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Titel: „Eine Schulbank kostet 20 Euro“

Datum: 26. Februar 2023 um 12:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Länderberichte, Ungleichheit, Armut, Reichtum
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Geschehen ist sie in Afrika. In Uganda. Die Geschichte des Deutschen Michael Rischer auf diesem Kontinent klingt wie ein Märchen. Dem Weltenbummler, Kameramann und Musiker Rischer, seiner Frau Annett sowie weiteren Helfern und Unterstützern gelang es, über Jahre mit mehreren Projekten direkte, konkrete Hilfe vor Ort zu leisten. In diesen Wochen reist das Paar erneut nach Uganda. Ihre Motivation klingt anders als die der großen Mitwirkenden in dem Spiel „Globale Gerechtigkeit“: Bei Rischers gewinnen die Menschen vor Ort. Von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Eine Schule ohne Bänke

Die Geschichte der Rischers nahm ihren Anfang in Kampala, der Hauptstadt Ugandas, ein Land, im Osten Afrikas gelegen. Kampala liegt am Victoriasee, dem größten Binnensee des Kontinents, und verfügt über einen sehr großen, leistungsstarken Hafen, welcher wichtiger Bestandteil der Binnenschifffahrt, des Handels und der Zusammenarbeit der Anrainerländerstaaten Uganda, Ruanda und Kenia ist. Der Deutsche Michael Rischer, aus dem vogtländischen Pausa stammend, weilte und arbeitete seit 2015 mit seiner Frau Annett Rischer, einer Kamerafrau, immer wieder für einige Zeit in dieser atemberaubenden und mitunter schockierenden Metropole. Die Millionenstadt war Ausgangsort von Rischers sozialen Aktivitäten in der Stadt und im Landesinnern.

Kampala ist dreckig, gefährlich, teils sehr arm, berichtete Rischer. „Wir hatten sogar einen Begleiter, ein Freund vor Ort, der auf uns aufpasste, wenn wir in Gegenden weilten, die unsicher waren.“ In den Ghettos der Stadt kämpfen die vielen, vielen Bewohner Tag für Tag, um ihre meist karge Existenz zu sichern. Für Abhilfe der Not der einfachen Leute zu sorgen, dazu werden nur unzureichend Mittel bereitgestellt, wohl auch fehlt der Wille der Regierenden, die Verteilung der Ressourcen, der Erträge, des Geldes, es läuft wie oft auf dem Kontinent so: wenigen sehr viel, vielen sehr wenig bis nichts. „Auch Wahlen ändern wenig, gerade wieder wurde entschieden, dass alles bleibt, wie es ist“, beobachtete Michael Rischer, der für Filmarbeiten aufs Land fuhr.

2019 besuchte er mit seiner Frau in einem Dorf eine Bildungseinrichtung, die King David School. „Ich wollte ausloten, wo Unterstützung gebraucht wird. Ich sah diese Schule und kam aus dem Staunen nicht heraus. Das Schulhaus war gefährlich nah an einen Berghang errichtet, ich glaube, das geschah ohne eine Baugenehmigung. Die Kinder saßen innen auf dem Boden aus festgestampftem Lehm. In einem weiteren Raum brannte ein offenes Feuer, auf dem Reisbrei gekocht wurde, der Rauch vernebelte den Raum, die Kinder husteten.“ Die Herausforderung lag offen vor den beiden Deutschen: Die Schule braucht Bänke, Tische, eine Küche. Die Rischers sind Sammler, Macher, keine Zauderer. Sie initiierten – wieder daheim in der Bundesrepublik – eine Spendenaktion, bei der 1.200 Euro zusammenkamen. „Eine Bank kostet in Uganda 20 Euro …“, rechnete Rischer vor. Auch eine neue, eine richtige Küche wurde so finanziert und neben dem Schulgebäude inklusive Rauchdunst-Abzugshaube errichtet.

Musik erzeugt Hoffnung, Musiker sind Botschafter, junge Leute noch dazu

Die Finanzierung der Schulbänke, inzwischen haben Rischer und seine Mitstreiter über 300 Stück für um die 30 Klassenzimmer bezahlen und anliefern können, gelang auch dank der Musik.

