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Titel: Ray McGovern: Konzernmedien fahren schwere Geschütze in Ukraine auf

Datum: 18. April 2022 um 11:45 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech
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In diesem Text für „Antiwar“ erinnert der ehemalige CIA-Analyst Ray McGovern an Memos, die er und die „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ vor den NATO-Gipfeln von 2014 und 2016 für Kanzlerin Angela Merkel verfasst hatten. Außerdem warnt er vor der aktuellen Rückkehr von belasteten Kriegstreibern in den USA. Die Memos an Merkel sind interessante Rückblicke in die Vorgeschichte des Ukrainekriegs und sie erinnern daran, wie früh die heutige Eskalation bereits angelegt war. So schrieben die Ex-Geheimdienstler bereits 2016 als Ergebnis ihrer Analysen: “Alles in allem wird Russland zwangsläufig heftig auf die seiner Ansicht nach ungerechtfertigte Provokation großer Militärübungen entlang seiner westlichen Grenzen, auch in der Ukraine, reagieren.“ Übersetzung von Thilo Haase.

Der Originaltext wurde bei „Antiwar“ veröffentlicht. Hier folgt die Übersetzung des Artikels von Ray McGovern:

Judith Miller und Air Force General Philip Breedlove sind zurück! Zuerst dachte ich, es sei eine ekelerregende Rückblende. Vor zwei Tagen waren Judy Miller und der ehemalige NATO-Befehlshaber Philip Breedlove im Fernsehen zu sehen, wie sie über die Ukraine dozierten.

Für die jüngeren Leser: Judy war die Erzpriesterin der „New York Times“, die all die Berichte über “Massenvernichtungswaffen im Irak” (die es nicht gab) und Verbindungen zwischen Irak und Al-Qaida (die es auch nicht gab) absegnete. Was Breedlove betrifft, so ist es ein trauriges Zeichen der Zeit, dass er (über Radio Free Europe) in den „Reader Supporter News“ auftaucht, ohne jeglichen Hinweis auf seinen Stammbaum in Bezug auf Wahrheit und Lüge (siehe: “FOCUS: Ehemaliger NATO-Befehlshaber: Die Angst des Westens vor einem Atomkrieg verhindert eine angemessene Reaktion auf Putin“).

Breedloves allzu bekannte “Damn-The-Torpedoes”-Linie über die Notwendigkeit, Russland in der Ukraine frontal zu konfrontieren, weckte weitere unangenehme Erinnerungen. Denn genau das hat er – hinter dem Rücken von Präsident Obama – versucht, als er (2013-2016) Befehlshaber der NATO-Truppen war. Es wurde so schlimm, dass wir, die „Veteran Intelligence Professionals for Sanity“ (VIPS), die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel vor dem NATO-Gipfel Anfang Juli 2016 vor Breedloves zweifelhafter Glaubwürdigkeit warnen wollten: Wir forderten Merkel auf, Breedlove entgegenzuwirken.
 
Hier folgen wörtliche Zitate aus dem Memo von 2016:
 
“Wir, die langjährigen US-Geheimdienstmitarbeiter, möchten Ihnen erneut unsere Besorgnis und unsere Warnungen direkt vor einem äußerst wichtigen NATO-Gipfel übermitteln – dem Treffen, das am 8. Juli in Warschau beginnt. Wir waren erfreut zu erfahren, dass unser Memorandum Sie und Ihre Berater vor dem NATO-Gipfel in Wales erreicht hat und dass auch andere über die „Süddeutsche Zeitung“, die am 4. September 2014, dem Tag des Gipfeltreffens, einen vollständigen Bericht über unser Memorandum veröffentlichte, von unserer Initiative erfahren haben.
 
Von Wales nach Warschau
 
“Der Warschauer Gipfel wird wahrscheinlich mindestens so wichtig sein wie der letzte in Wales und wahrscheinlich noch weitreichendere Folgen haben. Wir finden die Erklärung von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf einer Presseveranstaltung im Vorfeld des Gipfels am 4. Juli beunruhigend – wenn auch nicht überraschend – dass die NATO-Mitglieder sich darauf einigen werden, “die militärische Präsenz der NATO im östlichen Teil des Bündnisses weiter zu verstärken”, und fügten hinzu, dass das Bündnis seine “größte Verstärkung seit dem Kalten Krieg” erfahren werde.

