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Titel: Für Musik, mit Musik, Danke der Musik – es braucht so oder so einen Neustart

Datum: 10. Februar 2022 um 13:33 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kultur und Kulturpolitik, Wertedebatte
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Kultur ist nicht systemrelevant, es sei denn, Teile der Kultur wurden in dieses „System“ eingepasst und/oder gehören dazu – zum System des „Make money“. Auch die Musik, vorausgesetzt die Hitmaschine wird angeworfen und die Dollarscheine locken. Doch den kleinen Künstlern ist gerade und seit langem nicht so gut zumute. Was hilft dagegen? Sich bewusst gegen die Hitmaschine, gegen das kulturelle Hamsterrad, sich gegen den Verrat an den Künstlern entscheiden und selbst eine konstruktive Infrastruktur aufbauen zum Beispiel. Zudem eine stabile, geförderte einfordern. Der eigene Beitrag dazu lautet vielleicht: Künstler zu sein gelingt, indem man für seine Unabhängigkeit, Souveränität und Einzigartigkeit kämpft und sein Künstler-Sein lebt. Das berufliche, wirtschaftliche Existenzrecht besteht ohnehin. Klar ist auch, das aktuelle System muss von einem anderen Miteinander abgelöst werden. Für die Künstler, für das Publikum, für uns Bürger. Gemeinsam. Musik ist Lebenselexier. Dazu trägt der souveräne Künstler bei – er macht die Musik, nicht die System-Profiteure – von dem Majorlabels bis zu Spotify in Monopolistenhand. Und Livestreamen kostenlos – ist dazu auch keine Lösung. Einen Dorfsaal wieder öffnen schon. Eine Kritik von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Lesen Sie dazu auch den Artikel „Spotify und Co. – die Streaming-Ökonomie forciert das Elend der kleinen Künstler“ und die Sammlung der Leserbriefe, die zu diesem Thema eingegangen sind.

Von Selbstausbeutung bis zum „Nein“ dazu

Ich mache Musik. Ich habe Musikerkollegen. Einer von ihnen ist ein erfahrener auch in Sachen Veranstaltungswesen, Veranstaltungstechnik, Veranstaltungsökonomie. Dieser, mein Kollege, hingebungsvoller Schlagzeuger und Sänger, hat schon mit Beginn der Lockdown-Einigelungen mit dem Kopf geschüttelt, als andere Künstlerkollegen um uns herum begannen, Livestreams zu produzieren, denn Liveauftritte war ja verboten. Damit kamen ehrgeizige Produktionen zustande, deren Aufwand in keinerlei Verhältnis zum Nutzen standen. Beispiel: Vier (teure) Kameras, Licht, Stative, Räumlichkeiten, Computer, Rechentechnik, Tontechnik, Instrumente, Anlagen, Zubehör und so weiter. Schließlich gelang die erfolgreiche, geradezu professionelle Einspielung von Liedern und bewegten Bildern. Das Einstellen als Livestream oder als Post in Social Medien erfolgte. Dann hieß es zu warten. Die Resonanz trudelte ein. „Wir hatten dann so um die 250 Follower“, klang es bei den Machern leise erfreut. 250 Zuschauer? Gebraucht hätte es eine andere Zahl, um Kosten zu begleichen oder gar ‘nen Euro zu verdienen. Aber so? Für die 250 war die Ansicht kostenlos. Für die Künstler gab es allenfalls Beifall, einige „Daumen hoch“-Kommentare und ab und an ein paar aufmunternde Worte. Durchhalten! Neustart! Kultur kommt! Läuft. Die Künstler schauen sich an, fragen: Wirklich?

Der Schlagzeugerkollege lächelt verständnisvoll wegen der Mühe und der Hingabe und hat doch kein Verständnis für diese Art von Selbstausbeutung. „Content, also Inhalt anbieten für lau, das ist in unseren modernen Zeiten chic und Selbstbetrug. Man hofft auf den großen Wurf, man geht in Vorleistung, man kämpft und denkt: Die Großen haben auch mal klein angefangen.“ Die Realität sähe brutal nüchtern aus: Nur wenige verdienten ordentlich, nur wenige erhielten die Wertschätzung, die es an und für sich für die Kunst bräuchte. Und die Basis – die fände, gäbe es sie denn, live statt, es sei der direkte, wahre Austausch Musiker – Publikum.

