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Titel: 2014: Die Vorhersage des heutigen Ukrainekriegs

Datum: 2. März 2023 um 12:15 Uhr
Rubrik: Außen- und Sicherheitspolitik, Audio-Podcast, Medienkritik, Militäreinsätze/Kriege
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„Hinterher ist man immer klüger“ – diese Ausrede gilt im Fall des Ukrainekriegs nicht: Man hätte vorher wissen können, dass der Maidan-Putsch von 2014 und die darauf folgende Aufrüstung der Ukraine Europa in den Krieg führen würden. Es gab bereits 2014 eindringliche Warnungen vor genau der Situation, die wir heute erleben. Hier erinnern wir beispielhaft an eine dieser wichtigen, aber ignorierten Zwischenrufe von 2014. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Im Dezember 2014 haben mehr als 60 prominente Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Medien in einem in der „Zeit“ veröffentlichten Aufruf unter dem Titel „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ vor einem Krieg unter Beteiligung der USA, der Europäischen Union und Russlands gewarnt. Man würde „unausweichlich“ auf einen solchen Krieg zusteuern, wenn die gegenseitige Konfrontation, zu der von westlicher Seite Sanktionen, Propaganda und Aufrüstung gegen Russland gehören, fortgeführt würde. Diese Prophezeiung ist inzwischen eingetroffen, auch weil Warnungen wie der hier vorgestellte Appell in den Wind geschlagen und Mahner in den letzten Jahren oft als Putin-Propagandisten diffamiert wurden. Eine zentrale Rolle dabei, diesen Weg in den Krieg zu ebnen, haben zahlreiche deutsche Journalisten gespielt. Die Unterzeichner des Aufrufs forderten damals von Politik und Medien eine neue Entspannungspolitik für Europa – vergeblich, wie wir heute wissen. Direkt an viele deutsche Journalisten gerichtet, hieß es dort 2014 etwa:

„Wir appellieren an die Medien, ihrer Pflicht zur vorurteilsfreien Berichterstattung überzeugender nachzukommen als bisher. Leitartikler und Kommentatoren dämonisieren ganze Völker, ohne deren Geschichte ausreichend zu würdigen. Jeder außenpolitisch versierte Journalist wird die Furcht der Russen verstehen, seit NATO-Mitglieder 2008 Georgien und die Ukraine einluden, Mitglieder im Bündnis zu werden. Es geht nicht um Putin. Staatenlenker kommen und gehen. Es geht um Europa.“

Initiiert wurde der Aufruf 2014 von Horst Teltschik (CDU), Walther Stützle (SPD) und Antje Vollmer (Grüne). Unterzeichnet haben den Text unter anderem die ehemaligen Regierungschefs von Berlin und Brandenburg, Eberhard Diepgen und  Manfred Stolpe, der ehemalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel, Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, Alt-Bundespräsident Roman Herzog und der Schauspieler Mario Adorf. Da solche Appelle immer auch strategisch formuliert werden müssen, um einen großen gemeinsamen Nenner zu erzeugen, finden sich auch hier einzelne Formulierungen, denen man möglicherweise nicht folgen würde – die generelle Stoßrichtung des Aufrufs würde ich aber als vernünftig bezeichnen.

Der Krieg hätte verhindert werden können

Der Aufruf ist einerseits ein Zeichen für die damalige Weitsicht der Unterzeichner und dafür, dass eine Veröffentlichung eines solchen Textes damals in der „Zeit“ möglich war. Andererseits ist er aber auch Gradmesser für Standhaftigkeit: Manche der Unterzeichner schweigen heute zu der Vorgeschichte des Krieges – einer Vorgeschichte, die zentral ist für das Verständnis der heutigen Situation, wie im eigenen Appell verdeutlicht wird. Auch dadurch wird die aktuelle Politik der Konfrontation und Kriegsverlängerung der Bundesregierung möglich gemacht. Das Verhalten vieler deutscher Journalisten beim Thema Russland war schon 2014 zerstörerisch und verantwortungslos, seither hat es sich nochmals erheblich verschlimmert.

