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Titel: Champagner-Politik für alle! Wie Reichtum und Macht in der Corona-Krise vermehrt werden

Datum: 12. Dezember 2020 um 11:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Umweltpolitik, Ungleichheit, Armut, Reichtum, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Wir stecken am Jahreswechsel 2020/2021 immer noch inmitten der schwersten sozialen, gesundheitspolitischen und wirtschaftlichen Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Das Welt-Bruttoinlandsprodukt sank 2020 um mehr als fünf Prozent. In wichtigen Industrieländern wie Frankreich, Italien und Spanien liegt der Einbruch des BIP sogar bei zehn und mehr Prozent. Hätte es in China nicht ein bescheidenes Wirtschaftswachstum in Höhe von anderthalb Prozent – und damit ein erneutes Abstützen der westlichen Ökonomien durch fortgesetzten Export in die VR China – gegeben, wäre der Absturz noch dramatischer ausgefallen. Seit dem Frühsommer boomt der deutsche Export nach China wieder. Vergleichbare Einbrüche – oder im Fall der VR China: einen vergleichbaren Rückgang der BIP-Wachstumsrate – gab es auch in der Weltwirtschaftskrise 2007-2009 nicht. Von Winfried Wolf.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Doch diese Krise ist bislang und im Gegensatz zur vorausgegangenen vor zwölf Jahren von zwei Besonderheiten gekennzeichnet: erstens einem Verharren der Aktienkurse auf hohem Niveau, verbunden mit einem weiteren Anstieg der Immobilienpreise. Und zweitens einem nochmals beschleunigten Reicher-Werden der Reichen und Vermögenden.

Finanzwelt: Zu Beginn der neuen Krise reagierten die Börsen klassisch: Die Kurse rauschten im Februar und März 2020 nach unten: Es gab Einbrüche von 30 und mehr Prozent. Doch danach begann an allen Märkten ein fast ungebrochener Anstieg. In Europa liegen die Aktienindices im Dezember weitgehend auf dem Niveau der Höchststände vom Ende 2019. An der Wallstreet kletterte der Dow Jones im Dezember sogar auf ein Allzeithoch von mehr als 30.000 Punkten. Er lag damit um gut sieben Prozent über dem Höchststand von Dezember 2019. Auch der Immobilienboom hält weiter an. Hier war 2020 sogar keinerlei Einbruch festzustellen. 2019 kostete ein Einfamilienhaus in den USA im Durchschnitt 279.000 Dollar, im Oktober 2020 waren es bereits 310.600 Dollar. In Deutschland stiegen die Immobilienpreise im Corona-Jahr 2020 erneut deutlich an; in den Städten München und Frankfurt/M. sogar um acht Prozent. Als Erklärung für diese ungewöhnliche Entwicklung des Finanzsektors nennt Larry Fink, der Chef von BlackRock, dem mächtigsten Vermögensverwalter der Welt, das „beherzte Eingreifen der Zentralbanken und Regierungen“. Die Schweizer Bank UBS führt dies auf „die umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen zurück, mit denen die Wirtschaft und die privaten Haushalte vor den unmittelbaren Folgen der Pandemie […] geschützt und entsprechend entschädigt wurden.“[1]

Akkumulation von Reichtum

Seit zwei Jahrzehnten erleben wir einen Prozess der Akkumulation von individuellem Reichtum, wie es ihn auf nationaler Ebene, zum Beispiel in den USA, vor 100 Jahren gab, wie es einen solchen jedoch auf globaler Ebene noch nie gab.[2] Das addierte Vermögen der Milliardäre ­– derzeit ein Kreis von 2200 Personen – lag laut Berechnungen der Großbank UBS in den Jahren 1998 bis 2002 nahe einer Billion. 2007 waren es sieben Billionen. In den Folgejahren gab es einen deutlichen Einbruch; erst 2010/2011 wurde das 2007er Niveau wieder erreicht. Seither gibt es kein Halten: 2017 waren es neun Billionen. Und ausgerechnet im Corona-Jahr 2020 stieg dieses Vermögen nochmals auf aktuell rund zehn Billionen Dollar an.

