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Titel: Corona-Demo: Polizei beharrt auf Teilnehmer-Zahl. Viele Medien verzerren weiterhin.

Datum: 7. August 2020 um 11:42 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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In der Debatte um die Zahl der Teilnehmer der Demo gegen die aktuelle Corona-Politik bleibt die Polizei gegenüber den NachDenkSeiten bei ihren umstrittenen Angaben von ca. 20.000. Der Vorgang ist aber vor allem eine Medienaffäre, aktuellstes Beispiel: die „Kontraste“-Sendung vom Donnerstag. Von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Polizei bleibt auf Anfrage der NachDenkSeiten bei ihren bisherigen Angaben zur Zahl der Teilnehmer der Demo in Berlin vom 1. August. Auf unsere Frage, ob die Angabe von ca. 20.000 Teilnehmern nach Meinung der Polizei mit dem Eindruck übereinstimmt, den zahlreiche Bilder von der Demonstration vermitteln, antwortete die Pressestelle des Polizeipräsidenten von Berlin folgendermaßen:

„Die Einschätzung von ungefähr 20.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern bleibt auch nach Prüfung im Nachhinein bestehen. Dazu wurde die vorhergegangene, ermittelte Teilnehmerzahl, durch die Auswertung öffentlich zugänglicher Luft- und Übersichtsaufnahmen vom Einsatztag, nochmals überprüft. Lediglich eine mögliche Varianz von mehreren tausend Personen in der Spitze über dem genannten Ergebnis konnte als Veränderung ermittelt werden.“

Steht das nicht in Widerspruch zum Eindruck, den zahlreiche Bürger von den aufgenommenen Fotos und Videos der Veranstaltung erhalten müssen? Hier sollen nicht die Angaben von einer Million oder mehr Demonstranten verteidigt werden. Aber dass die Anzahl weit über den Polizei-Angaben liegt, scheint angesichts des Bildmaterials schwer zu bestreiten zu sein. Die meisten großen Medien bleiben ebenfalls bei den zu niedrig erscheinenden Angaben. Auch diverse „Fakten-Checker“ argumentieren tendenziell in diese Richtung, etwa hier oder hier oder hier. In diesen Beiträgen wird teils versucht, die Kritik an den offiziell vermeldeten Zahlen durch Verquickung mit Behauptungen von extrem hohen Teilnehmerzahlen von über einer Million generell als unseriös abzutun.

„Alternativmedien“: Zwischen 60.000 und 320.000 Teilnehmer

Auch in den „Alternativmedien“ variieren die gemutmaßten Zahlen stark – doch trotz dieser Differenzen ist man sich weitgehend darüber einig, dass die Zahl 20.000 viel zu niedrig ist. In einer eher vorsichtigen Schätzung kommt „Telepolis“ auf „60.000 – 80.000“ Teilnehmer. Das sind immer noch drei- bis viermal so viele, wie offiziell und medial behauptet wird.

Das Magazin „Multipolar“ ermittelt dagegen eine Teilnehmerzahl zwischen 160.000 und 320.000. Das Medium weist außerdem darauf hin, dass eine Sichtung von Videomaterial deutlich mache, dass „viele tausend Demonstranten nicht direkt auf der Straße des 17. Juni standen, sondern sich im unmittelbar angrenzenden Tiergarten aufhielten“. Die ARD-Pressestelle betonte aber gegenüber „Telepolis“:

„Die von uns zitierten Schätzungen von gut 20.000 Personen bei der Kundgebung stammen von verschiedenen Reporterinnen und Reportern, die anwesend waren. Auch der erwähnte Fotograf geht in etwa von dieser Größenordnung aus, ebenso die Polizei. Für eine deutlich höhere Teilnehmerzahl liegen uns keine belastbaren Indizien vor.“

Die Polizei-Angaben zu Teilnehmerzahlen von Demonstrationen sind meistens extrem vorsichtig angesetzt, dieses Phänomen ist bekannt. So verhielt es sich mutmaßlich auch mit den offiziellen Zahlen zur Anti-Rassismus-Demo vom 6. Juni in Berlin. Auch diese mutmaßlich zu niedrigen Zahlen wurden teils von vielen Medien übernommen. In manchen Medien wurden sie dann aber auch kritisiert, und diese damalige Kritik in den großen Medien klang ganz ähnlich wie die heutigen Zweifel in den „Alternativmedien“. So erklärte im Juni etwa der RBB:

“Die Polizei sprach von 15.000 Teilnehmern, Schätzungen von rbb-Reportern und nachträglichen Auswertungen von Luftbildern zufolge muss die Zahl aber weit höher gelegen haben.“

Formale Betrachtungen müssen von Inhalt getrennt bleiben

Eine solche kritische Distanz zu den Polizeiangaben hätte man sich auch angesichts der Corona-Demo vom 1. August gewünscht. Dass man sich mit dieser Forderung nicht mit allen Inhalten der Corona-Demo gemein macht und sich schon gar nicht inhaltlich gegen die Demos gegen Rassismus positioniert, ist selbstverständlich. Die Frage der Teilnehmerzahl steht zudem in keinem Zusammenhang mit inhaltlichen Bewertungen, zumindest sollte sie das nicht. In diesem Text werden auch nicht „die gleichen Schikanen für alle Demonstrationen“ gefordert – im Gegenteil. Problematisch wird es aber, wenn aus inhaltlich-politischen Gründen formale Prinzipien unterschiedlich ausgelegt werden.

