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Titel: Merkels Milliardenhypothek – das falsche Spiel mit Griechenlands Schulden

Datum: 8. August 2013 um 13:27 Uhr
Rubrik: Aktuelles, Audio-Podcast, Euro und Eurokrise, Europäische Union, Schulden - Sparen
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Angela Merkels Ablehnung eines weiteren Schuldenschnitts für Griechenland wird von Monat zu Monat unhaltbarer. Nun mahnt sogar schon der IWF „Schuldenerleichterungen“ für den griechischen Staat an. Dass es so weit kommen musste, ist eine direkte Folge von Merkels Krisenpolitik. Deutschland wird schon bald die Rechnung für die marktkonforme Politik seiner Kanzlerin serviert bekommen. Denn Angela Merkel hat alles in ihrer Macht stehende getan, um die privaten Gläubiger Griechenlands herauszuboxen und die Risiken dem Steuerzahler aufzuladen. Wen wundert es da, dass die Kanzlerin ihre guten Umfragewerte über die Zeit retten und momentan nichts von einem Schuldenschnitt wissen will? Von Jens Berger

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Am Vorabend der Krise war Griechenland mit insgesamt 297 Mrd. Euro verschuldet, dies entsprach damals 129% des griechischen Bruttoinlandsprodukts. Dreieinhalb Jahre später sieht die Situation nach dem „großen“ Schuldenschnitt für Privatgläubiger und der Aktion „Schuldenrückkauf“ anders aber keinesfalls besser aus. In diesem Jahr wird die griechische Staatsverschuldung nach Schätzungen des IWF auf 323 Mrd. Euro steigen, was dann einer Staatsschuldenquote von 176% entspräche. Obgleich die Euroländer, die EZB und der IWF nunmehr stolze 207 Mrd. Euro in die Hand genommen haben, und obgleich man den Privatsektor beim ersten Schuldenschnitt zur Kasse gebeten hat, sind die Schulden Griechenlands nicht gesunken, sondern ganz im Gegenteil massiv gestiegen.

Die Verstaatlichung ehemals privater Forderungen

Interessant und erschütternd ist dabei ein Blick auf die Gläubigerstruktur. War der griechische Staat im März 2010 noch zu 100% bei privaten Gläubigern verschuldet, so ist der Anteil des Privatsektors bis Ende 2012 auf 19% gesunken – 81% der Forderungen gegenüber dem griechischen Staat hält heute nach Angaben des Bundestages [PDF – 1 MB] der öffentliche Sektor, also die Eurostaaten, der IWF und die EZB. Doch selbst diese Zahl ist nur die halbe Wahrheit. Von den 53 Mrd. Euro Forderungen, die der Privatsektor noch hält, sind 18 Mrd. Euro sogenannte Treasury Bills des griechischen Bankensektors, die von der EZB abgesichert sind. Der Großteil der „neuen Anleihen“ im Nennwert von 30 Mrd. Euro ist wiederum über EFSF-Anleihen abgesichert und wurde zudem nach englischem Recht ausgegeben, was einen künftigen Schuldenschnitt de facto unmöglich macht. Was bleibt, sind die Anleihen des Privatsektors, die tatsächlich noch bei einem Schuldenschnitt berücksichtigt werden könnten – diese Papiere haben ein Volumen von 5 Mrd. Euro. Oder anders gesagt – der öffentliche Sektor haftet direkt oder indirekt für 98,4% der griechischen Staatsschulden, Ende des Jahres sind dies 318 Mrd. Euro.

Griechenlands Schulden

Wer hat Angst vorm nächsten Schuldenschnitt?

Die Zahlen belegen klar und deutlich, dass jeder kommende Schuldenschnitt voll zu Lasten des öffentlichen Sektors gehen muss. Doch auch hier gibt es kleine aber feine Unterschiede. So sind die 28,4 Mrd. Euro, mit denen sich der IWF bislang an der „Rettung“ beteiligt hat, de facto und de jure vorrangige Anleihen (der Fachausdruck ist „super senior“) und werden daher bei einem Schuldenschnitt traditionell nicht berücksichtigt. De facto ebenfalls ungeschoren dürfte die EZB davonkommen. Sie hält zwar Anleihen im Wert von mindestens 45 Mrd. Euro, eine Beteiligung an einem Schuldenschnitt würde jedoch bedeuten, dass die EZB den griechischen Staat indirekt finanziert hat und dies ist laut EZB-Statut und den Maastricht-Verträgen verboten. Was bleibt, sind die Kredite und Anleihen, die von den Eurostaaten selbst und den Rettungsmechanismen EFSF und ESM gehalten werden.

