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Titel: Koalitionen und die Kriegsfrage: Bekenntnisse zum (Selbst-)Mord

Datum: 15. September 2021 um 9:13 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, DIE LINKE
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Die Meinungsmache gegen die LINKE und ihre wichtigen friedenspolitischen Positionen geht weiter. Doch sie kommt nicht nur in Form einer neuen „Rote-Socken-Kampagne“ von der CDU, sondern (unter anderem als Reaktion darauf) auch von SPD und Grünen. Tobias Pflüger von der LINKEN hat nun auf die Forderungen zum „NATO-Bekenntnis“ durch Olaf Scholz oder Annalena Baerbock geantwortet. Von Bernhard Trautvetter.

Die Friedensbewegung hat nicht mehr den Einfluss, der für die Abwendung von Zukunftsgefahren nötig ist. Deshalb können die Bündnisgrünen und die SPD ohne nennenswerten öffentlichen Protest verlangen, dass die LINKE ein ‚Bekenntnis‘ zur Nato abgeben muss, wenn sie in die Regierung mit aufgenommen werden soll.

Olaf Scholz’ Aussage zur Koalitionsfrage kommt einer unumstößlichen Festlegung gleich:

“Es ist klar und sicher, dass die Sicherheit, die wir brauchen, nur gelingen kann im Verbund der Nato. Deshalb muss jeder, der in Deutschland Regierungsverantwortung anstrebt, für sich klar haben, dass es eine starke und engagierte Zusammenarbeit in der Nato gibt” [1].

Die bündnisgrüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock spitzt diese Position noch ultimativ zu. Unter Verweis auf die ihrerseits erforderliche „Verlässlichkeit in der Außenpolitik“ fordert sie ein Bekenntnis zur Nato [2]; Zitat:

“Wenn man außenpolitische Handlungsfähigkeit einer Regierung nicht sicherstellen kann, gibt es keine Regierungsgrundlage” [3].

Die TAZ hat die Forderung nach einem solchen ‚Nato-Bekenntnis‘ – die Olaf Scholz noch mit der Forderung gesteigert hat, sie müsse “von Herzen” kommen – durch die Parallelisierung mit dem christlichen Glaubensbekenntnis satirisch verarbeitet; Zitat:

“Ich glaube an den Nordatlantikpakt, gelitten unter dem Fall der Sowjetunion, … hinabgestiegen in das Reich der Abrüstung, nach 9/11 auferstanden von den Toten” [4].

Doch ist das Thema viel zu ernst, um es nur satirisch zu verarbeiten. Tobias Pflüger, verteidigungspolitischer Sprecher der LINKEN, kommentierte die Bekenntnis-Forderung am Dienstag im Deutschlandfunk:

“Es ist so, dass Olaf Scholz von der Linken ja Bekenntnisse fordert. Und wenn er Bekenntnisse haben will, soll er in die Kirche gehen” (siehe 1).

Die Nato steht von Anfang an für eine gefährliche und manipulative Politik, die in den letzten Jahrzehnten zu gefährlichen Spannungen, Völkerrechtsverletzungen und Kriegen geführt hat und die einen großen Beitrag zu den ökologischen Zukunftsgefährdungen verantwortet.

Schon die Nato-Gründung fußte auf einer Des-Information, die dem kritischen Zeitgenossen unmittelbar ins Auge springen konnte: Die beteiligten Militärs und Politiker aus den USA und westeuropäischen Staaten erklärten die Sowjetunion zur Gefahr, die durch die Nato-Gründung daran gehindert werden müsse, ihren Machtbereich etwa durch einen Angriff auf Finnland, die Türkei oder Griechenland auszudehnen [5].

Was dieses Gründungs-Narrativ vergessen machte, das war die Tatsache, dass der Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands nach dem Prinzip ‚verbrannte Erde‘ zum einen den europäischen Teil der Sowjetunion massiv zerstört zurückgelassen hatte. Und zum anderen hatte die Sowjetunion den größten Blutzoll aller Staaten an der Befreiung Europas vom Faschismus zu tragen: mit ungefähr 27 Millionen Opfern war circa die Hälfte aller Toten des Zweiten Weltkrieges sowjetisch. Es ist offensichtlich, dass wenige Jahre nach 1945 mit allem zu rechnen war, nicht aber mit einem Angriff der Roten Armee auf einen Staat des 1949 abgesteckten Nato-Gebietes.

