„Deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend gewachsen“: Das Statistische Bundesamt und die BIP-Zahlen – kreative Buchführung und Schönfärberei?

„Deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend gewachsen“: Das Statistische Bundesamt und die BIP-Zahlen – kreative Buchführung und Schönfärberei?

„Deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend gewachsen“: Das Statistische Bundesamt und die BIP-Zahlen – kreative Buchführung und Schönfärberei?

Thomas Trares
Ein Artikel von Thomas Trares

Hat das Statistische Bundesamt (destatis) die Wachstumszahlen in den vergangenen Jahren bewusst geschönt? Diese Frage drängt sich unweigerlich auf, wenn man sich die jüngsten Pressemitteilungen der Behörde zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) einmal etwas genauer anschaut – also ausgerechnet zu jener Kennziffer, die die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft messen soll und in politischen Debatten eine entscheidende Rolle spielt. Von Thomas Trares.

Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.

Konkret geht es um die Zeit nach dem Corona-Einbruch, die durch eine kurze Erholungsphase im Jahr 2021 und eine sich anschließende längere Stagnationsphase geprägt war. Und in dieser Zeit, so scheint es, war destatis sehr erpicht darauf, tunlichst die Verwendung des Begriffs „technische Rezession“ zu vermeiden. Von solch einer spricht man, wenn die Wirtschaft zwei Quartale hintereinander schrumpft.

Worum es genau geht, verdeutlicht Abbildung 1, die die Veränderung des BIP gegenüber dem Vorquartal angibt. Die Zahlenreihe zeigt, dass sich von Mitte 2022 bis Ende 2024 positive und negative Wachstumswerte in schöner Regelmäßigkeit abwechseln. In der Presse sprach man deswegen auch schon von einer „Flimmer“- oder „Wellblechkonjunktur“. Was die Zahlen implizit auch zeigen: Trotz einer sich schwach entwickelnden Wirtschaft gab es in den vergangenen drei Jahren nie eine „technische Rezession“, also nie zwei negative Werte hintereinander.

Abbildung 1: Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt (saison- und kalenderbereinigte Werte), Veränderung gegenüber dem Vorquartal in Prozent (negative Werte und Nullwachstum in Rot)
Quelle: destatis, Pressemitteilung 069 vom 25. Februar 2025 [1]

Freilich kann ein solch regelmäßiges Zahlenmuster auch zufällig entstehen, dennoch spricht einiges dafür, dass destatis hier nachgeholfen haben könnte. Auffällig ist etwa der Übergang vom zweiten zum dritten Quartal 2024. Hier hatte destatis im zweiten Quartal zuerst einen Rückgang von 0,1 Prozent ausgewiesen, diesen dann ein Quartal später aber auf minus 0,3 Prozent nach unten korrigiert. Der Verdacht liegt nahe, dass der einzige Sinn dieser Änderung darin bestand, sich eine niedrigere Ausgangsbasis zu verschaffen, um im dritten Quartal dann doch noch ein leichtes Wachstumsplus ausweisen zu können.

Der Tageszeitung Die Welt ist diese Finte offenbar auch aufgefallen. Sie schrieb:

Mit den aktuellen Zahlen wurde das Wachstum für das zweite Quartal von Minus 0,1 auf Minus 0,3 Prozent zurückgenommen. Von diesem niedrigeren Niveau aus ist es leichter, ein Wachstum zu produzieren. Genau dieses Muster, bei dem sich jeweils ein positives und ein negatives Quartal abwechseln, existiert bereits seit zwei Jahren: Seit dem dritten Quartal 2022 gab es keine zwei Quartale in Folge mehr mit einem durchgängigen Wachstum oder einer durchgängigen Schrumpfung. Deutschlands Konjunkturkurve ähnelt damit einem flattrigen Herzschlag.“ [2]

Seine Wirkung hat das Manöver der Wiesbadener Statistiker jedenfalls nicht verfehlt. In der Presse fielen die Kommentare nach Veröffentlichung der BIP-Daten zum dritten Quartal 2024 entsprechend positiv aus: „Technische Rezession verhindert – Deutsche Wirtschaft im dritten Quartal überraschend gewachsen – Wirtschaftsminister Habeck: Lichtblick“, meldete etwa der Deutschlandfunk. [3] Und in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) hieß es: „Hoffnungsschimmer – Deutsche Wirtschaft wächst überraschend um 0,2 Prozent“. [4] Und auch der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) jubelte: „Die Wirtschaft zeigt sich robuster als bislang prognostiziert, die von vielen erwartete technische Rezession bleibt aus.“ [5]