„Ich bin Musiker, es lag nah, dass da was mit Musik zu machen ist. Ich saß mit Musikern zusammen und wir besprachen, wie das unter Kollegen halt so ist, ob und wie wir zusammen etwas aufnehmen könnten. Die Idee wurde geboren, eine CD aufzunehmen, Kinder und Jugendliche sollten ihre Texte in Lieder packen. Die Texteinspielungen und Songs wurden in einem Studio in Kampala realisiert. Die Musik wurde dann in Deutschland fertig produziert. Der Plan für die Veröffentlichung war: Die CD wird nicht verkauft, sie bekommt, wer 20 Euro für je eine Bank spendet.“

Die Reggae-CD „Songs from the Ghetto“ ist ein klanglich vielfältiges, ein wortreiches, kraftvolles Werk über das Leben der Kinder, die nicht auf der ugandischen Sonnenseite leben. Die jungen Künstler packten mit Wucht alles in das Werk: Alltag, Schule, Klimawandel, Pandemie, Träume, Kampf ums Essen, Alkoholismus, Gewalt, Hass, Ausgrenzung, Demütigung von Mädchen und Frauen. Die Kinder wissen, was sie wollen: eine gerechte Welt, eine des Friedens, der Gewaltlosigkeit, der Verständigung, ein Uganda der Sonne für alle Bewohner. Die jungen Künstler bedienten sich auch der Stilrichtung des Rap, HipHop made in Uganda sozusagen.

Warum müssen Deutsche helfen, damit eine ugandische Schule Schulbänke erhält?

Michael Rischer antwortete darauf: „Das hängt damit zusammen, dass es in Uganda ein sehr ausgeprägtes Oben und Unten gibt. Einerseits gibt es die feinen, elitären Schulen, die schicken Häuser. Andererseits gibt es die ärmlichen Dorfschulen, für die kein Geld, für nichts etwas zur Verfügung steht, in Gemeinden, wo die dort lebenden Familien wie überall Schulgeld bezahlen müssen. Das Schulgeld beträgt Minimum alle drei Monate um die 80 Euro für ein Kind. Der monatliche Durchschnittslohn schwankt in Uganda zwischen 30 und 80 Euro. Und ugandische Familien haben meist acht bis zwölf Kinder …“

Die kleine und die große Politik

Die Rischers sind Aktivisten einer Politik der kleinen Schritte. Ihr Engagement, der Erfolg der direkten Aktionen – und sei es, Bänke für Schulen zu finanzieren, Musik zu machen und Kampagnen für die Förderung von Mädchen und Frauen zu organisieren – sollten ein Umdenken für die große Politik einläuten helfen. Derweil ist es noch immer so: Europäer, Deutsche, schlicht „der Westen“, die „Erste Welt“ schauen gern in Richtung Dritte Welt und interessieren sich für diese dann, wenn sie ein eigenes Interesse an Beziehungen und Kooperationen haben, lautet die oft wahrgenommene Erfahrung. Meist sind diese Beziehungen wirtschaftlicher Art, der Reichtum der (Zweiten und) Dritten Welt lockt, beinahe Goldgräberstimmung kommt auf, wenn entsprechend begehrte Rohstoffe vorhanden sind. An diese zu kommen, dazu braucht es die Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern und am besten bedarf es einer solchen, die zu einem beiderseitigen Nutzen führt. Aber das lehrt die Erfahrung, die Vorteile streichen gern und professionell der Westen und die Eliten afrikanischer Nationen ein, während die vielen Menschen des Kontinents stets und immer wieder leer ausgehen. Interessiert wird vom Norden nach Gesprächen mit afrikanischen Regierungen erst dann ersucht, wenn man zum Beispiel erreichen will, dass der stärker und stärker werdende Flüchtlingsstrom aus bekannten Gründen (Not, Armut, Perspektivlosigkeit, Gewalt, Krieg, Hunger, Korruption) nach Norden nachlässt. Tut er aber nicht, weil die Ursachen für Flüchtlingsströme nicht in Kooperation bekämpft werden, beobachtet auch Michael Rischer.

Rotstift vs. Entwicklungsarbeit und doch etwas Hoffnung?

Afrika ist ein Kontinent, auf dem es viel zu holen gibt, und doch gibt es bis heute sehr viele Krisen, Nöte, die nicht gelöst sind, von echter Partnerschaft kann keine Rede sein, ist sie denn überhaupt gewollt? Schauen wir auf die Bundesrepublik, es täte dringend not, sich richtig zu engagieren, stattdessen stehen massive Rüstungsinvestitionen auf dem Zettel, in Sachen Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Projekte wird dagegen der Rotstift angesetzt. Armuts- und Hungerbekämpfung, Krisenvorsorge, Klimaschutzprojekte werden hinten angestellt.

Michael Rischer gibt sich in diesen Tagen dennoch optimistisch, die neuerliche Reise nach Uganda wird sogar von einem Kamerateam des öffentlich-rechtlichen Rundfunks MDR begleitet. „Vonseiten der Sächsischen Staatsregierung erfuhr ich, dass sie eine engere Zusammenarbeit mit Uganda anstrebt.“ Ein Auszug aus einer aktuellen Erklärung aus der Dresdner Staatskanzlei:

»Mit dem Beschluss ebnen wir den Weg, unsere guten Beziehungen mit Uganda nachhaltig zu festigen. Fundament für diesen Länderschwerpunkt bilden die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten von sächsischen Organisationen vor Ort. Wir wollen, dass künftig auch Schulen und Kommunen aus unseren beiden Ländern Partnerschaften eingehen. Ebenso wollen wir Kooperationen auf wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene befördern. Hier gibt es bereits gute Verbindungen, etwa zwischen dem Universitätsklinikum Leipzig und dem Kiruddu Krankenhaus Kampala sowie zwischen ugandischen und sächsischen Unternehmen im Agrar- oder IT-Sektor«, betonte Staatskanzleichef Oliver Schenk am Mittwoch.

