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Titel: INSM und Raffelhüschen: Angriff auf die Familie

Datum: 1. Juli 2011 um 15:47 Uhr
Rubrik: „Lohnnebenkosten“, Gesundheitspolitik, INSM
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Dass Bernd Raffelhüschen mit seinem Freiburger „Zentrum Generationsforschung“ ein verlängerter pseudo-wissenschaftlicher Schreibtisch der Versicherungswirtschaft und der am gleichen Strick ziehenden „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) ist, das haben wir auf den NachDenkSeiten unzählige Male belegt (z.B. hier oder aktuell hier) Die neueste Raffelhüschen-„Studie“ mit dem Titel „Fehlfinanzierung in der deutschen Sozialversicherung“, finanziert von der INSM, wird als ein besonders raffinierter Versuch genutzt, wieder einmal die Lieblingsthemen dieser allein in diesem Jahr mit über 7 Millionen Euro arbeitgeberfinanzierten PR-Agentur, nämlich die Senkung der sog. „Lohnnebenkosten“ zum öffentlichen Thema zu machen und gleichzeitig den (inzwischen finanziell schwächelnden) privaten Krankversicherern Kunden zuzutreiben. Von Wolfgang Lieb

Die „Studie“ komme – so der Geschäftsführer der INSM Hubertus Pellengar – zum Ergebnis: Der Beitragssatz zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) könne um 0,7 Prozentpunkte gesenkt werden, wenn die „Herdprämie“, also die Mitversicherung von rund fünf Millionen Hausfrauen und Hausmännern abgeschafft und die jeweiligen Ehegatten zusätzlich einen eigenen Krankenversicherungsbeitrag von 126 Euro im Monat zahlen müssten.

Die Forderung nach einer Senkung des Beitragssatzes kommt – interessanterweise – in der Raffelhüschen-„Studie“ (Siehe Download Präsentation der Studie) gar nicht vor, muss also von Pellengahr frei „geschöpft“ worden sein, um das Lieblingsthema der INSM, nämlich die Senkung der sog. „Lohnnebenkosten“ wieder einmal ins Spiel zu bringen. Raffelhüschen stört aber diese offensichtliche Manipulation seiner „Studie“ durch die INSM offensichtlich nicht.

In der „Studie“ wird zwar der familienpolitische „Umverteilungsstrom“ im Jahr 2008 mit 44,2 Milliarden Euro beziffert, wobei allerdings zwei Drittel dieses Betrags (28,6 Milliarden Euro) auf die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder zurückzuführen ist. (S.42)

(Diese Mitversicherung der Kinder will aber selbst die INSM (noch) nicht abschaffen. Mit Einführung des sog. Gesundheitsfonds soll im Übrigen die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder nicht mehr durch Beitragseinnahmen, sondern ab 2008 zunehmend durch Steuermittel finanziert werden.)

Die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen als Element des Familienausgleichs gehört seit über hundert Jahren zu den Kernbestandteilen des Solidarprinzips bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Die politische Absicht war und ist, Familien mit nur einem Einkommen durch die beitragsfreie Mitversicherung von Angehörigen beitragsmäßig zu entlasten. Die Gesundheitskosten für die beitragsfrei Mitversicherten müssen von den beitragspflichtigen Mitgliedern der GKV insgesamt mitfinanziert werden.

Bei den Privaten Krankenkassen (PKV) werden zwar Sondertarife für Ehepartner und für Kinder angeboten, aber keine Familienversicherung – es herrscht grundsätzlich nicht das Solidar- sondern das Äquivalenzprinzip. Würde man also bei der GKV vom bisher mitversicherten Ehegatten einen zusätzlichen Beitrag abverlangen, dann würden bei entsprechendem Einkommen private Krankenversicherungen für Familien erheblich attraktiver. Das ist wohl das Hauptmotiv für die Forderung der INSM nach einer Abschaffung der beitragsfreien Mitversicherung von Ehepartnern bei der GKV und der Polemik gegen die „Herdprämie“.

Nun ist die beitragsfreie Mitversicherung von Ehepartnern schon seit längerer Zeit in die Kritik geraten. Die Bundesärztekammer meinte, dies sei nicht mehr „zeitgemäß“ und auch der Sachverständigenrat blies schon 1997 in dieses Horn. Man mag darüber streiten, ob es gerecht ist, wenn der meist weibliche Ehepartner schon mit einer geringfügigen Beschäftigung zu eigenen Krankenversicherungsbeiträgen herangezogen wird, der erwerbslose Ehepartner jedoch nicht. Auch dass bei kinderlosen Ehepaaren der Partner zu Lasten der Versichertengemeinschaft automatisch mitversichert ist, erscheint fraglich.

