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Titel: Jürgen Todenhöfer über die wechselnden Feindbilder des Westens

Datum: 28. Juli 2022 um 14:10 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
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Der Hass des Mainstreams auf Russland macht dem Westen das Leben leichter. Wenn Russland das Böse ist, fällt es viel leichter, die eigenen Kriege als tapferen Kampf für Menschenrechte und Demokratie darzustellen. Wir sind dann immer die Guten, die gegenüber den Bösen manchmal eben streng sein müssen.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

So war nach dem 2. Weltkrieg die kommunistische Sowjetunion Lieblings-Feindbild des Westens, was den USA ihre gleichzeitigen barbarischen Kriege in Korea und Vietnam erheblich erleichterte. Wir, die Guten, kämpften gegen das unentschuldbar Böse, das uns stets den Gefallen tat, ebenfalls vor Brutalitäten nicht zurückzuschrecken.

Als Anfang der 90er Jahre die Sowjetunion zerfiel, wurde der Islam das neue Feindbild. Vorwand war der teuflisch geniale Terroranschlag auf das World Trade Center am 11.9.2001. Die Zahl der Opfer des “islamistischen” Terrors im Westen liegt noch immer unter 5.000 – einschließlich der Toten von 9/11 – während die westlichen Antiterrorkriege hunderttausende muslimische Zivilisten getötet haben. Der Islam – nicht nur der islamistische Terror – war ein äußerst erfolgreiches Feindbild. Über ein halbes Dutzend blutiger Kriege wurden mit ihm gerechtfertigt.

Da die Anti-Terrorkriege alle ziemlich chaotisch und oft auch als Niederlage endeten, fingen sie an, die amerikanische Wählerschaft zu langweilen. Also musste ein anderes Feindbild her.

Die Wahl fiel auf Russland, das den USA wie alle früheren “Feinde” letztlich einen perfekten Vorwand lieferte. Jahrelang von den USA mit Sanktionen und gebrochenen Zusagen provoziert, überfiel es im Februar 2022 die Ukraine.

Für die USA kam dieser Krieg genau zur rechten Zeit. Noch immer haben sie keine überzeugende Strategie gegenüber ihrem Hauptrivalen China. Das Ausschalten Russlands, des wichtigsten potentiellen Verbündeten Chinas, würde auch China schwächen und das war in jedem Fall ein erstrebenswertes Zwischenziel im Kampf um die Verteidigung der Weltherrschaft.

Mit sanftem Druck gelang es den USA, die Europäer zu Waffenlieferungen an die Ukraine zu bewegen. Ihr genialster Streich allerdings war, die Europäer zu Sanktionen zu bewegen, die ihnen mehr schadeten als Russland. Dadurch wurde nicht nur der Rivale Russland, sondern auch die europäischen Verbündeten geschwächt, deren wirtschaftlichen Erfolge den USA nicht immer reine Freude bereiteten.

Ein Geniestreich war auch, dass es den USA und der von ihnen dominierten NATO gelang, die Mittelmacht Russland als militärischen Riesen darzustellen. Obwohl der Militärhaushalt der NATO 17,9 Mal höher ist als der Rüstungshaushalt Russlands, das in den letzten Jahren aus wirtschaftlichen Gründen abgerüstet hatte (1180 Mrd. gegenüber 65,9 Mrd. Dollar).

Es wäre Aufgabe der westlichen Medien gewesen, die wahren Kräfteverhältnisse aufzuzeigen. Doch die meisten westlichen Medien sehen sich – nicht anders als etwa die Medien Russlands – als Teil des Systems und nicht als dessen Kontrolleur. Und so morden, vergewaltigen und foltern nach Aussagen unserer Medien immer nur russische Soldaten, nie Ukrainer.

Ohne die Unterstützung der Mainstream-Medien wären die Erfindung von Feindbildern und das Überziehen der Welt mit Kriegen nicht möglich.

Wer das nächste Feindbild sein wird, ist nicht schwer zu erraten. China hat gute Chancen, diese gefährliche Rolle in den internationalen Beziehungen zu spielen. Ein Vorwand wird sich im richtigen Augenblick schon finden lassen. So wie bei den legendären Opiumkriegen 1840 und 1842, als Großbritannien und Frankreich China überfielen, weil der chinesische Kaiser sich weigerte, immer größere Mengen britischen Opiums einzuführen.

Titelbild: Laura Reyero / Shutterstock


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