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Titel: Corona: „Die gesamten Lebensverhältnisse müssen auf den Prüfstand“

Datum: 16. Juni 2021 um 10:00 Uhr
Rubrik: Gesundheitspolitik, Interviews, Strategien der Meinungsmache
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Mit der Corona-Politik hat sich Rainer Roth, emeritierter Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Armut und Arbeitslosigkeit, intensiv beschäftigt. So hat er etwa zu Lockdowns und anderen Aspekten zwei kritische Broschüren veröffentlicht. Im Gespräch mit den NachDenkSeiten erklärt er seine Inhalte und Motivationen. Mit Rainer Roth sprach Helge Buttkereit.

Über den Gesprächspartner:

Rainer Roth (*1944) war bis zu seiner Emeritierung Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt Armut und Arbeitslosigkeit am Fachbereich Sozialarbeit der Fachhochschule Frankfurt a. M. Bekannt geworden ist er unter anderem mit dem Leitfaden für Sozialhilfe, den er bis 2008 herausgab (1. Auflage 1976, ab 2005: Leitfaden Alg II/Sozialhilfe von A bis Z). Er ist Vorsitzender des Vereins Klartext e.V., der sich gegen Sozialabbau und Billiglöhne einsetzt. Der Verein ist auch Herausgeber von zwei Broschüren, die aus linker Perspektive von unten die aktuelle Politik kritisieren. Links zu den Broschüren von Rainer Roth:


Herr Prof. Roth, Sie engagieren sich seit Jahrzehnten gegen Sozialabbau, Hartz IV und für Lohnabhängige. In diesem und im vergangenen Jahr haben Sie mit zwei ehemaligen Gewerkschaftsaktivisten, mit Reinhard Frankl und Tobias Weißert, zwei Broschüren mit vielen detailliert belegten Argumenten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie veröffentlicht. Was waren Ihre Beweggründe? Wie ist es überhaupt dazu gekommen, dass Sie sich dieses Themas so intensiv angenommen haben?

Es war eine Art Selbstverteidigung. Seit Beginn der Pandemie werden wir täglich mit übertriebenen Meldungen überschüttet, die unbegründete Angst erzeugen. Die Bundesregierung hat mit ihrem Innenministerium, dem RKI und anderen im März 2020 aber genau das als notwendige Schockstrategie verordnet. Das hat mich als Wissenschaftler geärgert. Wenn Panik verbreitet wird, ist etwas faul. Wenn Kritiker des Lockdowns zudem noch pausenlos verleumdet werden und Regeln zu gehorchen haben, die keinen Sinn machen, dient das eher dem Einüben von Gehorsam als dem Schutz der Gesundheit. Warum das alles? Leider habe ich eine Neigung, Dingen auf den Grund zu gehen, ohne dabei allzu große Rücksichten zu nehmen. Dadurch, dass wir den Lockdown auf den Prüfstand stellten, ging es mir jedenfalls besser. Die produktive Zusammenarbeit mit den Kollegen Frankl und Weißert erleichterte vieles. Da Tennisspielen, Schwimmen, private und familiäre Treffen, Versammlungen sowie Urlaube angeblich zum Schutz meiner Gesundheit und der von anderen weitgehend verboten waren, hatte ich auch mehr Zeit.

Welche Reaktionen haben Sie auf Ihre Broschüren bekommen, nachdem Sie sie veröffentlicht haben? In “Lockdown – Nicht nochmal!” (erste Auflage erschienen im August 2020) haben Sie positive, erleichterte Reaktionen von Linken und Gewerkschaftern abgedruckt. Gab es auch negative Reaktionen aus diesem Umfeld?

