten Weltkrieg 27 Millionen Sowjetbürger starben, dass über die Hälfte der 5,7 Millionen sowjetischen Kriegsgefangen an Hunger und Krankheiten elendig verreckten und dass 8,7 Millionen sowjetischer Zwangsarbeiter die deutsche Kriegswirtschaft am Laufen hielten. Deshalb habe ich mich entschlossen, zum 75. Jahrestag des Kriegsendes die Interviews, welche ich in den vergangenen 20 Jahren in verschiedenen Städten Russlands mit ehemaligen sowjetischen Soldaten und Zwangsarbeitern führte, gesammelt zu veröffentlichen und mit aktuellen Analysen zu den Themen Zweiter Weltkrieg und Geschichtsfälschungen anzureichern. Die meisten Texte in diesem Buch sind schon einmal in Zeitungen oder auf Internet-Portalen veröffentlicht worden. Durch die Sammlung der Texte bekommt der Leser ein umfassendes Bild darüber, wie die einfachen Menschen in der Sowjetunion den Krieg erlebt haben und was sie heute denken und fühlen.

Auszug aus dem Buch, Kapitel 2

Die neue deutsche Geschichtsschreibung

In diesem Kapitel geht es um Themen, die in den deutschen Medien in den letzten Jahren zunehmend verfälscht oder gar nicht dargestellt werden. Es geht um das Kleinmachen der von der Wehrmacht verübten Verbrechen, das Ausblenden von faschistischer Ideologie bei den deutschen Soldaten und es geht um die ukrainischen Kollaborateure, welche der Wehrmacht bei der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung halfen.

„Leitmedien“ als Geschichts-Fälscher

Die seit der Ukraine-Krise akute Kriegsgefahr in Europa hat die Erinnerungen vieler Deutscher an den Zweiten Weltkrieg wieder wachgerüttelt. Aber es gibt immer weniger Zeitzeugen, die von dem Grauen dieses Krieges berichten können. Deshalb habe ich dieses Buch mit Augenzeugenberichten gemacht. Die persönliche Erinnerung der Soldaten ist wichtig, angesichts der Aufrüstung in Deutschland und den immer offeneren Bekundungen des deutschen Verteidigungsministeriums, man müsse gegenüber Russland „Stärke zeigen“.

Auf dem Weg zu einer neuen nationalen Identität gibt Deutschland eine der wichtigsten Errungenschaften der Nachkriegszeit auf: Ein gutes, entspanntes Verhältnis zu Russland.

Deutschland fällt in Riesenschritten zurück in eine politische Stimmung, die es in den 1950er und 1960er Jahren schon mal gab, als die Verständigung mit Russland in Westdeutschland als „Weichheit“, „Verrat“ und „Verbrüderung mit dem Feind“ denunziert wurde.

Die Rede von Bundespräsident Weizsäcker ist verhallt

1985 wurde die Phase des Kalten Krieges mit einem Paukenschlag hochoffiziell beendet. Das erste Mal in der Geschichte Westdeutschlands erklärte ein Bundespräsident, „der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“. Es waren die Worte von Richard von Weizsäcker während seiner Rede zum 40. Jahrestag des Kriegsendes im Plenarsaal des Bundestages.[1]

Weizsäcker sprach in seiner Rede 1985 auch über die Leiden des sowjetischen Volkes. „Wir gedenken aller Völker, die im Krieg gelitten haben, vor allem der unsäglich vielen Bürger der Sowjetunion und der Polen, die ihr Leben verloren haben.“

Die Rede von Weizsäcker war der Versuch, die deutsche Gesellschaft auf die neuen politischen Realitäten einzustimmen. Deutsche Unternehmen suchten in Osteuropa zunehmend nach neuen Märkten.

Große Teile der Bevölkerung waren noch immer im Denken des Kalten Krieges verhaftet. Das war für die Interessen des deutschen Kapitals und auch für das Image Deutschlands in der Welt hinderlich.

Die Rede von Weizsäcker war auch ein Zugeständnis an die 1968er, die Pazifisten und Linken, die seit den 1950er Jahren gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik gekämpft hatten und es war eine Reaktion auf den Film „Holocaust“[2], welcher die westdeutschen Fernsehzuschauer im Jahr 1979 das erste Mal seit 1945 mit den Verbrechen gegen die Juden in Deutschland und in Osteuropa konfrontierte.

