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Titel: Ist Unterhaltungsfernsehen gesellschaftlich und gesellschaftspolitisch von Bedeutung?

Datum: 27. Januar 2011 um 17:22 Uhr
Rubrik: Medien und Medienanalyse, Strategien der Meinungsmache, Wertedebatte
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Dieser Frage geht Wolf Bauer, Produzent und Chef der mächtigen Bertelsmann-Tochter Ufa, in einem langen Artikel mit dem Titel „Die unheimlichen Erzieher“ der gedruckten FAZ vom vergangenen Dienstag nach. (Am 27.1. erschienen bei FAZ.NET) Wenn man die jahrzehntelange Diskussion um dieses Thema verfolgt hat, dann weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Albrecht Müller.

Man könnte sich darüber freuen, dass jetzt einer der einflussreichsten Produzenten auf die Idee kommt zu fragen und mit Ja zu beantworten, ob beispielsweise die RTL Serie „Dschungelcamp“ das Denken und Fühlen der Menschen beeinflusst und sie im weitesten Sinne des Wortes erzieht. Bauer schreibt:

„Auch das ist Wertevermittlung: Das „Dschungelcamp“ bei RTL zeigt, wozu Fernsehunterhaltung fähig ist. Sprechen wir doch einmal darüber, was sie bewirkt – und wozu sie befähigt sein sollte.“

Bravo! Man muss sich aber wundern und ärgern, dass ein so einflussreicher Mann diesen Einfluss offenbar erst jetzt entdeckt und man muss sich sorgenvoll fragen, ob die Unterhaltungs-Medienmacher wirklich so ahnungslos sind, wie Wolf Bauer dies darstellt. Er schreibt zum Beispiel:

„Den politischen Medien traut man es zu: die Stimmung im Land oder gar Wahlen zu beeinflussen, Einsichten zu vermitteln und an der Entstehung eines gesellschaftlichen Wertekonsenses maßgeblich beteiligt zu sein.“

„Die Unterhaltungsformate dagegen, also Fernsehfilme, Serien, Daily Soaps und Show-Programme, gelten hierzulande als gesellschaftlich wenig wirkungsmächtig. Es spricht vieles dafür, dass es sich um eine folgenschwere Fehleinschätzung handelt.“

So ist es. Aber das wusste man schon vor 30 Jahren. Am Ende dieses Textes finden Sie den Hinweis auf einen Artikel von mir von 1985. Damals durfte ich noch im Spiegel schreiben und habe das Buch von Neil Postmans “Wir amüsieren uns zu Tode” rezensiert. Dass gerade Unterhaltungsmedien Einfluss haben, wusste man schon, bevor Bauer „mehr als achtzig Fernsehfilme, Serien und Kinostücke erstellt“ hat, wie die FAZ schreibt. Der niedersächsische Ministerpräsident und Vater der heutigen Arbeitsministerin, Ernst Albrecht, hat damals weniger politische Formate gewünscht und mehr Unterhaltung, weil er wusste, dass das Amüsement politisch bildet. In seinem Sinne.

Hier noch einige andere Zitate aus dem Text von Bauer, den zu lesen sich lohnt, um sich zu wundern und um diesen Produzenten vielleicht gelegentlich beim Wort zu nehmen. Er schreibt:

„Jugendliche orientieren sich inzwischen grundlegend anders als frühere Generationen. Und die Unterhaltungsmedien spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Neuneinhalb Stunden verbringt der durchschnittliche Jugendliche heute jeden Tag mit Fernsehen, Radio und Internet, weniger mit dem Buch und der Tageszeitung. Und sie schauen nicht „Monitor“ oder „Tagesschau“, sondern „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“, „Deutschland sucht den Superstar“ und Serien wie „24“. Um es zuzuspitzen: Je mehr klassische Institutionen an Prägekraft verlieren, desto mehr gewinnt das Unterhaltungsfernsehen an Einfluss.“

Auch das ist richtig. Aber wirklich auch nichts Neues. Weiter:

„Dennoch fürchte ich, dass nur eine Minderheit derer, die derzeit die Bildungs- und Integrationsdebatte führen, den Jugendlichen regelmäßig folgt, wenn diese in das Leben ihrer Vorbilder eintauchen. Es gibt noch immer das typische Verständnis von E – wie ernst- und wertvoll – und U – wie leicht und belanglos. Die Informationsmedien sind anerkannt als eine legitime Kraft der Aufklärung, die Unterhaltungsformate gelten als unpolitisch und gesellschaftlich unbedeutend. Entsprechend haben die beiden großen Parteien bei der Vergabe der Führungspositionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens immer mehr um die Besetzung des Chefredakteurs gerungen. Die Programmdirektion blieb der Trostpreis. Ein Irrtum? Unterhaltende Programme werden in ihrer gesellschaftlichen und politischen Wirkung unterschätzt. Und es geht gar nicht darum, ob wir uns diesen Einfluss wünschen sollten. Er ist Realität.“

Das sieht der Autor Wolf Bauer einfach falsch. Ich war ja mal zwischen Dezember 1969 und Dezember 1972 für die Öffentlichkeitsarbeit einer großen Partei verantwortlich. Selbstverständlich fanden wir und insbesondere der Zuständige in der Pressestelle der SPD, Lothar Schwartz, die Besetzung des Postens eines Programmdirektors zum Beispiel beim ZDF mindestens für so bedeutsam wie die Besetzung des Chefredakteurs. Und selbstverständlich haben sich auch damals Vertreter von Parteien mit Programmverantwortlichen für Unterhaltungssendungen getroffen, zumindest zum Gedankenaustausch. Dass Wolf Bauer dies alles verschlafen haben soll, kann ich mir nicht vorstellen.

Eine der Schlussfolgerungen von Wolf Bauer möchte ich ausdrücklich unterstützen:

„Wir müssen genau wissen, was Fernsehen und andere Medien bewirken, was sie anrichten können. Wir sollten uns damit in der Aus- und Fortbildung intensiver als bisher beschäftigen. Wir müssen uns der Diskussion mit der kritischen Öffentlichkeit stellen. Unser Tun ist ein öffentliches. Entsprechend hat die Öffentlichkeit auch ein Recht, Fragen zu stellen und Antworten zu bekommen.“

So ist es. Hoffentlich nimmt der Chef von Ufa dieses sein Versprechen auch wirklich ernst.

Das Folgende allerdings klingt ziemlich ambivalent. Die Unterhaltungsmedien als Spiegel der Zeitströmungen?

„Wir müssen in besonderer Weise ein Gefühl für gesellschaftliche Strömungen und Werteverschiebungen entwickeln, um als Spiegel der Gesellschaft auf der Höhe der Zeit zu sein. Wir sollten uns davor hüten, gesellschaftliche Regeln oder Werte diktieren zu wollen. Dazu haben wir keine Legitimation. Gerade weil wir über die Bühne zur Öffentlichkeit verfügen, müssen wir dieser Versuchung widerstehen.“

Das klingt liberal und tolerant, aber es verkennt, dass in unserer Zeit Werteorientierung notwendig ist. Konkret: wenn wir die unmenschlichen Aussagen von Herrn Sarrazin für den Ausdruck einer gesellschaftlichen Strömung halten und diese dann in den Unterhaltungssendungen widerspiegeln, dann gute Nacht.

Dann kommt der Autor am Schluss auf einen wirklich alten Hut zu sprechen: auf die Medienkompetenz, die jungen Menschen zu vermitteln eine gesellschaftliche Aufgabe von hoher Dringlichkeit sei. Das sagen diese Produzenten des kommerziellen Fernsehens seit 1978, als sie begannen, in Deutschland die einigermaßen vernünftige duale Medienordnung von privat produzierten Printmedien und öffentlich-rechtlich produzierten elektronischen Medien zu zerstören.

Und hier noch ein altes Stück von mir, das ich auf der Suche nach der Aussage von Ernst Albrecht im Netz wiederfand.
Auch lesenswert, gerade als Replik auf den Artikel von Wolf Bauer:

16.12.1985 
Das Fernsehen bedroht die Demokratie
Von Müller, Albrecht
Albrecht Müller über Neil Postmans “Wir amüsieren uns zu Tode” Der Sozialwissenschaftler Neil Postman, 54, ist Professor an der New York University. – Albrecht Müller, 47, leitete von 1973 bis 1982 die Planungsabteilung des Kanzleramtes unter den Regierungschefs Willy Brandt und Helmut Schmidt.
Quelle: SPIEGEL Online (dort auch als PDF abrufbar)


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