Trotz unserer bescheidenen Möglichkeiten kamen innerhalb von drei bis vier Monaten rund 2.000 Exemplare der ersten Streitschrift in Umlauf. Das zeigt, dass wir ein Bedürfnis nach größerer Klarheit befriedigen konnten. Ablehnung blieb natürlich nicht aus. Quatsch, Mist usw. waren Reaktionen, aber auch Vorwürfe wie Neoliberalismus und Zusammenarbeit mit Faschisten, weil wir zu Querdenken-Demos gingen. Das taten wir, um unsere Broschüren zu verbreiten. Wir haben auf die Verleumdungen geantwortet, meist erfolglos. „Die Schockstrategie geht weiter“ erschien im März 2021. Etwa 850 Exemplare sind in Umlauf. Positive Zuschriften gehen weiterhin bei uns ein, aber auch energische Verurteilungen als Corona-Leugner und Sozialdarwinisten.

Sie haben in „Die Schockstrategie geht weiter“, der Broschüre, die im Frühjahr dieses Jahres erschienen ist, die Begründungen zur Rechtfertigung der Lockdown-Politik auf breiter Front angegriffen. Gibt es einzelne Punkte, die für Sie besonders herausstechen, oder ist es eher das Gesamtbild, das Sie umtreibt?

Die große Mehrheit der Toten „an oder mit Corona“ starb 2020 in Pflegeheimen. Die Bundesregierung „bekämpfte“ den Tod in Pflegeheimen erfolglos mit teilweise wahllosen allgemeinen Kontaktverboten, deren Bedeutung für gefährliche Ansteckungen nicht nachweisbar war.

Wenn Quarantäne verhängt oder Kontakte verfolgt werden, spielt die Infektiosität der Testpositiven kaum eine Rolle, obwohl jeder PCR-Test (mit Hilfe des sogenannten Ct-Werts) deutliche Anhaltspunkte liefert, ob jemand überhaupt andere Personen anstecken kann. Nach Olfert Landt, dem Inhaber der PCR-Test-Firma TIB Molbiol, könnte bei der Hälfte der Testpositiven eine Ansteckungsgefahr angenommen worden sein, die gar nicht vorhanden war. Dass das kein Thema ist, obwohl selbst Drosten hier den Finger in die Wunde gelegt hat, finde ich bedrückend.

Als Selbstbeweihräucherung empfinde ich die Aussage von Regierung und RKI, dass R-Werte unter 1 grundsätzlich auf Lockdown-Maßnahmen zurückzuführen seien. Es wird weitgehend bestritten, dass Coronaviren einen saisonalen Verlauf haben. Außerdem berücksichtigen weder die R-Werte noch die Inzidenzwerte die reale Infektiosität. Das übertreibt die Ansteckungsgefahren.

Unzumutbar finde ich die Gleichsetzung von Testpositiven mit Kranken und die mangelnde Untersuchung der Todesursachen. Unglaublich ist die Geringschätzung der natürlichen Immunabwehr. Die Immunabwehr soll vorrangig über Impfstoffe industriell erzeugt werden, wohl weil sie Milliarden-Geschäfte verspricht. An einer großen repräsentativen Stichprobe, um die tatsächliche Verbreitung des Virus und die Entwicklung der Herdenimmunität zu ermitteln, besteht bis heute kein wirkliches Interesse.

Die Gewerkschaften in Deutschland stehen, soweit ich das sehen kann, in breiter Front an der Seite des Staates und verteidigen die Maßnahmen der Regierung. Oft sind sie Ihnen auch nicht scharf genug. Können Sie die Beweggründe für diese Haltung erklären?

Die DGB-Gewerkschaften handeln in der Tat als verlängerter Arm der Regierung. Der Hauptvorstand meiner Gewerkschaft beispielsweise, der GEW, hat den Aufruf „Freiheit geht nur solidarisch #unteilbar statt vereinzelt“ unterschrieben. Im Aufruf werden alle beschuldigt, deren Kritik den Unterzeichnenden zu weit geht, dass sie gesundheitliche Gefahren von Corona unsolidarisch leugnen, antisemitisch konnotierte Verschwörungstheorien verbreiten sowie mit Faschisten zusammenarbeiten. Auch der Hauptvorstand von ver.di hat das unterschrieben.

