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Titel: Neues aus Tschechien – auch bei unserem Nachbarn greift die Militarisierung um sich

Datum: 17. Februar 2023 um 15:00 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Länderberichte, Wahlen
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Wir Bundesbürger erleben hierzulande eine Militarisierung der Gesellschaft, die es so bisher nicht mal im so genannten Kalten Krieg vor einigen Jahrzehnten gab. Wohin man derzeit schaut, liest, zuhört – Wörter wie Panzer, Wehrhaftigkeit, Wehrpflicht, Aufrüstung, Bunker, Atomkrieg haben Hochkonjunktur, in den Ring geschmettert von Eiferern, die mehr und mehr aufdrehen. Wer sich diesen Leuten, dieser Stimmung, dieser Hetze entgegenstellt, dem fliegen Spotttiraden und Worte entgegen, mindestens solche wie „Ponyhof-Mentalität“ (denjenigen, die Friedensverhandlungen fordern, Dialog, Diplomatie). Doch endlich, Gott sei Dank, möchte man sagen, entschiedene Einsprüche, heftige, zahlreiche Wörter und Aktionen gegen das Militärische – diese Bewegungen nehmen ebenfalls Fahrt auf. Und leider, wir sind nicht allein in dieser Katastrophe. Was wir Deutschen daheim erleben, das erleben derzeit auch die Menschen in unserem Nachbarland Tschechien. Die Militarisierung nimmt dort ebenfalls Fahrt auf, vom neu gewählten Präsidenten bis hin zum neuen Botschafter der USA in Prag befeuert, welcher für unsere Tschechen gar ein „Hilfspaket“ als Antrittsgeschenk im Gepäck hatte. Aber auch in Prag und anderswo in CZ gefällt vielen Menschen solch ein Geschenk nicht. Eine Wortmeldung von Frank Blenz.

US-Hilfe und Dank an die Journalisten

Diese Nachricht aus Tschechien und vor allem der Stil der Übermittlung an das Volk lässt einen den Kopf schütteln. So titelte und informierte das Internet-Portal Tschechien News:

Tschechische Armee erhält 200 Millionen Dollar Finanzspritze aus den USA

Das Hilfspaket wurde vom neuen amerikanischen Botschafter in Prag, Bijan Sabet, angekündigt
Die Vereinigten Staaten werden im Rahmen der ausländischen Militärkooperation der Tschechischen Republik zusätzlich 200 Millionen Dollar (entspricht etwa 4,4 Milliarden Kronen) zur Verfügung stellen, um die Armee des Landes zu modernisieren.

„Der neue US-Botschafter Bijan Sabet verkündete am Mittwoch die Nachricht bei der Entgegennahme seines Beglaubigungsschreibens beim scheidenden tschechischen Präsidenten Miloš Zeman und stellte gleich noch klar, wie er, der Vertreter der Großmacht USA, sich die Zusammenarbeit und das Benehmen der tschechischen Medien vorstellt (die sich wohl noch verneigten, weil ihr Beitrag entsprechend gelobt wurde).“

„Sabet erklärte: „Die Finanzierung soll dazu beitragen, die Kapazitäten unserer tschechischen Verbündeten zu stärken, damit sie der zunehmenden Bedrohung durch Russland entgegentreten und sich verteidigen können. Darüber hinaus soll sie die militärischen Fähigkeiten ersetzen, die die Tschechische Republik der Ukraine bereits bereitgestellt hat oder noch bereitstellen wird.“
Laut Sabet werden die Sicherheit und die Verteidigung der Demokratie zu seinen Prioritäten bei der Erfüllung seiner Aufgaben gehören. Er dankte den anwesenden Journalisten für ihren Beitrag zur Vertiefung dieser Werte und es sei ihm eine Ehre, US-Präsident Joe Biden in Prag zu vertreten.“
(Quelle)

Ein Fallschirmspringer wird Präsident, ein Hoffnungsträger der Jugend ist er nicht

Unsere Nachbarn, die Tschechen, sind ein stolzes, renitentes, lebensfrohes Volk. Es gab Zeiten, in denen ihre tapfere, friedliche Revolution ihnen eine neue Epoche des freien Atmens und der optimistischen Zugewandtheit zum Leben eröffnete. Die Tschechen begannen, einen neuen, souveränen, humanistischen Weg zu beschreiten. Zunächst. Die Wahl eines allseits geliebten, weil wunderbaren Präsidenten namens Václav Havel, ein beliebter Schriftsteller, Dramatiker, Essayist, Menschenrechtler, Feingeist machte deutlich, wie die Tschechen denken, welche Vorbilder sie wollen.

Nun aber gingen die Jahre ins Land. Die auf Havel folgenden Präsidenten knüpften nicht im Ansatz an die Strahlkraft und Souveränität des verstorbenen, geliebten, weil volksnahen Staatsoberhauptes an. Das Land geriet wie Deutschland mehr und mehr in die Mangel eines entfesselnden Turbokapitalismus, in die Mache der Eliten, die sich die Geschicke und Abläufe einer Gesellschaft so einrichteten, dass die ihnen, nur ihnen, den größtmöglichen Vorteil verschafften. Und ja, es gab und gibt Wahlen, demokratisch genannt, und doch keinen Wettbewerb mit gleichen Chancen. Gerade wurde dies offenbar, als ein neuer Präsident gewählt wurde. Reiche, eitle, einflussreiche Männer kamen – wie kann es anders sein – schließlich in die finale Runde der Stichwahl. Einerseits stand Andrej Babiš, ein bekanntermaßen ambivalenter ehemaliger Regierungschef, im Ring, andererseits Petr Pavel, ein ehemaliger Fallschirmspringer, Fan des Militärbündnisses NATO und Befürworter der Militarisierung der Gesellschaft.