Wie man es auch dreht und wendet, die gesamten Verluste beim nächsten Schuldenschnitt werden ausschließlich die Steuerzahler der Euroländer tragen müssen. Da Deutschland für rund 27% der Kredite direkt haftet, wird der deutsche Steuerzahler somit mehr als ein Viertel der Verluste tragen. Wie hoch die Verluste letzten Endes seien werden, hängt dabei freilich von der Höhe des Schuldenschnitts (des Haircuts) ab. Die Troika hält eine griechische Staatsschuldenquote von 120% für langfristig tragbar, ohne diese Zahl näher zu begründen. Um dies zu erreichen, wäre ein Haircut i.H.v. 32% notwendig, bei dem dem griechischen Staat rund 103 Mrd. Euro erlassen würden. Der deutsche Anteil an diesem Schuldenerlass entspricht der Summe von 28 Mrd. Euro. Diese Summe stellt dabei bei realistischer Betrachtung den minimalen Verlust dar, den der deutsche Steuerzahler zu erwarten hat. Ohne eine Kehrtwende bei der Austeritätspolitik wäre nämlich auch die angepeilte Staatsschuldenquote von 120% nicht einmal im Ansatz tragbar.

Ein Politikwechsel ist nötig

Es gibt keine „goldene Schuldenregel“ für die Staatsschuldenquote. Japan hat trotz seiner immens hohen Staatsschuldenquote von 245% keine akuten Probleme, da es sich das nötige Geld zu einem Zinssatz nahe der Null-Prozent-Marke indirekt von der eigenen Notenbank leihen kann. Spanien, dessen Staatsschuldenquote zu Beginn der Eurokrise noch unter dem Maastricht-Wert von 60% lag, hat keinen Zugriff auf Gelder der EZB und war daher bis zu Mario Draghis Ankündigung eines Anleihenkaufprogramms Opfer von Spekulationen. An den zu hohen Zinsen leidet Spanien jedoch immer noch.

Doch dies ist nur die finanzpolitische Seite der Medaille. Für die Frage, welche Staatsschuldenquote langfristig tragbar ist, spielt die realwirtschaftliche Lage die entscheidende Rolle. Brummt die Konjunktur, kann der Staat seine Schulden meist mühelos zurückzahlen, befindet sich die Volkswirtschaft aber in einer schweren Krise, sieht die Situation fundamental anders aus – erst Recht dann, wenn dem Land eine zerstörerische Austeritätspolitik aufgezwungen wird. Griechenlands BIP ist bereits um 25% gesunken und auch in diesem Jahr wird die Wirtschaft um weitere 5% schrumpfen. Die Konsumausgaben werden heuer um 9% sinken, die Investitionen um 10%. Wenn sich daran nichts ändert, ist auch eine Staatsschuldenquote von 120% zu hoch, zumal sie mathematischer Logik folgend (der Nenner wird kleiner) bei einem Schrumpfen der Konjunktur wie von Geisterhand wieder steigt.

Wichtiger als ein Schuldenschnitt wäre daher auch die Abkehr von der Austeritätspolitik. Nur wenn sich die griechische Volkswirtschaft stabilisiert, kann man sich überhaupt erst Gedanken über eine „tragbare“ Staatschuldenquote machen. Jedoch käme das Land auch dann nicht um eine – wie auch immer geartete – Reduzierung der Tilgungs- und Zinslasten herum, die wie ein Damoklesschwert über dem Staatshaushalt schweben. Ein Politikwechsel ist jedoch weit und breit nicht in Sicht und damit steigt auch die Summe der potentiellen Verluste für den deutschen Steuerzahler unaufhörlich.

