Jan Böhmermann und die skandalös doppelten Standards im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Jan Böhmermann und die skandalös doppelten Standards im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Jan Böhmermann und die skandalös doppelten Standards im öffentlich-rechtlichen Rundfunk

Ein Artikel von: Tobias Riegel

Identität und Wohnort eines politischen Gegners hat der ZDF-Moderator Böhmermann auf der großen TV-Bühne angedeutet. Das ist sehr bedenklich, möglicherweise erfüllt das Verhalten auch den Straftatbestand des „Doxing“, also einer Veröffentlichung von privaten Details, um politische Gegner zusätzlich individuell in ihrem Umfeld unter Druck zu setzen. Diese Strategie ist zu ächten – auch wenn sie von „den Guten“ im ZDF praktiziert wird. Ein Kommentar von Tobias Riegel.

ZDF-Moderator Jan Böhmermann hat in der aktuellen Ausgabe des „ZDF Magazin Royale“ die Identität und den Wohnort des bisher anonymen Betreibers des Youtube-Kanals „Clownswelt“ im Fernsehen öffentlich angedeutet*, wie die Berliner Zeitung berichtet. Der Kanalbetreiber habe Hunderttausende Abonnenten und kommentiere und kritisiere regelmäßig Interviews von Politikern und Beiträge aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, so der Artikel.

Wie Böhmermann in seiner Sendung nun erklärte, habe der Kanalbetreiber sein Recht auf Anonymität verwirkt. „Wer im Internet vor 227.000 Abonnent_innen die Wahrheit sagt, ‚Clownswelt‘, der kann doch auch sein Gesicht zeigen. Also, wer steckt hinter der Maske?“, so Böhmermann dazu. Gemeinsam mit der Zeit recherchierte das „ZDF Magazin Royale” demnach die Identität des Mannes. Den Angaben der Sendung zufolge handelt es sich dabei um einen Mann aus Ostwestfalen, weitere Infos zur Person sollen hier nicht verbreitet werden. Böhmermann nennt in der Sendung aber sowohl den Vornamen* des Mannes als auch seinen beruflichen Werdegang sowie weitere identifizierende Merkmale. Im Zuge der vorhergehenden „Recherchen“ wurden wohl sogar die Eltern des Mannes in ihrem Privathaus von Journalisten belästigt.

Einen Ausschnitt aus der betreffenden Böhmermann-Sendung hat der X-Nutzer RealTom unter diesem Link veröffentlicht:

„Die Guten“ und das „Doxing“

Das Öffentlichmachen von Identitäten und Wohnorten von politischen Gegnern ist total abzulehnen. Wer so etwas macht, verlässt endgültig die Ebene der erlaubten politischen Auseinandersetzung. Das Urteil darüber – wenn schon nicht juristisch, so doch mindestens moralisch – ist eindeutig: Dieses Verhalten ist schäbig und durch keine „edlen“ Motive zu rechtfertigen.

Die Praxis, politische Gegner unter Druck zu setzen, indem man durch die Veröffentlichung von Namen und Wohnort ihr Privatleben in den politischen Kampf hineinzieht, wurde in der Vergangenheit auch von Rechten genutzt und entsprechend hart kritisiert. Die Praxis wird auch als „Doxing“ bezeichnet, und sie ist laut ZDF inzwischen verboten. Ob der betreffende Paragraf auf das Verhalten von Böhmermann anzuwenden ist, müssen Juristen beurteilen – der Absatz lautet:

§ 126a Gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten

(1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) personenbezogene Daten einer anderen Person in einer Art und Weise verbreitet, die geeignet und nach den Umständen bestimmt ist, diese Person oder eine ihr nahestehende Person der Gefahr

1. eines gegen sie gerichteten Verbrechens oder

2. einer gegen sie gerichteten sonstigen rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert auszusetzen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Handelt es sich um nicht allgemein zugängliche Daten, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.