Meines Erachtens war es zu keinem Zeitpunkt notwendig, Schulen und Kindergärten zu schließen. Schweden zeigt, dass das geht. Probleme gab es dort wie in Deutschland vor allem in Alten- und Pflegeheimen, nicht in Schulen und Kindergärten. Hier verlaufen Infektionen meist harmlos, schwere Erkrankungen sind selten. Todesfälle von Kindern und Jugendlichen unter 20 Jahren an oder mit SARS-CoV-2 gibt es seit März 2020 nur wenige (insgesamt 20). Das Gleiche gilt auch für die Beschäftigten in Schulen und Kindergärten. Die Ausrottung von Infektionen sollte kein Selbstzweck sein. Wenn ich das sage, sehe ich mich vom Hauptvorstand der GEW wie oben beschrieben als „Pandemieleugner“ eingeordnet, und das noch im Namen einer „solidarischen Gesellschaft“.

Die Führung der DGB-Gewerkschaften wird überwiegend von SPD- und CDU-Mitgliedern gestellt. Sie sind gut bezahlte Funktionäre und Funktionärinnen, die von der Sozialpartnerschaft ebenso profitieren wie zahlreiche Betriebsräte. Eine Oberschicht von Lohnabhängigen hat das Sagen. Opposition regt sich kaum, nicht zuletzt deshalb, weil ein bedeutender Teil der Lohnabhängigen mehr oder weniger abgesichert ist. Einige Millionen Lohnabhängige bekamen Kurzarbeitergeld, das teilweise auf bis zu 100 Prozent aufgestockt wurde. Beamte und Beamtinnen hatten keinerlei Lohneinbußen. Arbeitslose beziehen eine Zeitlang Arbeitslosengeld I oder unter coronabedingt erleichterten Bedingungen Hartz IV.

Ich habe es bereits erwähnt: Sie engagieren sich seit vielen Jahren für Lohnabhängige, egal ob beschäftigt, arbeitslos oder arm. Warum leiden diese Menschen besonders unter den Maßnahmen und was kritisieren Sie aus der Perspektive “von unten” besonders?

Zunächst ist festzustellen: die Lebensverhältnisse derjenigen, die im Zusammenhang mit Corona sterben bzw. schwer erkranken, wurden bis vor kurzem nahezu völlig ausgeklammert. Als Hauptrisiko galt und gilt das Alter. Deshalb die unter Regie des Innenministeriums und des RKI erfolgte schreckliche Warnung an Kinder, sich von ihren Opas und Omas fernzuhalten, um deren Leben nicht zu gefährden.

Es gibt bis heute keine Untersuchung, welche Personen aus welchen Schichten, mit welchen Berufen, welchem Einkommen, welchen Vorerkrankungen und aus welchen Wohnvierteln an oder mit Corona gestorben sind. Das trifft besonders auf die Toten in Pflegeheimen und Intensivstationen der Krankenhäuser zu, die drei Viertel der sogenannten Corona-Toten ausmachen. Indem das im Dunkel blieb, konnte der falsche Eindruck vermittelt werden, es könne jeden von uns in gleichem Maße treffen.

Wenn es keine Untersuchungen gibt, wie Sie sagen: Woher kommt Ihre Erkenntnis, dass die Corona-Erkrankung in Deutschland vor allem die unteren Schichten trifft?