Der neue deutsche Opfer-Mythos

Vielen Deutschen, die den Krieg erlebt hatten, gingen die Aussagen von Weizsäcker zu weit. War denn nicht Deutschland mit seinen Flüchtlingen, „verlorenen Ostgebieten“ und den von Rotarmisten vergewaltigten Frauen selbst ein Opfer des Zweiten Weltkrieges? Dieser Opfer-Mythos hatte sich bei den Deutschen nach 1945 in den Köpfen verfestigt. Heute erlebt dieser Opfer-Mythos unter dem Einfluss von „Dokumentationen“ des deutschen Fernsehens eine Renaissance.

Der rechtskonservative Flügel der CDU/CSU, der in den 1980er Jahren ähnliche Positionen vertrat, wie heute die AfD, protestierte gegen die Rede von Weizsäcker. 30 Bundestagsabgeordnete blieben der Rede im Bundestag fern.

Wortführer der Nationalkonservativen waren CDU-Rechtsaußen Alfred Dregger und der damalige bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß, der meinte, man solle die Vergangenheit „in der Versenkung“ verschwinden lassen. Denn „die ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe lähmt ein Volk“.

Auch Historiker meldeten sich zu Wort. 1985 begann der sogenannte „Historikerstreit“ zwischen linksliberalen und nationalkonservativen Geschichtsexperten. Der Historiker Ernst Nolte behauptete, der Angriff Hitlers auf die Sowjetunion sei eine Antwort auf die „asiatische Tat“ mit dem Gulag-System von Stalin gewesen. Vorläufer des „Rassenmordes der Nationalsozialisten“ sei der „Klassenmord der Bolschewisten“ gewesen.

Und wie sieht es heute aus? Die Bundesrepublik sucht nach einer neuen nationalen Identität. Deutschland will Führungsmacht des freien Westens sein. Und da darf es auch schon mal ein bisschen nationaler sein. Die Bundesregierung lechzt geradezu nach Militäreinsätzen, auch wenn sie erst mal nur um Überwachungsflüge in Syrien oder die Ausbildung von Soldaten im Irak geht.

An den Aufruf von Bundespräsident Weizsäcker, man müsse sich „an die Leiden des sowjetischen Volkes erinnern“, passt nicht mehr in die politische Tagesordnung. Seit 2014 dämonisieren die deutschen Medien Wladimir Putin als eines der schlimmsten Übel dieser Welt. Russland wird die Absicht unterstellt, dass es sich „nach der Krim und der Ost-Ukraine“ baltische Staaten einverleiben will.

Die 27 Millionen Sowjetbürger, die im Zweiten Weltkrieg starben, tauchen in den Reden deutscher Politiker nicht mehr auf. Diese schreckliche Zahl passt nicht in eine Zeit, in der mit immer neuen Großmanövern für einen neuen Krieg gegen Russland trainiert wird.

Wichtige Rolle der alternativen Medien

Der neue Kalte Krieg gegen Russland führte aber auch zu Gegenwehr. Gegen das Lager derjenigen, die in Deutschland blind jeden Regime-change unterstützen, bildete sich das Lager derjenigen, die von ihren Gegnern herablassend als „Russland-Versteher“ bezeichnet werden.

Diese Lagerbildung erinnert an den Historikerstreit von 1985, als sich Nationalkonservative und Linksliberale gegenüberstanden.

Doch diesmal ist die Lage komplizierter. Pazifistische Grüne sind ins Lager der Kalten Krieger übergelaufen, wenn sie zwar einerseits für Abrüstung eintreten, andererseits dennoch für „Härte gegen Russland“ werben. Und das Lager der „Russland-Versteher“, in dem bis 2014 die Linke dominierte, bekam Zulauf aus dem Lager der Nationalkonservativen.

Etablierte deutsche Politiker wagten es im Dezember 2014 noch, gegen die Kriegshetze aufzustehen. 60 Persönlichkeiten wandten sich mit dem Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ an die Öffentlichkeit.[3] Sie warnten vor einem Krieg mit Russland und forderten eine neue Entspannungspolitik für Europa. Unterzeichnet wurde der Appell unter anderem vom früheren Kanzlerberater Horst Teltschik (CDU), der früheren Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer (Grüne) und Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder. Doch auch dieser Aufruf ist verhallt und hat die Kriegsvorbereitungen nicht stoppen können.

