Bundesregierung erklärt Zahlungen an Journalisten von ARD, ZDF und Deutsche Welle zur geheimen „Verschlusssache“

Bundesregierung erklärt Zahlungen an Journalisten von ARD, ZDF und Deutsche Welle zur geheimen „Verschlusssache“

Bundesregierung erklärt Zahlungen an Journalisten von ARD, ZDF und Deutsche Welle zur geheimen „Verschlusssache“

Florian Warweg
Ein Artikel von: Florian Warweg

Anfang März 2023 war zunächst bekannt geworden, dass die Bundesregierung in den letzten Jahren rund 1,5 Millionen Euro an circa 200 Journalisten, mehrheitlich bei ARD und ZDF beschäftigt, für diverse Aufträge wie beispielsweise „Moderation“ oder „Konzepterstellung“ gezahlt hatte. Kanzleramt und Ministerien räumten zwar die Zahlungen ein, hielten aber bisher die Namen der Journalisten mit Verweis auf „Datenschutz“ anonymisiert. Diese Namen liegen jetzt den NachDenkSeiten vor. Aus den neuen Antworten der Bundesregierung wird zudem ersichtlich, dass die Zahlungen an Journalisten signifikant höher ausfielen als bisher bekannt. Insgesamt ließ die Bundesregierung von 2018 bis 2022 über 2,3 Millionen Euro an ausgewählte Journalisten überweisen, darunter auch an die Ehefrau von Agrarminister Cem Özdemir, der Deutsche-Welle-Journalistin Pia Castro. Pikant: Die Höhe der Zahlung an sie wird als „VS-Vertraulich“ eingestuft. Ein Schritt, der eigentlich nur erfolgt, wenn es „dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland abträglich sein könnte“. Von Florian Warweg.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

„Welche vergüteten Aufträge, Honorare oder sonstigen Zahlungen (etwa für Moderation, Präsentation, Beratung, Expertisen, Interviews, Rhetorik- oder Sprachtraining usw.) sind in den letzten fünf Jahren von der Bundesregierung an freie, festangestellte, neben- und hauptberufliche Journalisten von ARD, ZDF, Deutschlandradio und Deutsche Welle ergangen (bitte aufschlüsseln nach genauem Datum [Tag, Monat, Jahr], Bundesministerium oder Bundesbehörde, Art des Auftrags [Name, Titel oder Bezeichnung der vergüteten Veranstaltung bzw. Leistung], vollständigem Namen des Journalisten [Vor- und Nachname], Sender des Journalisten und Höhe der jeweiligen Zahlung in brutto)?“

So lautet die erste von insgesamt 25 Fragen in der auf den 30. März 2023 datierten und erst nach zwei Monaten beantworteten Kleinen Anfrage der AfD-Fraktion unter dem Titel „Anonymisierung der Zahlungen von Bundesministerien an Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und privatrechtlicher Medien” (Bundesdrucksache 20/6256). Die zweite Frage ist inhaltlich identisch, zielt aber auf Journalisten von privatrechtlich organisierten Medien ab.

Die Antwort der Bundesregierung im besten Behördendeutsch auf die ersten zwei Fragen lautet:

Runtergebrochen auf eine etwas verständlichere Sprache heißt dies, die Bundesregierung macht jetzt zwar einerseits nach Monaten der Verweigerungshaltung die Namen der von ihr bezahlten Journalisten öffentlich, andererseits werden die konkreten Höhen der Zahlungen nur bekannt gemacht, wenn die jeweiligen Journalisten dem zustimmen. Die in der Antwort genannten Anlagen unterscheiden sich wie folgt: Anlage 1 und 2 enthalten Namen und Bezüge der Journalisten, die sich mit der Veröffentlichung ihrer Vergütung einverstanden erklärt haben, Anlagen 3 und 4 sowie 7 und 8 hingegen sind nur in der Geheimschutzstelle des Bundestags zugänglich. Sie sind als „VS-Vertraulich“ eingestuft.