Das Virus stand als Ursache von Todesfällen und Erkrankungen im Mittelpunkt und nicht die sozialen Verhältnisse der unteren Schichten von Lohnabhängigen, von prekär beschäftigten Selbstständigen und die der Armutsbevölkerung. Dabei begünstigen diese Verhältnisse bestimmte Erkrankungen, einen allgemein schlechten Gesundheitszustand und vorzeitigen Tod. Adipositas (Fettsucht) z.B. haben in den unteren Schichten Deutschlands ein Viertel der Männer und über ein Drittel der Frauen, in den oberen nur 15 Prozent der Männer und 10 Prozent der Frauen. Adipositas begünstigt Diabetes, Herz- und Kreislauferkrankungen und bestimmte Krebsarten und schwächt das Immunsystem. Auch nach Meinung des RKI sind Herzinfarkte, Schlaganfälle, Diabetes und schwere Lungenerkrankungen deutlich häufiger in unteren Schichten vertreten. Sie alle zählen zu den klassischen Vorerkrankungen bei „Corona-Toten“. Dass hier notwendige Maßnahmen, wenn überhaupt, nur zögerlich ergriffen werden, hat auch den Tod in Zusammenhang mit SARS-CoV-2 begünstigt. Lockdowns und Viren wirken beide als Brandbeschleuniger. Das Virus ist nicht der Brand selbst. Letztlich sind die Verhältnisse, die den Brand erzeugen, am gefährlichsten. Es sind kapitalistische Verhältnisse, in denen Einsparungen an Löhnen und über Löhne finanzierten Sozialversicherungen auf der anderen Seite Gewinne und Renditen steigern.

Lockdowns haben im Großen und Ganzen das Immunsystem vor allem der ärmeren Schichten geschwächt. Sie leiden unter Existenzunsicherheit und Depressionen, müssen sich zwangsweise in beengten Wohnungen aufhalten, können sich nur eingeschränkt bewegen oder erholen. Auch die Schließungen von Schulen und Kindergärten forderten vor allem hier ihren Preis. Die Krokodilstränen, die derzeit medienwirksam über psychische Schäden an Kindern und Jugendlichen von denen vergossen werden, die die Lockdowns zu verantworten haben oder noch repressivere forderten, halte ich für heuchlerisch. Auch wenn die Feststellungen richtig sind.

In Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens, in denen die übergroße Mehrheit der Erwerbstätigen ohne Arbeitsvertrag als Tagelöhner von der Hand in den Mund lebt, sind die Zusammenhänge deutlicher sichtbar. Ausgangssperren und Berufsverbote im Rahmen von Lockdowns führten vor allem in Elendsvierteln zu Hunger und Hungertod, zu noch stärkerer materieller Verarmung und schweren Erkrankungen und Todesfällen. Diese Lockdowns werden von Deutschland begrüßt.

Welche Alternativen zur Politik der Regierung gibt es in Ihren Augen insbesondere mit Blick auf die Interessen der Lohnabhängigen?

Wie gesagt, halten wir die Stilllegung des gesamten gesellschaftlichen und privaten Lebens durch Lockdowns für unverhältnismäßig. Lockdowns sind, wie das Beispiel des sozialdemokratisch regierten Schweden zeigt, nicht alternativlos. Wie bei jeder Krankheit, die zu schweren Verläufen und Todesfällen führt, müssen vor allem für die Betroffenen gezielte Maßnahmen ergriffen werden. Es ist vor allem wichtig, die zahlreichen vermeidbaren Todesfälle zu reduzieren, die durch Luftverschmutzung, Herz- und Kreislauferkrankungen, Krebs, Rauchen, Adipositas und Diabetes, Krankenhauskeime usw. verursacht werden. Die gesamten Lebensverhältnisse müssen auf den Prüfstand, die vor allem die unteren Schichten der Lohnabhängigen schwer beeinträchtigen. Stattdessen wird nur auf die durch „Corona“ gewachsene soziale Ungleichheit hingewiesen. Das stimmt. Aber in einer Gesellschaft, in der die Bereicherung von Privateigentümern an Kapital im Mittelpunkt steht, ist eine Verringerung der sozialen Ungleichheit kaum zu erwarten. Wohlstand für Alle ist das Versprechen, Bereicherung Weniger die Realität.

Viele Linke argumentieren wie die Gewerkschaften für den “Schutz des Lebens” und damit für die Maßnahmen der Regierung bzw. für ein noch schärferes Vorgehen wie die Vertreter von ZeroCovid. Wie stehen Sie zu diesen Strömungen in der Linken?

