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Titel: «Vom Verlust der Freiheit» – Raymund Unger beschreibt die Mechanismen des Katastrophen-Kults

Datum: 13. Juni 2021 um 11:45 Uhr
Rubrik: Innen- und Gesellschaftspolitik, Rezensionen, Strategien der Meinungsmache
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In Zeiten der Corona-Politik ist die Freiheit zu einem knappen Gut geworden. Der Staat reglementiert nicht nur, wer wann wohin und unter welchen Bedingungen reisen, sondern auch wie viele Menschen er treffen darf. Wenn Politiker heute von „Freiheiten“ sprechen, setzen sie diese mit Privilegien gleich, die der Staat seinen Bürgern gnädigerweise einräumt – wenn sie sich benehmen. Im Jahr 2021 ist es um die Freiheit schlecht bestellt. Wer würde das leugnen? Ihr Untergang wurde während der Corona-Krise lediglich zementiert, zeichnete sich aber schon weitaus früher ab. Diese Meinung vertritt zumindest Raymund Unger, der in seinem neuen Buch «Vom Verlust der Freiheit» den schleichenden Prozess nachzeichnet. Von Eugen Zentner.

Auf 500 Seiten lässt der Künstler und Publizist die gesellschaftlichen und politischen Ereignisse der letzten sechs Jahre Revue passieren, indem er sich nicht nur mit den drei großen Krisen (Migration, Klima, Corona) auseinandersetzt, sondern auch Mechanismen nennt, die eine „Selbstzerstörung westlicher Gesellschaften“ bedingen. Dazu zählt Unger Phänomene wie das mediale Framing, die Cancel Culture oder die Politische Korrektheit. Für Unger stellen sie Instrumente dar, mit denen ein gewisser Massenzwang erzeugt wird, um geschickt die Agenden von supranationalen Institutionen wie EU, UNO oder WHO umzusetzen.

Die eigentlichen Drahtzieher dahinter sind während der Lektüre leicht zu erkennen. Es sind die global agierenden und finanzstarken Konzerne, deren Interessen mittlerweile über den nationalen demokratischen Grundprinzipien stehen. Das führe in eine technokratische Totalität, in einen Zustand der Alternativlosigkeit, wie er in der Corona-Krise zur Normalität geworden ist. Unger beklagt diese Entwicklung und teilt ordentlich aus, vor allem gegen den links-grünen Zeitgeist. Dieser habe alle wichtigen Staats- und Kulturinstitutionen durchdrungen und übe eine derartige Dominanz aus, dass sich ihm alle beugen müssen. Das gilt sogar für die kapitalistisch orientierten Global-Player: „Jede strategische Unternehmung zur Gewinnmaximierung muss zwangsweise ein linksmoralisches und ökologisches Framing haben – und sei das eigentliche Vorhaben auch noch so kapitalistisch.“

Vielen Entscheidungsträgern in den Ministerien, Redaktionen und Kultureinrichtungen falle dieser Widerspruch gar nicht erst auf. Stattdessen ließen sie sich ideologisch einspannen, ohne zu merken, dass sie mithelfen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abzuschaffen. Doch warum sind diese „provinziellen Quotenpolitiker“, „Haltungsjournalisten“ und „Meinungspriester“ so manipulierbar? Auf diese Frage liefert Unger eine einfache, ja vielleicht zu einfache Antwort: „Heutige Entscheider in Politik, Medien und Kultur sind Kinder von traumatisierten Kriegskindern des Zweiten Weltkriegs“. Sie leiden also an einem Trauma, das sich über Generationen hinaus auswirkt und sich darin zeigt, dass emotionaler Schmerz oder soziales Leid an Kinder und Kindeskinder weitergegeben wird.

„Eltern von Babyboomern“, wie Unger diese Klientel nennt, „schützen sich vor Retraumatisierung, indem sie die Erziehung ihrer eigenen Kinder versachlichen. Viele Kinder der 1960er- und 1970er-Jahre fühlten sich aufgrund der emotionalen Distanz ihrer Eltern und Großeltern ungeliebt, verunsichert und abgelehnt. Narzisstische Persönlichkeitsmuster, die sich in der Folge herausbildeten, räsonieren in besonderer Weise mit globalen zeitgenössischen Schuldnarrativen.“ Das äußere sich darin, dass Deutschland sich in Krisen profilieren möchte: Man will den Planten besonders gut retten, man will besonders viele Flüchtlinge aufnehmen und die Pandemie besonders gut meistern.

