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Titel: „Gegneranalyse“ – Das Bundesfamilienministerium finanziert ein Überwachungs- und Diffamierungsportal gegen kritische Medien

Datum: 1. Juli 2022 um 8:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Erosion der Demokratie, Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft, Strategien der Meinungsmache
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Der Vorgang ist ein medienpolitischer Skandal, der seinesgleichen sucht und an die Wurzel unseres bisherigen Verständnisses von Demokratie und Pressefreiheit geht. Das Bundesfamilienministerium (BMFSFJ) und die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) finanzieren mit sechsstelligen Beträgen ein Projekt der Grünen-nahen Stiftung „Zentrum liberale Moderne“ (LibMod) mit dem bezeichnenden Titel „Gegner-Analyse“. Ziel des Projektes ist es laut Darstellung der Stiftung, „systemoppositionelle“ Medien zu überwachen und zu analysieren. Einen Schwerpunkt ihrer Arbeit legen die Macher dabei auf die NachDenkSeiten. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ausgestattet mit allein 284.590,33 Euro vom Bundesfamilienministerium (ausgerechnet im Rahmen des Programms „Demokratie leben“) ging im August 2021, zunächst kaum beachtet von der Öffentlichkeit, ein Projekt mit dem Namen „Gegneranalyse – Gegenmedien als Radikalisierungsmaschine“ an den Start, das, von unser aller Steuergelder finanziert, Hand anlegt an einstige demokratische Grundwerte.

Kritische Medien wie die NachDenkSeiten (NDS) werden dort als „systemoppositionelle Gegenmedien“ bezeichnet, die „selbsterklärte Gegner der liberalen Demokratie“ sowie „Gegner der offenen Gesellschaft“ seien, die es in Form von monatlichen „Monitorings“ zu überwachen und in Form von „Fallstudien“ zu analysieren gilt.

NachDenkSeiten als eines der Hauptziele des Projekts

Dass die Projekt-Verantwortlichen die NachDenkSeiten als „Hauptgegner“ ausgewählt haben, wird alleine dadurch deutlich, dass nach über 11 Monaten Laufzeit das „Gegneranalyse“-Projekt bis Juni 2022 nur eine einzige Fallstudie veröffentlicht hat. Diese beschäftigt sich ausschließlich mit den NDS und verbreitet dabei Behauptungen wie diese:

„Wie diese Untersuchung zeigt, handelt es sich bei den Nachdenkseiten um ein stark ideologisiertes, undifferenziert argumentierendes Medium, das radikale Widerständigkeit postuliert und als Scharnier für verschwörungstheoretisches Denken fungiert. Bei einzelnen Themen reiht man sich dabei bewusst in eine fundamentaloppositionelle Querfront ein.“

Auf die haarsträubenden methodischen und inhaltlichen Defizite dieser „Studie“ gehen wir hier nicht weiter ein. Das hat bereits Albrecht Müller in einem Telepolis-Interview getan, welches Sie hier nachlesen können, sowie Prof. Dr. Sabine Schiffer in einer Einschätzung für das Institut für Medienverantwortung.

Auch in den monatlichen Medien-„Monitorings“ liegt ein Schwerpunkt auf den NachDenkSeiten. Diese Beiträge zu den NDS stammen ausschließlich aus der Feder von Matthias Meisner, einem ehemaligen Tagesspiegel-Redakteur, bekannt für seine intriganten Artikel gegen Sahra Wagenknecht. Schon im ersten Beitrag von November 2021 werden die NachDenkSeiten in einem Atemzug mit der rechtsradikalen QAnon-Sekte genannt sowie als „befinden sich auf Querdenker-Niveau“ bezeichnet. Im Monitoring vom Januar wird behauptet, „die NachDenkSeiten untergraben gezielt das Vertrauen in die deutsche Medienlandschaft.“ Mit ähnlichen Behauptungen geht es auch in den anderen Monitorings zu Februar, März etc. weiter.

Die dahinter steckende Absicht, zu diffamieren und herabzuwürdigen, ist offensichtlich.

Man muss sich das wirklich nochmal vor Augen führen: Für eine Summe, mit der man z.B. sieben Kindergarten-Erzieher komplett für ein Jahr finanzieren könnte, veröffentlichte die Gegneranalyse der LibMod bis Juni 2022 eine (!) einzige „Fallstudie“, eine Auftragsarbeit zur Diffamierung der NachDenkSeiten. Als weitere Hauptaktivität werden in Form von kurzen monatlichen „Monitoring“-Berichten, sogenannte „alternative Medien“ überwacht.

Das alles geschieht unter dem geradezu zynisch anmutenden Fördertitel „Demokratie leben!“.

Was sagt das Ministerium dazu?

Vor diesem Hintergrund fragten wir beim Bundesfamilienministerium nach. Die Antworten haben es in sich. Das Ministerium erklärte unter anderem, dass der Förderantrag von LibMod gar nicht auf den jetzt verwendeten Projektnamen „Gegneranalyse“ lautete.

