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Titel: Myanmar, Daw Aung Suu Kyi und die Revolution – Teil 3/3: Die Regierungsjahre und der Putsch

Datum: 31. Dezember 2021 um 9:00 Uhr
Rubrik: Erosion der Demokratie, Länderberichte, Militäreinsätze/Kriege
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Im November 2015 fanden Parlamentswahlen statt, an denen sich auch die NLD beteiligte. Die NLD konnte einen erdrutschartigen Sieg verbuchen und stellte ab Februar 2016 mit Htin Kyaw den Staatspräsidenten, einen Posten, den Suu Kyi laut Verfassung nicht bekleiden konnte. Suu Kyi wurde Außenministerin und Staatsrätin und die De-facto-Regierungschefin in einer Regierung, in der laut Verfassung das Militär 25 Prozent der Sitze im Parlament und die drei Ministerien für Inneres, Verteidigung und Grenzangelegenheiten innehat. Von Marco Wenzel.

Lesen Sie dazu auch Teil 1: Die frühen Jahre und Teil 2: Unter Hausarrest

Viele meinten, nun sei Myanmar endgültig auf dem Weg zur Demokratie. Aber der Teufel steckt wie immer im Detail, in diesem Fall genauer: in der Verfassung, die vom Militär im Vorfeld so zugeschnitten worden war, dass das Militär die Kontrolle über das Land behalten würde, egal wie zukünftige Wahlen ausgehen würden. Eine wirkliche Demokratie wäre das Ende der Tatmadaw und ihrer Privilegien, vor allem aber ihrer militäreigenen Firmen, die noch nicht einmal ihre Bilanzen offenlegen und Steuern zahlen müssen. Zudem beruhen viele der Einkünfte des Militärs auf einer zweifelhaften Geschäftsgrundlage und auf illegalen Geschäften wie Drogenhandel, illegalem Holz- und Edelsteinabbau und -handel oder ganz einfach auf Korruption durch die Vergabe von Konzessionen an ausländische, meist chinesische, Firmen oder an die Familienmitglieder ihrer Kumpane. Über das Militärbudget hat die Regierung kein Mitspracherecht und dort ist Korruption durch überteuerte Einkäufe an Rüstungsgütern an der Tagesordnung. Zwischen 1988 und 2015 hatte sich das Militärbudget mehr als verzehnfacht. Rechnet man noch die Polizei hinzu, die dem Militär nahesteht, so werden etwa 40 Prozent der Staatseinnahmen Myanmars für das Militär verwendet.

Rohingya-Konflikt

Der Konflikt zwischen muslimischen Rohingya und buddhistischen Arakanesen im westlichen Rakhaing-Staat (früher Arakan) dauert seit der Unabhängigkeit Burmas (1947) an. Die Rohingya werden nicht als Staatsbürger Myanmars anerkannt, obwohl sie dort bereits seit Generationen leben. Ihnen werden viele Beschränkungen auferlegt und sie leben in einer Art von Apartheitssystem in Myanmar.

Seit 2012 haben sich die Konflikte durch Hitzköpfe auf beiden Seiten verschärft. Nationalistische buddhistische Mönche riefen zur Vertreibung der Rohingyas auf, bei Ausschreitungen zwischen den beiden Volksgruppen im Jahr 2012 starben 160 Menschen. Buddhisten steckten Häuser von Rohingyas in Brand und diese wiederum zündeten buddhistische Tempel an. 2015 kam es zu einer Flüchtlingskrise, zehntausende flohen nach Bangladesch oder über das Meer nach Thailand, Malaysia und Indonesien.