Der Twitter-Nutzer Argo-Nerd, ein Spezialist für Collagen zu doppelten Standards, hat das Thema „Doxing“ und seine Behandlung beim ZDF unter diesem Link mal so kombiniert:

Retourkutschen sind jetzt ebenfalls abzulehnen

Es gibt Dinge, die macht man einfach nicht, das „Doxing“ gehört dazu. Dass nun von „den Guten“ im ZDF solche abzulehnenden Taktiken auf der großen TV-Bühne zelebriert werden, ist schwer zu ertragen. Das Verhalten wird nun, zusätzlich zur prinzipiellen Kritik an einem solchen Verhalten, wahrscheinlich eine Steilvorlage für rechte Nachahmer bilden. Es gibt jetzt schon solche ebenfalls abzulehnenden Reaktionen, etwa gegenüber Grünen-Politikern. Ich würde auch solche Retourkutschen als Reaktion auf Böhmermanns Verhalten scharf kritisieren – diese Strategie muss ganz grundsätzlich geächtet werden.

Auch um eine Dynamik des Gegenseitigen „Doxings“ zu unterbinden, sollte es jetzt eine Reaktion auf das Verhalten von Böhmermann geben. Wenn dieses Verhalten selbst auf der etablierten öffentlich-rechtlichen TV-Bühne jetzt so durchgeht, könnte das ein „offizieller“ Startschuss für das gegenseitige Ausschnüffeln des Privatlebens aus allen politischen Richtungen werden.

Der Betreiber von „Clownswelt“, der politisch-inhaltlich hier nicht verteidigt wird, hat sich laut Medien nun auch geäußert. Laut Berliner Zeitung ist die Reichweite seines Kanals seit der Böhmermann-Sendung „massiv gestiegen“.

Angepasstes „Kabarett”

Böhmermann ist schon öfter mit mindestens grenzwertigen Aktionen aufgefallen, unter vielem anderen etwa mit seiner Sendung über den damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), Arne Schönbohm, dem er Nähe zum russischen Nachrichtendienst vorgeworfen hatte.

Böhmermann bezeichnet, wie die kürzlich in diesem Artikel mal wieder thematisierte Sarah Bosetti, sein Agieren oft als „Satire“ – tatsächlich ist das Programm beider TV-Sternchen über weite Strecken meiner Meinung nach keine Satire, ebenso wenig wie weite Teile von „Heute Show“ oder „Extra Drei“. Statt Persiflagen auf die Phrasen der Mächtigen zu verfassen (etwa zu den Themen Corona oder Militarisierung), ist diese Art der „Satire“ oft eine mit Kraftausdrücken gewürzte Verstärkung der Kommunikation der Mächtigen – Ausnahmen gibt es, aber sie bestätigen die Regel. Im Artikel „Jämmerliches „Kabarett“: TV-Satiriker schützen die Kriegspolitik” hatte ich über die angepassten Vertreter der etablierten TV-Komiker geschrieben:

„Die hier geäußerte Kritik betrifft einige der prominenten TV-‚Kabarettisten‘ – es gibt natürlich Ausnahmen. (…) Wenn man aber nicht aktiv nach einem kritischen Kabarett im deutschen TV suchte, so hatte man in den letzten Wochen den Eindruck einer totalen Dominanz des Bereichs durch angepasste Regierungskomiker, die ihre Reichweite nutzten, um Regierungskritiker verächtlich zu machen. Und da Satire ja ‘alles darf’, gibt es bei dieser Verächtlichmachung teilweise gar keine Grenzen nach unten mehr. Der (berechtigte und wichtige) Freibrief für Satire gilt aber doch nur, wenn es gegen Fehltritte von mächtigen Akteuren geht. Die Grundlage für den Satire-Freibrief ist meiner Meinung nach eine David-gegen-Goliath-Situation. Die enge Parteinahme der TV-„Satiriker“ für die Regierung und die Politik der Kriegsverlängerung wirkt aber als reine Verstärkung des offiziellen Sounds – eines offiziellen Sounds, der sowieso in jeder Hinsicht und auf allen großen Kanälen bevorteilt wird.“

Die Finanzierung von polarisierenden Charakteren wie Böhmermann oder Bosetti durch die Beitragszahler wäre übrigens akzeptabel, wenn von diesen Gebühren auch inhaltliche und politische Gegenpole zu den ganz überwiegend angepassten TV-„Satirikern“ bezahlt und prominent präsentiert würden. Aber das ist nicht der Fall, und so entsteht der Eindruck eines zum Teil giftigen und tendenziösen Gleichklangs, der mit dem Auftrag der Ausgewogenheit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht vereinbar ist.

Titelbild: Screenshot/ZDF

*Die Berliner Zeitung hat ihren Artikel nachträglich geändert, darum wurde diese Stelle ergänzt.

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