Die designierte Verfassungsrichterin hat den Rückzug von ihrer Kandidatur erklärt. Menschlich war der Vorgang um ihre Person nicht schön, der Ton war teils schrill und unseriös. Politisch liegt die Sache aber keineswegs so einfach, wie es nun SPD und Grüne darstellen: Es spricht inhaltlich viel gegen Brosius-Gersdorf – unter anderem ihre angepassten und gleichzeitig radikalen Positionen zu Impfpflicht oder AfD-Verbot. Jede Kritik an ihr nun als Kampagne eines „rechten Mobs“ darzustellen, ist falsch. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download
Frauke Brosius-Gersdorf hat bekanntgegeben, nicht mehr als Kandidatin für das Amt als Bundesverfassungsrichterin zur Verfügung zu stehen. Mehr dazu, zu ihrer Begründung und zu den formalen Folgen der Entscheidung findet sich etwa in diesem Artikel bei der Tagesschau.
Die Dynamik, die zum Rückzug von Brosius-Gersdorf geführt hat, wird nun vor allem von SPD und Grünen als rechte Kampagne bezeichnet, die eine hochqualifizierte Kandidatin „aus der Mitte der Gesellschaft“ so beschädigt habe, dass sie nun indirekt zum Verzicht gezwungen worden sei.
„Sieg des rechten Mobs“
Ralf Stegner (SPD) erklärte, dass dieser Tag „als der Sieg des rechten Mobs in die Geschichte eingehen“ wird. Die SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas sprach von einer „Hetzkampagne, die uns Sorgen machen muss“. Was Brosius-Gersdorf durch „rechte Netzwerke“ habe erdulden müssen, sei „beispiellos“. Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler bezeichnete den Rückzug von Brosius-Gersdorf als „Ergebnis einer rechtsextremen Kampagne“. Die Grünen-Fraktionschefinnen Katharina Dröge und Britta Haßelmann erklärten, es sei „absolut inakzeptabel und ungeheuerlich, dass eine so angesehene Juristin von CDU und SPD für das Bundesverfassungsgericht während dieses Verfahrens von Lügen, Desinformationen und einer hetzerischen Kampagne derart getroffen wurde“. Und die Linken-Innenpolitikerin Clara Bünger sagte, es sei „kein gutes Zeichen für den Zustand unserer Demokratie, dass die rechte Hetzkampagne schlussendlich Erfolg hatte“.
Auch manche Medien argumentieren in diese Richtung: Die taz schreibt, der Rückzug von Frauke Brosius-Gersdorf sei „ein Sieg der rechten Hetzer“. Selbstverständlich darf dort auch diese Unterstellung nicht fehlen:
„Es ist die Stunde der Antifeministen.“
Alles nur Kampagne?
Bei diesen Zitaten schwingt mit, dass es keine seriösen inhaltlichen Kritikpunkte an Äußerungen von Brosius-Gersdorf geben würde, sondern dass die ganze Debatte irrational und ausschließlich auf Kampagnen und „rechte Hetze“ zurückzuführen sei. Diese Darstellung ist zurückzuweisen: Man muss nicht politisch rechts eingestellt sein, um einige Positionen von Brosius-Gersdorf scharf zu kritisieren.
Diese Feststellung ändert aber wiederum nichts daran, dass die Debatte um die Juristin zum Teil enthemmt, verletzend und schrill geführt wurde und dass in meinen Augen viele der rechten Argumente gegen Brosius-Gersdorf – etwa zu den Themen Abtreibung oder Kopftuchverbot – nicht zielführend sind, wie ich bereits im Artikel „Kulturkampf um die designierte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf“ geschrieben hatte.