In der Folge der antikommunistisch aufgeheizten Gründungspropaganda der Nato-Kräfte wurde die westliche Rüstung immer mit der Abschreckungs-Doktrin gegen die Gefahr aus dem Osten begründet, obwohl die Zahlen das nie hergaben [6]. Aktuell besteht das Missverhältnis der Rüstungsausgaben zwischen Russland und Nato im Verhältnis von circa 1 zu 15 [7]. Der Anteil der Nato an den Weltrüstungsausgaben ist seit Jahrzehnten ungefähr 50 % [8].

Das von der Nato ausgegebene Ziel, zwei Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung für den Militärsektor aufzuwenden, baut auf der Desinformation auf, dass die Rüstung der auserkorenen Gegner, vor allem Russlands, dies erzwinge. Aktuell ergibt sich aus den Zahlen, dass die Nato-Staaten pro Stunde offiziell mehr als 114 Millionen US-Dollar für Militärisches verbrennen. Die Menschheit im 21. Jahrhundert kann sich diese Verschwendung und Vernichtung schon angesichts der ökologischen Katastrophe nicht leisten.

Hinzu kommt die Tatsache, dass die Nato den nuklearen Erstschlag als Option im Konfliktfall mit einplant [9]. Schon ein begrenzter Atomkrieg würde durch den immensen Anfall an Flugasche in der Atmosphäre einen von Wissenschaftlern so genannten ‚Nuklearen Winter‘ nach sich ziehen, der der gesamten Menschheit die Existenzgrundlage entzieht [10].

Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Atomstreitmacht, Lee Butler, warnt vor den Risiken der atomaren Rüstung und dem Wahnsinn des sogenannten ‘atomaren Gleichgewichts’:

Nukleare Abschreckung ist ein Hasardspiel, das irgendwann verlorengeht.“ [11]

Die USA und die Nato steigern aktuell die Gefahr eines finalen Krieges, indem sie unter anderem in Belgien, Italien und in Westdeutschland ältere nukleare Fallbomben durch das weiterentwickelte Angriffs-System B 61-12 ersetzen, das Nato-Experten als gebrauchsfähiger (‚more usable‘) einstufen [12].

Alleine der für diese Planung erfolgte Ausbau des Fliegerhorstes Büchel in der Eifel bei Koblenz hat den Steuerzahler offiziell über eine Viertelmilliarde Euro gekostet, hinzu kommen 30 US-Atombomber mit einem Kaufpreis von knapp 70 Millionen jeweils, die alleine für den Atomkrieg angeschafft werden [13].

Im Zusammenhang mit der Atomrüstung hatten große Teile der Friedensbewegung der 1980er Jahre eine klare Einschätzung der Nato, wie sich am Zitat der damaligen Fraktionssprecherin der Grünen im Bundestag nachzeichnen lässt:

Petra Kelly … kritisiert Brandt …: Wenn er einerseits ‚nein‘ zu neuen Waffen sage, andererseits aber ‚ja‘ zur NATO, dann sei das absurd.“ [14]

In der Anfangszeit der Grünen war der Zusammenhang zwischen Ökologie und Frieden Allgemeingut. Die ökologisch schädlichen Auswirkungen des Militärbetriebes ohne direkten Kriegseinsatz sind alleine durch die Verbrennungsabgase intolerabel [15]. Die aktuellen Atombomber der Luftwaffe vom Typ Tornado emittieren pro Flugstunde 12 000 kg CO2 – das entspricht dem CO2-Fußabdruck eines Bundesbürgers pro Jahr [16].

Die USA haben durchgesetzt, dass die Klimabilanz der Militärs bei den Klimaverhandlungen unberücksichtigt bleiben.

Ohnehin ist der Umgang der Nato mit der UNO brandgefährlich, da die transatlantische Allianz dasjenige Staatenbündnis ist, von dessen Gebiet aus – nicht erst seit dem Ende des Kalten Krieges – die meisten und die massivsten Völkerrechtsverletzungen ausgingen, sei es beispielsweise der Balkankrieg, der Krieg im Irak, in Libyen, in Syrien oder sei es die Vermengung des Antiterrorkrieges ‚Operation Enduring Freedom‘ mit dem ISAF-Mandat in Afghanistan [17].

