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Titel: Die Gefahr eines finalen Krieges in Europa

Datum: 7. April 2023 um 11:45 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Aufrüstung, Militäreinsätze/Kriege
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Die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts werden immer mehr zum gefährlichsten Jahrzehnt der Geschichte – Nuklearwissenschaftler haben die Menschheit noch nie so kurz vor dem Abgrund gesehen. Die unkalkulierbare Gefahr einer nuklearen Eskalation des Krieges in der Ukraine ist nicht der einzige Grund für die Einschätzung der Wissenschaftler, dass die Gefahr so konkret geworden ist. Neben der globalen Naturzerstörung treten weiter eskalierende internationale Spannungen und die forcierte Atomrüstung sowie die fast vollständige Zerstörung des Vertragssystems zur Eindämmung nuklearer Risiken in den Vordergrund. Von Bernhard Trautvetter.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

2001 kündigte US-Präsident G.W. Bush den ABM-Vertrag zur Begrenzung sogenannter Anti-Ballistic-Missiles, also den Vertrag über das Verbot von Raketen zur nuklearen Abwehr, die leicht in Offensivsysteme umgerüstet werden können. Dieser Vertrag hatte 1972 den Anfang der Entspannungspolitik markiert.

In seiner Amtszeit hat der Friedensnobelpreisträger, US-Präsident Barack Obama, ein 1,7 Milliarden Dollar schweres Programm zur von den Militärs so genannten »Modernisierung« der US-Atomstreitkräfte durchgesetzt. Hinzu kommen weitere Milliarden für das gesamte Projekt.* Dies betraf die von Militärs als gebrauchsfreudig eingestuften nuklearen Arsenale B 61-12, von denen circa 20 Exemplare auch unter Verweis auf den Ukraine-Krieg früher als anfangs geplant seit Dezember 2022 in Büchel stationiert sind. Um mit ihnen Atomschläge durchführen zu können, bestellt die Bundesrepublik mit dem von Kanzler Scholz so titulierten 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr 35 US-Tarnkappenbomber. Die Flugzeuge sind anders als die Eurofighter der Bundeswehr für den Angriff mit den B 61-12 ausgestattet. Außerdem seien sie als Tarnkappenbomber besonders geeignet, die gegnerische Radaraufklärung im Fall eines Angriffs zu täuschen, da ihre Form und Beschichtung dazu führt, dass die gegnerische Radaraufklärung einen viel kleineren Flugkörper anzeigt. Die Sprengkraft der B 61-12 ist genauer dosierbar und mit einer präzisen Zielfindungstechnik ausgestattet.

2018 kündigte die Trump-Administration den INF-Vertrag zum Verbot landgestützter Mittelstreckenraketen in Europa. Diese Entscheidung steigert die Gefahr eines Atomkriegs aus Versehen schon wegen der kurzen Flugzeit von Atomraketen innerhalb Europas. Die Radaraufklärung des angegriffenen Staates hat keine Zeit zur Verfügung, einen Alarm zu überprüfen. So steigt die Gefahr eines Atomschlags aus Versehen bei einem Fehlalarm.

2020 stieg die Trump-Administration aus dem Vertrag zur Begrenzung und gegenseitigen Information zu Flügen der militärischen Luftüberwachung aus; dieser Vertrag verhinderte Missverständnisse, die fatale Auswirkungen und Fehlentscheidungen nach sich ziehen können.

2020 kündigte Donald Trump den ‚Open Skies‘-Vertrag zur gegenseitigen Information über Aufklärungsflüge der Luftwaffen der Nato und Russlands.

Im Februar dieses Jahres hat nun Russland den Vertrag zur Begrenzung nuklearer Trägersysteme – nicht definitiv gekündigt, aber ausgesetzt.

Die Atomkraftwerke in der Ukraine

Die Gefahr eines nuklearen Infernos infolge unkalkulierbarer Risiken des Ukraine-Krieges ergibt sich aktuell nicht nur aus den Entwicklungen in der Atomrüstung, sondern auch aufgrund der Atomkraftwerke in der Ukraine, was Robert Habeck während seines Besuchs in Kiew am 3. April erwähnte. Sollte hier ein Kriegsgeschehen eine Kernschmelze bewirken, dann wären große Teile der europäischen Zivilisation von Verstrahlung erfasst.

Die NATO und relevante Kräfte der Bundesregierung wussten seit vielen Jahren, dass eine Eskalation dieser Gefahr mit diplomatischen statt militärischen Initiativen unbedingt abgewendet werden muss. Die heutige Bundesaußenministerin Annalena Baerbock war an einer Frage ihrer Fraktion an die Bundesregierung 2014 beteiligt, in der Bündnisgrüne dies formulierten:

Das hohe Risiko für einen Reaktorunfall in der Ukraine hat sich in den letzten Monaten nicht verändert. Durch den andauernden Konflikt ist die Gefahr permanent gegeben. Ein absichtlich oder unabsichtlich herbeigeführter Reaktorunfall hätte auch direkte Folgen für die Bundesrepublik Deutschland. Die Ukraine bat bereits im März 2014 die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEO), die Frage der nuklearen Sicherheit mit den russischen Behörden zu besprechen. Auch die USA, die Europäische Union und die NordatlantikpaktOrganisation (NATO) wurden um Unterstützung beim Schutz der ukrainischen Atomanlagen gebeten – ein Expertenteam wurde im Mai 2014 entsandt.“

Russische Raketen in Belarus

Die zig Milliarden Aufrüstung der Ukraine seit 2014 und auch der Abbruch diplomatischer Verhandlungen der Ukraine und Russlands vor einem Jahr nach westlichen Interventionen erweisen sich vor diesem Hintergrund als eine Politik des Risikos, das niemals jemand eingehen darf. Demgegenüber zeichnen meinungsführende Medien nicht erst seit der Ankündigung Wladimir Putins, Atomwaffen in Belarus zu stationieren, das Bild der ausschließlich von Russland ausgehenden Gefährlichkeit. Daraus ergibt sich für die Propaganda die Legitimation der immer weiter gesteigerten Hoch- und Atomrüstung der NATO.

Doch so einfach, wie die Gut-Böse-Propaganda es glauben machen will, ist es nicht: So hat Präsident Biden im Gegensatz zu seinem Wahlprogramm darauf bestanden, dass die Vereinigten Staaten die Option des Ersteinsatzes von Atomwaffen beibehalten. In der bahnbrechenden Nuclear Posture Review seiner Regierung, die vor einem Jahr veröffentlicht wurde, wurde diese Option eher bekräftigt als aufgegeben.

Diese Strategie ist das Szenario für den finalen Krieg der Menschheitsgeschichte. Sie geht ein Risiko ein, das niemand jemals das Recht hat, einzugehen. Zusätzlich zu den USA haben noch die europäischen NATO-Staaten Frankreich und Großbritannien nukleare Arsenale. An der nuklearen Teilhabe der USA in Europa sind Italien, Deutschland, die Türkei, Belgien und die Niederlande beteiligt.

Die Ostermärsche erweisen sich angesichts dieser Gefahrenlage als unverzichtbare Aktionen.

* 7.4.2023 15:30 Uhr: Zuvor standen an dieser Stelle 1,7 Billionen Dollar (Amerik.: billions). Dies wurde durch Milliarden ersetzt sowie durch den neu hinzugefügten Folgesatz erweitert.

Titelbild: Bordovski Yauheni / Shutterstock


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