Ausdauernder in der Aufklärung gegen Kriegspropaganda sind die alternativen Medien, wie die Nachdenkseiten, Telepolis, Junge Welt und seit 2014 neu hinzugekommene Angebote wie Ken FM, Rubikon, Propaganda-Schau[4], „Ständige Publikumskonferenz“ und Rationalgalerie.

Die großen Medien versuchen die alternativen Medien mit Hilfe von Bloggern und Trollen als „Verschwörungstheoretiker“, „Antisemiten“ und „von Russland bezahlt“ zu diskreditieren, was teilweise gelingt.

Deutschland – Weltmeister im Aufarbeiten und Vertuschen

Deutschland wird international immer noch dafür geachtet, dass es seine nazistische Vergangenheit aufgearbeitet hat. Doch diese Aufarbeitung hat große Lücken, was man aber im Ausland nicht weiß. Man kennt in Deutschland die Namen jüdischer Opfer der NS-Herrschaft, wie Anne Frank und Viktor Klemperer. Aber wer kennt schon den Namen der 18 Jahre alten sowjetischen Partisanin Soja Kosmodemjanskaja, die am 27. November 1941 von Soldaten der deutschen 197. Infanterie-Division gefoltert und dann gehängt wurde oder den Namen der zwölfjährigen Tanja Sawitschewa, die in ihrem Tagebuch über den Tod ihrer Familienmitglieder während der Blockade von Leningrad schrieb, „Mutti – am 13. März 1942 um 7.30 Uhr morgens gestorben. Alle sind gestorben. Nur Tanja ist noch am Leben.“

Die Opfer der Sowjetunion werden heute wieder kleingeredet, fast so wie in den 1950er und 1960er Jahren. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte in seiner Rede zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens im Februar 2020 nur eine einzige zerstörte sowjetische Stadt – Leningrad – aber zahlreiche westeuropäische Städte, die unter den Bombardements und der Okkupation durch deutsche Truppen gelitten haben.

Seit der Ukraine-Krise ist in Deutschland eine neue Art von Geschichtsdarstellung entstanden. Man verschweigt die Opfer in der Sowjetunion nicht völlig. Die Sowjetunion wird aber nicht als das Hauptopfer, sondern nur als ein Opfer unter vielen Staaten dargestellt.

Diese neue „Ausgewogenheit“ ist verlogen. Sie blendet das politische Ziel und das Resultat des „Barbarossa-Feldzugs“ aus. Der nationalsozialistische Staat wollte die Rohstoffe und fruchtbaren Böden im europäischen Teil der Sowjetunion unter seine Kontrolle bringen und einen großen Teil der Bevölkerung vernichten. Eine Vernichtung der Bevölkerung in Westeuropa war nicht vorgesehen. Und auch der antislawische Rassismus als Teil der ideologischen Mobilmachung durch die Nazis ist so gut wie nie Thema.

Schock im Hamburger Rathaus

Mit der „neuen Ausgewogenheit“ wurde ich persönlich konfrontiert, als ich mir im Januar 2019 eine Ausstellung der Gedenkstätte des KZ Neuengamme im Hamburger Rathaus ansah. In der Ausstellung „Eine Stadt und ihr KZ“[5] wurde gezeigt, wie Gefangene aus dem KZ Neuengamme außerhalb des KZ in Hamburg von der Stadtverwaltung und Privatunternehmen zur Arbeit eingesetzt wurden.

Meine Gefühle waren sehr gemischt. Natürlich fand ich es gut, dass im Hamburger Rathaus eine Ausstellung über das KZ der Stadt gezeigt wurde. Das war vor zwanzig Jahren noch nicht möglich. Aber ich war schockiert, dass die Gefangenen aus der Sowjetunion, die 1942/43 die größte Gruppe[6] im KZ Neuengamme waren, – bis auf einen einzigen (!) Ukrainer – nicht erwähnt wurden. Es wurden nur Fotos und Berichte über den Arbeits-Einsatz von KZ-Häftlingen aus Polen, Frankreich, der Tschechoslowakei und anderen Staaten Europas gezeigt.

Auf der Website der Gedenkstätte des KZ-Neuengamme kann man lesen, dass im KZ Neuengamme „23 000 russische und ukrainische Häftlinge (davon ca. 2000 Frauen)“ die „größte Gruppe“ waren. „Da sie als „rassisch minderwertig“ galten, wurden sie besonders schlecht behandelt und kamen in großer Zahl um. Durch den starken Bedarf an Facharbeitskräften in der Rüstungsproduktion gelangten einige von ihnen aber auch in bessere Arbeitsstellen.“[7] Das sicherte ihnen oftmals das Überleben.

