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NachDenkSeiten – Die kritische Website
Titel: Willkommen in der Clownswelt
Datum: 21. Mai 2025 um 10:00 Uhr
Rubrik: Audio-Podcast, Innere Sicherheit, Kampagnen/Tarnworte/Neusprech, Medienkritik, Strategien der Meinungsmache
Verantwortlich: Redaktion
Das „ZDF Magazin Royale“ und ein langer Artikel in der ZEIT haben dem rechten YouTuber „Clownswelt“ seine Anonymität genommen, ihn in seinem Umfeld geoutet und sogar seinen Eltern einen Hausbesuch abgestattet – das alles im Namen der Demokratie und im „Kampf gegen Rechts“. Dieser Fall wird seitdem von allen Seiten heiß diskutiert. Was dürfen „die Guten“, und sind sie überhaupt „gut“? Wer entscheidet, was ein „Demokratiefeind“ ist, und doxen wir uns jetzt einfach alle gegenseitig? Ein Kommentar von Maike Gosch.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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Wie so viele andere in Deutschland habe ich mich in den letzten Tagen mit dem Fall Böhmermann und DIE ZEIT vs. Clownswelt beschäftigt (Hintergründe zum Vorgang in diesem Kommentar von Tobias Riegel den NachDenkSeiten).
Und plötzlich fiel mir ein – ich hatte es tatsächlich vergessen –, dass ich selbst Anfang 2019 erfahren hatte, dass ich auch auf einer „Feindesliste“ von (vermutlich) Rechtsextremen mit meiner Privatadresse geoutet (damals kannte ich den Begriff „Doxing“ noch nicht) wurde. Die Liste trug übrigens den nicht sehr beruhigenden Namen „Wir kriegen euch alle“.
Zur Klarstellung: Rechtsextremist sein bedeutete damals – zumindest im Sprachgebrauch meines Umfelds – auch noch nicht, „rechtskonservative Ansichten haben“ wie heute scheinbar, sondern wir meinten damit gewalttätige und gefährliche Gruppierungen und Banden wie die Neonazi-Gruppen, die seit den 90ern in Ostdeutschland (aber auch Westdeutschland) ihr Unwesen trieben und mit Baseball-Schlägern und Springerstiefeln mit Stahlkappen Menschen lebensgefährlich verletzten. Ich war vermutlich auf diese Liste geraten, weil ich einige Jahre vorher, ich glaube 2014, für kurze Zeit das Peng!-Kollektiv kommunikativ unterstützt hatte, und zwar bei ihrer politischen Kunst-Aktion auf der re:publica, die sich gegen den Konzern Google und seinen Umgang mit den Daten seiner Nutzer richtete.
Einige Zeit später, im Jahr 2016, warf ein Mitglied des Kollektivs der AfD-Politikerin Beatrix von Storch bei einer Parteiveranstaltung als Clown verkleidet eine Torte ins Gesicht und nannte das eine „Kunstaktion“. Da hatte ich mich aber schon länger aus der Gruppe zurückgezogen und teilte auch die Meinung des Kollektivs nicht, dass diese Aktion gerechtfertigt sei, da es sich ja um eine anti-demokratische Partei handele. Ich nehme an, das war der Hintergrund dafür, dass ich auf dieser Liste gelandet war. Ich war nicht sehr besorgt und habe auch zum Glück keine Nachstellungen oder Bedrohungen dadurch erfahren.
Anderen auf der Liste ging es aber anders. Ja, damals ging die Bedrohung durch „Doxing“ von „rechts“ aus und wir standen als „Linke“ im Schussfeld. Ein Mitglied des Peng!-Kollektivs bekam daraufhin Morddrohungen, und ein anderer Bekannter von mir, der auch auf der Liste stand, hatte wirklich Angst, machte sich Sorgen um seine Familie und überlegte eine Löschung seines Eintrags aus dem Melderegister.
