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Titel: Wie starben die Menschen in dem Keller in Douma 2018?

Datum: 3. April 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Militäreinsätze/Kriege
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Debatte im UN-Sicherheitsrat über die Risiken der Politisierung der OPCW. Fünf Jahre ist es her, dass Aktivisten der „Weißhelme“, die sich selber auch als „Syrischer Zivilschutz“ bezeichnen, schreckliche Bilder um die Welt schickten. Ort des Geschehens war der Ort Douma, es war der 8. April 2018. Ganze Familien seien vergast worden, so die „Weißhelme“ über ihren Twitter-Account. Die Menschen hätten Schutz in einem Keller gesucht und seien dort an giftigem Gas erstickt. Die Zahl der Toten liege bei 40, der Syrische Zivilschutz versuche weiter, „zu retten und zu bergen“. Von Karin Leukefeld.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Soziale Medien“, westliche Nachrichtenagenturen und Medien, die den Twitter-Account der „Weißhelme“ seit Jahren abonniert hatten, sorgten für rasche Verbreitung der Bilder. Unter der kurzen Botschaft der „Weißhelme“ waren sechs Fotos von Leichen eingefügt. Vier Bilder zeigten Frauenleichen, ein Bild zeigte ein Baby, ein Bild zeigte Leichen, die übereinander lagen. Die Bilder waren offenbar einem Video entnommen, das von den Toten aufgenommen worden und ebenfalls verbreitet worden war. Die Toten sahen aus, als hätten sie nach Luft geschnappt. Aus den Mündern quoll weißer Schaum.

Die „Weißhelme“ beschuldigten die syrische Regierung, über Douma Fassbomben mit giftigen Chemikalien auf die Zivilbevölkerung abgeworfen zu haben. Um ihre Angaben zu unterstreichen, verbreiteten sie neben den beschriebenen Bildern auch Aufnahmen aus einem Krankenhaus. Zu sehen waren Männer, die mit Kindern auf den Armen in einen Untersuchungsraum stürzten und begannen, den Kindern die Kleidung vom Leib zu reißen. Sie spritzten die weinenden und hustenden Kleinen mit kaltem Wasser ab und drückten ihnen Atemmasken auf die Gesichter. Medizinisches Personal, das mit der Versorgung anderer Menschen beschäftigt war, stand abseits und beobachtete das Geschehen.

Die syrische Regierung wies die Anschuldigungen zurück und forderte, ein Untersuchungsteam der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) nach Damaskus zu entsenden, um den Fall zu untersuchen. Russland schloss sich der syrischen Forderung an. Am 10. April erklärte die OPCW, ein Untersuchungsteam werde nach Douma geschickt.

Diese Entwicklung ging in einem Tsunami von Anschuldigungen gegen die syrische Regierung und Armee weitgehend unter. Die Hilfsorganisation der „Syrisch-Amerikanischen Medizinischen Gesellschaft“ (SAMS) erklärte, eine Bombe mit Chlorgas habe das Krankenhaus von Douma getroffen und 6 Personen getötet. Eine zweite Bombe „mit verschiedenen Giftgasen“, darunter auch Nervengas, habe ein nahegelegenes Gebäude getroffen. Man habe die UNO, die US-Regierung und europäische Regierungen kontaktiert.

Das US-Außenministerium forderte eine „umgehende Antwort der internationalen Gemeinschaft“, sollte der Giftgasangriff sich als wahr erweisen. Die Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauret, sagte, die syrische Regierung und ihre Unterstützer müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Russland müsse seine anhaltende Unterstützung (für Syrien) sofort stoppen und „mit der internationalen Gemeinschaft kooperieren, um weitere barbarische Chemiewaffenangriffe zu verhindern“.

Zu dem Zeitpunkt war das OPCW-Untersuchungsteam bereits auf dem Weg und kam am 14. April 2018 in Beirut an. Ihre Weiterfahrt nach Damaskus wurde gestoppt, weil die USA, Großbritannien und Frankreich in der Nacht vom 14./15. April einen großangelegten Luftangriff auf Syrien starteten. Danach verzögerten sich die Untersuchungen vor Ort wegen der prekären Sicherheitslage in Douma.

