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Titel: Sanktionen töten Menschen. Beispiel Syrien. Höchste Zeit, mit diesen Spielereien aufzuhören.

Datum: 15. November 2022 um 16:40 Uhr
Rubrik: Länderberichte, Militäreinsätze/Kriege, Wirtschaftspolitik und Konjunktur
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Die Friedensgruppe „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ leistet seit Jahren in Syrien praktische Hilfe. Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten haben die Gruppe und ihre Arbeit für ein Krankenhaus in Damaskus gelegentlich unterstützt. Bernd Duschner, Initiator dieser Gruppe, berichtet jetzt aus einem Gespräch mit der Leiterin dieses Krankenhauses. Albrecht Müller.

Ohne Strom, Heizung, Wasser. Hunger und Cholera in Syrien

Gespräch mit der Leiterin eines Krankenhauses in Damaskus

Seit 6 Jahren arbeitet unsere lokale Friedensgruppe „Freundschaft mit Valjevo e.V.“ im oberbayerischen Pfaffenhofen a.d.Ilm mit dem „Italienischen Krankenhaus“ in Damaskus zusammen. Mit Spenden, darunter zahlreiche von Lesern der „NachDenkSeiten“, konnten wir dem Krankenhaus immer wieder helfen, so beim Kauf eines gebrauchten Computertomographen, neuer Betten, von Defibrillatoren, der Beschaffung von Winterkleidung für Straßenkinder oder für Insassen von Altenheimen.

Anfang November hat uns die Leiterin dieses Krankenhauses, Schwester Carol Tahhan, für vier Tage besucht, um sich für diese kontinuierliche Unterstützung zu bedanken und über die aktuelle Situation in Syrien zu berichten.

Es waren Tage intensiver Gespräche.

Carol Tahhan stammt aus einer armenischen Familie und wurde in Aleppo geboren. Ihr Vater hatte mit Chemikalien gehandelt, sie liebt die Mathematik und die Naturwissenschaften. Deshalb hatte sie zunächst ein Chemiestudium abgeschlossen und in einer Arzneimittelfabrik gearbeitet. Langjährige ehrenamtliche Arbeit mit Behinderten führte dazu, dass sie ihren Beruf aufgab und bei den Don-Bosco-Schwestern eintrat. Dort leitete sie in Damaskus zunächst deren Kindergarten und seit 2018 das „Italienische Krankenhaus“. Das Krankenhaus hat in der syrischen Hauptstadt einen exzellenten Ruf.

Ein ganzes Volk kämpft um sein Überleben

Der Krieg 2011, berichtet uns Tahhan, kam für sie überraschend. Sie war überzeugt gewesen, dass Unruhen und ein Umsturz wie damals in Ägypten in Syrien, in dem seit Jahrhunderten unterschiedliche Volksgruppen und religiöse Gemeinschaften friedlich zusammenleben, nicht eintreten werden. Es sei schrecklich gewesen, als Jihadisten die Kontrolle über Vororte von Damaskus übernommen hatten und tagtäglich in unmittelbarer Nähe auf dem Gelände des Krankenhauses und des danebenliegenden Kindergartens Granaten einschlugen. Selbst die Gänge des Krankenhauses waren übervoll von Schwerverletzten. Trotzdem hätten sie die beiden Einrichtungen zu keinem Zeitpunkt geschlossen.

Im Kindergarten sei es wichtig gewesen, die eigene Angst vor den Kindern zu verbergen, ihnen trotz allem unbeschwerte Stunden zu ermöglichen.

So schrecklich die Zeit des Krieges damals gewesen sei, heute, sagt Tahhan, würde die syrische Bevölkerung unvergleichlich mehr leiden. Es gäbe keinen Strom, kein Gas zum Kochen, keinen Brennstoff zum Heizen, kein Wasser, nicht genügend Essen. Strom liefere das öffentliche Netz selbst in der Hauptstadt täglich nur für 2-3 Stunden. Ihr Krankenhaus müsse sich mit Generatoren behelfen und zu horrenden Preisen Diesel auf dem Schwarzmarkt einkaufen. Dieses Geld fehle für den Kauf von Ausrüstung, von Medikamenten und für eine ausreichende Bezahlung des Personals. Es gebe nur jeden 3. Tag fließendes Wasser und dies nur für 2-3 Stunden.