Deutschland, so lässt sich diese These zusammenfassen, wird von Personen gelenkt, die aufgrund des transgenerationalen Kriegstraumas über wenig Selbstbewusstsein verfügen und dadurch zu Konformismus neigen. „Da Menschen mit diesem Psychogramm keine echte, innerpsychische Freiheit kennengelernt haben, sind sie auch kaum in der Lage, gesellschaftlichen Freiheitsverlust wahrzunehmen“, schreibt Unger. „Mehr noch: Normierende, autoritäre Strukturen werden sogar als entlastend erlebt.“ Wer eine gesellschaftliche Position erringe, in der er andere beschämen, maßregeln und belehren könne, sei in der Lage, seinen innerpsychischen Schmerz zu lindern.

Das transgenerationale Trauma steht für Unger in einem mächtigen Wirkzusammenhang mit der besonderen Willfährigkeit Deutschlands, globale Agenden umzusetzen. Dieser Erklärungsansatz spielt bereits in seinem vorherigen Werk «Die Wiedergutmacher» eine große Rolle. Das aktuelle Buch liest sich deshalb wie eine Variation bereits ausformulierter Thesen, nur weiter gefasst und um jüngste Ereignisse ergänzt. Dementsprechend kurz hält sich Unger bei der Beschreibung dieser kollektivpsychologischen Prozesse, geht dafür aber in die Tiefe, wenn er sich der Corona- oder Klimakrise widmet. Die Vorliebe für Details geht sogar so weit, dass er sich bisweilen von dem eigentlichen Thema weit entfernt. Für die Leser dürfte das kein Problem darstellen, weil die Ausführungen nie langweilig werden.

Man merkt dem Buch an, dass es auf ausgiebiger Recherche beruht und die darin besprochenen Themen den Autor bis in den Schlaf beschäftigen. Teilweise schreibt sich Unger seinen Frust von der Seele, bleibt dabei aber trotzdem sachlich. Es ist ein eleganter Stil mit kurzen, verständlich formulierten Sätzen, die den Inhalt verdaulich machen. Um ihn in allen Einzelheiten auszubreiten, macht Unger nicht selten Anleihen bei anderen Autoren. Zitiert werden nicht nur Psychologen und Psychotherapeuten, sondern auch journalistische Artikel, Wikipedia-Einträge oder Strategiepapiere – und das in großem Umfang. Manche Passagen fremder Texte gehen sogar über Seiten, weshalb «Vom Verlust der Freiheit» stellenweise wie eine Collage wirkt.

Eher unkonventionell geht der Autor auch bei der Gliederung vor. Die drei Hauptkrisen handelt er nicht chronologisch ab, sondern zeitlich rückwärtsgewandt – von der Corona- bis zur Migrationskrise. Zwischendurch schiebt Unger ein Kapitel mit so politisch heißen Themen wie Gender oder Rassismus ein, anhand derer er zu zeigen versucht, inwiefern der Raum des Sagbaren und mit ihm der der Freiheit zunehmend verengt wird. Ein systematisch aufgebautes Werk ist das Buch nicht, vielmehr eine episodenhafte Auseinandersetzung mit tonangebenden Narrativen, die den Weg in den Totalitarismus vorbereiten.

Viel Optimismus kommt bei der Lektüre nicht auf. Unger zeichnet ein düsteres Bild von den aktuellen Verhältnissen und macht keinen Hehl daraus, dass er sich als einen Kulturpessimisten versteht. „Kurzum“, schreibt er in seinem Schlusswort, „ich glaube nicht daran, dass sich die Zeit zurückdrehen lässt. Das alte Westdeutschland, in dem ein Koch wie mein Vater als Alleinernährer ein Einfamilienhaus bauen konnte und Oberinspektor Derrick auf Gangsterjagd ging, ist ein für alle Mal verloren. Auf zukünftige Generationen wartet ein anderes Deutschland. Dieses Land wird unfreier, ärmer, dekadenter, bildungsschwächer und weitaus gefährlicher sein.“ Hoffen wir doch alle, dass sich diese Prognose nicht bewahrheitet.


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