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Titel: Aufforderung „Lenk muss weg“

Datum: 16. November 2020 um 13:41 Uhr
Rubrik: Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Kultur und Kulturpolitik, Medienkritik, Stuttgart 21
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Autorin in der „Schwäbischen Zeitung“ fordert dazu auf, Peter Lenks neue Skulptur aus Stuttgart zu verbannen. Von Winfried Wolf.

Die Skulptur “Schwäbischer Laokoon” von Peter Lenk steht noch keine zwei Wochen im Zentrum der baden-württembergischen Landeshauptstadt, da zeichnen sich bereits drei Dinge ab:

Erstens. Man kann jetzt Tag für Tag beobachten, wie hunderte Personen das Werk bestaunen und – meist erfolgreich – versuchen, einzelne Figuren zu erkennen: “Da ganz oben – sitzt da nicht der Jesuitenschüler Heiner Geissler und guckt wie ein scheinheiliger Pfaff?” Oder: “Der, dem die Pampers aus der Hose ragt – ist das nicht der Justizminister Wolf?” Und dann auch: “Das passt doch – wie die Friederike B. dem Ex-Ministerpräsidenten Günther Oe. im Genick sitz und ihn reitet!”

Zweitens. Bereits jetzt beginnt in Stuttgarts opportunistischer Kulturszene das Wettrennen, wer sich am schnellsten an einen künftigen CDU-OB Nopper anschleimt und fordert: “Der Lenk muss weg!”.

Drittens. Eine solche Schmutzkampagne ist nur machbar, wenn Lüge und Demagogie Hand in Hand gehen.

Im folgenden blog-Beitrag gehe ich näher auf diese Schmutzkampagne, die vor einer Woche in der “Stuttgarter Zeitung” gestartet wurde und die am 14. November in der “Schwäbischen Zeitung” fortgesetzt wird, ein.

In der Schwäbischen Zeitung vom 14. November 2020 (Link siehe unten) findet sich ein Artikel der Autorin Adrienne Braun, der – einigermaßen aufgeblasen – als „Essay“ bezeichnet wird. Die Autorin, die auch für die Stuttgarter Zeitung schreibt, setzt sich darin scheinbar wissenschaftlich mit dem Kunstbegriff auseinander. Ausgesprochen plump und bösartig wird Peter Lenks Skulptur „Schwäbischer Laokoon“, die seit dem 26. Oktober in Stuttgart vor dem Stadtpalais steht, kritisiert, um am Ende kaum verhüllt zu sagen: Das kann (und soll) weg!

Dabei baut die Autorin in ihren Beitrag zwei Unwahrheiten, eine fragwürdige Kunst-Definition und ein nochmals fragwürdigeres Politikverständnis ein.

Unwahrheit 1: Die Autorin behauptet: „Seinen „Schwäbischen Laokoon“ würde Lenk gern der Stadt Stuttgart verkaufen.“ Das ist frei erfunden. Dieselbe Autorin hatte eine Woche zuvor bereits in der Stuttgarter Zeitung die Unwahrheit verbreitet, Lenk verlange für die Skulptur von der Stadt Stuttgart 500.000 Euro. Die Zeitung musste das dann dementieren.

Tatsächlich wollen Peter Lenk und wir von der Kampagne lenk-in-stuttgart.de erreichen, dass die Skulptur in Stuttgart auch nach der aktuellen Ausstellung, die bis Ende März 2021 terminiert ist, bleibt und dass dafür ein guter Platz gefunden wird (bzw. dass die Skulptur dort bleibt, wo sie aktuell steht.) Es gab seitens Peter Lenk nie einen Vorstoß, das Kunstwerk „verkaufen“ zu wollen.

Unwahrheit 2: Die Autorin schreibt: „Fans von Peter Lenk haben bereits die Spendentrommel gerührt in der Hoffnung, dass die S-21-Skulptur bleiben kann.“ Tatsache ist, dass wir – auch erheblich unterstützt von den NachDenkSeiten – seit Januar 2019 140.000 Euro gesammelt haben, um die bisherigen Kosten für Material und Fremdarbeit, die bei der Arbeit von Peter Lenk für diese Skulptur anfielen, zu ersetzen. Der Zweck dieser Sammlung ist also nicht, dass die Skulptur dort bleiben kann. Der Zweck ist die Erstattung bereits verausgabter Gelder.

