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Titel: Unter jedem Dach ein Ach

Datum: 26. April 2023 um 10:56 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innen- und Gesellschaftspolitik, Wertedebatte
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Wenn einer eine Reise macht, … Ich habe bei einer Wochenendreise aus privaten Gründen kürzlich einmal mehr erfahren, wie sehr wir Bürger in einer enorm konfliktreichen, einer schwierigen Zeit leben. Eigentlich lautete mein Plan, Verwandte zu besuchen und gemeinsam ausschließlich eine schöne Zeit zu haben. Doch stellte sich heraus, dass das mit dem Friede-Freude-Eierkuchen-Zusammensein gar nicht einfach ist: Ein großer Bedarf an Gesprächen, an Fragenstellen, zum Schimpfen und Empören war aufgelaufen. Wir hatten dagegen einen richtig guten, einen positiven Plan: Um die ganzen schlecht empfundenen und die in der Tat schlechten Nachrichten und Zustände samt unserer Ohnmacht zu ertragen, bleibt uns einfachen Bürgern mindestens der Humor, stellten wir fest. Wir lachten vieles einfach weg und hatten unseren Spaß beim Sammeln von „Sprüchwörtern“ aus des Volkes Mund. Wir merkten, dass es uns gut geht, sobald wir auf uns bauen. Ein satirischer Zwischenruf von Frank Blenz.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Ein Besuch bei der Verwandtschaft ist schön. Wenn man auf dem Sofa oder in der Küche sitzt und das Leben auswertet, geht einem das Herz auf. Was alles passiert ist, man hat sich ja lange nicht mehr gesehen, lässt einen staunen. Aber auch der Ärger bleibt nicht außen vor. Dass die Lebenshaltungskosten steigen, erfahre ich, dass die Bedingungen auf der Arbeit suboptimal seien, ebenso. Hilft ja nichts, konstatiert die Verwandtschaft. Ich nicke. Tröstend ist, noch wenige Jahre ist zu malochen, dann geht es endlich in Rente, höre ich von der Schwester. Nur gut, Mutter ist schon Rentnerin, stellen wir erleichtert fest. Uns fällt ernüchtert und seufzend ein: „Unter jedem Dach ein Ach.“

Die Welt draußen vor der Tür tobt und die Kochkünste von Mutter und Schwester versöhnen einen und verwöhnen Seele und Bauch. Bei aller Preissteigerung – der Tisch ist voll. Noch. Mitten in die familiäre Harmonie platzen die Nachrichtensendungen über Tarifverträge und Lohnerhöhungen. Das erzeugt mehrere Lacher im Raum. Mindestens beim Spruch, „Das Leben ist kein Wunschkonzert“, gibt es kein Halten mehr beim Bäuchehalten. Und noch besser kommt es bei „Geld allein macht nicht glücklich“ – bittersüßer Jubel, denn Geld regiert die Welt. Trotzdem.

Der Fernseher läuft. Die Bilder sehen schon nach was aus, als der Kanzlerbesuch am Meer gezeigt wird. Das freut uns. Die Schuldeingeständnisse im Parlament eine Nachricht später werden mit „Geht doch“ kommentiert. Mutter sagt beim Sammeln weiser Worte aus unserem reichen Muttersprachen-Schatz trocken: „Das Leben ist kein Wunschkonzert.“ Ich stimme zu, unser Kanzler war an der Ostsee, wo die ihn empfangenden Leute tobten und gar nicht lieb waren. Das ist kein leichter Job, erfüllt er doch seinen Eid Tag für Tag. Er versprach etwas wie neue, blühende Landschaften vor der Küste. Keine Sorge, das klappt alles sicher, kann auch sein, dass er nach der ganzen Mühe wieder bissel was vergisst, wird philosophiert.

Wir lachen herzlich beim Bericht über unseren kompetenten Gesundheitsminister. Der wird im Privat-TV derart angekündigt, dass er seine Schuld in der Pandemie eingestanden habe. Was wir dann zu hören bekommen, ist, dass er sagt, wir sind den Kindern noch etwas schuldig. Mensch, Karl, ist schon korrekt. Mensch, klasse, deine Worte klingen wie „beim nächsten Mal gibt es Schokolade gratis“ oder „eine Freifahrt auf dem Rummel“. Ich stutze und meine für mich: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.“ Fragezeichen. Dass Karlchen ein schlaues Kerlchen ist, sehe ich später beim Lesen einer Meldung über seinen neuesten Coup marktwirtschaftlichen Handelns in der und für die Gesundheitsbranche.

Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gibt es aktuell bei 467 Medikamenten Lieferengpässe. Das betrifft unter anderem Krebsmedikamente, Antibiotika und Asthmapräparate sowie Fiebermittel, auch speziell für Kinder. Glücklicherweise gibt es zum Teil Ersatzpräparate, aber eben nicht für alle. Diese Lieferprobleme durch die Pharmaindustrie treten nicht zufällig nur bei Medikamenten auf, mit denen die Hersteller keine sehr großen Profite machen. Was ist also die logische Konsequenz für unseren sozialdemokratischen Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD)? Ganz klar, die Profitmöglichkeiten für die Pharmaindustrie müssen verbessert werden! Dabei hat er zunächst bei den Kindermedikamenten angefangen, jetzt sollen die Antibiotika und, wenn sich das bewährt hat, weitere Medikamente folgen.
Aus Ralf Profan – Auf den Mangel folgt der Profit

Ich schlussfolgere: Die Medikamente werden teurer, ich höre meine Mutter und ihr „Geld ist nicht alles“ und nehme mir deren Worte an: „Das Leben ist kein Wunschkonzert.“ Alles könnte zwar auch so laufen, dass man als wichtige, mächtige Pharma nicht ganz so viel Profit machen oder sich gar an seinen Versorgungsauftrag erinnern und daran halten könnte. Aber die hat halt auch ihre Probleme, habe ich Verständnis. Im Grunde macht Pharma alles richtig, denn: „Jeder ist seines Glückes Schmied.“ Solche Geschäftsideen, solche Produkte müssen einem erstmal einfallen und gelingen.

Einen Anruf zwischendurch von einer weiteren Verwandten hätte ich gern an den Minister weitergeleitet, auf dass er ihr vielleicht sagt, er sei ihr auch etwas schuldig. Sie erlebte gerade eine Art Odyssee in Sachen Notaufnahme, berichtete sie. Mensch, in einem der reichsten Länder der Welt leistet man es sich, Krankenhäuser und Notaufnahmen zu schließen. Das Personal fängt das schon auf, die Patienten haben Verständnis. Die Versorgung optimieren halt. Passiert gerade in meiner Heimat. Betriebswirtschaftlich ist das sauber, klar, hat ja unser Gesundheitsminister und Fürsprecher für die Engagierten der medizinischen Wirtschaft so gesagt. Dass der Nägel mit Köpfen machen kann – siehe sein Handeln versus Engpässe.

Mutter und Schwester schimpfen. „Die Katze im Sack kaufen“, kommt uns in den Sinn. Im Supermarkt erlebt Kunde immer wieder schöne Überraschungen, letztens erst wieder, dass Waren, die irgendwie etwas mit Tomate zu tun haben, preislich eine stabile Richtung zeigen: nach oben. Ähnliches beobachten meine Damen bei vielen anderen Produkten auch. Irgendwie muss das ganze Zeug bezahlt werden, was für unsere westlichen Werte in den Ring geworfen wird, wende ich ein.

Dann nimmt man sich eine Schachtel Pralinen, eine Tüte voll Gewürzmischung, eine mit Gebäck und wundert sich daheim beim Auspacken, dass in den Packungen noch viel Luft nach oben ist. Naja, nachschauen, also in den sprichwörtlichen Sack, ging beim Einkaufen nicht. Unser Trost: Wenigstens verdient der Handel ordentlich mit dem kleinen Betrug, der Mogelei, ist ja nur ein wenig geschummelt, der damit erschlichene Ertrag wird ja meines Wissens sehr fair auf die Angestellten und Führungskräfte verteilt.

Nach meiner Rückkehr daheim lese ich, diesmal in einer Berliner Zeitung, dass wir, also die einfachen Bürger und Kunden, unseren kraftvollen Beitrag zum Wohlergehen einer ganzen Branche leisten und die Branche ein wenig nachhilft.

Der „Profit-Hunger“ der Hersteller trägt einer Untersuchung zufolge zu den stark steigenden Preisen für Lebensmittel bei. Mehr als ein Drittel der jüngsten Preissteigerungen in Deutschland sei nicht auf Faktoren wie gestiegene Energie- oder Lohnkosten zurückzuführen, heißt es in einer am Montag vorgestellten Studie des Kreditversicherers Allianz Trade. Dieser Trend zu „übermäßigen Gewinnmitnahmen“ ist demnach überall in Europa zu beobachten, in Deutschland sei er aber besonders „eklatant“.