Wenige Auftrittsmöglichkeiten

In einer Kulturnation würde sich um die breite Basis gekümmert, würden Kunst und Kultur systemrelevant gemacht. Da wäre zum Beispiel in Sachen Musik an Dinge zu denken wie an eine funktionierende Auftrittslandschaft, also Lokale, Clubs, Bühnen, Auftrittsorte, die in den Dörfern, Städten und Metropolen zum Alltag gehörten. 84 Millionen Menschen leben in unserem Land. Alle lieben Musik, behaupte ich mal kühn und warmherzig. Warum aber gibt es so wenige Bühnen, warum gibt es hingegen aber so wenige (mächtige) Radiosender, die den Menschen immer und immer wieder in Schleife dieselben Musiktitel spielen? Okay, in unserem neuen Jahrtausend ist das Internet (als Alternative vs. Dudelradio) eine beeindruckende Plattform, die unzählig viele Titel (auch von vielen unbekannten Künstlern) anklickbar macht. Das ist nicht das Thema, im wahren Leben dampft das Leben dagegen ein. Siehe die kleinen Läden, die Kneipen, Kulturhäuser, Treffs, soziokulturelle Orte der Begegnung. Ihre Zahl wird Jahr für Jahr kleiner. In vielen Dörfern um meine Heimatstadt gab es früher Bäcker, Fleischer, Schuster, einen Dorfsaal zum Tanzen, Feste Feiern und Konzerte Geben. Und um Menschen zu treffen, sich zu verlieben. Beim ersten Rockkonzert, beim ersten Ball. Nun sind die Dörfer vor allem Wohnorte. Große Filialisten, Internetbestellung und Botenservice a la Gorillas versorgen bis aufs Land. Und unter Kollegen wird das Bier nicht mehr zum Konzert am Tresen mit Blick auf die Bühne getrunken – man trinkt es (preiswert) aus dem Kasten in der Garage und freut sich über den gerade gelungenen Einbau eines sich automatisch öffnenden Grundstücktores. Ja, man trinkt daheim – die Kneipe ist dicht, der Tanzsaal zu oder das Kulturhaus schon Jahre gleich ganz abgerissen.

Verzwickte Lage für das Ausleben musikalischer Talente

Zwar gibt es heutzutage enorm scheinende Möglichkeiten für das Aktivsein, für Talente, zum Beispiel für das Erlernen eines Instruments: Tutorials auf YouTube „wie lerne ich Gitarre Spielen wie Santana“, private Musikschulen, gut bestückte Musikinstrumentenfachgeschäfte und vor allem Internetanbieter, bei denen man sich Gitarren in allen Größen, Farben und Preislagen kaufen kann. Dann kauft man, dann übt man, dann trainiert man, dann schreibt man Musik. Und dann? Auftrittsorte? Veranstalter? Konzerte? – Pustekuchen. Wie viele Bands es im Land gibt, deren Musiker fleißig geübt haben und dann als Band im Proberaum versauern, weil es keine Gigs (Auftritte) gibt? Man weiß es nicht. Es treten jedenfalls nicht viele auf, weil es kaum Bühnen gibt.

Beispiel Weltstadt einer Kulturnation, einer Livemusiknation?

Berlin. Diese Stadt ist eine Millionenstadt. In unserer Hauptstadt gibt es viele Musiker, viele Künstler. Wenige können davon leben, einige mehr tun es dennoch unter teils miesen Bedingungen, Selbstausbeutung und Hoffnung inklusive, sie sind voller Enthusiasmus und vor allem voller Idealismus. Nötige Verbesserungen für Künstler, um finanziell, materiell und arbeitsmäßig sein zu können – da die Systemrelevanz fehlt, dafür sieht es eher schlecht aus. Von den Arbeitsmöglichkeiten ganz zu schweigen. Berlin hat ein Stadtmagazin Tipp. Das hatte ich viele Jahre abonniert. Ich war anfangs begeistert ob der vielen Seiten der Rubrik „Was ist heute los?“. Zig Clubs, Adressen satt, Termine, Stilrichtungen. Von Abba bis Zappa, von Pop bis Jazz, Weltmugge, Foxtrott, Teeniedisco, Seniorentee. Weltstars aus USA, Tanzcombos aus Köpenick. Die Seiten von Tipp sind von Jahr zu Jahr weniger geworden. Tanzsäle, Clubs, Kultadressen wurden weniger. Berlin gibt nicht auf, Berlin wirbt, alles scheint gut, die Stadt schwört auf seine Jazzszene – für eine Millionenstadt ist die Szene ein Szenchen. Ja, es gibt einen herausragenden Ort für derlei Musik: das A-Trane. Dessen seltene Existenz bestätigt: Seine Ausnahme ist nicht die Regel.