Die Vermögenssteigerungen bei einzelnen Personen wie Jeff Bezos von Amazon (189 Milliarden Dollar reich), Bill Gates (124 Mrd. Dollar), Elon Musk (Tesla; 103 Mrd. Dollar) und Mark Zuckerberg (Facebook; 100 Mrd. Dollar) sind hinreichend bekannt. Das Reicher-Werden dieser Milliardärs-Gruppe übersteigt das Wachstum der Weltwirtschaft im genannten Zeitraum 2000 bis 2020 um mehr als das Fünffache. Es steht auch in einem krassen Widerspruch zur anhaltenden Armut in großen Teilen der Welt und zu dem wachsenden Heer von prekär Lebenden in der westlichen Welt. Oxfam bringt das wie folgt auf den Nenner: „Die weltweit 2153 Milliardäre besitzen inzwischen so viel wie 60 Prozent der Weltbevölkerung.“ In seinem höchst lesenswerten neuen Buch beschreibt Thomas Piketty diesen Vorgang im Detail.[3]

Es liegt im Bereich der Spekulation, ob es 2021 bei dieser fragilen Kluft zwischen einer krisenhaften Realwirtschaft und einem stabilem Finanzsektor bleibt oder ob es doch zu einem Finanzcrash kommt. Es ist kaum vorstellbar, dass das aktuelle Modell der Weltwirtschaft mit diesem unglaublichen Pampern der großen Unternehmen, Banken und Reichen durch Staatsschulden und Steuergelder stabil bleibt. Zumal diese Krise zu einer enormen Umstrukturierung der weltweiten Kräfteverhältnisse führen wird, mit einem nochmals schnelleren Aufstieg der Wirtschaftsmacht China und einem auch unter US-Präsident Biden verstärkten Handelskrieg – die massive fortgesetzte Aufrüstung gegen die VR China inbegriffen.

BlackRock fordert „Nachhaltigkeit“

Der gewaltige individuelle Reichtum dient natürlich nicht primär dem privaten Luxus dieser Personengruppe. Mit ihm werden insbesondere die Kapitalsammelstellen gespeist, die damit ihre Macht in der Realwirtschaft – das Hineinwirken in Konzerne und Banken – ausbauen. Es entwickelt sich eine informelle Weltregierung dieser Geldverwalter mit Elementen einer wirtschaftlichen Kommandozentrale. Larry Fink, der bereits zitierte Kopf von BlackRock – die Gruppe kontrolliert ein ihr anvertrautes Kapital in Höhe von mehr als sieben Billionen Dollar; sie ist an 17.000 Unternehmen, darunter an allen 30 DAX-Konzernen, beteiligt – versendet seit 2012 in jedem Jahr eine Art „Dringliche Empfehlung“ an Tausende Bosse von Konzernen und Banken. Der aktuelle Fink-Brief vom Januar 2020 liest sich wie eine Wirtschafts-Enzyklika. Sie ist „den Klimarisiken“ gewidmet und bezieht sich auch positiv auf den Papst und dessen „Forderung nach einer CO2-Bepreisungsordnung“. Der Brief droht kaum verhohlen damit, Unternehmen, auf die BlackRock Einfluss hat, „zur Verantwortung“ zu ziehen, wenn diese keine nachhaltige Unternehmensausrichtung praktizierten. Explizit heißt es dort, dass „Wertpapiere von Kohleproduzenten“ ein „Nachhaltigkeitsrisiko“ darstellten; weswegen Investments in solchen Unternehmen abgestoßen werden würden.

Bingo; es geht also in die richtige Richtung! Wenn das Weltproletariat schon versagt – oder, wie manche vermuten, abhandengekommen ist – dann scheint es doch eine Weltregierung aufgeklärter Kapitalkreise zu geben[*].