Fälle wie diese Feindeslisten (auf der auch Prominente wie Janine Wissler (Die Linke), Stefan Gelbhaar (Die Grünen) und die Publizistin Carolin Emcke sowie der Initiator der Aktionskunst-Gruppe „Zentrum für Politische Schönheit“, Philipp Ruch, standen), aber auch der später 2019 erfolgte politische Mord am CDU-Politiker Walter Lübcke durch einen rechtsextremen Täter bildeten dann den Hintergrund für die im Jahr 2021 erfolgte Verschärfung des Strafrechts, die die Erstellung von Feindeslisten und auch das „Doxen“ (§ 126a StGB) unter besondere Strafe stellte.
Warum erzähle ich das alles? Weil diese Spirale der Eskalation in Deutschland zwischen vermeintlich „links“ und vermeintlich „rechts“ sich nicht lösen lässt, ohne dass die beiden sich bekämpfenden Seiten Verständnis und Empathie füreinander entwickeln und nicht immer nur die schlechtestmögliche Interpretation für jedes Verhalten und jede Aussage annehmen. Ich selbst stehe in diesem politischen und Kulturkampf merkwürdig zwischen den Fronten: Wie ich hier schon öfter erzählt habe, komme ich eher aus dem links-grünen politischen und NGO-Umfeld, welches wiederum von Rechten wie auch dem YouTuber „Clownswelt“ gern als „linksversifft“ bezeichnet wird. Gleichzeitig habe ich zum Umgang mit „rechts“ und der AfD eine völlig andere Haltung als die Mehrzahl der Menschen in meinen früheren und auch jetzigen beruflichen und privaten Kreisen. Ich hatte damals bei meiner eigenen „Doxing-Erfahrung“ in einer E-Mail an einen anderen Betroffenen aus meinem sehr links-orientierten Umfeld geschrieben:
„Am liebsten würde ich ja wissen, wer die Liste gemacht hat und mich mit den Leuten oder dem Menschen selbst treffen und einfach mal reden …“
Es liegt vielleicht daran, dass ich Juristin bin, oder auch daran, dass ich in den prägenden Jahren (Jugendzeit, in meinen 20ern) nicht selbst von rechtsextremer Gewalt betroffen war, im Gegensatz zu sehr vielen meiner Bekannten, die jetzt prominent Vertreter von „AfD-Verbot“ und dem Böhmermann-Doxing sind. Das sind insbesondere Männer, die in den 90ern und frühen 2000ern in der (oft ostdeutschen) Provinz aufwuchsen und mir Geschichten erzählt haben, wie sie damals in Jugendclubs und anderswo bedroht und verletzt wurden, nur weil sie „links“ aussahen, Dreadlocks trugen oder Punkmusik hörten. Sie haben wirklich und ehrlich Angst vor „Rechts“.
Das ist aber nicht nur eine quasi physische Traumareaktion, sie haben auch – es sind sehr kluge und gebildete Leute darunter – intellektuell und strategisch eine ganz andere Lehre aus der Zeit des Nationalsozialismus gezogen als ich. Sie sind sich absolut sicher, dass wir es in Deutschland mit einem Wiedererwachen eines vergleichbar gefährlichen Rechtsextremismus zu tun haben wie in den frühen 30er-Jahren und glauben daher, Härte, Brandmauer und Ersticken im Keim (das ist ja bereits gescheitert) wären die einzig möglichen und sinnvollen Methoden des Umgangs damit. Oder wie es Jean Peters (früher Peng!-Kollektiv, dann Autor bei Jan Böhmermann und jetzt Senior Reporter bei Correctiv!) in einem Interview mit dem Tagesspiegel zu dem Tortenwurf auf Beatrix von Storch formulierte:
Auf die Frage
„Bleibt Ihr Tortenwurf nicht trotzdem undemokratisch? Sie haben schließlich die Tagung der AfD-Programmkommission unterbrochen.“
antwortete er:
„Als jemand, der mit beiden Füßen auf dem Boden der demokratischen Grundordnung steht, habe ich mir diese Frage auch gestellt. Aber die AfD ist halt keine normale Partei. Ich würde sogar sagen, keine demokratische Partei. Führende Mitglieder nutzen jedes demokratische Mittel, das sie finden können, um konstruktive demokratische Prozesse zu unterwandern, die Demokratie von innen zu zersetzen. Sie greifen Pressefreiheit und Gewaltentrennung an. In diesem Fall halte ich es für legitim, zu gewaltfreien, aber auch undemokratischen Mitteln zu greifen.“
Jan Böhmermann und sein Team sowie der Journalist Christian Fuchs, der mit einem ausführlichen ZEIT-Artikel die „Enthüllungen“ im satirischen „ZDF Magazin Royale“ von Böhmermann ernsthaft-publizistisch flankierte, würden das sicher für naiv halten. Sie sind, wie Jean Peters, der Meinung, dass es sich bei „Clownswelt“ und Seinesgleichen („Hass-und-Hetze-Verbreiter“ und „kommunikatives Vorfeld der AfD“) um „Demokratiefeinde“ handele. Und gegen die sei jedes Mittel recht.