Als ich Professor Detlef Garbe vom Stiftungsvorstand der KZ-Gedenkstätte Neuengamme nach den Gründen für die Nichterwähnung der sowjetischen Gefangenen fragte, erklärte er, über den Einsatz von sowjetischen Gefangenen in der Stadt Hamburg gäbe es keine Dokumente und Fotos.

Doch es ist eine Tatsache, dass sowjetische Kriegsgefangene in verschiedenen Betrieben in Hamburg-Bergedorf arbeiteten, wie der Glasfabrik Hein & Dietrichs.[8] Warum hat man diese Männer nicht in der Rathaus-Ausstellung erwähnt? Sind sie kein wichtiger Bestandteil des Gesamtbildes?

Auch im Museum der Gedenkstätte des KZ Neuengamme, das in einem der roten Klinkergebäude auf dem Gelände des ehemaligen KZs untergebracht ist, hatte ich den Eindruck, dass man die große Zahl der Menschen aus der Sowjetunion mit Absicht klein gemacht hat.

Im ersten Stock des Museums gibt es eine Abteilung für die Opfergruppen (Sintis, Homosexuelle, Wehrkraftzersetzer, Asoziale, Franzosen, Tschechen und andere). Unter den Mappen mit den Biographien von Häftlingen findet man ein paar Biographien von Russen und Ukrainern. Dass der Großteil der Häftlinge im KZ Neuengamme aus der Sowjetunion kam, erschließt sich dem Besucher aus dieser Art der Darstellung nicht.

Ausflüchte gegen ein Denkmal zum deutschen Vernichtungskrieg

Beängstigend ist, wie hartnäckig sich deutsche Politiker und Medien gegen das Gedenken der sowjetischen Opfer und jede positive Erwähnung des von der Sowjetunion maßgeblich miterrungenen Sieges über Hitler-Deutschland sperren. Zur Forderung[9] der KZ-Überlebenden Esther Bejarano, den 8. Mai zum Feiertag zu machen, hieß es, man könne so einen Feiertag „nicht verordnen“.

Die vom Linken-Politiker Jan Korte 2019 angestoßene Initiative für ein Denkmal[10] in Berlin für die Opfer des deutschen Vernichtungskrieges im Osten wurde von den Abgeordneten des deutschen Bundestages mit Ausflüchten abgebügelt. Ein Abgeordneter der Grünen erklärte[11], man könne, angesichts aktueller Konflikte nicht „verschiedenen Opfergruppen“ wie Polen, Balten, Ukrainern und Russen „gemeinsam gedenken“.

Erst 2005 begann sich der Bundestag auf Initiative der Parteien Die Linke und Bündnis90/Die Grünen mit der Frage der Entschädigungszahlungen für sowjetische Kriegsgefangene zu beschäftigen. Als es dann nach langen Debatten zur Auszahlung kam, war der Großteil der sowjetischen Kriegsgefangenen nicht mehr am Leben.

Bis zum 20. März 2019 gingen beim zuständigen Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen 2092 Anträge ein. Davon wurden 1197 bewilligt. Bis zum Stichtag wurde an 1185 Antragsteller die Anerkennungsleistung ausgezahlt.[12] Das heißt, von drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen, welche die deutschen Lager überlebten, wurden wenig mehr als 1.000 für ihre Qualen entschädigt.

Immer mehr Geschichtslügen

Nach jahrzehntelangem Schweigen und Verdrängen gehört das Andenken an den Holocaust heute in Deutschland zum staatlichen Interesse. Wer den Holocaust bestreitet, riskiert strafrechtliche Verfolgung. Wer aber 27 Millionen Toten der Sowjetunion verschweigt, relativiert oder leugnet, braucht keine Angst vor einem Sturm der Entrüstung oder Strafverfolgung zu haben.

Das öffentlich-rechtliche deutsche Fernsehen und große deutsche Zeitungen spielen bei der Neuschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkrieges eine Schlüsselrolle. Man hat fast den Eindruck, als wollten sie einen Zustand herstellen, in dem irgendwann – wie in Estland, Polen und der Ukraine – auch in Deutschland Denkmäler zu Ehren der sowjetischen Soldaten des Zweiten Weltkrieges gestürzt werden.