Tatsächlich ist das nicht der Fall. „Der Weiterbau der A20 wird, wie vom Bund vorgesehen, zügig umgesetzt“. So steht es im Kieler Koalitionsvertrag von 2017. Unterzeichnet vom Grünen-Chef Robert Habeck. Der Dannenröder Forst wurde in den letzten Wochen mit dem Segen des grünen Verkehrsministers gerodet. Die Bepreisung von CO2 dient der Verschleierung der Fortsetzung einer Wirtschaftsweise, mit der die Klimaerwärmung beschleunigt wird. Und der Tesla-Chef Elon Musk spendete für Trump und bildete 2019 mit Fiat-Chrysler einen Emissionspool, um diesem schmutzigsten Autokonzern den fortgesetzten Bau seiner SUV-Verbrenner-Flotte zu ermöglichen.[4]

Im Übrigen betreiben die „Kapitalisten des 21. Jahrhunderts“, die Werner Rügemer so überzeugend beschreibt, ja keineswegs eine CO2-freie Wirtschaft. Ganz im Gegenteil. Der ARTE-Film „Umweltsünder Elektroauto“, der erstmals im November ausgestrahlt wurde, brachte erschreckende Bilder über die Zerstörungen, die mit dem Abbau der Rohstoffe, die für Elektromobile benötigt werden, stattfindet. Vergleichbares, wenn auch „nur schwarz auf weiß“ festgehalten, lieferte zwei Jahre zuvor eine breitangelegte Studie, die von Misereor und Brot für die Welt in Auftrag gegeben wurde.[5] Oder nehmen wir das Beispiel dieser wunderbaren Lieferdienste. Vor wenigen Wochen brachte die Frankfurter Allgemeine Zeitung unter der Überschrift „Strampeln für zwei Kaffee“ eine aufschlussreiche Reportage. Auszug: „Ein Michael hat in einem Starbucks im Zentrum [von Frankfurt/M.] zwei Kaffee bestellt. Er wohnt dreieinhalb Kilometer entfernt im Nordend. Veganova [die Lieferando-Fahrerin; W.W.) ist kaum zu halten: ´Das ist doch pervers, das ist eine Demütigung – wegen zwei Kaffee. […] Der Starbucks-Kaffee fällt während der Fahrt um und läuft aus. Veganova ist den Tränen nahe. ´Jetzt muss ich einem Dispatcher schreiben. Hab ich etwas falsch gemacht? Ich bin nicht einmal gestolpert…´“[6]

Geplantes Wirtschaften in der Krise – in der Luxusbranche

Das in Luxus gelegte Kapital macht streckenweise das, was auf Weltebene gegen die Krisenfolgen getan werden müsste. Als im Sommer 2020 aufgrund des Nachfrageeinbruchs im Champagnermarkt eine Strukturkrise drohte, einigten sich Winzer und Produzenten, letztere angeführt von Moët Hennessy, auf eine Senkung der Erntemenge um 20 Prozent. In der gesamten französischen Luxusbranche (LVMH, L´Oréal, Hermès, Chanel) wurden im Krisenjahr 2020 die Arbeitsplätze weitgehend garantiert und die Kurzarbeit-Gelder in der Regel auf 100 Prozent aufgestockt. Der Luxuswagenhersteller Ferrari bietet für seine Beschäftigten und für die Bevölkerung am italienischen Produktionsstandort Maranello kostenlose, regelmäßige COVID-19-Tests. Selbst Konversion klappt dann plötzlich. Ferrari produzierte 2020 Ventile für Atemgeräte und Zubehör für Schutzmasken. Die Modeartikel-Hersteller Prada, Nike und Burburry rüsteten Fertigungsstraßen für die Herstellung von Schutzkleidung für Krankenhauspersonal um.[7]

Doch all das erfolgt natürlich nur zum eigenen Nutzen und Frommen, sprich: mit dem Ziel der langfristigen Profitgarantie. Wobei ein Teil der Aktivitäten natürlich gute PR in Corona-Zeiten, Motto: „Tue Gutes und rede darüber!“, ist.

Sobald die Krise vorbei ist, werden wir Konzerne erleben, die nur ein Ziel kennen: Wachstum zwecks Profitakkumulation. Schon rüstet sich die Autobranche für September 2021 und die nächste IAA – und glaubt, mit dem neuen Messe-Standort München lästige Umweltaktive, die ihr die Show im September 2019 in Frankfurt/M. vermasselten, zurücklassen zu können. 2020 wurden hunderttausende Pkw von deutschen Herstellern steuerlich als „emissionsfrei“ eingestuft und begünstigt, Modelle, die ein Jahr zuvor noch als normale Verbrenner galten, denen jedoch ein ergänzendes Elektromotörchen und der Adelstitel „Plug-in-Hybrid“ oder „Mild Hybrid“ verpasst wurde. Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass die Pkw in der Gesamtbilanz mehr CO2 emittieren als ein klassischer Mittelklasse-Verbrenner.

