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Titel: „Kommunikativer Wildwuchs“ – Bundesregierung verfügt über 500 Konten in den Sozialen Medien und zahlt dafür Millionenbeträge an Werbeagenturen

Datum: 16. August 2023 um 9:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Bundesregierung, PR
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Die Bundesregierung und ihre Ministerien unterhalten derzeit 543 Konten in den Sozialen Medien (YouTube, Twitter, Facebook, LinkedIn, Instagram). Allein das Bundeswirtschaftsministerium und seine nachgeordneten Behörden betreiben Dutzende unterschiedliche Social-Media-Auftritte. Zwischen 2020 bis 2022 flossen rund 30 Millionen Euro an einige wenige Werbeagenturen für Kampagnen auf diesen Plattformen. Besonders stechen dabei die Ausgaben des Gesundheitsministeriums (BMG) für die „Digitale Corona-Kommunikation“ sowie das Innenministerium (BMI) für die Kampagne „Für alle Fälle vorbereitet“ hervor. Dies geht aus Antworten der Bundesregierung auf eine aktuelle Kleine Anfrage zum Thema hervor, die den NachDenkSeiten vorliegt. Der Bund der Steuerzahler spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die Bundesregierung „die Plattformen geradezu flutet“ und kritisiert die daraus resultierende „Intransparenz“ sowie „kommunikativen Wildwuchs“. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Die Kleine Anfrage unter dem Titel „Kosten und Nutzen der Auftritte und Konten der Bundesregierung in den Sozialen Medien“ wurde Ende Juni von der AfD-Fraktion eingereicht. Mittlerweile liegt die Antwort der Bundesregierung vor. Die Anfrage baut auf Erkenntnissen aus den Antworten zu einer vorherigen Kleinen Anfrage von Mai 2023 „Zahlungen der Bundesregierung an Medien und Influencer für Werbung, Anzeigen, Kampagnen und Informationsmaßnahmen“ (Bundestagsdrucksache 20/6676) auf. Damals wurde bekannt, dass die Bundesregierung allein in den Jahren 2020 bis 2022 über eine halbe Milliarde Euro für Werbe- und Informationsmaßnahmen ausgegeben hatte. Die erste Frage in der aktuellen Anfrage lautet:

„Wie viele offizielle Profile bzw. Konten der Bundesregierung, der Bundesministerien und der nachgeordneten Behörden existieren insgesamt in den Sozialen Medien im Jahr 2023 (bitte auflisten nach Ministerium, nachgeordneter Behörde, Sozialem Medium [Twitter, Facebook, Instagram, YouTube etc.], Profilname und Verlinkung der Internetadresse auf dem jeweiligen Netzwerk)?“

Die Bundesregierung verweist in ihrer Antwort auf die Auflistung in „Anlage 1“ und betont zudem:

„Die erfragten Angaben sind Anlage 1 zu entnehmen. Sie umfassen nur solche Accounts, die mit Mitteln der jeweils genannten Behörde betrieben werden.“

Der zweite Satz lässt stutzen. Wieso macht die Bundesregierung in ihrer Antwort die Einschränkung, dass nur die Accounts aufgeführt werden, die mit behördeneigenen Mitteln betrieben werden? Heißt das, die Ministerien und nachgeordneten Behörden verfügen über noch mehr Konten in den Sozialen Medien, die aber über andere Töpfe finanziert werden? Wenden wir uns jetzt aber erstmal der Anlage 1 zu. Ein Blick auf die Auflistung der 28 unterschiedlichen BMWK-Accounts reicht, um zu verstehen, wie der Bund der Steuerzahler zu seiner Einschätzung von „kommunikativem Wildwuchs“ gekommen ist:

Locker in den Schatten gestellt wird diese Auflistung allerdings vom Innenministerium. Dieses kommt inklusive seiner nebengeordneten Behörden wie etwa der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) auf sage und schreibe 89 Accounts bei Facebook, Twitter und Co. Lassen wir das Scrollen beginnen:

Nicht sehr glaubwürdig erscheint vor diesem Hintergrund die Antwort des BMI auf die zweite Frage der KA, wie viele Mitarbeiter „im Bereich der Pflege und Nutzung der Konten in den Sozialen Medien“ arbeiten: Laut dem Innenministerium sollen lediglich zehn von den insgesamt 2.100 Mitarbeitern die 89 Konten auf Twitter, YouTube, Facebook, Instagram, XING, Mastodon und LinkedIn betreuen.