Ihr Krankenhaus habe einen eigenen Brunnen, ein Großteil der Bevölkerung aber sei gezwungen, sich Wasser von Tankfahrzeugen von privaten Händlern für viel Geld zu kaufen. Gas zum Kochen sei streng rationiert, die Menge völlig unzureichend. Nur jedes Vierteljahr gebe es für die Bürger eine Gasflasche. Es herrsche eine galoppierende Inflation und die Lebensmittelpreise explodierten. Fleisch, Obst und Gemüse seien unbezahlbar geworden. Viele Menschen hungerten und suchten in Abfallhalden nach Essbarem. In weiten Teilen des Landes sei die Cholera ausgebrochen. Eine längere Planung sei für sie als Leiterin des Krankenhauses nicht möglich. Sie könne nur jeden Tag versuchen, die Löcher zu stopfen, die sich neu auftuen: Viele lebensrettende Medikamente, medizinische Geräte und Ersatzteile für ihre Reparatur könnten nicht besorgt werden. Wegen der finanziellen Not arbeiteten viele Mitarbeiter gleichzeitig noch in einem weiteren Krankenhaus und seien häufig völlig erschöpft.

Unter diesen Bedingungen gehe die Abwanderung von Fachpersonal und Ärzten ins Ausland unverändert werden. Diesen Sommer, erzählt sie uns, sei Bashar Assad überraschend und unangemeldet auf einer Versammlung von Kirchenvertretern aufgetaucht und habe ihre Diskussion einige Stunden aufmerksam verfolgt. In ihrem Redebeitrag habe sie die Situation in ihrem Krankenhaus beschrieben und auf die Hoffnungslosigkeit hingewiesen, die mittlerweile in der Bevölkerung herrsche. Der Präsident bat sie um eine schriftliche Eingabe. Zumindest die Zuteilung von Diesel für ihr Krankenhaus sei anschließend ein wenig erhöht worden. Die Möglichkeiten der Regierung, unter den Bedingungen der Sanktionen zu helfen, sind allerdings äußerst begrenzt.

Dass in Syrien eine humanitäre Katastrophe stattfindet, bestätigt Professor Dr. Alena Douhan in ihrem soeben veröffentlichten vorläufigen Bericht über Auswirkungen der Sanktionen [1].

Die UN-Sonderberichterstatterin ist in diesen Tagen von einer 12-tägigen Reise aus Syrien zurückgekehrt. „Die gesamte Bevölkerung“, schreibt sie, „lebt unter lebensbedrohenden Bedingungen. Es herrscht ein schwerer Mangel an Trinkwasser, an Wasser für die Bewässerung, an Abwasseranlagen, an Strom, Brennstoffen zum Kochen und zum Heizen, für das Transportwesen und die Landwirtschaft, es fehlt an Lebensmitteln (einschließlich Babynahrung), Gesundheitseinrichtungen, medizinischer Ausrüstung und Medikamenten sowie Arbeits- und Bildungseinrichtungen…“

Die Fakten, die sie in ihrem Bericht aufführt, sind erschütternd: 90 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Preise sind seit 2019 um 800 Prozent gestiegen. Die Stromproduktion Syriens ist von täglich 9.500 Megawatt auf 2.100 Megawatt gesunken. Nur noch 20 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche Syriens können bewässert werden. Die Getreideernte hat sich von 3,1 Mio. Tonnen 2019 auf 1,7 Mio. Tonnen 2022 nahezu halbiert. 14,6 Prozent der syrischen Bevölkerung leiden unter chronischen und seltenen Krankheiten und schätzungsweise 24 Prozent seien behindert. In dieser dramatischen Situation fehlt es an lebenswichtigen Medikamenten für die Behandlung von Krebs, Multipler Sklerose, Bluthochdruck, Diabetes, für die Dialyse fehlen Anästhetika und Diagnostika für alle Krebsarten.

