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Titel: Sahra Wagenknecht und der „Aufstand“ der Linkspartei – worüber regt Ihr Euch überhaupt auf?

Datum: 27. Juli 2016 um 10:34 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, DIE LINKE, einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte, Innen- und Gesellschaftspolitik
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Sahra Wagenknecht veröffentlicht eine Pressemitteilung, in der sie anlässlich des Anschlags in Ansbach Kritik an der Integrations- und Flüchtlingspolitik der Bundesregierung übt und die politische Linke schäumt. Man kennt das Spiel ja schon zu genüge. Die üblichen Verdächtigen, wie z.B. Stefan Liebich, Halina Wawzyniak und Jan van Aken, hauen via Twitter ihre nicht immer durchdachten Gedanken in 140 Zeichen in die Welt und Zeitungen wie das Neue Deutschland, die Frankfurter Rundschau, die taz oder der Tagesspiegel greifen die Kakophonie auf, um ihrerseits scharf auf Sahra Wagenknecht zu schießen. Wer solche Parteifreunde hat, braucht in der Tat keine Feinde mehr. Auch diesmal fällt die entscheidende Frage jedoch im Verbalclinch unter den Tisch: Was hat Sahra Wagenknecht eigentlich konkret Falsches gesagt, um die Heckenschützen in ihren eigenen Reihen auf sich zu ziehen? Von Jens Berger.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Schauen wir uns den Stein des Anstoßes doch einmal näher an:

Menschen müssen sich wieder sicher fühlen können
„Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Opfern und ihren Angehörigen. Auch wenn die konkrete Aufklärung der Hintergründe des Anschlags von Ansbach noch abgewartet werden muss, kann man doch schon so viel sagen: Die Ereignisse der letzten Tage zeigen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen und Zuwanderern mit erheblichen Problemen verbunden und schwieriger ist, als Merkels leichtfertiges ‚Wir schaffen das‘ uns im letzten Herbst einreden wollte“, erklärt Sahra Wagenknecht nach dem jüngsten Anschlag in Ansbach. Die Vorsitzende der Fraktion DIE LINKE weiter:
„Der Staat muss jetzt alles dafür tun, dass sich die Menschen in unserem Land wieder sicher fühlen können. Das setzt voraus, dass wir wissen, wer sich im Land befindet und nach Möglichkeit auch, wo es Gefahrenpotentiale gibt. Ich denke, Frau Merkel und die Bundesregierung sind jetzt in besonderer Weise in der Verantwortung, das Vertrauen der Menschen in die Handlungsfähigkeit des Staates und seiner Sicherheitsbehörden zu erhalten.“
Pressemitteilung von Sahra Wagenknecht vom 25. Juli 2016

Welche Passage dieses Schreibens soll denn nun eigentlich „Kritik von rechts“ (O-Ton: Jan van Aken) sein? Nach den bisher an die Öffentlichkeit gelangten Ermittlungsergebnissen war der Täter von Ansbach ein Syrer, der in Deutschland einen Asylantrag gestellt hat, der jedoch aufgrund der Zuständigkeit gemäß des Dublin-Abkommens abgelehnt wurde. Nun drohte dem Täter die Abschiebung nach Bulgarien, wo er einen neuen Asylantrag hätte stellen müssen. Dies ist nebenbei bemerkt übrigens eine Folge der EU-Asylpolitik, die ganz maßgeblich von Angela Merkel bestimmt wurde. Diese Ablehnung hat die Gemütswelt des offenbar zuvor schon traumatisierten Täters vollends aus den Fugen gebracht, er baute sich eine Bombe, die er vor einem Open-Air-Konzert in Ansbach dann in seinem Rucksack zündete. Hätte eine psychologische Betreuung dies verhindern können? Warum fiel der Täter nicht unter Angela Merkels Sondererlass für syrische Flüchtlinge? Hätte die Katastrophe verhindert werden können, wenn der Täter bessere Integrationsmaßnahmen und eine bessere Eingliederung bekommen hätte? Fragen über Fragen, die allesamt indirekt von Sahra Wagenknecht aufgeworfen werden.

Ganz offensichtlich ist die „Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen“ mit Problemen verbunden und schwieriger, als es Merkels leichtfertiges „Wir schaffen das!“ suggeriert. Nichts Anderes sagt Sahra Wagenknecht. Stellen wir doch einmal die Antithese auf: Würden Liebich, Wawzyniak oder van Aken denn der Aussage zustimmen, dass die Aufnahme und Integration einer großen Zahl von Flüchtlingen nicht mit Problemen verbunden und einfach ist? Wenn ja, dann sollten sie wohl eher als Wahlhelfer bei der CDU anheuern; für eine linke Oppositionspartei wäre ein derartiges Statement nämlich ziemlich verstörend.

Die Strategie der Heckenschützen ist fatal und selbstmörderisch für eine linke Oppositionspartei. Kritik an der Flüchtlingspolitik der Regierung wird reflexartig als Kritik von rechts gebrandmarkt – ein Totschlagargument. Das ist töricht und dumm. Selbstverständlich gibt es auch zahlreiche gute Gründe, warum man Angela Merkels Flüchtlingspolitik auch von links kritisieren kann und kritisieren muss! Die Formulierung von Denk- und Debattenverboten seitens der Heckenschützen innerhalb der Linkspartei ist kontraproduktiv. Kontraproduktiv für die Partei und vor allem auch kontraproduktiv für die Sache selbst. Denn wenn man die Kritikpunkte, die Sahra Wagenknecht in einem Statement zur neuerlich entfachten Debatte noch einmal vorträgt, als Politiker einer linken Partei nicht mehr vortragen darf, dann heißt dies, dass die Linke sich selbst ohne jegliche Not bei der Flüchtlingsdebatte gleichgeschaltet und der offiziellen Regierungslinie untergeordnet hat. Dann kann der Wähler aber auch gleich das Original und nicht die Kopie wählen.


Kein gutes Bild geben jedoch auch die Wähler, Anhänger und Mitglieder der Linkspartei ab, die sich nicht etwa massiv gegen derlei Störmanöver aus den eigenen Reihen zur Wehr setzen, sondern sich von einer Meute den Schneid abkaufen lassen, die ohnehin nicht hinter linker Politik steht. Man muss sich nur einmal die „Debatte“ auf Twitter anschauen. Dort geben neben den Heckenschützen vor allem Mitglieder und Anhänger der SPD oder der Grünen den Ton vor und das linke Publikum folgt dumm blökend der rot-grünen Herde. Als der rechte Flügel der britischen Labour Partei den Parteichef Jeremy Corbyn wegputschen wollte, gingen zehntausende – meist junge – Parteimitglieder auf die Straße und stützten demonstrativ Corbyn und seine linke Politik. Deutschlands Linke scheinen sich jedoch in einer Duldungsstarre zu befinden. Solange sich dies nicht ändert, werden auch die Heckenschützen ihr trauriges Spiel immer weiter treiben.


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