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Titel: Lügen über Landwirtschaft

Datum: 18. Dezember 2022 um 14:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Schadstoffe
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Nein, Lügen haben mitnichten kurze Beine. Ganz im Gegenteil. Sie kommen bisweilen mit Sieben-Meilen-Stiefeln daher oder spielen mit uns Hase und Igel: Ick bün all hier. Manchmal sind sie auch nur absichtsvoll erzählte Märchen. Wenn es um die Landwirtschaft und unsere Ernährung geht, dann sind es gerne Gruselmärchen, die erzählt werden. So zuletzt in der ältesten deutschen Talkshow 3nach9, als Schauspieler Sky Du Mont behauptete, deutsche Milchbauern würden Kälber lebendig in Containern entsorgen. Und niemand fragte nach oder widersprach gar. Von Florian Schwinn.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Desinformation

Zunächst erzählt der seit Jahren umweltbewegte Schauspieler Hannes Jaenicke in der Talkshow Ende November (ab Minute 34‘) von der Recherche zu einer Doku über die Milchviehhaltung. Er prangert an, dass die Hochleistungskühe nur auf Milchleistung gezüchtet werden und sie nach wenigen Jahren ausgelaugt sind. Er prangert an, dass ihnen die Kälber gleich nach der Geburt weggenommen werden. Dass sie darunter leiden und brüllen.

Bis dahin ist alles scharf formuliert, aber durchaus richtig. Zutreffend für den Großteil der deutschen Milchviehhaltungen. Dass es auch andere Haltungsformen gibt, wird bis hierhin nur kurz in einem Nebensatz erwähnt.

Dann kommt der Moment, als Schauspielerkollege Sky Du Mont unterbricht: „Nicht nur, dass die Kuh leidet, weil ihr das Kalb weggenommen wird und sie brüllt. Was passiert mit den Kälbern?“ fragt er, um dann gleich selbst zu antworten: „Da weiß ich wiederum Bescheid. Die werden ja alle umgebracht.” Hat Hannes Jaenicke, der alles recherchiert hat, hier wirklich genickt und „Ja“ gesagt? Ich fahre das Bild zurück. Ja, hat er. Und Sky Du Mont weiter: „Sie werden in Container geschmissen. Dann sind es mehrere Schichten, und die unteren sterben dann, indem sie ersticken.“ Jetzt sekundiert Hannes Jaenicke: „Ich bin froh, dass Du das erzählst.“ Und wieder Sky Du Mont: „Aber das muss man wissen! Wenn man Milch trinkt, muss man das wissen.“

Nun ist Sky Du Mont Schauspieler und es ist ihm gegeben, solche Ungeheuerlichkeiten so vorzutragen, dass wir Zuschauerinnen und Zuhörer glauben, er wisse das wirklich, er habe das vielleicht sogar selbst gesehen. So ernst und angewidert sein Ausdruck.

Nur, wo genau ist das bitte gewesen? Wer fragt nach? Moderatorin Judith Rakers jedenfalls nicht. Und wenn Hannes Jaenicke oder sein Team zur Milchviehhaltung so umfassend recherchiert hat, dass er die Behauptung des Kollegen abnicken kann: Wo ist die Strafanzeige des ZDF, für das Jaenicke seine Dokus dreht, wo ist die Enthüllung, der Skandal? Gibt es nicht, weil das Entsorgen lebendiger Kälber im Container wohl frei erfunden ist.

„Unterhaltung zum Mitdenken“ nennt radio bremen seine Talkshow im Untertitel. Und hofft anscheinend darauf, dass man genau das nicht allzu intensiv tut.

Hannes Jaenicke hat zwar zuvor schon gesagt, dass das Tierschutzgesetz in Deutschland täglich gebrochen werde und sämtliche Agrarministerinnen und -minister bislang vor der Agrarlobby eingeknickt sind. Wenn aber das hier Behauptete tatsächlich alltägliche Realität in Deutschland wäre, brauchte es keinen Minister, um das abzustellen. Das wäre Sache der Staatsanwaltschaft.