Dass viele Tschechen gern einen ganz anderen Kandidaten in der Prager Burg gehabt hätten, das wurde durch enorme Anstrengungen finanzieller, publizistischer und meinungsbildender Aktiväten der tschechischen Eliten bis hinein in die Medien verhindert. Verhindert wurde damit die Kandidatin Danuše Nerudová, obwohl sie bei vielen Wählern auf dem Zettel stand. Sie schaffte es nicht in die Stichwahl. Dabei zeigte die erste Runde der Präsidentschaftswahl am 13. und 14. Januar 2023 auf, dass sie gerade dieses Finale verdient hätte. Nerudová kam mit mehr als 777.000 Stimmen (13,92 Prozent) auf den dritten Platz. Schließlich siegte der schneidige, attraktive Ex-Militär Pavel, vielleicht auch deshalb, weil der Milliardär und unter Betrugsverdacht stehende Babiš den Wählern doch nicht ganz koscher war, Pavel als kleineres Übel angesehen wurde und dieser zudem medial derart populär und attraktiv dem Wahlvolk verkauft wurde, dass diesem nicht widerstanden werden konnte. So beobachtete es meine Zeitzeugin Eva Kramerova. Allein die Anzahl der großformatigen Hochglanzposter mit dem Konterfei des wie ein Popstar in Szene gesetzten Petr Pavel in Prag und vielen anderen Städten des Landes zeigte, wo es langgehen sollte und schließlich auch ging. Der alternative, wohl bessere Kandidat, die Kandidatin Danuše Nerudová, war und bleibt vor allem für die jungen und jung gebliebenen Tschechen Wunschkandidatin. Meine Zeitzeugin, die Tschechin Eva Kramerova, berichtete mir über den Verlauf der Wahl, über die Stimmung unter den Leuten, sie schätzt ein:

„Frau Danuše Nerudová wäre eine wundervolle Präsidentin gewesen, die Jugend hat sie gut gefunden. Ihr Wort hat Gewicht und sie ist anerkannt. Man muss wissen, sie war bis vergangenes Jahr Rektorin einer der wichtigsten Universitäten unseres Landes, der Mendel-Universität in Brno. Jetzt haben wir einen eitlen Fallschirmspringer in der Prager Burg. Von ihm hörte ich bisher nicht, dass wir Tschechen als Teil Europas fordern, den Krieg in der Ukraine mit Verhandlungen zu beenden. Der ist so im Militärischen drin, es ist ein Jammer.“

Die Eliten setzen auf die Militarisierung, den einfachen Menschen bereitet das Sorgen

Eva Kramerova stößt wie vielen Bürgern unseres Nachbarlandes Tschechiens derweil solche Meldungen bitter auf, wie sie Tschechien News aktuell veröffentlichte und zeigen, wohin die Reise mit Leuten wie Pavel, Sabet und Co geht.

„Die tschechische Armee plant, in diesem Jahr mehr Soldaten als je zuvor zu rekrutieren – insgesamt 2.200. Das Militär möchte das aktuelle Interesse am Militärdienst nutzen und bereitet für die Zukunft eine neue Personalstrategie vor. Der Generalstab setzt dabei auf ein virtuelles Rekrutierungszentrum sowie auf Investitionen in Kasernen und Einrichtungen. Derzeit dienen 27.000 Männer und Frauen in der tschechischen Armee.“

Das neue Menschenbild?

Damit der kleine Mann von der Straße begreift, warum die Menschen gebraucht und die kleine Armee der Tschechen unbedingt so richtig fit gemacht werden muss, erläutert der Generalstabschef:

„Menschen sind alles. Sie gewinnen Kriege, nicht Waffen. Die Armee benötigt mehr Soldaten, muss verjüngt und daher systematisch verändert werden“, sagte der Generalstabschef Karel Řehka bereits im vergangenen Herbst.
(Quelle)

In dem Artikel „Was die Regierenden sagen, sagen die Leute auf der Straße … nicht“ schrieb ich:

Kafkaeske Lage
Viele Tschechen wissen um die Gründe ihrer Lage. Sie wollen die Militarisierung der Gesellschaft, die sture Friedensverweigerung der Eliten, deren Absage, diplomatisch, sachlich und verbindend zu sein, nicht hinnehmen. Der fortlaufende Krieg in der Ukraine beinah direkt vor der Haustür und die zahlreichen ukrainischen Geflüchteten im eigenen Land (an die 450.000 meldet die Regierung) – diese Katastrophe zu beenden, das ist dringend geboten, fordern sie. Ihre Wut tönt laut, allein die Mächtigen in der Prager Burg haben Watte in den Ohren. Kafkaeskem sehen sich die Bürger mit einem nicht nur in Tschechien zu beobachtenden Widerspruch gegenüber: Schaut und hört man den namhaften Politikern und Medien zu und vergleicht das mit den Menschen auf der Straße, stellt man fest, dass deren Worte zu den gleichen Themen nicht die gleichen sind. Obwohl die Politiker und Persönlichkeiten aus Presse, Funk und Fernsehen behaupten, im Namen des Volkes zu sprechen, ist das Gegenteil der Fall. Das kommt einem aus unserem Land sehr bekannt vor.

Titelbild: Milan Sommer/shutterstock.com


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