Zu alternativen Konzepten wie „Evergreen Bonds“ oder „Nullkuponanleihen“, die eine wichtige Alternative zum Schuldenschnitt darstellen, von Merkel und Co. aber kategorisch ausgeschlossen werden, siehe: Wenn marktkonformer Zynismus ein Land vor die Hunde gehen lässt

Merkels teure Hinterlassenschaft

Seit der fast vollständigen Verdrängung des Privatsektors aus der Gläubigerstruktur Griechenlands ist der griechische Staat nur noch ein Durchlauferhitzer für Milliardentransfers. Die Troika leiht dem griechischen Staat neue Milliarden, mit denen er Altschulden in gleicher Höhe bei der Troika begleichen kann. Rechte Tasche, linke Tasche und über den Zins wird dabei Tag für Tag dringend benötigtes Geld aus Griechenland abgesaugt.

Betrachtet man die Systematik der „Griechenlandrettung“, so folgt sie einem eindeutigen Muster: Die mehr als 200 Mrd. Euro, die bislang nach Griechenland überwiesen wurden, dienten vor allem dem Zweck, privaten Gläubigern die zu erwartenden Verluste zu ersparen. Statt der privaten Gläubiger trägt nun der Steuerzahler das komplette Ausfallrisiko. Dabei stellt sich nicht die Frage, ob es zu Verlusten kommt, sondern lediglich, wie hoch die Verluste ausfallen und wann die Politik die Ehrlichkeit aufbringt, dem Wähler die schlechte Nachricht zu überbringen. Dass Angela Merkel ein Interesse daran hat, den Tag der Abrechnung erst nach den Bundestagswahlen im September stattfinden zu lassen, ist verständlich; trägt sie doch die Hauptverantwortung für den gigantischen Raubzug an den öffentliche Finanzen, der mit dem Begriff „Griechenlandrettung“ kaschiert wird.

Angela Merkel war es, die im Winter 2009/2010 die Griechenland-Krise erst hat eskalieren lassen, als sie eine gemeinschaftliche Haftung für die griechischen Staatsschulden kategorisch ausschloss. Auch damals befand sich die Kanzlerin im „Wahlkampfmodus“. Kaum waren die Stimmen der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen ausgezählt, stimmte sie auch dem ersten „Rettungspaket“ zu. Damals hätte man mit einem beherzten Eingreifen der EZB die Lage beruhigen können.

Ohne die katastrophale Austeritätspolitik per ordre Merkel wäre die Krise ferner nie derart eskaliert. Heute befindet sich Griechenland im freien Fall und es ist illusorisch zu glauben, dass die Schulden je in voller Höhe begleichen werden können. Hätte man bereits früh mit Hilfe der EZB ein Schuldenmoratorium erlassen und auf die Austeritätspolitik verzichtet, wäre Griechenland womöglich in der Lage gewesen, seine kompletten Schulden zu einem späteren Zeitpunkt in voller Höhe zurückzuzahlen. Davon wollte die marktkonforme Kanzlerin jedoch nie etwas wissen. Nun hat sie die Krise, die sie wollte und wir müssen – neben der griechischen Bevölkerung – den Preis für diese Borniertheit zahlen.

Auch der Übertrag von privaten in staatliche Forderungen ist auf dem Mist der Kanzlerin gewachsen. Die Taktik, Griechenland so lange staatliche abgesicherte Kredite zu geben, bis ein Großteil der privaten Forderungen bedient wurde, war von Anfang mit der Prämisse geplant, die „faulen Forderungen“ dem Steuerzahler unterzujubeln. Nicht die Griechen, sondern die deutsche Kanzlerin und ihre politischen Freunde tragen die Verantwortung dafür.

Im Finanzsystem gibt es ein schönes Sprichwort: „Das Geld ist nie weg, es hat nur ein anderer“. Das stimmt. Die Verluste, die auf den Steuerzahler in Euroland zukommen, sind längst an anderer Stelle als Gewinne verbucht worden. Banken, Fonds und Versicherungen konnten sich ohne große Abschreibungen von ihren Forderungen an den griechischen Staat trennen, ihren Aktionären ordentliche Dividenden und ihren Kunden schöne Renditen auszahlen. Das ist wahrlich marktkonform. Danke, Frau Merkel!


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