In der Geheimschutzordnung des Deutschen Bundestages wird die Einstufung als „VS-Vertraulich“ wie folgt definiert:

„Als VS-Vertraulich eingestuft werden VS, deren Kenntnis durch Unbefugte den Interessen oder dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder abträglich oder für einen fremden Staat von Vorteil sein könnte.“

Zahlungen des Auswärtigen Amts an Journalisten als Staatsgeheimnis

Im Falle der bereits erwähnten Deutsche-Welle-Journalistin und Ehefrau des Grünen-Ministers Cem Özdemir, Pia Castro, sieht das in der Auflistung dann so aus:

Wir halten zunächst fest: Die Gattin eines Grünen-Ministers arbeitet für ein Medium, welches direkt der Grünen-Politikerin Claudia Roth in ihrer Funktion als Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien unterstellt ist, und erhält Zahlungen vom Auswärtigen Amt, welches ebenfalls von einer Grünen-Politikerin, Annalena Baerbock, geführt wird. Diese Zahlungen scheinen allem Anschein nach so hoch auszufallen, dass dies als Staatsgeheimnis bewertet und entsprechend als vertrauliche „Verschlusssache“ eingestuft wird. Ein Bekanntwerden wäre, der offiziellen Definition dieses Geheimhaltungsgrads folgend, dem Ansehen der Bundesrepublik abträglich.

Doch nicht nur die Zahlung des Auswärtigen Amtes an Pia Castro wird entsprechend als Staatsgeheimnis bewertet. Aus den Auflistungen geht hervor, dass ausnahmslos alle Zahlungen des Auswärtigen Amtes an Journalisten als „VS Vertraulich“ eingestuft wurden. So etwa an den Tagesthemen-Moderator Ingo Zamperoni, die für ARD und ZDF tätige Fernsehjournalistin Düzen Tekkal, Nina Poppel vom SWR oder auch im Falle von Journalisten von SPIEGEL und ZEIT. Bei keinem anderen Ministerium lässt sich der den NachDenkSeiten vorliegenden Aufzählung nach ein ähnlich umfassendes Verschweigen der jeweiligen Zahlungshöhen feststellen.

In diesem Zusammenhang ist noch relevant anzumerken, dass sich das Auswärtige Amt bei der ersten Anfrage (Drucksache 20/4433) im Februar 2023 zu Zahlungen an Journalisten als eines von ganz wenigen Ministerien zunächst einer Beantwortung komplett entzogen hatte und damit vorgab, dass aus dem AA keinerlei Zahlungen an Journalisten erfolgt wären. Es waren die NachDenkSeiten, die als Erste in einem Artikel am 8. März auf diesen Umstand aufmerksam machten und Belege anführten, dass das AA sehr wohl im fraglichen Zeitraum nachweislich Journalisten für Moderationsdienste bezahlt hatte.

Offensichtliche Ungereimtheiten bei der VS-Einstufung

Wie wenig glaubhaft und widersprüchlich in diesem Zusammenhang die Einstufung als „VS Vertraulich“ ist, ergibt sich insbesondere aus der Antwort der Bundesregierung auf die Frage 14 der Kleinen Anfrage zu bezahlten Tätigkeiten von Journalisten für den Bundesnachrichtendienst (BND). Die Informationen zur Zusammenarbeit von Journalisten mit dem BND (unter anderem Klarnamen und Zahlungshöhe) wurden von der Bundesregierung einer niedrigeren Geheimhaltungsstufe („VS – Nur für den Dienstgebrauch“) zugeordnet als die Informationen zu Zahlungen von Bundesministerien, insbesondere dem Auswärtigen Amt, an Journalisten.

Zum besseren Verständnis anbei ein Überblick über die vier Geheimhaltungsstufen und deren jeweilige offizielle Definition:

  1. Als streng geheim (str. geh.) eingestuft werden VS, deren Kenntnis durch Unbefugte den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden würde.
  2. Als geheim (geh.) eingestuft werden VS, deren Kenntnis durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden, ihren Interessen oder ihrem Ansehen schweren Schaden zufügen oder für einen fremden Staat von großem Vorteil sein würde.
  3. Als VS-Vertraulich (VS-Vertr.) eingestuft werden VS, deren Kenntnis durch Unbefugte den Interessen oder dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder abträglich oder für einen fremden Staat von Vorteil sein könnte.
  4. VS, die nicht unter die Geheimhaltungsgrade streng geheim, geheim oder VS-Vertraulich fallen, aber nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sind, erhalten den Geheimhaltungsgrad VS-Nur für den Dienstgebrauch (VS-NfD).