Die Lebensmittelpreise sind mittlerweile zum Inflationstreiber geworden. In Europa machen Preissteigerungen in dem Bereich der Studie zufolge fast ein Drittel der Teuerung aus, in Deutschland sogar fast 40 Prozent. Die Allianz-Experten gehen davon aus, dass dies auch noch eine Weile so bleiben wird, bevor die Preise spätestens im kommenden Jahr wieder sinken.

Diese Teuerungen lassen sich den Angaben zufolge kaum mit den im vergangenen Jahr stark gestiegenen Rohstoffpreisen erklären, da diese wieder stark zurückgegangen seien. Ein wichtiger Grund hingegen seien die Betriebskosten, vor allem durch die hohen Energiepreise, aber auch die Kosten für Verpackungsmaterialien sowie die Lohnkosten, erklärte Allianz Trade.

Seit Mitte Mai 2022 könnten etwa 10 Prozent der Verteuerung der Lebensmittel in Europa damit aber nicht erklärt werden, erklärte der Inflationsexperte Andy Jobst. „Das ist deutlich mehr als vor der Pandemie und dem Ukrainekrieg. Damals lag dieser ‚unerklärte Teil‘ bei weniger als 3 Prozent.“ In Deutschland sei die Situation „noch eklatanter“: Hier betrage der ungeklärte Anteil über ein Drittel.

„Es scheint zunehmend Anzeichen für Gewinnmitnahmen zu geben sowie unzureichenden Wettbewerb in den Bereichen mit besonders starken Preissteigerungen wie zum Beispiel bei Herstellern von Milchprodukten und Eiern, aber auch bei nichtsaisonalem Gemüse und Obst“, erklärte Jobst. „Wir beobachten auch, dass insbesondere Lebensmittelhersteller hungrig nach Profiten sind“, fügte Allianz-Branchenexperte Aurélien Duthoit hinzu. „Sie haben die Preise wesentlich stärker erhöht als die Einzelhändler.“

Zurück ins Wochenende. Abends beim zweiten, dritten Bier geht es um ein bisschen Kultur und um Freiheit. „Leben und leben lassen.“ Pink-Floyd-Gründer ist ein ziemlich böser Mann. Wir finden, böse sein, das ist erlaubt, böse Meinungen äußern, knallhart wirtschaftlich handeln, mogeln und clever sein ja ebenso. Nun darf der berühmte Musiker doch auftreten im Land der Dichter und Denker, unserer Republik der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der die Kunst ein hohes Gut ist. Wir finden: Pink Floyd ist Kunst – das Gericht sagt das auch. Leben und leben lassen eben.

Auf der Autobahn freue ich mich bei der Fahrt quer durch die bunte Republik über mehrere Fahrzeug-Kolonnen mit olivgrünem Anstrich, deren Himmelsrichtung ihrer Reise gen Osten weist. Ich zähle wie ein kleiner Junge, staune und bin schon ein wenig beeindruckt ob der Menge an modernem Gerät. Es scheint, als käme von dem vielen Geld, das in unsere bisher vernachlässigte, heruntergekommene Bundeswehr nun endlich gesteckt wird, endlich was an, und zwar dort, wo es gebraucht wird. Muss ja.

„Wer Wind sät, wird Sturm ernten.“ Bald geht’s richtig los, die schöne Jahreszeit lässt Schlammpisten vergessen machen, auf dass Panzerketten einen guten Griff haben, erfahre ich über die kommende Offensive. Der Regierungschef des größten Landes der Welt, das den ganzen Krieg zu verantworten hat, kündigt derweil, sicher scherzhaft gemeint, an, dass nach all dem Kämpfen und Sterben dann die Siegesparade in Berlin stattfinden wird, weil wir Deutschen ja Kriegspartei sind. So ein Aufmarsch hat was, denke ich. Mal sehen, ob man noch ein Zimmer in der Hauptstadt bekommt. Gut macht sich dann, wenn man ein paar Brocken in der Siegersprache draufhat, wegen der Integration nach dem Krieg. Wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird, beruhige ich mich. Ich hoffe, dass die wichtigen Leute sich noch ein wenig in der Welt der Sprüche umsehen, die kommen aus dem Volk und haben viel Wahrheit zu verbreiten. Es ist für Einsicht und Vernunft nie zu spät, aber: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“

Titelbild: BearFotos/shutterstock.com


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