Was war das also, was uns Sky Du Mont mit seinem Auftritt sagen wollte? Seht her, ich bin ein noch viel größerer Macker als der Jaenicke. Ich sage euch, was wirklich Sache ist! So etwa? Wenn er wusste, dass nicht wahr ist, was er Ungeheuerliches erzählt, was war das dann: eine Lüge. So nennt man das wohl.

Faktencheck

Nach dem Aufschrei der Bauern und Bäuerinnen und vieler anderer Menschen, die sich mit Landwirtschaft etwas beschäftigt haben, nach Tausenden von Protestmails hat zuerst der NDR nachgehakt, in dessen drittem Fernsehprogramm die Talkshow ebenfalls läuft. NDR-Info hat in einem Beitrag nachgefragt, wie die Kälber von den Milchviehhaltern behandelt werden.

Der Bremer Bauernpräsident spricht darin von Hetze. Und Prof. Marina Hoedemaker, die Direktorin der Rinderklinik der TiHO, der Tierärztlichen Hochschule Hannover, die gerade zusammen mit anderen Instituten eine umfassende Studie zur Milchviehhaltung vorgelegt hat, sagt: „Das, was Herr Du Mont beschrieben hat, ist ein eindeutiger Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Und wenn jemand sowas sieht und mitbekommt, dann muss das zur Anzeige gebracht werden, weil das dann auch mit Sicherheit strafrechtlich verfolgt wird.“

Die Studie der TiHO, zusammen mit der FU Berlin und der LMU München, ist eine deutschlandweite Prävalenzstudie, die den Gesundheitszustand von Milchkühen, deren Kälbern und der Jungrinder erfasst. Danach ist mitnichten alles gut bei deutschen Milchkühen. Tatsächlich erleben die wenigsten von ihnen mehr als vier Laktationen. Die meisten bringen also nur vier Kälber zur Welt. Sie sterben viel zu früh, auch um wirtschaftlich zu sein für die Bäuerinnen und Bauern, die sie ja zuerst einmal fast zwei Jahre nur gefüttert haben, bevor sie den ersten Liter Milch melken konnten. In der Zusammenfassung der Studie heißt es: „Insgesamt gab es viele gut wirtschaftende Betriebe, aber leider auch einen beträchtlichen Anteil an Betrieben, in denen die verschiedenen Aspekte einer guten landwirtschaftlichen Praxis nicht eingehalten wurde mit Konsequenzen für die Tiergesundheit.“

Aber den von Sky Du Mont behaupteten Skandal der Entsorgung von Kälbern im Container, den hat auch eine deutschlandweite Studie in vierjähriger Erfassungsarbeit nicht erkennen können. Der Schauspieler, so die Moderatorin von NDR-Info vor dem Beitrag, habe sich inzwischen entschuldigt. Wofür eigentlich genau und wie macht man sowas: Wenn meine Lüge jemanden verletzt haben sollte, tut es mir leid! So etwa?

Und die Redaktion hat auf der Seite von 3nach9 dann auch einen Faktencheck vorgelegt, der mit vielen Statistiken um sich wirft, aber mit keinem Wort der Behauptung von Sky Du Mont nachgeht. Macht nichts, Faktenchecks bringen die Behauptungen, die sie womöglich widerlegen, ohnehin nicht mehr aus der Welt. Schon gar nicht in unserer medialen Aufregungsgesellschaft.

Klimaschädliches Biofleisch

Es ist ja auch nicht so, dass die Auftritte von Protagonisten wie Du Mont und Jaenicke eine Seltenheit wären. In den Medien Unsinn erzählen ist keine neue Erfindung und auch keine, die auf Fernseh-Talkshows begrenzt wäre. Es geht auch ganz klassisch in der Zeitung.

Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach auf falsche Narrative über die Landwirtschaft hingewiesen. Am explizitesten, als es um die Fleisch-Wasser-Lüge und um die Kuh-Klima-Lüge ging. Letztere, die auf der Behauptung basiert, die Rinder würden das Klima zerstören, indem sie das hochwirksame Treibhausgas Methan in die Atmosphäre rülpsen, war nun gerade wieder Anlass für eine ganze Zeitungsseite. In der Wochenendbeilage der vielen Regionalzeitungen des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlages wurde aufgelistet, welches die klimaschädlichsten Lebensmittel seien.