Einige der Unterzeichner von 2014 halten auch heute noch einem giftigen Gegenwind stand, indem sie sich für einen Kompromiss und für einen realistischen Ausgleich der Sicherheitsinteressen zwischen Russland und Resteuropa einsetzen: Von diesem Ausgleich würden alle Seiten (außer den USA) profitieren. Ausgleich bedeutet selbstverständlich nicht die Unterwerfung unter ein „russisches System“. Im Gegenteil: Glaubhafte Sicherheitsgarantien für alle Seiten würden das Handeln Russlands auch für seine Nachbarn viel berechenbarer machen.

Der Ukrainekrieg ist nicht „unser Krieg“. Er hätte verhindert werden können, wenn die Mahnungen der letzten Jahre angesichts des Maidan-Putsches und der anschließenden Aufrüstung der Ukraine erhört worden wären. Doch diese Warnungen wurden all die Jahre von den gleichen Medien als unbegründet verworfen, die heute wieder die Gefahren verniedlichen und die Zeichen der Zeit vernebeln wollen. Dass es aber bereits 2014 möglich war, die Entwicklung zum heutigen Krieg abzuschätzen, dass diese Mahner recht hatten, dass also die Weisheit, „Hinterher ist man immer klüger“, hier nicht gilt, das zeigt unter anderem der hier vorgestellte Offene Brief von 2014.

„Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft“

Der Aufruf findet sich unter diesem Link im Wortlaut. Hier folgen einige Zitate.  

„Niemand will Krieg. Aber Nordamerika, die Europäische Union und Russland treiben unausweichlich auf ihn zu, wenn sie der unheilvollen Spirale aus Drohung und Gegendrohung nicht endlich Einhalt gebieten.“

„Bei Amerikanern, Europäern und Russen ist der Leitgedanke, Krieg aus ihrem Verhältnis dauerhaft zu verbannen, verloren gegangen. Anders ist die für Russland bedrohlich wirkende Ausdehnung des Westens nach Osten ohne gleichzeitige Vertiefung der Zusammenarbeit mit Moskau, wie auch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Putin, nicht zu erklären.“

„In diesem Moment großer Gefahr für den Kontinent trägt Deutschland besondere Verantwortung für die Bewahrung des Friedens. Ohne die Versöhnungsbereitschaft der Menschen Russlands, ohne die Weitsicht von Michael Gorbatschow, ohne die Unterstützung unserer westlichen Verbündeten und ohne das umsichtige Handeln der damaligen Bundesregierung wäre die Spaltung Europas nicht überwunden worden.“

„Die deutsche Regierung geht keinen Sonderweg, wenn sie in dieser verfahrenen Situation auch weiterhin zur Besonnenheit und zum Dialog mit Russland aufruft. Das Sicherheitsbedürfnis der Russen ist so legitim und ausgeprägt wie das der Deutschen, der Polen, der Balten und der Ukrainer.“

„Wir dürfen Russland nicht aus Europa hinausdrängen. Das wäre unhistorisch, unvernünftig und gefährlich für den Frieden. Seit dem Wiener Kongress 1814 gehört Russland zu den anerkannten Gestaltungsmächten Europas. Alle, die versucht haben, das gewaltsam zu ändern, sind blutig gescheitert – zuletzt das größenwahnsinnige Hitler-Deutschland, das 1941 mordend auszog, auch Russland zu unterwerfen.“

„Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, als vom Volk beauftragte Politiker, dem Ernst der Situation gerecht zu werden und aufmerksam auch über die Friedenspflicht der Bundesregierung zu wachen. Wer nur Feindbilder aufbaut und mit einseitigen Schuldzuweisungen hantiert, verschärft die Spannungen in einer Zeit, in der die Signale auf Entspannung stehen müssten.“


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