Die Zusammenarbeit zwischen Sachsen und Uganda soll auf unterschiedlichen Ebenen gestärkt werden. Dazu gehören unter anderem Kooperationen bei zivilgesellschaftlichen Aktivitäten sowie im Bereich der Wissenschaft – insbesondere mit dem Schwerpunkt Gesundheit – und der beruflichen Bildung. Ebenso will der Freistaat den Aufbau von Schul- und förmlichen Kommunalpartnerschaften künftig unterstützen. Verstärkt werden soll auch die Zusammenarbeit von ugandischen und sächsischen Unternehmen.

Mit dem Kabinettsbeschluss stellt die Sächsische Staatskanzlei aus ihrem Budget für entwicklungspolitische Maßnahmen in diesem und dem nächsten Jahr jeweils 200.000 Euro für die Zusammenarbeit mit Uganda bereit. Darüber hinaus können Projekte in Uganda über den Sächsischen Kleinprojektefonds finanziell unterstützt werden, den die Stiftung-Nord-Süd Brücken verwaltet.

Hintergrund

Die Regierungsparteien Sachsens hatten im Koalitionsvertrag vereinbart, eine Entwicklungspartnerschaft mit einer konkreten Region aufzubauen. Eine Studie der in Dresden ansässigen Universität der Vereinten Nationen UNU-FLORES aus dem Jahr 2020 hat ergeben, dass die Verbindungen auf Ebene der Zivilgesellschaft nach Uganda besonders intensiv sind. Aktuell sind zehn Nichtregierungsorganisationen mit ugandischen Partnern vor Ort tätig und es bestehen Kooperationen zwischen Wissenschaftseinrichtungen und Unternehmen aus Uganda und Sachsen. Eine Delegationsreise unter Leitung von Staatsminister Schenk bestätigte die positive Einschätzung der UNU-FLORES-Studie. Der ugandische Präsident Yoweri Museveni lud nach einem persönlichen Treffen mit dem Minister und einer sächsischen Delegation in einem Schreiben zu einer engeren Zusammenarbeit ein. (Quelle: sachsen.de)

Afrikas Lage ist ernst

Michael und Annett Rischer wissen, dass der Westen eine echte Partnerschaft mit Afrika aufbauen muss. Die Lage auf dem Kontinent ist katastrophal. Kriege, lokale, regionale, nationale Konflikte toben oder lodern latent, die schlimmste Nahrungskrise seit vier Jahrzehnten wütet und auf sie folgen explodierende Energie- und Lebensmittelpreise. Vielen Ländern Afrikas droht gar der Staatsbankrott aufgrund steigender Inflationsraten. Noch immer haben viele Länder des Kontinents damit zu tun, sich von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu erholen.

Entwicklungsorganisation fordert Umdenken des Westens

Die Haltung vieler afrikanischer Länder komme nicht von irgendwoher: Bei einer UN-Abstimmung zum Krieg in der Ukraine enthielten sich deren Regierungen, die Zurückhaltung bei der UNO-Generalversammlung, die im Westen mit mangelnder Solidarität erklärt und empört zurückgewiesen wurde, sei mit einem geringen Vertrauen gegenüber dem Westen als verlässlicher Partner zu erklären, beobachtet die Entwicklungsorganisation ONE. Russische und chinesische Unterstützung und Investitionen in Afrika seien für deren Regierungen von enormer Bedeutung. „Wobei mich die Aktivitäten Chinas auf dem ganzen Kontinent schon beunruhigen“, sagt Michael Rischer.

Die Rischers registrieren darum westliche Bemühungen wie die aus Dresden mit Zuversicht, denn Europas Zukunft ist mit der von Afrika direkt verbunden. Und ihre eigene Mitwirkung der Unterstützung wie der Reise gen Uganda soll ein kleiner Beitrag dazu sein, so die Rischers. Rischer bilanziert: „Inzwischen haben wir fast 500 Bänke von einheimischen Tischlern aus einheimischen Hölzern bauen lassen und so 22 Schulen mit Bänken ausgestattet. Dazu erhielten fast 3.000 Mädchen Afripads, um während ihrer Periode die Schule besuchen zu können. Eben in diesen Tagen stellen wir sechs große 10.000-Liter-Wassertanks an Schulen auf, damit die Kids in der Trockenzeit Wasser haben für Hygiene und zum Kochen.“
Quelle: one.org/de/die-themen/

Titelbild: © Privat


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