Der Umgang mit formalen Sachverhalten wie der Teilnehmerzahl muss streng von inhaltlichen Fragen getrennt werden. Das gilt auch für Fragen der prinzipiellen Gewährung des Versammlungsrechts, die von der inhaltlichen Frage strikt getrennt sein muss, solange in den offiziellen Aufrufen und Reden nicht justiziable Inhalte verkündet werden. Das Gleiche gilt zudem für konkrete behördliche Schritte wie eventuell variierende Auflagen für eine Genehmigung oder eventuelle Strafanzeigen gegen die jeweiligen Veranstalter, wenn gegen diese Auflagen verstoßen wird.

Polizei zu Strafanzeigen: „Unterschiedliche Ausgangslage“

Muss man die Polizei aber beim letzten Punkt nicht gegen einige aktuelle Vorwürfe der Ungleichbehandlung etwa zwischen der Corona-Demo und der Anti-Rassismus-Demo in Schutz nehmen? So wurden beide Demos vorzeitig aufgelöst. Der Unterschied bestünde darum in den gegen die Veranstalter der Corona-Demo gestellten Strafanzeigen, die gegen die Veranstalter der Anti-Rassismus-Demo unterblieben sind. Die Polizei begründet diesen Unterschied damit, dass „sowohl Ausgangslage als auch Versammlungslage bei der Versammlung am 1.8.2020 und der am 6.6.2020“ sich „in entscheidenden Punkten“ unterschieden hätten. Hier ist die Antwort der Polizei zu diesem Punkt auf eine Anfrage der NachDenkSeiten im Wortlaut:

„Zum Einsatz am 06.Juni 2020 anlässlich der Versammlung „Gegen Rassismus“ sind keine Strafanzeigen gegen die Versammlungsleitung oder Teilnehmende bekannt geworden. Die Situation hinsichtlich der angefragten völlig unterschiedlichen Anmeldungen und den daraus resultierenden versammlungsbehördlichen Anmeldungsbestätigungen bzw. eventueller Auflagen ist nicht vergleichbar. Sowohl Ausgangslage als auch Versammlungslage bei der Versammlung am 1.8.2020 und der am 6.6.2020 unterschieden sich in entscheidenden Punkten. Zum einen in den Anmeldungen zum anderen in den daraus resultierenden versammlungsbehördlichen Anmeldebestätigungen bzw. Auflagen.

Im polizeilichen Vorgehen ähneln sie sich hingegen in weiten Teilen. Bei beiden Versammlungen kam das abgestufte Einschreiten der Polizei Berlin zu tragen. Die Versammlungsteilnehmerinnen und Versammlungsteilnehmer wurden kommunikativ zur Einhaltung der Hygienevorschriften aufgefordert und die Versammlungsleitung wurde in die ihr obliegenden Pflicht genommen, die Einhaltung durchzusetzen. Bei der Versammlung am 6.6.2020 versuchte die Leitung dies, stellte jedoch fest, dass kein Einfluss mehr möglich war und beendete die Versammlung. Bei dem Aufzug am 1.8.2020 erfolgte die Beendigung erst nach Einleitung eines Strafermittlungsverfahren. Das Einleiten von Strafermittlungs- und Ordnungswidrigkeitenverfahren kann sich nur aus der Rechtslage im jeweiligen Einzelfall orientiert ableiten lassen.“

Verzerrung in den Medien geht weiter – Beispiel „Kontraste“

Die Episode um die Größe und die Einordnung der Corona-Demo vom 1. August ist vor allem eine Medienaffäre: Die Berichterstattung vor und nach der Demo in Berlin bleibt sehr fragwürdig – auch wenn man der Demo selber inhaltlich distanziert gegenübersteht, wie die NachDenkSeiten gerade in dem Artikel „Corona-Demo: Widerspruch wird pauschal verteufelt“ beschrieben haben. Die viel zu pauschale Diffamierung als rechtsextrem und der Umgang mit absurden Teilnehmer-Zahlen ist demnach höchst unseriös. Mit dieser Feststellung ignoriert man nicht, dass auf der Corona-Demo auch Menschen aus der rechten Szene zu beobachten waren. Die unterschiedliche mediale und politische Bewertung der Berliner Demos vom 6. Juni bzw. 1. August (und etwa ihres jeweiligen „Infektionspotenzials“) haben die NachDenkSeiten auch in dem Artikel „Gute Demos, schlechte Demos“ beschrieben.

Ein aktuelles Beispiel für die fortgesetzte und in unseriös pauschaler Form betriebene Diffamierung der Teilnehmer der Corona-Demo lieferte die RBB-Sendung „Kontraste“ am Donnerstag. Wie hier verschiedene Akteure, Demonstrationen und Schauplätze zur mutmaßlich gewünschten Aussage zusammengerührt werden, muss als verzerrend bezeichnet werden.

Angesichts der bekannten Praxis der Polizei, bei Teilnehmerzahlen oft extrem „vorsichtig“ zu agieren, wäre es Aufgabe der Medien gewesen, ein korrigierendes Bild entgegenzusetzen. Dass einige Stimmen wiederum mutmaßlich viel zu hohe Teilnehmerzahlen nennen, bedeutet ganz und gar nicht, dass die Angaben von nur 20.000 realistisch wären. Ein eigenes Bild können sich Bürger etwa anhand dieses kurzen Zeitraffer-Videos machen, das wohl den ganzen Demo-Zug zeigt. Das Video beruht auf dieser Langfassung. Beim Vergleich konnte ich keine Manipulationen oder Schnitte erkennen.

Titelbild: Berit Kessler / Shutterstock


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