“Die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Zusammenstoßes in der Luft oder auf See – zufällig oder absichtlich – ist stark gestiegen, zumal, wie wir weiter unten erklären, Präsident Obamas Kontrolle über die führenden US/NATO-Generäle, von denen einige gerne Cowboy spielen, sehr schwach ist. Daher möchten wir Sie ermutigen, wie schon vor dem letzten NATO-Gipfel, Ihre NATO-Kollegen aufzufordern, in Warschau ein “gewisses Maß an vernünftiger Skepsis” an den Tag zu legen – insbesondere im Hinblick auf die von Russland ausgehende Gefahr.
 
“Viele von uns haben sich jahrzehntelang mit der Außenpolitik Moskaus befasst. Wir schütteln ungläubig den Kopf, wenn wir sehen, dass westliche Führer scheinbar nicht wissen, was es für die Russen bedeutet, Übungen in einem Ausmaß mitzuerleben, wie sie seit Hitlers “Unternehmen Barbarossa” vor 75 Jahren, bei dem 25 Millionen Sowjetbürger starben, nicht mehr stattgefunden haben. Unserer Ansicht nach ist es unverantwortlich, zu glauben, dass der russische Präsident Wladimir Putin keine Gegenmaßnahmen ergreifen wird – zu einem Zeitpunkt und an einem Ort seiner Wahl.
 
“Putin hat nicht die Möglichkeit, seine Generäle zu beruhigen, dass das, was sie von der NATO hören und sehen, nur Rhetorik und Posen sind. Er sieht sich bereits einem erhöhten Druck ausgesetzt, unmissverständlich und energisch zu reagieren. Alles in allem wird Russland zwangsläufig heftig auf die seiner Ansicht nach ungerechtfertigte Provokation großer Militärübungen entlang seiner westlichen Grenzen, auch in der Ukraine, reagieren.

“Bevor die Dinge noch schlimmer werden, müssen die erfahrenen NATO-Führer zeigen, dass sie staatsmännisches Verhalten und ein diplomatisches Geben und Nehmen dem Säbelrasseln eindeutig vorziehen. Andernfalls wird es wahrscheinlich zu einem militärischen Zusammenstoß mit Russland kommen, wobei die Gefahr einer Eskalation bis hin zu einem nuklearen Schlagabtausch allgegenwärtig ist.
 
“Äußerst besorgniserregend ist die Tatsache, dass viele NATO-Führer der zweiten Generation sich dieser drohenden Möglichkeit nicht bewusst zu sein scheinen – oder sie sogar ignorieren. Demagogische Äußerungen wie die des ehemaligen polnischen Präsidenten Lech Walesa, der damit prahlt, dass er auf russische Jets “schießen” würde, die US-Zerstörer umkreisen, sind mit Sicherheit nicht hilfreich. Walesas Ton spiegelt jedoch die Macho-Haltung wider, die heute in Polen und bei einigen anderen NATO-Neulingen vorherrscht.

“Wir glauben, dass Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu Recht darauf hingewiesen hat, dass militärisches Auftreten an Russlands Grenzen weniger regionale Sicherheit bringt. Wir begrüßen seine Ermahnung: “Wir sind gut beraten, keine Vorwände zu schaffen, um eine alte Konfrontation zu erneuern.”
 
Die Notwendigkeit von Offenheit
 
“Apropos “Vorwände, um eine alte Konfrontation zu erneuern”: Wir glauben, dass es an der Zeit ist, anzuerkennen, dass die deutliche Zunahme der Ost-West-Spannungen in den letzten zwei Jahren ursprünglich auf den vom Westen unterstützten Staatsstreich in Kiew am 22. Februar 2014 und Russlands Reaktion mit der Annexion der Krim zurückzuführen ist.

