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Titel: Chinas „Friedensplan“ und was der Westen daran nicht versteht oder verstehen will

Datum: 28. Februar 2023 um 13:45 Uhr
Rubrik: Friedenspolitik, Militäreinsätze/Kriege
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„Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukrainekrise“ – So müsste die korrekte Übersetzung des offiziellen Dokuments des chinesischen Außenministeriums „China’s Position on the Political Settlement of the Ukraine Crisis“ lauten. Den Anspruch eines „Friedensplanes“, wie das Dokument in vielen Medien bezeichnet wird, hat die chinesische Positionierung nicht. Trotzdem lohnt es sich natürlich, sich inhaltlich und vor allem sachlich mit dem Dokument auseinanderzusetzen. Denn dieses Dokument ist ein ernst zu nehmender Ansatz, diesen Krieg zu beenden, und sollte vom Westen nicht voreilig abgewertet werden. Von Jürgen Hübschen.

Chinas Position zur politischen Beilegung der Ukrainekrise

Die chinesische Führung hat ihre grundsätzliche Position zum Krieg in der Ukraine, den sie als Ukrainekrise bezeichnet, in 12 Punkten zusammengefasst. Zuerst wird festgestellt, dass die Souveränität aller Länder, das internationale Recht und die Charta der Vereinten Nationen die Grundlage zwischen den Beziehungen aller Länder darstellen. Die legitimen Sicherheitsinteressen aller Länder sind zu achten, eine Blockbildung sollte verhindert, eine europäische Sicherheitsstruktur sollte geschaffen und Frieden und Stabilität auf dem eurasischen Kontinent sichergestellt werden. Alle Länder und Parteien werden aufgefordert, Russland und die Ukraine zu motivieren, so schnell wie möglich erneut direkte Gespräche aufzunehmen, um die Gesamtlage zu deeskalieren und einen umfassenden Waffenstillstand zu erreichen. Dialog und Verhandlungen sind die einzig erfolgversprechende Lösung für die Ukrainekrise.

Die internationale Gemeinschaft sollte sich verpflichtet fühlen, den Parteien zu helfen, die Tür für Verhandlungen zu öffnen. China ist bereit, dabei eine konstruktive Rolle zu spielen. Es müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um die humanitäre Krise zu beenden. Das sollte auf der Basis von Neutralität und Überparteilichkeit erfolgen. Die Zivilbevölkerung muss geschützt und Korridore für die Evakuierung aus den Konfliktzonen geschaffen werden. Ebenso sollten die Vereinten Nationen dabei unterstützt werden, die humanitären Maßnahmen zu koordinieren. Die Konfliktparteien sollten sich strikt an das internationale Recht halten, Angriffe auf die Bevölkerung und zivile Einrichtungen unterlassen und Frauen, Kinder und andere Opfer beschützen. Das Recht von Kriegsgefangenen ist zu respektieren. China unterstützt den Austausch von Kriegsgefangenen und fordert alle Parteien auf, dafür noch bessere Bedingungen zu schaffen. China lehnt jegliche Angriffe auf zivile nukleare Einrichtungen ab und fordert die Parteien auf, sich an die „Convention on Nuclear Safety“ (CNS) zu halten, um nukleare Unfälle zu vermeiden.

In diesem Zusammenhang unterstützt China die Rolle der „International Atomic Energy Agency“ (IAEA). Peking stellt darüber hinaus klar, dass nukleare Waffen nicht eingesetzt und nukleare Kriege nicht geführt werden dürfen. Die Verbreitung von Nuklearwaffen muss verhindert und nukleare Krisen müssen vermieden werden. China verurteilt jegliche Forschung, Entwicklung und Einsatz von chemischen und biologischen Waffen, gleichgültig von welchem Land und unter welchen Umständen. Das Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland sollte von allen Ländern unterstützt werden. Die von China vorgeschlagene „Cooperation Initiative On Global Food Security“ bietet einen Ansatz zur Lösung der globalen Ernährungskrise. Einseitige Sanktionen und maximaler Druck können die Krise nicht lösen, sondern führen nur zu neuen Problemen.

China lehnt jede Form von Sanktionen, die nicht von den Vereinten Nationen verhängt wurden, ab. Diejenigen Länder, die das betrifft, sollten den Missbrauch einseitiger Sanktionen und „long-arm jurisdiction“ beenden, um die Ukrainekrise zu deeskalieren und um den Entwicklungsländern die Möglichkeit zu schaffen, ihr Wirtschaftswachstum zu steigern und die Lebensbedingungen für die Bevölkerung zu verbessern. Alle Staaten sollten die bestehenden Wirtschaftssysteme stärken und es ablehnen, die Weltwirtschaft als Waffe für politische Zwecke zu missbrauchen. Gemeinsame Anstrengungen sind erforderlich, um eine Ausweitung der Krise zu vermeiden und eine Unterbrechung der internationalen Zusammenarbeit in den Bereichen Energie, Finanzen, Nahrungsmittelhandel und Transport zu verhindern, damit sich die Weltwirtschaft erholt. Die internationale Gemeinschaft wird aufgefordert, Initiativen für den Wiederaufbau nach Beendigung der Krise zu planen. China ist bereit, dabei eine konstruktive Rolle zu spielen.