Aber wer entscheidet denn, ob jemand „Demokratiefeind“ ist? Das Vorgehen der Journalisten bei DIE ZEIT und beim ZDF ist letztlich das eines Hobby-Verfassungsschutzes. Diese Journalisten maßen sich an, über ihre Mitbürger urteilen zu können. Sie sind Polizei, Staatsanwaltschaft, Richter und Strafvollzugsbehörden in einer Person. Nur weil sie und ihr Umfeld persönlich der Ansicht sind, es handele sich um „Demokratiefeinde“ und „Hass und Hetze“, fühlen sie sich zur Selbstjustiz berechtigt.
Da sind wir leider nicht weit von der Argumentation der „Hammerbande“ entfernt, einer Gruppe von linksextremen Gewalttätern, die tatsächlich oder vermeintlich rechte und rechtsextreme Mitbürger mit Hämmern und Eisenstangen so brutal zusammenschlugen, dass ihnen Schädelknochen und Wirbelsäule brachen. Als Rechtfertigung brachten ihre Unterstützer an: Der Staat habe bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus versagt, deswegen müssten sie jetzt, quasi als „Bürgerwehr“, tätig werden.
Natürlich ist es ein weiter Weg von öffentlicher Prangerwirkung und dem Versuch des Entzugs der finanziellen Lebensgrundlage durch Kontaktierung des gesamten Umfelds und auch der Werbepartner bis zu schwerer Körperverletzung. Aber die Anmaßung ist dieselbe.
Denn ähnlich scheinen auch die Journalisten in diesem Fall zu denken: Die AfD wird immer erfolgreicher. Das kann nicht an beliebten oder überzeugenden Positionen liegen, sondern kann nur an Indoktrination und Propaganda durch ein „Vorfeld“ von z.B. agitierenden YouTubern liegen, die quasi den „Kompost“ schaffen, auf dem die AfD-Pflanze dann in den Himmel wächst. Der Staat versagt hier, die Gesetze genügen nicht, daher werden jetzt wir Hobby-Verfassungsschützer und Kämpfer für die Demokratie tätig. So etwa ihre Haltung. Sie sehen sich durch eine Quasi-Notwehr-Situation gerechtfertigt.
Jetzt bin ich tatsächlich eine Freundin von zivilem Ungehorsam in Fällen, in denen der Staat aus meiner Sicht verfassungswidrig oder undemokratisch handelt (wie z.B. in der Coronakrise oder aktuell bei der – aus meiner Sicht – Kriegshetze der Regierung), aber was auch von den Hobby-Kommissaren übersehen wird, ist, dass sich ihr Vorgehen ja nicht gegen die Staatsmacht oder eine sonstige Übermacht richtet, sondern gegen oppositionelle Kräfte, die ja von der Staatsmacht bereits ebenfalls verfolgt werden. Außerdem spielt hier oft die Verwechslung von politischer Meinung mit Hass und Hetze, von Meinungsäußerung und Gewalt, von Regierungskritik mit Zerstörung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, von Diskurs mit Desinformation eine Rolle.