2016 wurde die Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) gegründet, die den bewaffneten Kampf mit Regierungstruppen und der Armee der Arakanesen (AA) aufnahm und für die Gründung eines unabhängigen islamischen Staates mit der Scharia als Gesetz kämpfte. Ihr Anführer war ein gebürtiger Pakistani, der in Mekka „studiert“ hatte. Es ist davon auszugehen, dass die ARSA auch von Saudi-Arabien und vom pakistanischen Geheimdienst ISI unterstützt wurde. Die Angriffe der ARSA auf Polizeiposten im Rakhaing-Staat provozierten jedenfalls eine unverhältnismäßige Gegenreaktion der Tatmadaw. Bei der Niederschlagung des Aufstandes starben über tausend Menschen, viele davon unschuldige Zivilisten. Die Tatmadaw ging wie gewohnt rücksichtslos gegen die Bevölkerung vor und machte keinen Unterschied zwischen Aufständischen und unbewaffneten normalen Dorfbewohnern, die mit der Sache nichts zu tun hatten und nur in Frieden leben wollten. Die UN ordnet das Vorgehen der Tatmadaw gegen die Rohingya als Genozid ein. Sowohl die ARSA als auch die Tatmadaw haben in dem Konflikt zweifellos Menschenrechtsverletzungen begangen. Leidtragende war vor allem die Bevölkerung, die mehrheitlich friedliebend ist.

Schnell gab man auch Suu Kyi die Mitschuld an dem brutalen Vorgehen der Tatmadaw, weil sie die Generäle nicht unter Kontrolle halte, manche wollten ihr den Friedensnobelpreis wieder aberkennen. Dies zeugt von einer völligen Unkenntnis der damaligen Machtverhältnisse in Myanmar. Denn die Regierung hat laut Verfassung kein Mitspracherecht in Militär- und Grenzangelegenheiten, Suu Kyi war schlicht und einfach machtlos. Jedoch hat ihr Schweigen und ihre Untätigkeit in der Angelegenheit sowie ihr Erscheinen im Dezember 2019 vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag, um Myanmar gegen den Vorwurf des Völkermords zu verteidigen, ihren internationalen Ruf schwer beschädigt. Die zuvor noch so begeisterte internationale Gemeinschaft begann sich wieder von Myanmar zu entfernen, was wiederum Myanmar enger an China band, das Myanmar aus nicht ganz uneigennützigen Gründen immer die Treue hielt und wieder einmal im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen Maßnahmen gegen Myanmar einlegte.

Reformen unter Suu Kyi

Eines der wichtigsten Wahlkampfversprechen der NLD war eine beabsichtigte Änderung der Verfassung gewesen. 2019 hat das von der NLD kontrollierte Parlament den Prozess zur Änderung der Verfassung Myanmars von 2008 mit der Einsetzung eines Parlamentarischen Ausschusses zur Verfassungsänderung eingeleitet. Im Juli 2019 legte der Ausschuss dem Parlament seine Änderungsvorschläge vor. Die Vorschläge beinhalteten unter anderem eine schrittweise Verringerung der Zahl der für das Militär reservierten Parlamentssitze von 25 Prozent auf 5 Prozent bis 2030. Damit wäre eine Verfassungsänderung und damit eine zunehmende Einengung der Kontrolle der Generäle über den Staatsapparat in nächster Zukunft in greifbare Nähe gerückt.

Aber bis jetzt noch bedürfen Gesetzentwürfe zu einer Verfassungsänderung einer Mehrheit von 75 Prozent der Stimmen im Parlament und eventuell noch zusätzlich eines Referendums. Angesichts der Tatsache, dass die Tatmadaw bereits 25 Prozent der Abgeordneten selber ernannten, war eine Ablehnung von Anfang an zu erwarten. Auch kein Änderungsvorschlag zum Thema Föderalismus oder zur Dezentralisierung, einer für ethnische Gruppen entscheidenden Frage, konnte durch das Veto der Tatmadaw eine ausreichende Mehrheit erlangen.

Obwohl von Anfang an zu erwarten war, dass die Mitglieder der USDP, der Partei des Militärs, zusammen mit den von den Tatmadaw ernannten Abgeordneten die Vorschläge ablehnen würden, war der Prozess für die NLD nichtsdestotrotz ein politischer Sieg. Er bestätigte das, was bereits alle wussten, nämlich dass das Militär alle demokratischen Vorstöße kompromisslos blockiert. Und es zeigte, dass die NLD wenigstens versucht hat, ihr Wahlversprechen zu erfüllen, aber an der Sturheit der Generäle scheiterte.