Wie sich nun aber herausgestellt hat, sind all diese Aussagen, all diese Einschätzungen und all diese Kommentare Schall und Rauch, null und nichtig. Denn mit der Pressemitteilung zu den neuesten BIP-Daten, die destatis in der vergangenen Woche herausgegeben hat, [6] wurden auch die Wachstumszahlen der zurückliegenden Jahre revidiert – und siehe da: Es gab nie eine „Flimmer-Konjunktur“, nie eine „Wellblech-Konjunktur“, sondern eine handfeste, ausgewachsene, schwere Rezession. Denn mit den revidierten Daten sieht die obige Zahlenreihe nun folgendermaßen aus:

Abbildung 2: Bruttoinlandsprodukt, preisbereinigt (saison- und kalenderbereinigte Werte), Veränderung gegenüber dem Vorquartal in Prozent (negative Werte und Nullwachstum in Rot)
Quelle: destatis, Pressemitteilung 278 vom 30. Juli 2025

Abbildung 2 zeigt nun von Ende 2022 bis Ende 2024 insgesamt acht Quartale hintereinander mit negativem Wachstum und Nullwachstum. Darüber hinaus gab es gleich zwei Perioden mit sogar drei negativen Quartalen hintereinander, sozusagen „technische Rezessionen“ in Hülle und Fülle. Diese Änderungen schlagen sich freilich auch in der Jahresbetrachtung nieder. So ist das BIP 2023 tatsächlich um 0,9 Prozent gesunken und nicht um 0,3 Prozent, wie bislang gemeldet. Und 2024 betrug das Minus 0,5 Prozent und nicht 0,2 Prozent. All dies zeigt, dass die in den vergangenen Jahren publizierten BIP-Daten im Grunde nichts, aber auch wirklich nichts mit der Realität zu tun hatten.

Allein für sich betrachtet ist all dies schon ein Skandal. Ein Skandal im Skandal wiederum ist, dass all dies in der Presse bislang gar keinen Widerhall gefunden hat. Wenn überhaupt ein Mainstream-Medium das Thema aufgriff, dann klang das etwa wie folgt in der FAZ:

Bis Mittwoch waren die Statistiker davon ausgegangen, dass die deutsche Wirtschaft sich seit dem zweiten Halbjahr 2022 in einer Wellblechkonjunktur entlang der Stagnation entwickelt habe. Von Quartal zu Quartal wechselten sich seither leichtes Wachstum und leichte Schrumpfung der Wirtschaftsleistung ab. Nach den revidierten Angaben ist das nicht mehr der Fall. Danach stürzte die deutsche Wirtschaft schon am Jahresende 2022 in eine Rezession, die sie erst im vergangenen Winterhalbjahr hinter sich ließ.“ [7]

Punkt. Ende der Durchsage.

Eine schonungslose Abrechnung mit destatis hat indes der Ökonom Heiner Flassbeck auf seinem Blog Relevante Ökonomik vorgenommen. Siehe hier [8] und hier [9]. Die Fehler des Amtes bezeichnet er dort als „wirtschaftspolitisch extrem gefährlich“. Und weiter schreibt er:

Wenn man die Fehlurteile nachliest, die von Seiten der Politik wegen der falschen Daten abgegeben wurden und die sich die darauffolgenden falschen wirtschaftspolitischen Entscheidungen vor Augen hält, weiß man, dass die Fehleinschätzung des Amtes enorme Kosten für die gesamte Gesellschaft mit sich gebracht hat. Das ist eine so gewaltige Fehleinschätzung (in eine bestimmte Richtung), dass man von Seiten der Politik das Amt zwingen muss zu erklären, wie so ein Fehlurteil passieren kann und durch welche institutionellen Änderungen im Amt man es in Zukunft verhindern will.“

Letztendlich setzt sich das Statistische Bundesamt mit seinem Vorgehen auch dem Verdacht aus, politisch gewünschte Ergebnisse produzieren zu wollen. Denn nicht zum ersten Mal sind die Statistikbeamten aus Wiesbaden in dieser Hinsicht auffällig geworden. Bereits in der Coronakrise wurden sie von dem Datenanalysten Marcel Barz („Der Erbsenzähler“) verdächtigt, die Sterbefallzahlen in eine politisch gewünschte Richtung gedreht zu haben. [10] Nun steht das Amt im Verdacht, eine wichtige, wenn nicht sogar die wichtigste Kennziffer, die über den Zustand der deutschen Wirtschaft informieren soll, geschönt zu haben. Die ausführlichen Ergebnisse zum BIP im zweiten Quartal 2025 veröffentlicht das Amt am 22. August. Im Zuge dessen will es auch die Revisionen zu den BIP-Daten näher erläutern. Auf diesen Termin darf man gespannt sein!

Titelbild: Thapana_Studio / Shutterstock