Der „bronzene Soldat” in Tallin

Am 27. April 2007 ließ die Regierung Estlands in einer nächtlichen Aktion den „bronzenen Soldaten“, ein Denkmal zur Befreiung Estlands durch sowjetische Truppen, aus dem Stadtzentrum von Tallin entfernen. Das führte zu heftigen Protesten[13] der russischsprachigen Minderheit. Zwei Tage lang lieferten sich russischsprachige Jugendliche Straßenschlachten mit der Polizei. Einer der Demonstranten starb. 300 Personen wurden festgenommen.

Die „Süddeutsche Zeitung“ behauptete damals – natürlich ohne Belege – , die Straßenproteste seien „von der russischen Botschaft organisiert“ worden. Für die Entfernung des Denkmals hatte das linksliberale Blatt vollstes Verständnis. Denn der Blick des „bronzenen Soldaten“ habe habe „etwas Feindliches, Herrisches, Strafendes“.[14]

Ich war über die einseitige Berichterstattung der deutschen Medien zum „bronzenen Soldaten“ erschüttert und beschloss, selbst nach Tallin zu fahren. Dort sprach ich mit dem estnischen Verteidigungsminister, einfachen Bürgern und Demonstranten. Ich war gerührt über die vielen Blumen[15], welche Bewohner von Tallin an einen Bauzaun geklemmt hatten, hinter dem das Denkmal einmal stand. Ich war berührt, wie viele Menschen am 8. Mai 2007 mit Blumen zu dem Kriegsgefallenenfriedhof in der Filtri-Straße gekommen waren, wohin man den „bronzenen Soldaten” versetzt hatte.

Der ZDF-Film „Unsere Mütter, unsere Väter“

In dem 2013 vom ZDF ausgestrahlten Film[16] „Unsere Mütter, unsere Väter“ werden deutsche Soldaten, die an die Ostfront zogen, als unbedarfte Jungs dargestellt, die angeblich frei waren von Rassenwahn und der nazistischen Ideologie des „slawischen Untermenschen“. Es waren angeblich junge Leute, die vor ihrem Abtransport an die Front sogar noch mit einem jüdischen Freund eine Party feierten.

„Der Russe“ wird in diesem Film als böse und unberechenbar dargestellt, die deutschen Soldaten als unschuldige Jungs, die zufällig in einen Krieg geraten sind.

Wenn es um die Verschönerung der deutschen Geschichte geht, spielt Geld keine Rolle. Die Produktion kostete 14 Millionen Euro. 10 Millionen zahlte das ZDF. Außerdem an der Finanzierung beteiligt waren die Film- und Medienstiftung Nordrhein-Westfalen, FilmFernsehFonds Bayern, Mitteldeutsche Medienförderung, Medienboard Berlin-Brandenburg, nordmedia Fond und Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein.

Arseni Jazenjuk in den ARD-Tagesthemen

Am 7. Januar 2015 konnte der damalige Ministerpräsident der Ukraine, Arseni Jazenjuk, in den „ARD-Tagesthemen“ unwidersprochen seine pro-faschistische Sichtweise über den Zweiten Weltkrieg darlegen. Er sagte: „Die russische Aggression in der Ukraine, das ist der Angriff auf die Weltordnung und auf die Ordnung in Europa. Wir können uns noch alle sehr gut an den sowjetischen Anmarsch in die Ukraine und auf Deutschland erinnern. Das muss man vermeiden. Und keiner hat das Recht, die Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges neu zu schreiben.“[17]

Nach Meinung von Jazenjuk wurde die Ukraine und das damals faschistische Deutschland nicht von der Roten Armee befreit, sondern besetzt.

Nun ja, wenn eine ehemalige Sowjetrepublik sich endlich aus dem Einflussbereich Moskaus löst, dann muss man auch mal ein Auge zudrücken. So hat man wahrscheinlich in der Redaktion der „Tagesthemen“ gedacht.

Der Spiegel: „Ausschwitz wurde von US-Truppen befreit“

Ausschwitz wurde am 27. Januar 1945 von der Roten Armee befreit. Doch diese historische Tatsache versuchen westliche Politiker und Medien seit der Ukraine-Krise zu verfälschen.

„Der Spiegel“, meldete[18] am 26. Januar 2020 in einer Twitter-Meldung, das KZ Ausschwitz sei von „der amerikanischen Armee“ befreit worden. Nach Protesten wurde die Meldung als „peinlicher Fehler“ zurückgezogen.