Ein wichtiger Erfolg in Richtung Demokratisierung gelang aber trotzdem: die Ausgliederung der GAD aus dem vom Militär kontrollierten Innenministerium. Der Transfer des General Administration Departments (GAD) Ende 2018 vom Innenministerium zur Zivilregierung war ein wichtiger Schritt in Richtung Entmilitarisierung der Regierungsführung, um eine föderale Zukunft für Myanmar einzuleiten.

Die GAD ist ein bürokratisches Netzwerk mit fast 36.000 Mitarbeitern, das sich über ganz Myanmar bis in jeden Bezirk oder jedes Dorf erstreckt, es ist die Distriktverwaltung schlechthin und erlaubt die Kontrolle über jeden Winkel des Landes. Ihre Beamten haben eine Vielzahl von Aufgaben, neben der Verwaltung auch das Erbringen von Dienstleistungen und die Steuererhebung. In der GAD haben 30 Prozent aller Beamten direkte Verbindungen zum Militär. Als das GAD Teil des Innenministeriums war, waren die Mitarbeiter der GAD ausschließlich den Tatmadaw und nicht der zivilen Verwaltung verantwortlich, ein Haupthindernis für die Umsetzung der Reformagenda der NLD.

Nach der Ausgliederung aus dem Innenministerium sollte eine Modernisierung, die Reform von Vorschriften und die Neuausrichtung auf eine stärker bürgernahe Erbringung von Dienstleistungen mit größerer Transparenz und Rechenschaftspflicht in Angriff genommen werden. Durch die Stärkung der Lokalverwaltungen in den Bundesstaaten und in den Regionen hätte die GAD-Reform den “Föderalismus von unten” vorantreiben und die Grundlage für einen unabhängigen und professionellen öffentlichen Dienst sein können. Nach den Reformen wurden die 16.000 Verwalter der Bezirke und Dörfer gewählt und nicht mehr vom Staat ernannt. Dies war der erste Schritt hin zu einer lokalen Regierung.

Nach dem Putsch war eine der ersten Maßnahmen der Tatmadaw, die GAD wieder dem Innenministerium zu unterstellen, die gewählten Verwalter zu entlassen und wieder ihre eigenen Leute vor Ort zu ernennen. Diese jedoch stehen jetzt als Kollaborateure ganz oben auf den Abschusslisten der Volksverteidigungskräfte. Viele von ihnen sind bereits Anschlägen zum Opfer gefallen und noch mehr haben, nach einer offiziellen Warnung der Untergrundregierung NUG, demissioniert, da sie die Rache des Volkes fürchten.

Der Putsch im Februar 2021

Im November 2020 wurde das Parlament neu gewählt. Wiederum erzielte die NLD einen überwältigenden Sieg und gewann über 80 Prozent der zu vergebenden Sitze. Die Partei des Militärs (USDP), die gesondert kandidierte, erlitt erneut eine verheerende Niederlage. Die Wahlen waren ein klares Referendum gegen das Militär und für Suu Kyi, die mit 75 Jahren erneut kandidiert hatte. Das Ergebnis der NLD übertraf diesmal noch dasjenige von 2015. Damit bekam die NLD klar das Mandat, die begonnenen politischen Reformen und den Demokratieprozess in Myanmar weiter voranzutreiben.

Nichts fürchten die Tatmadaw mehr als Demokratie. Demokratie ist nicht vereinbar mit dem Staat im Staat, den sie sich aufgebaut haben. Die vorherige Regierung hatte demokratische Reformen angestrengt, war aber am Veto der Tatmadaw und an der Verfassung gescheitert. Der erneute überwältigende Wahlsieg ihrer Gegner konnte nichts anderes bedeuten, als dass die NLD eine Mehrheit von über 90 Prozent der Bevölkerung für weitere Reformen hinter sich wusste. Und was nicht sein kann, das darf ja bekanntlich auch nicht sein.

Spätestens Anfang Januar 2021 (das neue Parlament sollte am 1. Februar zusammentreten und eine neue Regierung bilden) begann die Tatmadaw öffentlich von Wahlbetrug zu reden und verlangte eine neue Auszählung der Stimmen. Der Ton wurde immer aggressiver und wenige Tage vor dem Putsch schloss niemand mehr einen Militärschlag aus. (Siehe hierzu: Gebrochene Flügel.)