“Obwohl wir insgesamt über Hunderte von Jahren Erfahrung im Bereich der Nachrichtendienste verfügen, hatten wir noch nie erlebt, dass die Planung eines Staatsstreichs Wochen im Voraus aufgedeckt – und dann trotzdem durchgeführt wurde. Nur wenige scheinen sich daran zu erinnern, dass Anfang Februar 2014 auf YouTube ein Mitschnitt eines abgehörten Gesprächs zwischen der stellvertretenden US-Außenministerin Victoria Nuland und dem US-Botschafter in Kiew veröffentlicht wurde, in dem “Yats” (also Arseniy Yatsenyuk) als Washingtons Wahl für den neuen Premierminister der Putschregierung in Kiew genannt wurde. …

“Wir sind der Meinung, dass es für die westlichen Staats- und Regierungschefs an der Zeit ist, zuzugeben, dass es nicht den geringsten Beweis für einen russischen Plan gibt, die Krim zu annektieren, bevor der Putsch in Kiew stattfand und die Putschisten begannen, über einen NATO-Beitritt der Ukraine zu sprechen. Wenn hochrangige NATO-Führer weiterhin nicht in der Lage oder nicht willens sind, zwischen Ursache und Wirkung zu unterscheiden, sind zunehmende Spannungen mit potenziell katastrophalen Folgen unvermeidlich – die unserer Ansicht nach alle unnötig und vermeidbar sind.
 
Ukraine: Immer noch schwärend
 
“In unserem Memorandum für Sie vom August 2014 empfahlen wir Ihnen, “angemessen misstrauisch gegenüber den Anschuldigungen des US-Außenministeriums und der NATO-Beamten zu sein, die eine russische Invasion in der Ukraine behaupten.” Tatsächlich war der Ernst der Lage wesentlich schlimmer, als uns damals bewusst war.

“Wir wissen jetzt, dass US-Luftwaffengeneral Philip Breedlove, der bis vor zwei Monaten oberster NATO-Befehlshaber war, stark auf eine Konfrontation mit Russland und den putschfeindlichen Separatisten in der Ostukraine drängte. Dies geht eindeutig aus den kürzlich veröffentlichten E-Mails von Breedlove hervor, die nun bestätigen, was wir 2014 glaubten, nämlich dass jeder die übertriebenen Behauptungen von Breedlove, von denen viele auf unscharfen Fotos und anderen höchst zweifelhaften “Geheimdienstinformationen” beruhten, genau prüfen musste.

“Als Breedlove für die Genehmigung eines Stellvertreterkriegs mit Russland in der Ukraine warb, übte er heftige Kritik an der Politik von Präsident Barack Obama, die Breedlove einfach mit den Worten abtat: “Bringt mich nicht in einen Krieg.” (Als ob dies eine Art feiger Befehl wäre!)

Die E-Mails zeigen, dass Breedlove hinter Obamas Rücken immer wieder versuchte, die USA zu einer Reaktion auf Russland zu bewegen, zu überreden oder zu zwingen. Einer von Breedloves E-Mail-Korrespondenten schrieb an ihn zurück: “Angesichts Obamas Anweisung an Sie, keinen Krieg zu beginnen, könnte dies ein schwieriges Unterfangen sein”, aber das hielt Breedlove nicht davon ab, es zu versuchen.

“Wie Ihre eigenen Geheimdienstanalysten Ihnen mitteilen konnten, ging Breedlove 2015 mit der Behauptung, dass “weit über tausend Kampffahrzeuge, russische Kampftruppen, einige der modernsten Luftabwehrwaffen und Artilleriebataillone” in die Ostukraine geschickt worden seien, über extreme Übertreibung hinaus und wurde zur reinen Erfindung.

“Dies waren die falschen Behauptungen, mit denen Breedlove versuchte, hochrangige Militärs und den Kongress dazu zu bringen, Obama zur Lieferung von Waffen an die ukrainischen Streitkräfte zu bewegen.

“Damit es nicht den Anschein hat, dass wir General Breedlove besonders hervorheben, hat sein Vorgänger als oberster NATO-Befehlshaber, Admiral James Stavridis, kaum ein gutes Beispiel gegeben. Ein Jahr, nachdem die USA einige NATO-Länder in einem Blitzkrieg mit Flugzeugen und Raketen gegen den libyschen Präsidenten Muammar Gaddafi angeführt hatten, schrieben Stavridis und der ehemalige US-Botschafter bei der NATO, Ivo Daalder, in Foreign Affairs: “Die NATO-Operation in Libyen ist zu Recht als vorbildliche Intervention gepriesen worden.”

