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Titel: Vermittlung unerwünscht

Datum: 1. Februar 2023 um 13:16 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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Mit seinem Versuch, den neu gewählten brasilianischen Präsidenten Lula zu Waffenlieferungen für die Ukraine zu überreden, ist Bundeskanzler Scholz bei seinem gestrigen Brasilien-Besuch gescheitert. Stattdessen kündigte Lula eine große Friedensinitiative an. Zusammen mit Indonesien, Indien und China will Brasilien nun vermitteln und den blutigen Krieg in Europas Osten durch Verhandlungen beenden. Wäre man nun naiv, könnte man meinen, dass Deutschland diesen Vorstoß begrüßt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall. Offenbar akzeptiert der Westen nur Vermittler, die voll und ganz die Positionen des Westens teilen; nur dass es so nie zu Verhandlungen kommen wird. Der Westen zeigt einmal mehr, dass er selbst Kriegspartei ist. Jeder Ukrainer und Russe, der in den kommenden Monaten und vielleicht sogar Jahren in diesem Krieg stirbt, ist somit auch ein Opfer der westlichen Borniertheit. Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Wer im Ukraine-Krieg vermitteln will, hat es in Deutschland nicht leicht. Altkanzler Schröder versuchte es auf eigene Faust und erntete dafür Kritik, Häme und ein Parteiausschlussverfahren. Der türkische Präsident Erdogan vermittelt – durchaus mit Erfolg – bereits seit den ersten Kriegstagen zwischen Russland und der Ukraine und bekam dafür vom Westen nicht etwa Dank, sondern mächtigen Gegenwind. Als Vermittler auftreten konnte er ohnehin nur, weil die Türkei als NATO-Partner einen gewissen „Stallgeruch“ hat, auch wenn sie die Sanktions- und Kriegspolitik des Westens selbst nicht mitträgt. Andere Kandidaten in der Vermittlerrolle, allen voran China, sind bis dato an der Ablehnung des Westens gescheitert.

Spätestens an dieser Stelle wird die Sache interessant. Denn die offizielle Position des Westens ist es ja, nicht selbst Kriegspartei zu sein. Dabei kann kein Zweifel daran bestehen, dass ein potenzieller Vermittler nicht zwischen Kiew und Moskau, sondern zwischen Washington und Moskau vermitteln müsste. Und hier wird es kompliziert. In den westlichen Medien hört man ja immer wieder, dass es nur zu Verhandlungen kommen kann, wenn Russland bereit ist, offen und ohne Vorbedingungen Verhandlungen zu führen. Die eigenen Vorbedingungen werden jedoch nicht infrage gestellt.

Das sieht man auch bei der Debatte zum aktuellen Lula-Vorstoß. Die ersten Kommentare in den deutschen Medien fielen entsprechend ablehnend aus. So kommentiert das RND, Lula sei für die Rolle als Vermittler nicht geeignet, weil er die Rolle des Aggressors nicht ausschließlich Russland zuschreiben will und für ihn die Frage von ukrainischen Gebietsverlusten (damit ist übrigens auch die Krim gemeint) nicht von vornherein ausgeschlossen wird. Laut Tagesschau sorgt dies „für Unverständnis“ und „Kopfschütteln im Westen“. Das heißt: Für die deutschen Kommentatoren kommt nur ein „Vermittler“ in Frage, der die ukrainische oder besser westliche Extremforderung, die auf eine Niederlage Russlands und auf einen Sieg der Ukraine hinausliefe, als nicht verhandelbare Position mit in die Verhandlung bringt. Ein solcher Vermittler wäre aber keiner, da er von Russland nicht akzeptiert werden würde.

Wenn der Westen also darauf besteht, dass ein solcher Vermittler die eigenen Extremforderungen als eine nicht verhandelbare Bedingung für Verhandlungen ansieht, wird es keine Verhandlungen geben. Das wäre so, als würde Russland nur einen Vermittler akzeptieren, der die russischen Extremforderungen als conditio sine qua non formuliert. Der Westen zeigt wieder einmal, dass er gar nicht an Verhandlungen interessiert ist und sich selbst als Kriegspartei versteht.

Ein möglicher Vermittler müsste daher nicht zwischen Kiew und Moskau, sondern vor allem zwischen Washington und Moskau vermitteln. Nur so gibt es eine Chance auf Verhandlungen. Ob die Initiative aus Brasilien, Indonesien, Indien und China dies vermag, ist zurzeit eher unwahrscheinlich. Denn anders als die Ukrainer haben die Krieger in Washington, London und Berlin kein Messer an der Kehle; ihre Länder werden nicht durch den Krieg vernichtet und ihre Kinder sterben nicht auf dem Schlachtfeld. Die Strippenzieher eines Stellvertreterkrieges sitzen im Warmen. So war das schon immer.

Der Westen will diesen Krieg bis zum letzten Ukrainer führen und da Russland auf der anderen Seite auch seinen Blutzoll bezahlt und seine strategische Position in diesem Abnutzungskrieg schwächt, scheint die Zeit für den Westen zu spielen. Freiwillig wird Joe Biden nicht an den Verhandlungstisch kommen. Und ob der südamerikanisch-asiatische „Friedensclub“ gewillt ist, eine härtere Gangart einzulegen, um den Westen an den grünen Tisch zu zwingen, darf bezweifelt werden. Der Westen will keinen Frieden und daher wird das Sterben weitergehen.

Titelbild: vchal/shutterstock.com


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