Es kam wie befürchtet, das Militär putschte am Morgen des 1. Februar, kurz vor dem Zusammentreten des neuen Parlaments, nahm Suu Kyi, Staatspräsident U Myint und andere Führer der NLD fest, trieb die Versammlung auseinander und ernannte kurz darauf eine Militärjunta als Regierung.

Die gewählten Abgeordneten gingen in den Untergrund und wählten eine Gegenregierung. Die Tatmadaw töteten seither 1.300 Demonstranten, warfen ihre politischen Gegner ins Gefängnis, installierten ein Terrorregime und annullierten die verlorenen Wahlen. All das soll hier nicht nochmals geschildert werden. Der interessierte Leser findet hierzu zahlreiche Beiträge auf unserer Webseite, die NachDenkSeiten haben seit Februar regelmäßig über die Ereignisse in Myanmar berichtet und die Hintergründe beleuchtet.

Die geplante Zerstörung der NLD und der Prozess gegen Aung Suu Kyi

Gleich nach dem Coup unter dem Vorwand der Wahlfälschung kündigte Putschistenführer Hlaing Neuwahlen in einem Jahr an. Dieser Termin musste bereits wieder verschoben werden, das Land ist aufgrund der starken Widerstandsbewegung 11 Monate nach dem Putsch immer noch unregierbar. Zudem muss die Junta zuerst sicherstellen, dass sie die Neuwahlen auch gewinnt. Wenn unter den jetzigen Umständen neue Wahlen stattfänden, würde das Militär wiederum haushoch verlieren. Die Tatmadaw sind in der Bevölkerung so verhasst wie nie zuvor, außer ein paar Kumpane der Generäle würde niemand sie wählen. Nicht einmal der Wahlstimmen ihrer eigenen Truppen können sie sich sicher sein, wie eine Analyse der Wahlen von 2010 und 2015 zeigt.

Um die nächsten Wahlen zu gewinnen, muss das Wahlgesetz geändert werden und, noch wichtiger, die größte Oppositionspartei und ihre Anführerin und Ikone Aung Suu Kyi müssen beseitigt werden. Ende Oktober wurde Win Htein, ein 79-jähriger enger Vertrauter von Suu Kyi, wegen Hochverrats zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der abgesetzte Ministerpräsident der Region Mandalay, Dr. Zaw Myint Maung, wurde von einem Junta-Gericht zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, der stellvertretende Vorsitzende der NLD wurde zu zwei Jahren Haft wegen Aufwiegelung und zu weiteren zwei Jahren Haft wegen angeblicher Verstöße gegen die COVID-19-Vorschriften verurteilt. Der an Leukämie erkrankte Politiker ist außerdem in fünf Fällen wegen Korruption und zwei Fällen wegen Wahlbetrug angeklagt. Der Minister für Landwirtschaft und Bewässerung der Region Mandalay, Dr. Soe Than, der Minister für Elektrizität, U Zar Ni Aung, und U Tin Ko Ko, Sekretär des NLD-Zweiges der Region Mandalay, wurden wegen Verstoßes gegen das Gesetz über Naturkatastrophen zu zwei Jahren Haft verurteilt, Dr. Ye Lwin, Bürgermeister von Mandalay und regionaler Kommunalminister, wurde wegen Aufwiegelung verurteilt. Daw Nan Khin Htwe Myint, die entmachtete Ministerpräsidentin des Karen-Staates, wurde Anfang November wegen Korruption und Aufwiegelung zu 77 Jahren Haft verurteilt.