“Die Operation war natürlich genau das Gegenteil. Das Chaos, das jetzt in Libyen herrscht, mit Hunderten von Flüchtlingen, die im Mittelmeer ertrinken, ist der beste Beweis dafür, dass die Entscheidung Ihrer Regierung, Deutschland von dieser “vorbildlichen Intervention” fernzuhalten, eine weise Entscheidung war.

“Auch wenn es uns etwas unangenehm ist, solch offene Kommentare über den Charakter und das Kaliber der ranghöchsten US-Generäle und Admirale abzugeben, von denen viele schließlich in hochrangige politische Positionen bei der NATO berufen werden – eine solche Kritik ist unvermeidlich. Die wichtige Realität, auf die wir Ihre Aufmerksamkeit lenken, betrifft nicht nur ihre Qualifikationen, sondern auch ihre ablehnende Haltung gegenüber Präsident Obama.

“In unserem Memorandum vom 30. August 2014 stellten wir fest, dass Präsident Obama “nur eine schwache Kontrolle über die politischen Entscheidungsträger in seiner Regierung hat”. Dass dies auch für hochrangige Militärs gilt, zeigt Obamas Versäumnis, General Breedlove zu entlassen, der – zusätzlich zu seinem intensiven Manövrieren hinter Obamas Rücken – kaum Anstrengungen unternahm, seine offene Verachtung für die vorsichtige Herangehensweise seines Oberbefehlshabers an die Möglichkeit einer bewaffneten Konfrontation an unberechenbaren Orten wie der Ukraine zu verbergen. …”


Das Folgende stammt aus dem ersten VIPS-Memorandum für Bundeskanzlerin Merkel (30. August 2014) – über das, was über die Glaubwürdigkeit der damaligen Führer der NATO bekannt war:
 
“Ihre Berater haben Sie hoffentlich an die fragwürdige Glaubwürdigkeitsbilanz von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen erinnert. Wir haben den Eindruck, dass Rasmussens Reden nach wie vor von Washington abgefasst werden. Dies wurde am Tag vor der US-geführten Invasion in den Irak deutlich, als er als dänischer Ministerpräsident vor dem Parlament erklärte: “Der Irak hat Massenvernichtungswaffen. Das ist nicht etwas, was wir einfach glauben. Wir wissen es.“

“Bilder können mehr sagen als tausend Worte, aber sie können auch täuschen. Wir haben beträchtliche Erfahrung im Sammeln, Analysieren und Berichten über alle Arten von Satelliten- und anderen Bildern sowie über andere Arten von Informationen.  Es genügt zu sagen, dass die von der NATO am 28. August veröffentlichten Bilder eine sehr fadenscheinige Grundlage bieten, um Russland eine Invasion der Ukraine vorzuwerfen. Leider haben sie große Ähnlichkeit mit den Bildern, die Colin Powell am 5. Februar 2003 vor der UNO zeigte und die ebenfalls nichts bewiesen.

“Am selben Tag warnten wir Präsident Bush, dass unsere ehemaligen Analystenkollegen “zunehmend beunruhigt über die Politisierung der Geheimdienste” seien, und sagten ihm unumwunden, dass “Powells Präsentation nicht annähernd” geeignet sei, einen Krieg zu rechtfertigen. Wir forderten Bush auf, “die Diskussion … über den Kreis der Berater hinaus auszudehnen, die eindeutig auf einen Krieg aus sind, für den wir keinen zwingenden Grund sehen und von dem wir glauben, dass die unbeabsichtigten Folgen wahrscheinlich katastrophal sein werden.“

Betrachten Sie den Irak heute. Das ist schlimmer als katastrophal.

“Auch wenn sich Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt bisher sehr zurückhaltend gezeigt hat, sollten wir nicht vergessen, dass auch Russland “shock and awe” kann. Wenn auch nur die geringste Chance besteht, dass so etwas in Europa wegen der Ukraine passieren könnte, müssen nüchtern denkende Staats- und Regierungschefs dies sehr sorgfältig durchdenken.”
 
ENDE des Auszugs aus dem Memorandum der VIPS für Bundeskanzlerin Merkel vom 30. August 2014.


 
Ray McGovern war in seiner 27-jährigen Laufbahn als CIA-Analyst u. a. Leiter der Abteilung für sowjetische Außenpolitik und Vorbereiter/Briefschreiber des President’s Daily Brief. Er ist Mitbegründer von Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS).

Titelbild: OnePixelStudio / Shutterstock


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