Das Problem ist hier nicht nur diese falsche Einschätzung der Situation, sondern die dahinterliegende Arroganz. Sie sehen sich als „Hüter“ ihrer Mitbürger, die andere politische Ansichten haben. Sie maßen sich an, darüber urteilen zu dürfen und nach ihren eigenen Maßstäben und Bewertungen Privatpolizei zu spielen, und zwar dort, wo selbst der inzwischen doch recht übergriffige Verfassungsschutz (Darf man das noch sagen, oder landet man damit gleich wieder in irgendeinem 1000-seitigen Bericht?) und selbst die strengen und – zumindest zu Coronazeiten – politisch instrumentalisierten YouTube-Regulatoren bei „Clownswelt“ nichts zu beanstanden gefunden haben.
Es gibt aber das Gewaltmonopol des Staates aus gutem Grund. Was die selbsternannten Inquisitoren nie zu überlegen scheinen, ist, was logisch aus ihrer Vorgehensweise folgt: Kann dann auch jeder „Rechte“ entscheiden, dass ein „linker“ Journalist oder YouTuber ein „Demokratiefeind“ (Formulierung wäre hier vielleicht: „Deutschlandfeind“) sei, der gedoxt gehört, seinen Job verlieren und seine Einnahmemöglichkeiten durch Anzeigenkunden verlieren sollte, wenn die Regierung, das gesellschaftliche Klima und die Besetzung der Medien in Richtung AfD kippen würden? Sollte eine Partei, die z.B. aus Sicht der AfD „deutschlandfeindlich“ ist, durch einen von der AfD dominierten und geführten Verfassungsschutz wegen z.B. „Volksverrat“ verboten werden? Nein? Eben.
Das wird meiner Ansicht nach nicht zu Ende gedacht, und diese Kurzsichtigkeit führt dann zu einem Vorgehen, das totalitäre Züge hat – also genau zu dem wird, was es vorgibt zu bekämpfen. Was wiederum denjenigen, die es tun, völlig zu entgehen scheint. Sie haben in ihrer Angst, in ihrer Agitation die Fähigkeit verloren, die Situation aus einem anderen als dem eigenen Blickwinkel zu sehen; und die Fähigkeit, die eigenen Prämissen zu hinterfragen, ja auch nur den leisesten Zweifel zu hegen: Was, wenn wir unrecht hätten?
Ich habe das Gefühl, dass ein Teil der deutschen Gesellschaft in einem sehr emotional aufgewühlten und damit nicht mehr rationalen Zustand ist, was die AfD angeht. Alles, was irgendwie mit der AfD in Zusammenhang steht, weckt alte Traumata und Ängste, persönliche und historische. Genau, wie viele AfD-Wähler und -Fans (nicht alle) in einem aufgewühlten Zustand sind, was die von ihnen gesehene Gefahr durch Migranten angeht. Und sie sehen sich gegenseitig als Übermacht, was die Angst verstärkt: Die Anti-AfD-Fraktion bekämpft eine Kraft, die aus ihren Augen stark und bedrohlich ist (und macht sie dadurch nur immer stärker), die Menschen in Deutschland mit „rechten“ und „rechtsextremen“ Ansichten sehen sich wiederum von einem – aus ihrer Empfindung – übermächtigen poltisch-medial-kulturellen Komplex massiv unterdrückt und bedroht.
Was wäre, wenn beide Seiten bei sich und beim Gegenüber diese Angst erkennen würden und unabhängig davon, ob sie sie für berechtigt halten, respektierten, dass vieles der Handlungen und Äußerungen der „Gegenseite“ aus dieser Angst heraus geschieht?
Titelbild: Screenshot/ZDF
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