Ein Parteiverbot für die NLD ist in Vorbereitung, viele ihrer Anführer sind verhaftet, manche wurden getötet und der Rest ist auf der Flucht, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen oder um im Untergrund den Widerstand zu organisieren. Suu Kyi steht seit ihrer Festnahme wieder unter Hausarrest, an einem geheimen Ort und von der Außenwelt abgeschnitten. Gegen sie wurde Anklage in gleich zehn verschiedenen Punkten erhoben: illegale Einfuhr von Walkie-Talkies, Aufruhr, Korruption und Anstiftung zu öffentlichen Unruhen. Sie wurde auch wegen Verstoßes gegen die Covid-19-Beschränkungen angeklagt und Mitte November fügte die Junta eine Anklage wegen Wahlbetrugs hinzu. Eine Anklage ist absurder als die andere, alle haben das Ziel, sie für den Rest ihres Lebens hinter Gittern zu bringen. Wäre sie nicht die Tochter von Aung San, dem Nationalhelden, Kämpfer für die Unabhängigkeit Burmas und Gründer der Armee, wäre Suu Kyi wahrscheinlich, wie viele ihre Parteigenossen, bereits tot. Deshalb müssen fadenscheinige Anklagen her, um sie unter Wahrung zumindest eines Anscheins von Rechtmäßigkeit lebenslänglich hinter Schloss und Riegel zu bringen.

Ein erster Prozess gegen Suu Kyi (76) und den früheren Staatspräsidenten U Myint (70) endete am 6. Dezember mit einem Schuldspruch und einer Verurteilung zu je vier Jahren Gefängnis wegen Aufwiegelung und wegen Verstoßes gegen die Covid-19-Vorschriften. Der mitangeklagte frühere Bürgermeister der Hauptstadt Naypyidaw, Myo Aung, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verurteilung wegen Aufwiegelung ist allein schon deshalb lächerlich, weil Aung Suu Kyi seit dem Putsch von der Außenwelt abgeschnitten unter Hausarrest steht. Wen also hätte sie aufwiegeln können? Die Medien durften nicht am Prozess teilnehmen, der hinter verschlossenen Türen vor einem Sondergericht in Naypyidaw stattfand. Das Regime hat Suu Kyis Anwälten verboten, in der Öffentlichkeit über ihren Fall zu sprechen, mit der Begründung, dass dies “die öffentliche Ruhe stören” könnte.

Gleich nach der Urteilsverkündung reduzierte Juntachef Hlaing die Strafe auf zwei Jahre Hausarrest, ohne Begründung für diese Begnadigung. Wahrscheinlich wollen die Militärs zeigen, wie viel Macht sie über das Justizsystem haben, während sie gleichzeitig vorgeben, großmütig und kompromissbereit zu sein. Und im Fall von Suu Kyi können sie das auch ruhig tun, denn mit den noch ausstehenden Prozessen werden in Kürze weitere Urteile erwartet. Das Urteil gegen sie wegen des Besitzes von Walkie-Talkies wird für die letzte Kalenderwoche erwartet. Sollte sie, was bereits abgemacht scheint, in allen Fällen schuldig gesprochen werden, so drohen ihr weitere 100 Jahre Gefängnis. Selbst nochmals auf die Hälfte reduziert reicht das locker aus, sie bis zu ihrem Lebensende mundtot zu machen. Hauptziel der Junta ist es, sie für immer aus der Politik zu vertreiben.

Das Urteil wurde von den Vereinten Nationen verurteilt und hat Myanmars Ruf als Pariastaat weiter offengelegt. “Die Verurteilung der Staatsrätin nach einem Scheinprozess in einem geheimen Verfahren vor einem vom Militär kontrollierten Gericht ist nichts anderes als politisch motiviert”, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. “Es geht nicht nur um die willkürliche Verweigerung ihrer Freiheit – es schließt eine weitere Tür zum politischen Dialog.” Das Urteil wurde auch von mehreren internationalen Organisationen verurteilt, darunter den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der britischen Regierung, die alle den Prozess als politisch motiviert bezeichneten.