Wir brauchen eine Kampagne zur Aufhebung der Sanktionen

500.000 Menschen in Syrien hat der Krieg das Leben gekostet, Hunderttausende sind zu Invaliden geworden, 6,8 Millionen leben als Flüchtlinge im eigenen Land, ein Großteil der Wohngebäude und Infrastruktur sind zerstört oder schwer beschädigt. Trotzdem halten Berlin und Brüssel an ihren Sanktionen gegen Syrien fest. Der Wiederaufbau des Landes und die Ingangsetzung seiner Wirtschaft soll nach ihrem Willen solange verhindert werden, bis sich das Land ihren politischen Vorgaben beugt.

Öl, Gas und Strom sind heute die Grundvoraussetzung jeder Wirtschaft. Die Sanktionen der EU verbieten ausdrücklich die Finanzierung, technische Hilfe und Export von Ausrüstung und Technologie für den Bau von Kraftwerken zur Stromgewinnung und für die Förderung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas.[2] Die Öl- und Gaspipelines, die Raffinerien, die Kraftwerke und Stromnetze waren ein Hauptangriffsziel der Jihadisten gewesen. Nachdem es USA und ihrer Koalition der „Freunde Syriens“ nicht gelungen ist, die Regierung in Damaskus mit Hilfe von Moslembrüdern und Jihadisten zu stürzen, versuchen sie jetzt das Land wirtschaftlich völlig zu erdrosseln: Seit 2019 halten US-Truppen Syriens eigene Ölfelder, unverzichtbar für seine Stromproduktion, besetzt. Firmen und Personen aus Drittstaaten werden mit der Androhung von sekundären Sanktionen daran gehindert, auf dem Seeweg Öl und Gas nach Syrien zu bringen[3] oder Güter und Dienstleistungen an Syrien zu liefern, die das Land für seine Öl- und Gasproduktion braucht.[4]

Carol Tahhan steht zu ihrem Land und seinen Menschen. In Zusammenarbeit mit dem UNHCR organisierte sie für 2.000 Frauen Nähkurse. 2017 wurde sie deshalb vom US-Außenministerium mit dem „International Women of Courage Reward“ ausgezeichnet. Sie hat die Auszeichnung angenommen und die Gelegenheit genutzt, in den USA in aller Öffentlichkeit deren Kriegspolitik zu verurteilen und die Verleumdungen gegen ihr Land zurückzuweisen.[5] Bei der Ehrung bestand sie erfolgreich darauf, nicht als Vertreterin des Vatikan, sondern als Bürgerin Syriens ausgezeichnet zu werden. Die Veranstalter hatten jeden Bezug auf ihr Heimatland Syrien, das sie so erbittert bekämpfen, streichen wollen.

Ihre dringende Bitte an uns:

Die Öffentlichkeit über die Lage der syrischen Bevölkerung zu informieren, eine Kampagne für die Aufhebung der unmenschlichen Sanktionen zu führen und weiter humanitäre Hilfe zu leisten. Aktuell braucht ihr Krankenhaus ein Invasives Beatmungsgerät für ihre Intensivstation. Dafür haben wir als gemeinnütziger Verein mit der Sammlung von Spenden begonnen und bitten um Überweisungen auf unser Konto Friedensgruppe „Freundschaft mit Valjevo e.V.” bei der Sparkasse Pfaffenhofen, IBAN DE06 7215 1650 0008 0119 91, Stichwort Krankenhaus Damaskus.

Nachtrag Albrecht Müller:

Ein normaler Wessi, in diesem Fall sind die Vertreter westlichen Denkens gemeint, wird bei Lektüre dieses Berichtes über das Leiden in Syrien befriedigt feststellen können: Alles in Butter, die Sanktionen wirken. – Beispielhaft wird an diesem Denken die Unmenschlichkeit der westlichen Überlegenheitsideologie sichtbar.

Titelbild: quetions123 / Shutterstock



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