Platz 1 mit dem größten Fußabdruck an CO2-Äquivalent belegt Rindfleisch in Bioqualität. „Wie beim Rinder-Hack hat das konventionelle Produkt eine bessere Ökobilanz als das Bio-Produkt.“ Vergiss dieses ganze Gerede übers Tierwohl. Wenn Du ans Klima denkst, kauf konventionell! Das ist die durchgehende Empfehlung bei der Liste der vom shz-Verlag veröffentlichten „zehn klimaschädlichsten Lebensmittel“.

Die Erklärung dahinter ist so simpel wie falsch: Sie beruht auf der Annahme, dass Rinder per se klimaschädlich sind, weil sie Methan ausstoßen, das Mikroorganismen in ihrem Verdauungstrakt produzieren. Das ist nicht richtig, weil wir immer die gleiche Menge Rinder auf dieser Welt halten und sie immer die gleiche Menge Methan ausstoßen. Das Treibhausgas zerfällt nach ein paar Jahren in der Atmosphäre und wird durch neues biogenes Methan aus den biologischen Zersetzungsprozessen ersetzt.

In den vergangenen Jahren ist die Menge der weltweit gehaltenen Rinder sogar gesunken. Es müsste sich also weniger biogenes Methan in der Atmosphäre befinden. Bloß die Menge des Treibhausgases ist dennoch gestiegen. Was an Leckagen von Pipelines und sogenannten Operational Losses bei der Gas- und Ölförderung liegt. Die sichtbarsten Leckagen waren die nach den Angriffen auf die Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2.

Falsche Annahmen

Wer nun aber trotz aller gegenteiliger Daten und Argumente annehmen will, dass Wiederkäuer per se klimaschädlich sind, der muss dann auch davon ausgehen, dass ein Biorind klimaschädlicher ist als ein konventionell gehaltenes. Das Biorind nämlich lebt länger und hat also viel mehr Zeit zum Rülpsen und zum Pupsen.

Was war dann aber in früheren Zeiten mit all den Wildrindern, Rentieren, Mammuts? Haben Sie die Klimakatstrophe der auftauenden Eiszeit verursacht? Und was ist mit den heutigen Büffeln, Gnus und Elefanten in der Serengeti zum Beispiel? Müssten wir nicht vor allem die Elefanten umbringen, weil die am meisten Grünzeug vertilgen und also am meisten verdauen und Methan ausstoßen? Und was ist mit dem Reisanbau in Asien oder auch Italien? Ja, auch da entsteht Methan. In den vernässten Feldern arbeiten die Mikroben unter Luftabschluss am Verrotten organischen Materials. Genauso wie im Verdauungstrakt der Rinder.

Es ist, wie man bei einigem Nachforschen recht einfach erkennen kann, schlicht Unsinn, dass die Rinder das Klima zerstören. Auch wenn man wissenschaftlich feststellen kann, wie viel Methan welches Lebensmittel bei seiner Entstehung ausgegast hat. Da das per se nicht klimarelevant ist, kann man auch auf der Glatze Locken drehen. Oder noch mehr Forschungsgelder verschwenden.

Übrigens gibt es auch Spitzenforschung dazu, wie man mit weniger Methanausstoß mehr Milch produziert. Und die findet auch noch da statt, wo die hier vorgestellte Zeitungsbeilage erschienen ist. Ein Anruf hätte genügt. Diese Forschung widerlegt nämlich eindeutig, dass konventionell gehaltene Rinder, die im Stall stehen, weniger Methan ausstoßen – hier gemessen an dem Produkt Milch. Weniger Methan pro Liter Milch produzieren die Kühe dann, wenn sie das tun dürfen, was sie am besten können: auf der Weide grasen.

Aber das ist eine andere Diskussion, die nur dann Sinn hat, wenn man sich wirklich darüber unterhalten möchte, wie wir mit „unseren“ Tieren umgehen und wie zum Beispiel Milch produziert wird. Womit wir dann wieder bei Sky Du Mont … Aber nein, lassen wir das.


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