Das führt zu der Frage, aus welchen Motiven heraus die Bundesregierung wirklich alle noch halbwegs legalen Taschenspielertricks anwendet (erst Nichtauflistung, dann Verschleppung, und schlussendlich VS-Einstufung), um zumindest teilweise die Veröffentlichung der Höhe der Zahlungen von Ministerien und Bundesbehörden an Journalisten, vor allem des beitragsfinanzierten Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunks sowie des mit Steuermitteln finanzierten deutschen Auslandssenders DW, zu verhindern.

Keinerlei Problembewusstsein bei der Bundesregierung

Ein Problembewusstsein angesichts der Zahlungen von über 2,3 Millionen Euro an ausgewählte Journalisten scheint es bei der Bundesregierung bis heute nicht zu geben. So antwortet diese auf die Frage 6 in der Anfrage, wie die Bundesregierung ihre Darstellung begründe, dass die „dokumentierte Auftragspraxis durch Bundesministerien oder Bundesbehörden […] nicht in Konflikt mit der Bedeutung journalistischer Arbeit als Kontrollinstanz staatlichen Handelns oder mit dem Prinzip der Staatsferne des Rundfunks” stünde (Bundestagsdrucksache 20/5822), wie folgt:

„Bei der Beauftragung der regelmäßig freiberuflichen Leistungen werden eine strikte Trennung der Tätigkeiten und das Gebot der Staatsferne des Rundfunks beachtet. Eine staatliche Einflussnahme auf die journalistische Arbeit der beauftragten Personen ist hierdurch ausgeschlossen. Die Rundfunk- und Pressefreiheit sind gewährleistet, insbesondere die Unabhängigkeit der Berichterstattung, die rundfunkrechtliche Programmfreiheit und die presserechtliche Gestaltungsfreiheit.“

Auch die Fragen, ob diese nachgewiesenen Regierungszahlungen an Journalisten (teilweise in Höhe mehrerer durchschnittlicher Monatsgehälter) nicht einen Verstoß gegen Bestimmungen des Medienstaatsvertrags und den Pressekodex darstellen, beantwortet die Bundesregierung ohne jede Einschränkung mit „Nein“.

Doch dieser Einschätzung widerspricht unter anderem der Verfassungsrechtler und ehemalige Co-Vorsitzende der Gemeinsamen Verfassungskommission (GVK), Prof. Dr. Rupert Scholz. Er bewertet die bezahlte Nebentätigkeit von Journalisten für Regierungsstellen als „hochproblematisch“ und spricht gar von „ein Stück Korrumpierung“:

„Der Vorgang ist hochproblematisch. Die Pressefreiheit ist verfassungsrechtlich notwendigerweise durch Unabhängigkeit von jeglichen staatlichen Organen und möglicher Einflussnahme staatlicher Stellen gekennzeichnet. Wenn Pressevertreter Honorare von Ministerien oder Kanzleramt erhalten, ist das ein Stück Korrumpierung dessen, was man die vierte Gewalt nennt. Von Staatsferne und unabhängiger, kritischer Kontrolle politischen Handelns kann unter diesen Umständen keine Rede sein.”

Der medienpolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Martin E. Renner, erklärte in einer Pressemitteilung, dass die Bundesregierung offensichtlich „mit wirklich allen Mitteln“ versuche, sich der Herstellung von Transparenz bezüglich ihrer Geschäftsbeziehungen zu Journalisten zu verweigern und warf dieser vor, „sich prominente Spitzenkräfte aus dem Bereich der Medien durch üppig honorierte Geschäftsbeziehungen“ dauerhaft gewogen zu halten. Er kündigte in diesem Zusammenhang zudem die Prüfung „umfassender juristischer Schritte“ an.

Der aktuelle Umgang der amtierenden Bundesregierung mit dieser hochsensiblen Thematik spricht Bände über deren Selbstverständnis und den scheinbar völlig fehlenden politischen Weitblick für die gesellschaftlichen Konsequenzen dieses Vorgehens. Ähnlich bezeichnend ist es, dass in dieser Legislaturperiode sich nur die AfD dieser Thematik mit parlamentarischen Initiativen widmet. Man sollte eigentlich annehmen, dass Millionenzahlungen an Journalisten durch die Exekutive eine Vorlage für alle Oppositionsparteien im Bundestag darstellen würden.

Titelbild: Screenshot Bundestags-Drucksache 20/6256

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