Selbst machen

Zurück zum Leben mit Musik, Dank Musik, für Musik. Ob, wie Jens Berger hier auf den NachDenkSeiten fragte, die Davids den Goliath besiegen könnten? Und antwortet: So paradox es klingt: Ja, das können sie. Dann beschreibt er den Ansatz. Anfangen. Schon mal beim Zuhören, beim Publikum, die ihre kleinen und großen Künstler ja behalten wollen. Dazu gehört auch der berechtigte Zweifel gegenüber solchen Plattformen wie Spotify. Jens Berger sagt:

Wenn die – meist finanzstärkeren und zahlungswilligen – Anhänger anspruchsvoller Musik ihre Lieblingskünstler nicht mehr bei Spotify finden und den Dienst kündigen, hat dies wie eingangs ausgeführt große Auswirkungen auf das Geschäftsmodell. Die jungen – meist finanzschwachen und nicht zahlungswilligen – Fans der ganzen Rap-, Hip-Hop- und Plastikpop-Musik liefern zwar viele Klicks, aber kein Geld. Und das ist die einzige Währung in der Streaming-Ökonomie. Ein Aufstand hätte also durchaus Aussicht auf Erfolg. Aber er muss auch kommen. Auf gesättigte Altstars kann man da nicht zählen. Nun müssen die jungen, innovativen Künstler, von denen Spotify lebt, auf die Barrikaden gehen.

Junge, jung gebliebene Musiker, innovative Künstler tun Ihriges. Es gilt aufzustehen, konkret kann das so aussehen: mit dem Beispiel „benennen, wie das gehen kann“: 1. sein eigenes Ding machen, Livemusik machen mittels selbst organisierter Auftritte. CDs selbst produzieren, die müssen nicht teuer sein, man muss nicht dem Perfektionshype folgen, auf dass jeder Song wie aus einem Millionenstudio klingen muss. Die eigenen Livemitschnitte auf Silberlingen oder auf anderen Datenträgern tun es auch. 2. Zurück zu den Wurzeln: nah ran an die Leute. CDs verkaufen neben der Bühne. 3. Analyse. Gerade liegt vieles in der Liveszene im Argen. Das geht so weit, dass die Frage gestellt wird: Welche Szene? Ja, es stimmt, die ist in Gegenden dieser Kulturnation, des Landes der Dichter, Denker (und Musiker) gerade verschwunden. Kahlschlag überall. 4. Aktiv werden. Doch ist das kein Naturgesetz. Ob auf dem Dorf oder in der Stadt: geschlossene Clubs, Kulturhäuser (wenn sie noch stehen) reaktivieren und vitalisieren. Es muss ja kein ständiger Betrieb her. Und dann wird die Gitarre gestimmt, der Verstärker angemacht, los geht das Konzert. Laut und lebensfroh. Und es ist egal, wenn am Anfang nur 20 Leute neugierig bis zurückhaltend vorbeischauen. So ging es mit jedem legendären Schuppen los, bevor man Jahre später schwärmte: „In den Goldenen Anker musst’ ‘de unbedingt hin, geile Bands, kühles Bier, einfach herrlich.“

Ein Blick zu den Nachbarn

Und wenn wir Deutschen dann noch den Blick in Nachbarländer werfen würden wie zum Beispiel Frankreich, käme vielleicht bei der Diskussion um die prekären Lebensverhältnisse der Musiker ein Konzept zur Sprache, das in dem ganzen schönen Universum Leben-Musik-Kultur-Künstler-Publikum als wichtige ökonomische, gesellschaftliche, politische Grundlage zu realisieren ist. In Frankreich sind Musiker sehr anerkannt – in der Gesellschaft, von der Politik. Es gibt eine ausgeprägte Kulturlandschaft (Clubs, Bühnen, Infrastruktur, Ausbildung, Unterstützung). Es gibt viel zu tun. Viele Konzerte, viel Publikum und eine solide Grundversorgung für Künstler, um deren wirtschaftliche Existenz zu sichern. Ein Musikkollege, der in einer Jazzband spielt, bekommt garantierte Gagen, er bekommt eine Art Grundgehalt inklusive Versicherungen. In Frankreich wird die Livemusikszene aktiv unterstützt, gefördert und als systemrelevant für das Land, die Bürger, die Kultur, das gesellschaftliche Leben erachtet. Mit diesem „Lob“ des westlichen Nachbarn soll nicht geschlussfolgert werden, dass wir in Deutschland vollkommen kalt gegenüber der Kunst, der Kultur, der Livemusik sind – allemal aber gibt es viel Diskussionsbedarf und viel Luft nach oben. Fahren Sie einfach mal durch die Gegend und zählen Sie zusammen, wie viele Lokale, Kulturhäuser, vom Dorfkurg bis zu kleinen Theatern und Landgasthöfen nicht mehr zu finden sind… Dann verstehen Sie, was ich meine…

Titelbild: Sergey Nivens/shutterstock.com


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