Nach der Rückkehr nach Den Haag wurden alle in Douma genommenen Proben an zwei verschiedene Labors geschickt, was der protokollierten Vorgehensweise der OPCW bei entsprechenden Untersuchungen entspricht. Eines der Labors, das die originalen Douma-Proben untersuchte, bestätigte die Schlussfolgerungen, zu denen das ursprüngliche Douma-Untersuchungsteam gekommen war. Der Schaum, den die Toten auf den Fotos zeigten, müsse von einem Nervengas stammen, hieß es. Doch keine der Proben aus Douma enthielt Spuren von giftigem Chlorgas noch von Nervengasen wie Sarin. Nach weiteren Untersuchungen verfasste das ursprüngliche Douma-Untersuchungsteam einen ersten Zwischenbericht, der die Laboruntersuchungen enthielt. Dann geschah nichts, bis das Douma-Untersuchungsteam feststellte, dass ein neuer Zwischenbericht auftauchte, deren Autoren unklar waren. Ihr ursprünglicher Bericht kam nicht mehr vor. Wesentliche Informationen des ursprünglichen Zwischenberichts waren nicht mehr enthalten oder waren verändert worden. Bitten, die Auslassungen und Veränderungen zu diskutieren, wie es bei der OPCW vorgesehen ist, wurden abgewiesen. Das Team wurde seiner Aufgaben entbunden.

OPCW entfernt sich von eigenen Untersuchungsergebnissen

Am 1. März 2019 veröffentlichte die Organisation zum Schutz vor Chemiewaffen (Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons, OPCW) den Abschlussbericht der „Fact Finding Mission“ (FFM) Douma. Darin hieß es unter Punkt 2.17: „Hinsichtlich des angeblichen Einsatzes von giftigen Chemikalien als Waffe am 7. April 2018 in Douma, Syrische Arabische Republik, haben die Auswertung und die Analyse aller Informationen, die von der FFM (d.h. Fact Finding Mission) zusammengetragen wurden, (…) ausreichende Begründungen erbracht, dass eine giftige chemische (Substanz) als Waffe eingesetzt wurde. Diese giftige chemische (Substanz) enthielt reaktives Chlor. Die giftige Chemikalie war vermutlich molekulares Chlor.“

Das aber hatte das Untersuchungsteam in Douma gerade nicht herausgefunden. Aufzeichnungen eines der Inspektoren gelangten auf unbekanntem Weg an die Öffentlichkeit, woraufhin der Inspektor von Sicherheitskräften aus dem OPCW-Gebäude entfernt wurde. Im Oktober 2019 wandte sich dann ein weiterer Inspektor mit seinen abweichenden Untersuchungsergebnissen an eine kleine Öffentlichkeit. Die Nachdenkseiten berichteten.

Wie starben die Menschen in einem Keller in Douma?

Am 24. März befasste sich erneut der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema. Die Sitzung fand im „Arria-Format“ statt, das Thema lautete „Risiken, die sich aus der Politisierung der Aktivitäten der Organisation für das Verbot chemischer Waffen ergeben”. Eingeladen waren zwei Redner. Ali Asghar Soltanieh, ehemaliger UN-Botschafter des Iran und heute Präsident des Internationalen Instituts für Studien des Mittleren Ostens (Wien), und Aaron Maté, Journalist von der Internetplattform Grayzone, der bereits früher vor dem Gremium über seine Recherchen gesprochen hatte .

Ali Asghar Soltanieh, der seit vielen Jahren auf internationaler Ebene im Bereich der Abrüstung tätig ist, beriet die syrische Regierung im Jahr 2013. Anlass waren ungeklärte Giftgasanschläge im Umland von Damaskus mit Hunderten Toten.

Soltanieh ging im Wesentlichen auf die Umsetzung der Chemiewaffenkonvention und des OPCW-Protokolls während der Untersuchungen in Syrien ein. In dem Zusammenhang verwies der Diplomat u.a. darauf, dass es der syrischen Regierung nicht in jedem Teil des Landes möglich ist, ehemalige Chemiewaffenlager zu kontrollieren. Weite Teile des Landes, besonders nach 2012 und tatsächlich bis heute, werden von ausländischen Truppen besetzt gehalten, so Soltanieh. Auch Douma und anliegende Orte östlich und südlich von Damaskus wurden bis 2018 von verschiedenen bewaffneten Gruppen kontrolliert. Douma wurde von 2012 bis 2018 von der „Armee des Islam“ sozusagen regiert.

Der Journalist Aaron Maté wies darauf hin, dass in all den Jahren nichts getan worden sei, um das wirkliche Geschehen in Douma im April 2018 aufzuklären. Niemand wisse bis heute, wie, warum und wann die Menschen gestorben seien, die in einem Keller in Douma fotografiert und gefilmt worden waren. Stattdessen habe die Organisation für das Verbot chemischer Waffen die Untersuchungsergebnisse des eigens nach Douma entsandten Inspektorenteams unterdrückt.