In Zeiten sich gegenseitig verschärfender ökologischer und militärischer Zukunftsgefährdungen, die durch den tendenziellen Zerfall der internationalen Ordnung [18] weiter verschärft werden, ist es ein Überlebenserfordernis für die Menschheit im globalen Rahmen, dass sie auf einer Rechtsordnung basierend handelt, die für alle gilt. Das Unrecht des Stärkeren ist ein weiteres Himmelfahrtskommando, mit dem die Militärs und die weltgrößte Militärmacht Nato die Gefahr steigern, dass die Menschheit vom Planeten Erde verschwindet. Deshalb haben die kritischen Nuklearwissenschaftler ihre Uhr zur Warnung vor dem von Menschen herbeigeführten Untergang der Zivilisation auf 100 Sekunden vor der Stunde Null vorgestellt [19].

Die Friedensbewegung und sie unterstützende Kräfte wären verrückt, wenn sie ein Glaubensbekenntnis für die Nato – also für die Gefahr ihres vorzeitigen Todes – abgeben würden.

Als erste Schritte auf der parlamentarischen Ebene zu Beginn der 20. Legislaturperiode gibt Tobias Pflüger konkrete Punkte an, die aktuell im Vordergrund einer friedensökologischen Politik stehen müssen – Zitat: “Es ist notwendig, dass es einen Politikwechsel auch in diesen Punkten gibt”: Keine Manöver, die wie ‘Defender 2020’ Spannungen eskalieren, das Nato-Ziel von zwei Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung für den Militärsektor auszugeben, führt zu Ausgaben in den falschen Bereichen und z.B nicht in der Gesundheit, der Bildung und der Ökologie, ein Ende der nuklearen Teilhabe unseres Landes an der Nato-Atomstrategie, stattdessen Unterschrift unter den Atomwaffenverbotsvertrag der UNO, Verzicht auf das 100-Milliarden-EU-Projekt eines Future Combat Air Systems, das unter Einbezug von Drohnenschwärmen und künstlicher Intelligenz den großen Krieg im Europa des 21. Jahrhunderts wahrscheinlicher macht. Waffen sind für ihren Einsatz gemacht, nicht um Geld für ihre Anschaffung und Bereithaltung zu verbrennen. Abschreckung ist ein Risiko, das irgendwann heiß wird. Zudem kann sich die Zivilisation diese Ressourcenvergeudung und Biosphären-Schädigung im 21. Jahrhundert nicht leisten.

Titelbild: Zsolt Biczo / Shutterstock


[«1] Süddeutsche Zeitung, 6.9.2021 S.1 UND: www.deutschlandfunk.de/interview.693.de.html (Schlussteil d. Interviews)

[«2] www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/bekenntnis-zur-nato-baerbock-geht-auf-distanz-zur-linkspartei,ShSL937

[«3] sueddeutsche.de/politik/baerbock-linke-interview-bundestagswahl-1.5409395

[«4] TAZ, 4.9.2021

[«5] www1.wdr.de/stichtag/stichtag-nato-gruendung-100.html

[«6] www.planet-schule.de/wissenspool/planspiel-atomkrieg/inhalt/hintergrund/zeitstrahl-kalter-krieg.html UND: fis.uni-bamberg.de/bitstream/uniba/44474/1/RuestungOCR_A3a.pdf

[«7] bund-rvso.de/auf-ruestung-deutschland-nato-russland-ausgaben.html

[«8] sipri.org/research/armament-and-disarmament/arms-and-military-expenditure/military-expenditure

[«9] ag-friedensforschung.de/themen/Atomwaffen/generale2.html UND: www.tagesspiegel.de/politik/experten-nato-braucht-plan-fuer-erstschlag/1147240.html

[«10] www.friedenskooperative.de/antikriegstag2021/reden/karl-hans-bl%C3%A4sius-trier

[«11] www.spiegel.de/wissenschaft/wir-handelten-wie-betrunkene-a-ffcb88de-0002-0001-0000-000007956935

[«12] fas.org/blogs/security/2015/11/b61-12_cartwright/

[«13] Interview mit Marion Küpker (DFG-VK und Versöhnungsbund) ZU 27.08.2021

[«14] www1.wdr.de/stichtag/stichtag7844.html

[«15] das-blaettchen.de/2020/08/klimakiller-militaer-53928.html UND: imi-online.de/2020/07/21/krieg-und-klima/ UND: www.heise.de/tp/features/Das-US-Militaer-einer-der-groessten-Klimasuender-in-der-Welt-4455925.html

[«16] Greenpeace Magazin 5/2021 S. 87

[«17] www.freitag.de/autoren/jakob-reimann-justicenow/die-illegalen-kriege-der-nato

[«18] www.german-foreign-policy.com/news/detail/6550/

[«19] weltuntergangsuhr.com/


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