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Titel: Zum Niedergang der SPD

Datum: 2. April 2007 um 11:58 Uhr
Rubrik: Demoskopie/Umfragen, SPD, Strategien der Meinungsmache, Wahlen
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Im Politikbarometer der Forschungsgruppe Wahlen vom 29.3.07 landete die SPD bei 31%; das sind sechs Punkte weniger, als für die CDU/CSU gemessen wurden. Schon seit einiger Zeit gibt es auch innerhalb der SPD eine kritische Debatte über diesen weiteren Niedergang einerseits und versehen mit Aggressionen gegen die neu gegründete Linkspartei, einschließlich der grundsätzlichen Absage an eine künftige Zusammenarbeit andererseits. Ist der Niedergang eine Überraschung? Albrecht Müller.

Eine Fülle von Zumutungen für die eigenen Anhänger
Das Rätselraten über die Ursachen des Niedergangs verstehe ich nicht. Wenn sich die SPD bis zum Nicht-mehr-wieder-erkennen an die konservative, neoliberale Grundlinie der Herrschenden anpasst, dann ist es kein Wunder, dass zunächst die Mitglieder und Multiplikatoren und dann auch die Wähler davon laufen – in die Enthaltung oder gleich zum Wechsel von der Kopie zu den Originalen der neoliberalen Bewegung, zur CDU/CSU und FDP.
Im Jahr 2002 habe ich in einem Beitrag für die Frankfurter Rundschau die Gründe für einen solchen Niedergang beschrieben. Siehe „Sozialdemokraten haben sich als gestaltende Kraft verabschiedet“.
Dem ist nicht viel hinzuzufügen außer der Feststellung, dass die SPD seitdem ihren Anhängern weitere gravierende Irritationen zugemutet hat: die Agenda 2010, Hartz I bis III, Hartz IV, mehrere Gesundheitsreformen mit Verschlechterungen für die Patienten, eine Nullrunde nach der anderen bei der Rente, Einführung des Nachhaltigkeitsfaktors mit einer drastischen Rentenabsenkung und nicht zuletzt die Erhöhung des Renteneintrittsalters, eine neue Welle von Privatisierungen des öffentlichen Eigentums, das ÖPP-Beschleunigungsgesetz, das gegenüber Geringverdienern ungerechte Elterngeld, die Senkung der Spitzensteuersätze, eine Unternehmensteuersenkung nach der anderen, die Freistellung von Spekulationsgewinnen, die Förderung von „Heuschreckken“, und kürzlich noch die Entscheidung, Tornados nach Afghanistan zu schicken wie auch das Offenbarwerden der Tatsache, dass die Regierung Schröder trotz offiziellem Nein zum Irak-Krieg heimliche Hilfe für die Kriegsparteien geleistet hat. Eine bittere Enttäuschung für jene, die sich bei der Wahl 2002 wegen des Neins zum Irak-Krieg noch einmal für die SPD engagiert hatten.
Diese Latte von Zumutungen wurde dann noch vom Neuwahlcoup des SPD-Bundeskanzlers Schröder und des Parteivorsitzenden Müntefering getopt. Die Fortsetzung der eigenen Kanzlerschaft und einer rot-grünen Koalition um ein weiteres Jahr wurde zu Gunsten einer (von vorneherein geplanten) schwarz-roten Koalition und der damit leichter durchsetzbaren neoliberalen Reformen gekappt. Hätte die SPD-Führung durchgehalten, dann hätte sie im Herbst 2006 angesichts des immerhin leichten wirtschaftlichen Aufschwungs mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Chancen gehabt, ihre Position im Deutschen Bundestag einigermaßen zu halten. So ist sie mit einem minus von 4,3% auf 34,2% abgerutscht. Ein solches Spiel mit dem Machtverlust der eigenen Partei finden sogar jener Anhänger der SPD schlimm, die inhaltlich nicht engagiert aber an der Macht interessiert sind.

Die neue Götterdämmerung hat begonnen.
Jetzt wird auch begonnen, den neuen Parteivorsitzenden Kurt Beck nieder zu schreiben. Typisch dafür ist ein aktueller Beitrag von SpiegelOnline und dem gedruckten Spiegel: („Parteichef Beck verliert seinen Nimbus“). Es ist das gleiche Spielchen wie mit Scharping 1994. Erst hoch schreiben, dann runterschreiben. Das lässt nichts Gutes ahnen.
Der Beitrag im Spiegel könnte immerhin ja Anlass zur Selbstbesinnung bei der SPD-Spitze sein. Vielleicht dämmert es dort noch bei manchen, dass die SPD angesichts der Einstimmung vieler Medienmacher auf Angela Merkel nur noch eine Chance hat, Boden wieder gutzumachen, wenn sie Menschen und vor allem Multiplikatoren aus dem Arbeitnehmerbereich für sich zurück gewinnen kann. Die Überlassung der politischen Linie an Politiker wie Steinbrück und Müntefering ist allerdings nicht geeignet, diese Selbstbesinnung anzustoßen.