Chinas Position zu der politischen Beilegung der Ukraine Krise – ein ernst zu nehmender Ansatz oder lediglich ein „politischer Versuchsballon“? – Versuch einer Bewertung

Zu allererst ist festzuhalten, dass jeder Vorschlag, wie man diesen Krieg beenden könnte, grundsätzlich positiv zu bewerten ist, vor allem dann, wenn man selbst überhaupt keine tragfähige Alternative oder ein politisches Konzept anzubieten hat. Wenn man dieses Dokument sorgfältig gelesen hat, ist es nicht nachvollziehbar, dieses als „substanzlos“ zu bezeichnen, wie es z. B. der s.g. Sicherheitsexperte Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Uni Kiel, in der Ausgabe der Westfälischen Nachrichten vom 25. Februar 2023 getan hat. Es ist auch nicht zielführend, dieses Dokument quasi sofort zu einem „non paper“ zu erklären, weil es von China verfasst wurde, das den russischen Krieg expressis verbis bislang nicht verurteilt hat und ihn in diesem Dokument lediglich als „Ukrainekrise“ bezeichnet.

Wer China vorwirft, in dieser 12-Punkte-Erklärung, die aus chinesischer Sicht nicht den Anspruch eines Friedensplanes erhebt, keine konkreten Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen formuliert zu haben, hat schlicht und einfach ein grundlegendes Prinzip von Diplomatie nicht verstanden. Vorbedingungen und Diplomatie schließen sich nämlich im Grunde ebenso aus wie Schuldzuweisungen oder persönliche Verurteilungen von politischen Entscheidungsträgern. Mit dem Hinweis auf das internationale Völkerrecht und der Forderung, die Souveränität und Integrität eines jeden Landes zu achten, hat Peking den russischen Krieg eindeutig verurteilt. Die Forderung an beide Kriegsparteien, sich wieder an den Verhandlungstisch zu setzen, nimmt doch auch den russischen Präsidenten in die Pflicht. Dass solche Verhandlungen ohne Vorbedingungen aufgenommen werden müssen, kann man nur unterstreichen und dass zuvor die Waffen schweigen müssen, kann doch auch von niemandem bestritten werden.

Die Ablehnung des Einsatzes von nuklearen, chemischen und biologischen Waffen ist uneingeschränkt zu unterstützen und sollte nicht mit dem Hinweis abgewertet werden, dass dies ja nichts Neues sei. Der Forderung, keine Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und zivile Einrichtungen durchzuführen, muss man ebenfalls beipflichten. Dazu ist es nicht erforderlich, Russland in diesem Zusammenhang beim Namen zu nennen, weil das in Moskau auch so verstanden wird. Der Aufruf, das Getreideabkommen weiterhin umzusetzen und sich insgesamt für eine Lösung der globalen Nahrungsmittelkrise einzusetzen, ist eindeutig positiv zu bewerten.

Es gibt in dem gesamten Dokument lediglich einen Passus, in dem eine separate Forderung an die Unterstützer der Ukraine gestellt wird, nämlich die Aufhebung der Sanktionen. Das muss man als Parteinahme für Russland einordnen, obwohl China damit nicht nur die Sanktionen gegen Russland gemeint hat, sondern sich generell gegen solche Maßnahmen ausgesprochen hat, falls diese nicht von den Vereinten Nationen beschlossen wurden. Diese Tatsache reicht aus meiner Sicht aber bei weitem nicht aus, dieses Dokument als „pro-russisch“ zu bezeichnen, auch wenn noch eine Reihe von Formulierungen sich eindeutig an die Adresse der USA richten. Dafür muss Moskau aus diesem Dokument klipp und klar zur Kenntnis nehmen, dass die Aussage von Chinas Präsident Xi Jinping, seinem russischen Kollegen „grenzenlose Freundschaft“ zu schwören, nicht automatisch bedeutet, das Vorgehen Russlands in der Ukraine gutzuheißen.

Die Positionierung Pekings ist ein möglicher Ansatz, die gegenwärtige Spirale der Gewalt zu stoppen. Dafür ist es allerdings nicht ausreichend, Präsident Putin davon zu überzeugen, dass Verhandlungen die einzige Lösung zur Beendigung dieses Krieges sind, sondern das muss auch Präsident Biden einsehen und vor allem seinen Einfluss auf Präsident Selensky geltend machen, dass auch dieser Verhandlungen nicht mehr kategorisch ablehnt und von Vorbedingungen abhängig macht, die für Russland unannehmbar sind. Dieses Dokument ist ein ernst zu nehmender Ansatz, diesen Krieg zu beenden, und sollte nicht voreilig als politischer Versuchsballon abgewertet werden.

Titelbild: shutterstock / lev radin


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