Wie die Vernachlässigung der Lage in den Pflegeheimen gezeigt hat, stieß der Schutz des Lebens dort bei den Regierungen bis Ende 2020 nur auf geringes Interesse. Auch die unverhältnismäßig häufige künstliche invasive Beatmung führt zwar in der Hälfte der Fälle zum Tod, verspricht jedoch erheblich höhere Einnahmen für die Krankenhäuser. Das wurde zwar früh schon kritisiert, die Kritik jedoch in den Wind geschlagen. Wie wir an zahlreichen Beispielen aufgezeigt haben, steht der Schutz des Lebens und der Gesundheit weder im Mittelpunkt des Gesundheitswesens, der Pharmaindustrie noch der Wirtschaft allgemein, obwohl es sich doch um ein Grundrecht handelt. Wenn der Schutz des Lebens als Hauptziel der Maßnahmen der Regierenden anerkannt wird, kann Kritik im Wesentlichen nur eine Richtung haben. Die Maßnahmen müssen verschärft werden, in Schulen, in Geschäften, im öffentlichen Leben und vor allem in Betrieben. Mehr Tests, mehr Kontaktverbote, mehr Onlinekommunikation und -geschäfte usw. Dann landet die Linke bei ZeroCovid als Ziel – und das „solidarisch“ und europaweit. Ob dieses ständig mutierende Virus das überhaupt zulässt – egal. Weit über 100.000 fortschrittliche Menschen haben sich seit dem 12. Januar 2021 einem Aufruf für ZeroCovid angeschlossen. Der u.a. saison- und naturbedingte erhebliche Rückgang der Verbreitung des Virus kam den ZeroCovid-Linken jedoch zuvor und beerdigt momentan die Fantasie des Mega-Lockdowns „von unten“.

Abseits von den großen Digitalkonzernen wie Google, Apple, Microsoft oder Facebook, die zweifellos profitieren: Wem nützt die derzeitige Politik?

Diese äußerst wichtige Frage wird oft als der Weg zu Verschwörungserzählungen diffamiert, als ob es unter Verhältnissen, in denen die Kapitalverwertung im Mittelpunkt steht, keinerlei ökonomische Sonderinteressen geben würde. Die „Corona-Krise“ überlagert die Wirtschaftskrise, die 2019 begann. Von der Einübung kontaktloser Kommunikation profitieren die US-Konzerne, die die entsprechende Technik zur Verfügung stellen. Doch die Beschleunigung der digitalen Revolution wird von allen Arbeitgeberverbänden, selbst vom Einzelhandel, als Ausweg aus der Krise propagiert. Sie ist ein willkommenes Mittel der Senkung von Lohn- und Sachkosten. Das personal- und sachkostenintensive Bildungswesen kann digital massiv entrümpelt werden, ebenso das Gesundheitswesen. Auch die Verwaltungen in Staat und Wirtschaft können verschlankt werden. Die 750 Milliarden, die die EU ausschüttet, fließen vor allem in die Subventionierung von Prozessen, die Arbeitszeit sparen. Das Weltwirtschaftsforum jedenfalls rechnet langfristig damit, dass die Arbeitslosigkeit zunimmt und sich der Lebensstandard für breite Teile der Bevölkerung verschlechtert. Die Wirtschafts- und „Corona-Krise“ wird mit dem Ruin erheblicher Teile des Mittelstandes und der wachsenden Konzentration des Kapitals auf der Basis massiver Zunahme von Staatsschulden „gelöst“. Lockdowns erleichtern die staatlich subventionierte Krisenlösung im Interesse des Kapitals. Unter dem Deckmantel von „Corona“ konnten vom herrschenden Liberalismus sonst verpönte Hilfen in nie dagewesenem Ausmaß von Seiten der EU wie der Mitgliedsstaaten durchgewunken werden. Keynesianer und andere Apologeten von Staatsverschuldung nahmen sie freudig entgegen.