Die SPD macht immer wieder selbst Platz für neue konkurrierende Parteien.
Die Gründung beziehungsweise West-Erweiterung einer Partei links von der SPD ist angesichts der Tatsache, dass die SPD selbst den Platz auf der linken Seite des politischen Spektrums verlassen hat, eigentlich zwangsläufig. Auch hier wiederholt sich Geschichte.
In den siebziger Jahren begann die SPD ihr Potenzial an ökologischem Image, das nicht nur auf Reden sondern auf umweltpolitischen Taten basierte, zu verspielen. Einige Hinweise darauf: Willy Brandt’s Forderung nach „einem blauen Himmel über der Ruhr“ vom 28. April 1961 war in Deutschland sozusagen der Einstieg in die offizielle Debatte zum Umweltschutz. In der Regierungszeit Willy Brandts wurde dann ab 1969 – übrigens in Kooperation mit der FDP – auch faktisch mit einer großen Zahl von Umweltgesetzen und Verordnungen mit dem Umweltschutz begonnen. Das Benzin-Blei-Gesetz, die Abwasserabgabe und die Gründung des Umweltbundesamtes gehören zu diesen ersten Taten der sozialliberalen Koalition.
In einem Steuerreformprogramm der SPD vom November 1971 gibt es ein Kapitel „IX. Besteuerung umweltfeindlicher Produkte“. Der Vorsitzende dieser Kommission Erhard Eppler und auch der Sozialdemokrat und IG-Metall-Vorsitzende Otto Brenner waren damals Motoren der notwendigen Debatte um mehr Umweltschutz und damit eine bessere Lebensqualität. 1972 hat die IG-Metall in Oberhausen eine wichtige Konferenz zum Thema abgehalten. Das Wahlprogramm der SPD von 1972 enthielt im Titel schon die Forderung nach mehr Lebensqualität.
In der Zeit von Helmut Schmidts Kanzlerschaft ist es sogar noch gelungen, im regierungsamtlichen Energieprogramm endlich die Prognose des Energiebedarfs von der prognostizierten Bruttoinlandsproduktsentwicklung abzukoppeln. Damit war auch die Planung einer Unzahl von Kernkraftwerken obsolet geworden. Selbst Helmut Schmidt hat also in seiner Kanzlerschaft umweltpolitische Akzente gesetzt. Aber durch seine Reden und auch durch Taten hat er sich derart schroff gegen die Friedens- und Ökologiebewegung abgegrenzt, dass er dann zum eigentlichen Vater der Grünen wurde. Und zwar so gründlich, dass sich hinterher niemand mehr an die Vorreiterrolle der SPD beim Umweltschutz erinnert hat und heute alle meinen, die Grünen hätten in Deutschland den Umweltschutz erfunden und politisch hoffähig gemacht.
Schon damals war also die Anpassung der SPD an eindimensionale Wirtschaftsinteressen und neokonservatives Denken der eigentliche Grund für das Verlieren wichtiger Wähler-Segmente und vor allem für den Verlust wichtiger Multiplikatoren an eine neue Partei.

Verschiebung der Verantwortung für die eigenen Unzulänglichkeiten auf die Linkspartei.
Auch der Umgang der SPD-Führung mit der Linkspartei beziehungsweise mit der Option einer Zusammenarbeit mit ihr erinnert mich an frühere ganz ähnlich verlaufene Geschichten: die SPD-Spitze reagierte schon in den siebziger und achtziger Jahren undifferenziert aggressiv auf die Grünen und machte die Ablehnung von Rot-grün über Jahre zu ihrem „Vaterunser“. Sie verlor dabei Image und Bewegungsfähigkeit und förderte die Anti-rot-grün-Kampagne der Union.
Die SPD hat aus dieser Erfahrung offenbar nichts gelernt. Jetzt wiederholt sie mit der Linkspartei den gleichen Fehler.
Führende Sozialdemokraten tun so, als wäre die Linkspartei schuld am Verlust einer Mehrheit links von der Mitte. Was wäre denn, wenn es die Linkspartei 2005 nicht gegeben hätte und 2009 nicht gäbe?
Die SPD wäre nach der Wahl 2005 genau die gleiche Große Koalition eingegangen, die wir heute haben. Sie zu erreichen und damit noch härtere Reformen durchzusetzen, war das eigentliche Ziel der Neuwahlentscheidung.
Auch im Jahr 2009 würde die SPD selbst dann, wenn es keine Linkspartei gäbe, die absolute Mehrheit nicht erreichen. Sie würde dann, wenn nicht mit der CDU/CSU, mit FDP und/oder Grünen koalieren. Das wäre angesichts der nahezu abgeschlossenen Wende der Grünen zu einer Öko-FDP im Ergebnis auch keine so viel andere Politik als heute im Zeichen der großen Koalition.
Eine Abkehr von der neoliberalen Linie wäre nur mit der Linkspartei möglich. Wenn es in der SPD eine noch Kräfte für eine Linie der linken Mitte gäbe, dann müssten diese Gruppen dafür sorgen, dass die Kooperation mit der Linkspartei nicht grundsätzlich ausgeschlossen wird.

Die Linkspartei müsste man erfinden, wenn es sie nicht gäbe.
Der alleine durch ihre Existenz schon ausgehende Druck auf die innere programmatische Entwicklung von SPD, Grünen und sogar der CDU/CSU, sich nicht völlig von allen sozialen Wurzeln zu lösen, ist eine segensreiche Erscheinung. Wenn es die Drohung eines weiteren Wählerverlustes an die Linkspartei nicht gäbe, dann würde sich angesichts der Macht- und Medienverhältnisse in der Bundesrepublik das Koordinatensystem noch erheblich weiter nach rechts und in Richtung neoliberal verschieben. Die meinungsführende Elite weiß das. Deshalb haben sich die Meinungsführer die Stigmatisierung dieser neuen Parteienverbindung und die Diffamierung von Oskar Lafontaine und Gregor Gysi zur Aufgabe gemacht. Das könnte man verstehen, wenn es nur um ein paar Wähler ginge. Strategisch ist es ausgesprochen dumm und es ist einmal mehr das eingetreten, was ich schon sehr oft beobachtet habe: Die SPD lässt sich ihre eigene Strategie von ihren politischen Gegnern unterjubeln, sie lässt sich fremd bestimmen sozusagen. Denn natürlich freuen sich Union, FDP und Grüne, wenn die SPD keine andere Option mehr hat als die Zusammenarbeit mit ihnen.


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