Zitat aus der Antwort: „Der Begriff „Gegneranalyse“ ist nicht Titel des geförderten Projekts. (…) Das Bundesministerium fördert das Projekt des Trägers Zentrum Liberale Moderne mit dem Titel „Gegen-Medien:  Parallelöffentlichkeit und Radikalisierungsmaschine zur Delegitimierung der repräsentativen Demokratie“.

Das muss man sich ebenfalls auf der Zunge zergehen lassen. Die Stiftung „Zentrum liberale Moderne“ beantragt unter einem völlig anderen Namen („Gegenmedien“) Projektmittel und führt erst dann, nach Erhalt der Gelder, den viel verfänglicheren Namen „Gegneranalyse“ ein. Wie man im Screenshot ersehen kann, lautet wirklich alles in dem Projekt auf diesen neuen, nicht vom Ministerium abgenommenen Namen „Gegneranalyse“:

Eigentlich ein unerhörter Vorgang, der eine erneute Untersuchung des Antrags durch die Vergabeinstanzen des Ministeriums und mögliche Rückzahlung der Gelder erfordert. Unsere Frage, ob das Lib-Mod-Projekt evaluiert wird, bejahte das BMFSFJ. Allerdings zeigt die Antwort auch, dass an einer ernsthaften Evaluierung kein Interesse zu bestehen scheint. Das können die beauftragten Institute gar nicht leisten, da sie alle einen ausschließlich sozialpädagogischen (!) Hintergrund haben:

„Das Projekt wird als Teil des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ automatisch evaluiert. Mit der Evaluation bzw. der wissenschaftlichen Begleitung des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ wurden folgende Institutionen beauftragt: Deutsches Jugendinstitut e. V., Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V., Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung DeZIM e. V. sowie Camino – Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH.“

Fehlende Distanz zwischen Familienministerium und LibMod-Stiftung

Ebenso aufschlussreich ist, wie das Ministerium in seiner Antwort die Behauptungen des LibMod-Projektes Gegneranalyse einfach ungeprüft übernimmt.

In der Antwort auf unsere Frage, wie das BMFSFJ den Begriff „Gegneranalyse“ bewertet und dessen Finanzierung rechtfertigt, macht sich das Ministerium völlig distanzlos die Behauptung der privaten Stiftung zu eigen. In wörtlicher Wiedergabe eines Websiten-Textes von Gegneranalyse heißt es in der Antwort des BMFSFJ, Ziel sei es, „die selbsterklärten Gegner der liberalen Demokratie zu analysieren”.

Auf unsere weitere Nachfrage, wann und mit welchen Texten die NachDenkSeiten „selbst erklärt“ hätten, sie seien „Gegner der liberalen Demokratie“, verwies der Ministeriumssprecher erneut auf das LibMod-Projekt zur „Gegneranalyse“.

Statt dieser völlig unhinterfragten Übernahme von unbelegten Behauptungen der Projektverantwortlichen mit einem beinahe wahnhaften Verhältnis zu den NDS würde man sich etwas mehr Distanz und Neutralität eines Bundesministeriums wünschen.

Doch stattdessen passiert genau das Gegenteil. Eine umstrittene private Stiftung mit engen Verbindungen zum rechten Flügel der Grünen und einer sehr eindeutigen politischen Agenda, Geheimdienstkontakte inklusive, wird vom Familienministerium zu einer Referenz und einem quasi-staatlichen Akteur zur Überwachung von „systemoppositionellen Medien“ erhoben. Finanziert ausschließlich mit unseren Steuergeldern und ohne jede demokratische Legitimation und Kontrolle. Wer stoppt dieses wahnsinnige Projekt?

Wenn es in unserem Staat noch demokratischen Anstand gibt, dann wären in diesem Fall der Bundesrechnungshof, angesichts der Verschwendung von Steuergeldern, sowie der Presserat, der sich die Verteidigung der Pressefreiheit gegen Eingriffe von außen auf die Fahnen geschrieben hat, aufgerufen, tätig zu werden.

Doch statt nur auf den Bundesrechnungshof und den Presserat zu warten und darauf zu hoffen, dass diese ihre Pflicht erfüllen, rufen wir Sie, unsere Leserinnen und Leser, auf, die skizzierten Vorgänge genau zu beobachten und als Demokraten und Bürger dieses Landes dagegen einzuschreiten – wo immer Sie das können: mit Leserbriefen, mit Kommentaren und Stellungnahmen bei den beteiligten Institutionen (Familienministerium, Innenministerium und die ihm unterstellte Bundeszentrale für politische Bildung, Stiftung Liberale Moderne) sowie mit Beschwerden bei Ihren Abgeordneten, im konkreten Fall vor allem bei denen der Grünen und der SPD, die zwei Parteien, die die derzeit Verantwortlichen in den beteiligten Ministerien stellen.

Titelbild: Screenshot gegneranalyse.de


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