Maté erinnerte daran, dass das, was nach der Rückkehr des ursprünglichen OPCW-Untersuchungsteams Douma geschah, kaum die Öffentlichkeit erreichte. Nachdem die Inspektoren den Widerspruch bestätigt sahen, dass die Toten in dem Keller vermutlich an Nervengas gestorben waren, sich aber in den genommenen Proben weder Rückstände von Nervengas noch von Chlorgas fanden, holten sie laut Maté erneut Expertise ein.

Dieses Mal baten sie Militär-Toxologen in einem deutschen Labor um deren Einschätzung. Diese seien „einhellig“ zu dem Ergebnis gekommen, dass die Symptome der Opfer auf den Douma-Bildern, der Schaum, nicht auf Chlorgas zurückgeführt werden könne. Einer der OPCW-Inspektoren – der anders als zwei seiner Kollegen – öffentlich keine abweichende Meinung zu den späteren offiziellen OPCW-Douma-Berichten äußerte und an dem Treffen mit den deutschen Militär-Toxikologen beteiligt war, schrieb später in einer E-Mail, dass einer der Deutschen den Gedanken aufgebracht habe, es könne sich um einen „inszenierten Angriff“ gehandelt haben. „Die Umstände des Todes der Opfer stimmen nicht mit Chlorgas überein.”

Doch auch diese Informationen verschwanden – wie der ursprüngliche Zwischenbericht des ursprünglichen Douma-Teams – aus den späteren, offiziellen OPCW-Berichten. Stattdessen wurden weitere Toxikologen befragt, deren Ergebnisse ebenfalls nicht mitgeteilt wurden. Schließlich wurde eine Art Sondermission eingerichtet, die in der Chemiewaffenkonvention nicht vorgesehen ist.

Das neu gegründete „Untersuchungs- und Identifikationsteam“ IIT erhielt gegen erheblichen Widerspruch einer Minderheit der OPCW-Mitglieder das Mandat, Individuen und Institutionen, Gruppen und Regierungen zu identifizieren, wenn sie direkt oder indirekt Chemiewaffen eingesetzt haben sollen. Der Anlass der IIT-Gründung war offensichtlich Syrien. Syrien erklärte, nicht mit IIT kooperieren zu wollen, weil die Gründung nicht den OPCW-Statuten und der Chemiewaffenkonvention entspreche. Syriens Mitgliedschaft in der OPCW wurde schließlich wegen „Nichterfüllung seiner Mitgliedspflichten“ suspendiert.

Das „Untersuchungs- und Identifikationsteam“ präsentierte im Januar 2023 einen dritten Douma-Bericht. Danach soll es „vernünftige Gründe dafür geben, die syrischen Luftstreitkräfte als Täter für den Chemiewaffenangriff auf Douma 2018 zu identifizieren“.

Neben zahlreichen Widersprüchen, auf die Aaron Maté in seiner Stellungnahme einging, sticht besonders heraus, dass das IIT-Team gar nicht in Syrien, geschweige denn in Douma war. Es präsentierte allerdings einen neuen Beweis, den die OPCW bereits im Juli 2018 von einer dritten, namentlich nicht benannten Seite erhalten haben will. In früheren Beweisstücklisten kommt dieses Beweisstück nicht vor, so Maté. Der IIT-Bericht weise mehr Fragen als Antworten auf.

Augenzeugen berichten Journalisten in Damaskus

Anfang Februar, wenige Tage vor dem schrecklichen Erdbeben in der Türkei und Syrien, wurde der IIT-Bericht vom syrischen Botschafter bei der OPCW, Milad Attia, scharf kritisiert. Bei einer Pressekonferenz in Damaskus warf er der OPCW vor, sich dem Druck aus Großbritannien, Frankreich und den USA zu beugen und Berichte zu verbreiten, die „von westlichen Ländern und Israel gegen Syrien vorbereitet“ würden. Die Vorwürfe gegen Syrien hielten an, obwohl das Land nachweislich und von der OPCW 2016 bestätigt, seine Chemiewaffen abgegeben habe. Die letzten seien in Texas, USA, vernichtet worden.

Attia warf den USA, Großbritannien und Frankreich vor, die OPCW zu manipulieren, um sich der Verantwortung für den völkerrechtswidrigen Angriff auf Syrien im April 2018 zu entziehen. Die drei westlichen Veto-Mächte im UN-Sicherheitsrat hatten die damals zügig eingeleitete OPCW-Untersuchung mit ihrem nicht autorisierten „Vergeltungsschlag“ verzögert.