Die Verurteilung von Suu Kyi und weiteren hochrangigen Führerpersönlichkeiten der NLD wird weiteres Öl ins Feuer gießen. Es wird die Bevölkerung nicht davon abhalten, weiter zu demonstrieren, und es wird auch die Volksverteidigungskräfte und die ethnischen Gruppen nicht davon abhalten, den bewaffneten Kampf fortzuführen. Der Tag, an dem die Revolution siegt, wird der Tag sein, an dem die politischen Gefangenen wieder freikommen, wenn die Revolution nicht siegt, ist ihr Schicksal hinter Gefängnismauern besiegelt. Ob man Suu Kyi ins Gefängnis werfen wird oder ob sie in Hausarrest bleiben darf, ist noch nicht geklärt. Das hängt ganz von der Laune der Generäle ab. Am 17. Dezember wurde sie zum ersten Mal in Sträflingskleidung dem Gericht vorgeführt, eine weitere Herabsetzung von Aung Suu Kyi, die bisher, in der Öffentlichkeit und auch vor Gericht, immer elegant gekleidet und mit Ohrringen und mit einer Blume im Haar erschien, ein Zeichen für eine Veränderung in der Art und Weise, wie man sie und andere hohe Beamte demnächst zu behandelt gedenkt.

Schlussbemerkungen

Der Staatsstreich hat die Militärs zur meistgehassten Institution des Landes gemacht. Wenn Myanmar überhaupt jemals auf dem Weg zur Demokratie war, so ist der Traum definitiv am 1. Februar geplatzt. Ein Aktivist drückte es so aus: „Myanmar war wie ein Vogel, der gerade das Fliegen lernt, jetzt hat das Militär ihm die Flügel gebrochen.“ Die Generäle haben definitiv eine rote Linie überschritten, es gibt keinen Spielraum für Kompromisse mehr, sie haben im wahrsten Sinne des Wortes zu viele Leichen im Keller. Wenn die Tatmadaw verlieren, was der Autor dieser Zeilen hofft, dann werden sie mit viel Glück im Gefängnis landen, schlimmstenfalls werden sie am nächsten Laternenmast baumeln. Das Volk wird sie nicht noch einmal davonkommen lassen. Es wird eine Art Nürnberger Prozess geben. Die Tatmadaw wissen das nur zu gut, deshalb sind sie auch nicht an Kompromissen interessiert. Das Militär hat sich verrechnet und sich mit dem Putsch am 1. Februar in eine Sackgasse begeben, aus der es kein Zurück mehr gibt. An der Macht bleiben oder ins Gefängnis wandern, das sind die Perspektiven, die ihnen jetzt noch verbleiben, und es erklärt zum Teil auch die Brutalität ihres Vorgehens.

In der Zeit der relativen Öffnung Myanmars, wo die Militärs ihren „Weg zur Demokratie“ ausprobierten, hat sich die Gesellschaft in Myanmar verändert. Die neue Generation hat gelernt, das Internet zu nutzen und sich für Themen wie Demokratie und Bürgerrechte zu interessieren und sich untereinander, auch international, auszutauschen. So entstand die „Generation Z“, und das hatten die Militärs nicht mit auf der Rechnung, als sie am 1. Februar ihren Putsch ausführten. Nachdem die alten Kader der NLD von den Militärs verjagt wurden, ist diese neue Generation in den Vordergrund getreten. Sie führen die Demonstrationen an, viele von ihnen beteiligen sich jetzt am bewaffneten Widerstand und sie nutzen die sozialen Medien, um ihre Botschaft zu verbreiten. Die Tatmadaw hat keine Chance, jemals die Herzen und Köpfe dieser jungen Menschen zu gewinnen. Sie sind mutig, die Frauen haben sich oft als noch mutiger als die Männer erwiesen und nehmen führende Rollen in der Organisation des Widerstandes ein. Suu Kyi ist die erste Frau in der modernen Geschichte Myanmars, die eine herausragende Rolle in der Politik des Landes gespielt hat, sie wird nicht die letzte dieser modernen, mutigen Kämpferinnen sein. Die jungen Menschen wollen eine andere Zukunft für sich und ihr Land, eine Zukunft frei von Angst und ohne Militärdiktatur. Und sie werden sich diese Zukunft erobern. Die Junta hat auf lange Sicht keine Daseinsberechtigung, sie gehört auf den Kehrichthaufen der Geschichte und sie wird auch bald dort enden.