Die fortgesetzte, staatlich subventionierte und abgesicherte Impfung der Bevölkerung ist eine gigantische Geschäftsperspektive für die Pharmaindustrie. Die Schaffung von Herdenimmunität wird zur Ware. Dabei wäre es vor allem notwendig, die natürliche Immunabwehr durch gesündere Lebensverhältnisse zu fördern. Versammlungsverbote und Überwachung möglichst aller Kontakte werden unter der Flagge des Gesundheitsschutzes eher akzeptiert als mit einer politischen Begründung, Proteste verhindern zu wollen.

Wer sich als Linker derzeit gegen die Maßnahmen der Regierung ausspricht, wird schnell in die “rechte Ecke” gestellt. Was ist Ihre Strategie, mit diesem Vorwurf umzugehen?

Die Verleumdung hat den Zweck, regierungskonformen Ansichten ein Meinungsmonopol zu verschaffen. Wenn aber jemand „rechtsoffen“ sein soll, wenn er sich nicht aus Aktivitäten entfernt, an denen AfDler teilnehmen, dann wären alle Regierungsparteien rechtsoffen. Denn sie entfernen sich z.B. nicht aus Parlamenten, in denen die AfD Platz genommen hat. Die Linkspartei müsste als rechtsoffen gelten, weil sie zusammen mit AfD und FDP gegen das 4. Infektionsschutzgesetz und auch gegen seine Verlängerung bis zum 30. September 2021 gestimmt hat. Die CDU, aus der viele bekannte AfD-Mitglieder stammen, war viele Jahrzehnte nach 1945 noch offen für Berater und Mitglieder aus der NSDAP. Sie ist heute allein deswegen rechtsoffen, weil es in ihr starke Sympathien für Regierungsbündnisse mit der AfD in ostdeutschen Bundesländern gibt. Schließlich: Wären dann nicht auch Gewerkschaften rechtsoffen, wenn sie die Anwesenheit von AfD-Mitgliedern bei ihren Aktivitäten zulassen? Man muss sich mit einer Partei, die von Millionen Menschen gewählt wird, darunter von einem Viertel bis einem Drittel der Arbeiter, offensiv auseinandersetzen und sollte nicht die Flucht ergreifen. Genau daran mangelt es. Mit der weit verbreiteten Befürwortung von Lockdowns räumten gerade Linke der AfD das Feld. Diese konnte so als bedeutendste Partei der Kritik an völlig unverhältnismäßigen Einschränkungen der Grundrechte erscheinen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie derzeit aus linker Perspektive, sich für die Lohnabhängigen und gegen die staatlichen Maßnahmen zu engagieren? Gibt es in Ihren Augen Organisationen, die gestärkt werden sollten, oder ist jetzt zunächst die Zeit der Aufklärung?

Die Lockdown-Maßnahmen haben zu einer massiven Vereinzelung beigetragen. Persönliche Kontakte und Versammlungen sollten möglichst nur noch unpersönlich und online im virtuellen Raum stattfinden. Der regierungsseitige, mediale und private Druck auf Lockdown-Gegner ist immens. Von daher waren wir schon zufrieden, dass wir, obwohl sich privat zu treffen illegal war, unsere beiden Broschüren gemeinsam erarbeiten konnten. Wir haben Kontakt zu anderen bekommen, die ebenso vereinzelt bzw. nur schwach vernetzt sind wie wir, haben aber keine Ressourcen, zu einer größeren Versammlung mit Gleichgesinnten aufzurufen. Parteien bzw. überhaupt Organisationen, die unseren Standpunkt teilen, sehen wir zurzeit nicht. Bestrebungen, die nicht vergessen haben, dass kapitalistische Gesellschaften keine solidarischen Gesellschaften sein können, sind dünn gesät. Also bemühen wir uns vorrangig um eine sachlich fundierte Analyse der tatsächlichen Verhältnisse.

Titelbild: Halfpoint / Shutterstock


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