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Titel: „Was hat die CSU in ihren 60 Jahren … sonst noch angestellt?“

Datum: 14. Dezember 2005 um 10:49 Uhr
Rubrik: Aufbau Gegenöffentlichkeit, CDU/CSU, Gedenktage/Jahrestage, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich:

Ein Leserbrief an die Süddeutsche Zeitung zum 60. Geburtstag der CSU von Rudolf Schöfberger, früher MdB und Landesvorsitzender der SPD Bayern. Etwas zum Nachdenken und – wie bei Schöfberger üblich – auch etwas zum Schmunzeln:

Rudolf Schöfberger an SZ:

Wie es sich zum 60. Geburtstag einer erfolgeichen bayerischen Partei gehört, hat die SZ die CSU über eine ganze Seite gewürdigt und von zwei ihrer Anhänger würdigen lassen. Auch einige Widersacher durften randständig ein paar kritische Geburtstagsgrüße beisteuern.

Zwei Fragen, die jedem bayerischen Patrioten auf der Zunge liegen, sind jedoch unbeantwortet geblieben:

„Warum mussten die bayerischen Konservativen 1945 überhaupt eine neue Partei gründen?“ und

„Was hat die CSU in ihren 60 Jahren bundespolitisch neben vielem Guten sonst noch angestellt?“

Gestatten Sie mir deshalb den Versuch zweier Antworten:

Vorläuferpartei der CSU war von 1919 bis 1933 die Bayerische Volkspartei (BVP), seit 1924 mit Ministerpräsident Held. Sie sorgte für die vorzeitige Entlassung Hitlers aus der Festungshaft, wies den Braunauer Hochverräter nicht nach Österreich aus, erlaubte ihm die Reorganisation seiner NSDAP und ließ den reichsweit verbotenen Völkischen Beobachter in Bayern wieder zu. Dann stimmte die BVP nicht – wie die SPD – für den katholischen Zentrumspolitiker Marx sondern für Hindenburg als Reichspräsidenten – und damit für den Anfang vom Ende der Weimarer Republik.

Als es 1933 so weit war, sprach sich der BVP-Vorsitzende Fritz Schäffer (nach 1945 Bundesfinanzminister) gegenüber Reichspräsident Hindenburg sogar für die Wahl Hitlers zum Reichskanzler aus und bot eine Koalition mit dem Braunauer an. Dann stimmte die BVP am 23.3.1933 im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz Hitlers zu und am 28.4.1933 im Bayerischen Landtag der Abschaffung des Freistaates Bayern. Schließlich stellte die BVP im ersten Nazi-Kabinett Bayerns mit Quadt Freiherr von Isny und Wyckradt den Wirtschaftsminister. Schwarz-braun war die Haselnuss! Ehrenhalber füge ich hinzu: Im Juni 1933 haben dann die Nazis neben allen anderen Parteien auch die durchaus bereitwillige BVP verboten und BVP-Politiker wie Alois Hundhammer ins KZ gesteckt.

Fritz Schäffer wollte die BVP 1945 gern wieder gründen (laut Mittelbayerische Zeitung vom 2.2.1946), aber die Abkoppelung der bayerischen Konservativen von ihrer eigenen Geschichte war unvermeidlich, denn wer mit den Nazis den Freistaat Bayern abgeschafft hat, konnte doch nicht weitermachen, als ob nichts gewesen wäre. So legten sich die bayerischen Konservativen wie nach jeder historischen Katastrophe mit „CSU“ einen neuen Namen zu. Nach „Patriotenpartei“, „Christliche Volkspartei“, „Zentrum“, „Bayerische Volkspartei“ war das ihr fünftes Namensschild. Das war übrigens sehr geschickt. „Christlich“ erschloss ein breites natürliches Wählerpotential, „sozial“ war ehrlich gemeint, sollte nebenbei aber auch den Sozialdemokraten das Wasser abgraben und „Union“ vermied das von den Nazis diskreditierte Wort „Partei“. Die Namenswahl war das Erfolgsrezept Nr. 1.

An diese historischen Wahrheiten sollte am 60. Geburtstag einer erfolgreichen Partei erinnert werden und zwar ohne jeden Schuldvorwurf an die heutigen Mitglieder und Politiker der CSU und ohne Missachtung der beachtenswerten Beiträge der CSU zum Wiederaufbau, zur freiheitlichen Demokratie und zum Wohlstand in Bayern, Deutschland und Europa.

Zur zweiten Frage:

In den 60 Jahren ihrer Geschichte lag die CSU zuweilen auch furchtbar daneben, wobei eine kurze Aufzählung genügen muss:

Die CSU stimmte 1949 im Bayerischen Landtag mit 101 zu 3 Stimmen bei sieben Enthaltungen gegen das Grundgesetz. Maßgebende CSU-Politiker waren für Bamberg als Bundeshauptstadt.

Später verlangte F. J. S. die atomare Ausrüstung der Bundeswehr. Folgerichtig bekämpfte die CSU den Atomwaffensperrvertrag. Dann stritt die CSU energisch gegen den Grundlagenvertrag, die Ostverträge und den UNO-Beitritt der Bundesrepublik, also gegen die gesamte Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition. Der von der CSU der maroden DDR gewährte Milliardenkredit war dafür bestimmt kein Ausgleich. Schließlich widersetzte sich die CSU – wohlgemerkt entgegen allen europäischen Staaten außer Albanien und dem Vatikanstaat – der KSZE – Schlussakte von Helsinki, also dem Anfang vom Ende des Weltkommunismus und der Sowjetunion.

Auch die jüngere Geschichte verzeichnet dramatische Fehlentscheidungen der CSU:

Beim Irak-Krieg wollte die CSU gegen die Mahnung des Papstes und mit wohltuender Ausnahme eines ihrer Bundestagsabgeordneten lieber mitmachen als fernbleiben. Im Europaparlament stimmte die CSU gegen die Aufnahme Tschechiens, weil ihr die nachträgliche Bewältigung der Benesch-Dekrete von 1945 wichtiger war als ein einiges Europa. Drei von vier Münchner CSU-Bundestagsabgeordnete stimmten im Bundestag gegen die Europäische Verfassung und einer von ihnen bemüht derzeit das Bundesverfassungsgericht gegen diese Verfassung.

Viele Bayern können das alles gar nicht glauben. Denn die Geschichte der BVP – aber auch die oben erwähnten „Großtaten“ der CSU stehen in keinem bayerischen Geschichtsbuch oder Lehrplan. Ist das ein Wunder? Wer seit 48 Jahren ununterbrochen regiert, verfügt auch über einen entsprechenden Radiergummi. Umso mehr sind bayerische Patrioten bei der Wahrheitsverbreitung auf ein kritisches Medium wie die SZ angewiesen. Damit alle Geburtstagsgrüße und -glückwünsche, denen ich mich anschließe, nicht scheinheilig sondern eine „runde“ Sache sind.

Dr. Rudolf Schöfberger
München
4.12.2005


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