Und Suu Kyi? Es ist nicht klar, wie Suu Kyi zu den Gegenmaßnahmen der NUG steht. Sie ist von der Außenwelt abgeschnitten, es ist nicht einmal sicher, dass sie überhaupt weiß, was im Land geschieht. Während der Widerstand gegen den Putsch immer mehr an Fahrt gewinnt, wird in der politischen Gemeinschaft Myanmars häufig die Frage gestellt, ob die inhaftierte Suu Kyi die aktuelle revolutionäre Bewegung unterstützt. In Anbetracht ihrer bisherigen Philosophie und ihres langjährigen Bekenntnisses zur Gewaltlosigkeit ist dies eine Frage, die man sich stellen muss.

Die NUG hat den Tatmadaw offiziell den Krieg erklärt und bekämpft sie nun auch militärisch. In allen Städten des Landes haben sich Volksverteidigungskräfte gebildet, die Anschläge gegen die Tatmadaw ausführen. Die ethnischen Gruppen sind täglich in Kämpfe gegen die Armee verwickelt. Da Suu Kyi bisher ständig von Verhandlungen und Versöhnung sprach, könnte es sein, dass sie die jetzige Politik der Untergrundregierung, die mehrheitlich aus Mitgliedern der NLD besteht, nicht gutheißen würde. In der Öffentlichkeit genießt Suu Kyi immer noch einen gottähnlichen Status. Von der Außenwelt abgeschnitten, ist sie nicht in der Lage, den laufenden politischen Kampf gegen die Militärherrschaft zu beeinflussen.

Im Gegensatz zum Aufstand von 1988 haben neue Gesichter, vor allem junge Menschen, die Hauptrolle übernommen. Diese Generation Z setzt entschlossen ihr Leben aufs Spiel. Sie kämpfen nicht für eine Mehrheit im Parlament, sondern für ihre Freiheit, ihre Rechte und ihre Zukunft. Die NUG versucht, eine kollektive Führung aufzubauen, indem sie Angehörige ethnischer Minderheiten in Spitzenpositionen beruft und die Beteiligung von Frauen und Jugendlichen ausweitet, anstatt auf eine charismatische Führerin zu bauen.

Die bisherige Politik, auch unter San Suu Kyi, sagte bisher nur, wogegen sie kämpft, aber nicht wofür. Der Kampf geht gegen den Putsch und die Junta, es stellt sich aber immer mehr die Frage, was danach kommen soll. Es fehlt immer noch eine große politische Vision. Es wurden Gremien geschaffen, die ihre Vorschläge ausarbeiten, wobei eines der wichtigsten Themen die Integration der mehr als 130 ethnischen Minderheiten in einem föderalen Staat und der Aufbau einer neuen Armee ist. Die gute Nachricht: Die NUG scheint sich des Problems bewusst und arbeitet daran, sie stellt die richtigen Fragen. Die Politik ist in Myanmar in eine neue Ära eingetreten, die Demokratiebewegung hat inzwischen ihre eigene Dynamik entwickelt und braucht dazu nicht mehr den Segen von Aung Suu Kyi. Es wäre aber gut, wenn Suu Kyi die NUG mit ihrem politischen Gewicht unterstützen würde, sobald sie wieder in Freiheit ist.

Titelbild: Mamunur Rashid/shutterstock.com


Literatur:

Burma in Revolt, Bertil Lintner, Silkworm Books, ISBN 978-974-7100-78-5
Aung San Suu Kyi, Bertil Lintner, Silkworm Books, ISBN 978-616-215-015-9
Merchants of Madness, Bertil Lintner, Silkworm Books, ISBN 978-974-9511-59-6
The Rise and Fall oft the Communist Party of Burma, Bertil Lintner, Cornell Southeast Asia Program, ISBN 0-87727-132-2
Die CIA und das Heroin, Alfred Mc Coy, Westend-Verlag, ISBN 978-3-86489-134-2

Myanmar now, online newspaper, https://www.myanmar-now.org/en
The Irrawaddy, online newspaper, https://www.irrawaddy.com/category/news
Frontier Myanmar, online newspaper, https://www.frontiermyanmar.net/en/
Burma news International, online newspaper, https://www.bnionline.net/en/news
The diplomat, online newspaper, https://thediplomat.com/regions/east-asia/
Bangkok Post online, https://www.bangkokpost.com/
South China Morning Post online, https://www.scmp.com/


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