Geradezu lächerlich mutet wiederum die Antwort des Bundesnachrichtendienstes an. Die Beantwortung der Frage, wie viele Mitarbeiter beim BND die Social-Media-Konten, beim BND konkret deren Instagram-, XING- und YouTube-Account (letztes Video wurde dort vor mehr als einem Jahr hochgeladen) betreuen, erklärt der Auslandsnachrichtendienst allen Ernstes zum Staatsgeheimnis:

„Der Bundesnachrichtendienst ist nach sorgfältiger Abwägung der widerstreitenden Interessen zu der Auffassung gelangt, dass eine Beantwortung der Frage aus Gründen des Staatswohls nicht in offener Form erfolgen kann. Die erbetenen Auskünfte sind aus Gründen des Staatswohls geheimhaltungsbedürftig.“

Und weiter:

„Aus ihrem Bekanntwerden könnten sowohl staatliche als auch nichtstaatliche Akteure Rückschlüsse auf die Ressourcen des Bundesnachrichtendienstes ziehen. Ein solches Bekanntwerden beeinträchtigt die Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes, was wiederum die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet und geeignet ist, ihren Interessen Nachteile zuzufügen.“

Echt jetzt? Die Veröffentlichung der Information, dass BND-Sachbearbeiter* X und Y einmal im Monat den XING-Account des BND bedienen und auf Instagram Werbung für BND-Socken machen, soll „die Aufgabenerfüllung des Bundesnachrichtendienstes“ sowie die „Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ gefährden?

Die Antwort auf Frage 11 der Kleinen Anfrage, wie die Bundesregierung die Kritik des Bundes der Steuerzahler bewertet, welcher bei der Öffentlichkeitsarbeit des Bundes im Social-Media-Bereich „Doppelstrukturen“, „kommunikativen Wildwuchs“ und „vergleichsweise hohe Intransparenz bei den Kosten“ kritisiert, wird mit der gewagten Behauptung verweigert:

„Die Bundesregierung nimmt nicht Stellung zu Äußerungen Dritter.“

Abschließend nennt die Bundesregierung auf Nachfrage noch die Summen, welche von 2020 bis 2022 in die Taschen von Werbeagenturen für Social-Media-basierte Kampagnen der Ministerien flossen. Insgesamt gaben die Bundesregierung, ihre Ministerien sowie deren nachgeordnete Behörden in diesem Zeitraum 29,4 Millionen Euro für die Social-Media-Arbeit von Werbe- und Mediaagenturen aus. Diese Agenturen übernahmen die Aufgabe der Erstellung von Beiträgen in Form von Kampagnen oder Anzeigen auf den Kanälen der jeweiligen Bundesministerien und ihrer nachgeordneten Behörden. Besonders augenfällig sind hierbei die Ausgaben des BMI mit weit über 14 Millionen Euro (14.603.101,26 €), gefolgt vom BMG mit über 11 Millionen Euro (11.108.626,49 €). Ein Großteil der Summe ging beim Gesundheitsministerium für die sogenannte „Digitale Corona-Kommunikation“ drauf: 2020 waren das 2.091.806,60 Euro, 2021 stieg dieser Betrag mit 4.074.051,25 Euro fast auf das Doppelte und umfasste auch 2022 noch 2.790.929,92 Euro. Auftragnehmer war in allen drei Fällen die Berliner Agentur Cosmonauts & Kings GmbH.

Beim BMI war der größte Kostenpunkt die „Notfall“-Kampagne „Für alle Fälle vorbereitet“ mit 4,1 Millionen Euro 2021 und 7,1 Millionen Euro 2022. Hier war der Hauptauftragnehmer Orca Affairs, ebenfalls eine Berliner Werbe-Agentur (Eigenbeschreibung: „WIR SIND DIE AGENTUR FÜR GESELLSCHAFTSPOLITISCHE KOMMUNIKATION).

Weit abgeschlagen folgen mit je sechsstelligen Beträgen das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit 961.824,08 €, das Familienministerium (BMFSFJ) mit 775.728 € sowie das Wirtschaftsministerium (BMWK) mit 365.860,61 €.

Wohlgemerkt, wir sprechen hier nur von den Kosten der Social-Media-basierten Kampagnen, Kosten für TV-Spots, Zeitungsanzeigen etc. sind darin nicht enthalten. Insgesamt gab die Bundesregierung, wie bereits erwähnt, von 2020 bis 2022 weit über eine halbe Milliarde Euro für Werbe- und Informationsmaßnahmen aus.

Niemand stellt in Frage, dass die Bundesregierung und ihre Ministerien sich in den Sozialen Medien präsentieren. Aber die Bundesregierung bleibt die Antwort auf die Frage schuldig, wie sinnvoll und zielführend es ist, dass diese Präsenz über 500 Konten umfasst, davon wie aufgezeigt allein fast 100 im Umfeld des Innenministeriums. Man sollte Einschätzungen des Bundes der Steuerzahler nicht per se unkritisch wiedergeben, gerade auch eingedenk seiner bekannten neoliberalen Schlagseite. Aber die geäußerte Kritik hinsichtlich der „Flutung“ der Sozialen Medien, eklatanter Doppelstrukturen und fehlender Transparenz hinsichtlich der Finanzierung dieser Accounts wurde durch die Antworten und Nichtantworten der Bundesregierung eindrucksvoll bestätigt.

Titelbild: Screenshot der Drucksache 20/7867


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