Bereits am 12. Dezember 2014 – in der Hochphase des Maidan – behauptete Marieluise Beck – damals Sprecherin für Osteuropapolitik der Bundestagsfraktion der Grünen – auf Facebook, Auschwitz sei von Ukrainern befreit worden. Hier das komplette Zitat:

„Timothy Snyder schrieb in einem Essay: „Auschwitz wurde 1945 von der Roten Armee befreit, darauf sind die Russen heute stolz. Doch der Teil der Roten Armee, der Auschwitz befreite, gehörte zur “I. Ukrainischen Front”. Für diese Bezeichnung gab es einen guten Grund: Sie kämpfte in der Ukraine, wo die Rote Armee aufgrund schwerer Verluste viele Einheimische rekrutierte. Die Soldaten stammten daher überproportional von dort. Niemand weist jemals darauf hin, dass Auschwitz von ukrainischen Soldaten befreit wurde.“ Bei meinem Gespräch mit russischen Historikern und Menschenrechtlern bei Memorial in Moskau erfahre ich gestern noch mehr Einzelheiten: der Kommandeur des Bataillons, das Auschwitz befreite, war der ukrainische Jude Anatolij Schapiro. niemand weist jemals darauf hin, dass Auschwitz von ukrainischen Soldaten befreit wurde.“[19]

Die Bezeichnung „1. Ukrainische Front“ ist eine Bezeichnung für einen Territorialabschnitt und keine Bezeichnung für die nationale Zusammensetzung eines Armee-Teils. Doch die studierte Geschichtslehrerin Beck lügt sich ihre Auschwitz-Wahrheit so zurecht, wie sie es politisch gerade braucht.

Von RT deutsch veröffentlichte Archivdokumente belegen, dass der Großteil der Kämpfer der „1. ukrainischen Front“ 42.398 russische Soldaten waren, gefolgt von 38.041 ukrainischen Soldaten. Außerdem kämpften in der „1. Ukrainischen Front“ noch Angehörige zahlreicher anderer Nationalitäten.

Siegesfeiern in Moskau angeblich „von oben organisiert“

Immer wieder tun die deutschen Medien so, als ob es heute einen Stolz auf den Sieg der Roten Armee nur in der russischen Führung, nicht aber im einfachen Volk gibt. Wenn in russischen Städten seit mehreren Jahren Hunderttausende am 9. Mai im Rahmen der Aktion „Unsterbliches Regiment“ auf die Straße gehen und dabei Porträts ihrer Angehörigen tragen, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, wird das als „Militarismus“ und „von oben angeordnet“ denunziert.

Es ist nicht zu übersehen, dass es in Deutschland einen Argumentationsfaden gibt, der von der NS-Zeit bis in die Gegenwart reicht. Damals wie heute wird so getan, als ob das russische Volk von einer eigensüchtigen Herrscher-Kaste geknechtet und nur durch westlich orientierte Russen und mit westlicher Hilfe befreit werden kann.

Dass es einfache, russischsprachige Ukrainer waren, die sich in den Gebieten Donezk und Lugansk im Frühjahr 2014 zunächst nur mit nackten Händen ukrainischen Panzern entgegenstellten, wurde in den deutschen Medien verschwiegen. Die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk sind nach Meinung deutscher Medien nicht das Resultat eines regionalen Aufstandes, sondern Resultat „russischer Okkupation“.

Ist der 8. Mai für die Deutschen ein trauriger Tag? Ich meine, nein. Die Deutschen haben allen Grund erleichtert aufzuatmen und Russland aus tiefstem Herzen dankbar zu sein. Denn ohne den Sieg bei Stalingrad, ohne die Befreiung Osteuropas durch sowjetische Truppen, hätte Hitler-Deutschland nicht kapitulieren müssen und wir würden vielleicht noch heute unter der NS-Herrschaft leben.

Erleichtert aufatmen könnten auch diejenigen, denen das politische System in Russland nicht gefällt. Wir sollten uns da einfach nicht einmischen! Lassen wir doch die Russen selbst über ihr Schicksal entscheiden! Solange die Leistungen sowjetischer Soldaten bei der Befreiung Europas verschwiegen oder kleingeredet werden, solange sind Belehrungen von deutscher Seite über Demokratie und Pressefreiheit an die russische Adresse unglaubwürdig.



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