Die bisherige Regelung stellt nicht auf das Einkommen des in der Familie jeweils Erwerbstätigen sondern auf das gesamte Haushaltseinkommen ab. Sie geht (realistischerweise) davon aus, dass durch die Ehelichung eines Erwerbslosen sich das Einkommen des (allein) Erwerbstätigen sozusagen halbiert. Ob nun aber zweimal das halbe Familieneinkommen zur Beitragsberechung herangezogen wird oder einmal das ganze, ist für die Höhe der Gesamtbeitragszahlung weitgehend unerheblich. Würde man für den bisher mitversicherten Ehepartner einen zusätzlichen Krankenversicherungsbeitrag erheben, so wäre das Haushaltseinkommen dieses Ehepaars jedenfalls um diesen Betrag gemindert.

Kritisch wäre dagegen einzuwenden: Wenn man schon auf das Haushaltseinkommen abstellt, wäre es umverteilungspolitisch allerdings nur konsequent, wenn auch die Beitragsbemessungsgrenze für Ehepaare verdoppelt würde. Geht nämlich bei dem allein erwerbstätigen Ehepartner das Einkommen über die Beitragsbemessungsgrenze hinaus und unterstellt man wieder eine gleichmäßige Zurechnung des Einkommens und damit auch der Beitragszahlungen auf beide Ehepartner, so zahlen beide weniger, als es der Beitragssatz vorgeben würde [PDF – 32.1 KB].

Aber über diese ungerechte „Fehlfinanzierung“ zugunsten der Besserverdienenden innerhalb der GKV, die durch eine Erhöhung dieser Beitragsbemessungsgrenze (also derzeit einem Monatseinkommen von 3.712,50 Euro, ab dem die Beiträge in die GKV gedeckelt werden) beseitigt werden könnte, verlieren natürlich weder Raffelhüschen noch die INSM auch nur ein Wort. Geriete doch damit auch gleichzeitig auch die Versicherungspflichtgrenze von 4.125 Euro pro Monat (also der Betrag, bis zu dem bis zu dem eine Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht) in Gefahr. Würde nämlich auch diese Versicherungspflichtgrenze nach oben verschoben, dann ginge das – jedenfalls bei Familien – zu Lasten der privaten Krankenversicherungen.

Das wäre nun aber gar nicht im Sinne von Raffelhüschen und der INSM. Da bringt man doch lieber wieder die schon einmal politisch gescheiterte Gesundheitsprämie, alias „Kopfpauschale“ ins Spiel – also ein nicht lohnabhängiges Finanzierungsmodell, bei dem vom Generaldirektor bis zum Pförtner alle den gleich hohen Beitrag bezahlen.

Die Umverteilung der Kosten von unten nach oben wäre dann endlich auch für die Gesetzliche Krankenversicherung erreicht.

Nicht nur bei der Krankenversicherung sondern auch bei der gesetzlichen Rente und bei der Pflegeversicherung fordert die Raffelhüschen-„Studie“ eine Abkehr von familienpolitischen Komponenten und einen Systemwechsel vom Solidar- zum Äquivalenzprinzip, bei dem sich der Leistungsanspruch grundsätzlich nicht mehr nach der Bedürftigkeit sondern nach der jeweiligen Beitragszahlung richtet.

So fordert Raffelhüschen, dass auch die Hinterbliebenenrente entweder über eine Zusatzversicherung im Rahmen der Gesetzlichen Rente finanziert wird oder aber als reine Fürsorgeleistung an eine Überprüfung der Bedürftigkeit des überlebenden Ehepartners gekoppelt wird. (S. 29, 32). Auch bei der Pflegeversicherung verlangt Raffelhüschen einen Systemwechsel zu lohnunabhängigen pauschalen Pflegeprämien und eine Abschaffung der Mitversicherung der Ehe- und Lebenspartner und einen Einstieg in ein kapitalgedecktes System der Zusatzvorsorge. (S. 55ff.)

Bei allen Vorschlägen Raffelhüschens, geht es vor allem

  • um den Abbau des Solidaritätsprinzips im Rahmen der sozialen Sicherungssysteme,
  • um die Senkung oder zumindest die Stabilisierung der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch finanzierten Versicherungsbeiträge (Senkung der sog. „Lohnnebenkosten“),
  • um die Einführung von lohnunabhängigen Kopfpauschalen,
  • um die Verbesserung der Wettbewerbssituation der privaten Konkurrenz zu gesetzlichen Sicherungssystemen (etwa durch zusätzliche Beiträge von Ehepartnern oder durch privat zu finanzierende Pauschalbeiträge) und
  • um die Eröffnung von zusätzlichen Geschäftsfeldern für die Versicherungswirtschaft durch einen Systemwechsel zu privat zu finanzierenden, kapitalgedeckten Vorsorgesystemen oder zumindest um die Einführung von kapitalgedeckten Zusatzversorgungen.

Unter dem Deckmantel der demografischen Entwicklung und finanziellen Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme wird so die Umverteilung von unten nach oben vorangetrieben.


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