Bei der Pressekonferenz in Damaskus (2.2.2023) kamen Bewohner aus Douma zu Wort, die als Augenzeugen über die Geschehnisse des 7. April 2018 berichteten. Der Arzt Dr. Hassan Eyon, der an dem Tag im Krankenhaus von Douma Dienst hatte, berichtete, dass die „Armee des Islam“ – die damals Douma und auch das Krankenhaus kontrollierte – die Ambulanzkräfte bereits am Tag vor dem Vorfall auf ein mögliches „Ereignis“ vorbereitet habe. 40 Personen seien mit Atembeschwerden gekommen, niemand habe Anzeichen chemischer Vergiftung gehabt. Es habe keine Toten gegeben. Die angeblich vergifteten Kinder, die in einem Film zu sehen waren, seien unsachgemäß von Männern behandelt worden, die nicht zum Krankenhaus gehört hätten. Die Kinder seien verängstigt gewesen und mit kaltem Wasser abgespritzt worden, so seien die Bilder entstanden. Keines der Kinder sei gestorben.

Scheich Ratib Naji, Imam der Moschee von Douma, sagte, er sei zu den Verantwortlichen der „Armee des Islam“ gegangen, um die Opfer des Chemiewaffenangriffs, über den gesprochen worden sei, abzuholen und den Familien zur Beerdigung zu übergeben. Er sei abgewiesen worden, die Leichen seien verschwunden. Niemand wisse, wo sie beerdigt worden seien.

Grund zur Besorgnis

Während westliche Regierungen, Diplomaten und Medien nicht auf diese Stimmen eingehen, haben sich zahlreiche OPCW-Inspektoren und hochrangige ehemalige UN-Diplomaten in einer „Erklärung der Besorgnis“ zu Wort gemeldet. Auch sie werden von westlichen Medien gemieden oder gar diffamiert.

Der ehemalige stellvertretende UN-Generalsekretär Hans von Sponeck, ehemaliger Leiter des UN-Programms „Öl für Nahrungsmittel“ (2000 aus Protest gegen die Folgen der UN-Sanktionen gegen den Irak zurückgetreten), konnte über seine Bedenken zu den Vorgängen um die OPCW vor dem UN-Sicherheitsrat im April 2021 sprechen.

Dem ersten Generalsekretär der OPCW, dem Brasilianer José Bustani, wurde dagegen wenige Monate zuvor (Oktober 2020) von den Vertretern der USA, Großbritanniens, Frankreichs und Deutschlands im UN-Sicherheitsrat das Rederecht versagt.

Die Schieflage wird größer

Die USA sind im UN-Sicherheitsrat dazu übergangen, alle Versuche Russlands, die Situation in der OPCW und das unerklärte Vorgehen in Sachen des angeblichen Giftgasangriffes auf Douma zu besprechen und transparent zu machen, als „Desinformation“ abzutun. Das Auswärtige Amt in Berlin teilt bei Anfragen in der Sache mit – beispielsweise ob Berlin bereit sei, die Inspektoren mit abweichenden Meinungen zu den OPCW-Douma-Berichten dabei zu unterstützen, sich OPCW-intern über die widersprüchlichen Angaben austauschen zu können -, es handele sich um Versuche, die OPCW zu diskreditieren.

Je weniger allerdings andere Einschätzungen gehört oder als „Desinformation“ abgetan oder gar – wie mit russischen Medien geschehen – verboten werden, desto größer wird die Schieflage. Desto mehr sinkt das Vertrauen in die UNO und deren völkerrechtlich bindende Abkommen und Institutionen. Verschärft wird das durch eine nicht definierte, von westlichen Staaten propagierte „regelbasierte Ordnung“, die sich zunehmend an die Stelle von UN-Charta und internationalem Recht setzen will.

Was Douma betrifft: Damals wie heute ist die Frage nicht beantwortet, wie die Menschen im April 2018 in dem Keller in Douma ums Leben kamen. Die Symptome weisen auf den Einsatz von Nervengas hin, das von dem ursprünglichen OPCW-Untersuchungsteam weder in dem Gebäude noch drumherum gefunden wurde. Die OPCW-Berichte und der jüngste IIT-Bericht behaupten, die Menschen seien bei einem Angriff der syrischen Armee mit Chlorgas getötet worden. Aber es wurde auch kein Chlorgas in den vor Ort genommenen Proben gefunden. Die Opfer und ihre Familien warten auf Gerechtigkeit.

Titelbild: esfera/shutterstock.com


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