Fragwürdige Kunstdefinition: Die Autorin stellt mit Blick auf Lenks neue Skulptur die Frage: „Aber ist das überhaupt Kunst?“ Ihre Definition von Kunst lautet wie folgt: „Die Karikatur ist eine journalistische Form, die auf aktuelle Ereignisse reagiert und dabei tendenziös sein darf […] Das ist genau der Unterschied zu Bildender Kunst […] Kunst spießt eben nicht das Aktuelle und Konkrete auf, sondern versucht, einen Schritt zurückzutreten, um größere Zusammenhänge sichtbar zu machen.“ Danach ist Picassos Werk „Guernica“, das sich gegen den damals aktuellen Vorgang der Bombardierung der baskischen Stadt durch die Kampfflugzeuge der NS-Legion Condor richtet, keine Kunst. Danach sind die „desastres de la guerra“ von Francisco de Goya auch keine Kunst. Diese richteten sich gegen die konkreten Gräueltaten der napoleonischen Armee in Spanien. Wobei bereits die Unterscheidung zwischen „Bildender (?!!) Kunst“ und „Karikatur“ fragwürdig ist. Die Arbeiten eines John Heartfield (man denke an die Darstellung des Hitler-Grußes, bei der die aufgehaltene Hand Hitlers das Geld der Industriellen und Bankiers, die Hitler an die Macht brachten, entgegennimmt) sind natürlich ebenfalls Kunst, obgleich sie zugleich eine (künstlerische) Karikatur sind.

Im Übrigen schreibt die Autorin selbst: „Der Begriff [Kunst; W.W.] wird ohnehin inflationär genutzt.“ Sie muss auch eingestehen: „Museen würden sich wünschen, dass ihr Publikum so interessiert bei der Kunstbetrachtung wäre, wie die Menschen es vor der Stuttgarter Skulptur [von Peter Lenk; W.W.) sind.“ Und dann gesteht sie sogar noch ein: „Der Mann [Peter Lenk; W.W.] versteht sein Handwerk.“

Seltsames Politikverständnis: Die Autorin schreibt: „Statt zu schlichten oder zu einer differenzierten Analyse zu motivieren, zeigt Peter Lenk die Verantwortlichen als Witzfiguren. Damit bestätigt er das schlechte Image, das Mächtige in der Bevölkerung oft haben. Vorurteile werden also nicht kritisch hinterfragt, sondern sogar bestätigt.“ Ist die entscheidende Frage hier nicht die, welche konkrete Politik Peter Lenks Skulptur und Kunst zum Thema hat? Es geht um eine S21-Politik, bei der zehn und mehr Milliarden Euro an Steuergeldern dafür ausgegeben werden, um einen bestehenden und funktionierenden Bahnhof in den Untergrund zu verlegen und dabei die Kapazität um gut 30 Prozent zu reduzieren. Es geht darum, dass am 30. September 2010 – dargestellt auf einem großen, dem Stadtpalais zugewandten Relief – auf Befehl des damaligen Ministerpräsidenten und des damaligen Polizeipräsidenten eine friedliche Demonstration mit exzessivem Einsatz von Pfefferspray und Wasserwerfern angegriffen wurde, sodass es am Ende mehrere dutzend Schwerverletzte und zumindest einen Erblindeten gab. Wenn es nach der Autorin geht, darf derlei in Kunst nicht aufgegriffen werden, weil damit „Vorurteile bestätigt“ werden. Tatsächlich werden damit Ursache und Wirkung verwechselt. Es sind doch die dargestellten Politiker, die Vorurteile in der Bevölkerung über „die Politik“ bestätigen bzw. die diese Vorurteile erst entstehen lassen und die erst zu diesem „schlechten Image“ der Politik geführt haben.

Am Ende schreibt Adrienne Braun das, was offensichtlich für sie Herzensangelegenheit und für die Zeitung selbst die Hauptsache ist: „Die Stadt Stuttgart sollte sich also sehr genau überlegen, ob sie eine solche gebaute Karikatur tatsächlich dauerhaft an einem so prominenten Platz zeigen will.“

Tatsache ist: Die Skulptur „Schwäbischer Laokoon“ zeigt genau die Wirkung, die Peter Lenk und wir von ihr erwartet hatten. Sie stößt Tag für Tag auf ein enormes Publikumsinteresse. In den Worten von Frau Braun selbst: „Wann immer man vorbeischaut, finden sich in Stuttgart Menschentrauben vor der neuen Skulptur von Peter Lenk.“ Die Behauptung, das sei „nicht Kunst“, und die Forderung, dass Lenks Skulptur nicht dauerhaft in Stuttgart einen Platz finden soll, unterstreicht schlicht das Hauptziel dieses skandalösen Beitrags: Eine Kunst, die von der Bevölkerung angenommen wird und die konkrete zu kritisierende Vorgänge im Stadtgeschehen aufgreift, ist nicht gewollt.

Diese Haltung, wonach Kunst vor allem den Herrschenden schmeicheln soll und wonach für kritische Kunst gilt, „Das kann dann weg“, hat in unserem Land eine üble Tradition.

Der Artikel in der „Schwäbischen Zeitung“ findet sich hier.


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