Eine langfristige Garantie zum Überleben der Menschheit gibt es nur jenseits der bestehenden Wirtschaftsordnung. Es dürfte schwierig werden, dafür 2021 die Voraussetzungen zu schaffen. Ein paar Elemente dessen, was die erwähnten Kapitalkreise mit 100-Prozent-Kurzarbeitergeld, Beschäftigungsgarantie und einer Reduktion des Outputs um ein Fünftel im ablaufenden Jahr 2020 umsetzten, sollten sich Linke und Gewerkschaften – gern ergänzt mit deutlichen Arbeitszeitverkürzungen – jedoch auf die Fahne schreiben und dafür im kommenden Jahr mobilisieren.

Titelbild: bbernard/shutterstock.com


[«*] Anmerkung Jens Berger: Es ist jedoch zu fragen, ob diese Ankündigung von Larry Fink mehr als eine reine PR-Nummer ist. Hier ist nämlich zu bedenken, dass BlackRock den größten Anteil des verwalteten Kundenvermögens in sogenannte Indexfonds (auch ETFs) investiert hat. Hierbei muss BlackRock dann im Grunde nur stupide die Aktien der Unternehmen, die in einem Aktienindex gelistet sind, in einem festgelegten Verhältnis kaufen. BlackRock kann hier gar keine Umschichtungen vornehmen, da man dann den Index nicht mehr abbilden würde und gegenüber den Kunden vertragsbrüchig würde. Und selbst im aktiven Geschäft, das nur einen kleinen Teil des BlackRock-Umsatzes ausmacht, sind solche „nachhaltigen Investments“ kaum mehr als ein Feigenblatt. De facto ist die „Klimabilanz“ der BlackRock-Investments nach wie vor kohlenschwarz. Lesen Sie dazu den Artikel „BlackRock als Regelgeber für Banken? Wie kam die EU auf diese Schnapsidee?“ mit einigen Detailinformationen. Vertiefende Informationen finden Sie in meinem Buch „Wer schützt die Welt vor den Finanzkonzernen“, in dem dem Thema BlackRock und Nachhaltigkeit ein ganzes Kapitel gewidmet ist.

[«1] BlackRock-Brief zusammengefasst in: Manager Magazin vom 31. März 2020; UBS nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. Oktober 2020. Zu Blackrock siehe Werner Rügemer, Die Kapitalisten des 21. Jahrhunderts, Köln 2018.

[«2] Vgl. Thomas Piketty, Kapital und Ideologie, München 2020, Seite 842. Danach lag in den USA der Anteil des obersten Dezils (die reichsten 10%) am gesamten Privatvermögen der USA (Immobilien. Betriebsvermögen nach Schuldenabzug) 1920 – 1930 zwischen 80 und 85%. Dieser Anteil sank bis 1985 auf rund 60%. Seither steigt er erneut und lag 2015 bei rund 75%.

[«3] Siehe Piketty, a.a.O., Seiten 816ff. Die vorausgegangenen allgemeine Angaben zur Vermögenskonzentration 2020 nach: Johannes Ritter, Superreiche werden reicher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. Oktober 2020.

[«4] Bernd Rubel, Elon Musk – Kontroverse Parteispender an republikanische Klimaleugner; mobilegeeks vom 19. Juli 2018; siehe hier und BBC-Bericht vom 7. April 2019; siehe hier

[«5] Weniger Autos, mehr globale Gerechtigkeit. Herausgeber: Brot für die Welt, Evangelische Werke für Diakonie und Entwicklung, Misereor und Powershift, Berlin, Aachen und Berlin, November 2018.

[«6] Gustav Theile, Lockdown ist Lieferando-Zeit – Strampeln für zwei Kaffee, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 26. November 2020. Lieferando ist eine deutsche Tochter des weltweit aktiven Lieferdienstes Just Eat Takeaway mit Sitz in Amsterdam. BlackRock ist an dem Unternehmen natürlich beteiligt.

[«7] Swetha Ramachandran, Luxusaktien: Mode ist vergänglich, aber der Ruf bleibt, Intelligent Investors vom 9. Juni 2020; und ARD Börse vom 7. Oktober 2020.


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