Aber das lässt die anderen Kritikpunkte an der Juristin nicht verschwinden. So hat Brosius-Gersdorf während der Zeit der unangemessenen Corona-Politik in einem Papier argumentiert, dass eine allgemeine Impfpflicht nicht gegen das Grundgesetz verstoßen würde. „Man kann sogar darüber nachdenken, ob mittlerweile eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Einführung einer Impfpflicht besteht“, hieß es in dem Papier laut Medienberichten weiter. Auf weitere ihrer sehr fragwürdigen Positionen zur Impfpflicht ist die Berliner Zeitung in diesem Artikel detailliert eingegangen. Meiner Meinung nach hat Brosius-Gersdorf durch einige der dort geschilderten Standpunkte sogar noch innerhalb der extremen Corona-Politik eine extreme Position eingenommen.
Brosius-Gersdorf war im Juli 2024 bei der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ – dort hatte sie zu einem möglichen AfD-Verbot gesagt: Ein Verbotsverfahren sei ein „ganz starkes Signal unserer wehrhaften Demokratie“. Auch diese Aussage spricht nicht für eine gesellschaftlich ausgleichende Haltung, die einer designierten Verfassungsrichterin angemessen wäre: Ein AfD-Verbot wäre in meinen Augen drastisch und politisch kontraproduktiv – es würde außerdem das Signal senden, dass die „Altparteien“ lieber zum extremen Mittel des Parteienverbots greifen, als dass sie sich endlich politisch den Interessen der Bürger zuwenden. Mehr zur AfD-Verbotsdebatte findet sich auf den NachDenkSeiten unter anderem in diesem Artikel oder in diesem Artikel.
Aus der „Mitte der Gesellschaft“
Noch ein Wort zur wiederholten Feststellung, Brosius-Gersdorfs Haltungen würden „der Mitte der Gesellschaft“ entspringen: Diese angebliche Mitte hat sich massiv radikalisiert. Bei den Bereichen Aufrüstung, Energieversorgung, Zensur, Verteuerung des Alltags, neoliberale Wirtschaftsordnung und vielen anderen Themen vertritt diese „Mitte“ geradezu extremistische Positionen. Und: Die sich selber „Parteien der Mitte“ nennenden Politiker haben durch ihre Politik die AfD erst groß gemacht – und das absolut voraussehbar. Der von dieser Seite ausgerufene „Kampf gegen Rechts“ ist in seiner realen Form absurd und kontraproduktiv: Er macht die Rechten erst stark. Gleichzeitig sind manche „Linksliberale“ alles andere als „links“. Im Artikel „Kulturkampf um die designierte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf“ heißt es außerdem:
„‚Parteien der Mitte‘ – das hört sich immer so ausgleichend an. Inzwischen hat sich aber eben diese ‘Mitte’ zum Teil radikalisiert. Brosius-Gersdorf scheint sich in diesem Teil der ‚Mitte‘ besonders wohl zu fühlen, das deuten zumindest ihre einerseits angepassten und andererseits radikalen Positionen zu Impfpflicht und AfD-Verbot an.“
Albrecht Müller hat zu den Beteuerungen, Brosius-Gersdorf gehöre der „demokratischen Mitte“ an, in diesem Artikel geschrieben:
„Brauchen wir Personen in wichtigen Ämtern wie als Richterin am Bundesverfassungsgericht, die beispielsweise die aktuelle Einkommens- und Vermögensverteilung entsprechend dem Denken der ‚gemäßigten Mitte‘ für grundsätzlich in Ordnung halten? (…) Brauchen wir beim Bundesverfassungsgericht Personen der ‚gemäßigten Mitte‘, die im Blick auf den Kapitalmarkt von marktwirtschaftlichen Verhältnissen sprechen, obwohl einige wenige große Kapitalsammelstellen wie BlackRock schon mit relativ geringen Anteilen das Geschehen beherrschen?“
Brosius-Gersdorf ist nicht wehrlos
Öffentliche Schlammschlachten wie die um Brosius-Gersdorf sind menschlich belastend und sie sind von außen betrachtet kein schönes Schauspiel, dessen Folgen für Betroffene und ihr Umfeld hier nicht verniedlicht werden sollen. Ich fühle in solchen Situationen mit den Personen, die in eine verletzende Medien-Dynamik hineingeraten, auch dann, wenn ich ihre inhaltlichen Positionen ablehne. Ich finde andererseits allerdings auch, dass man nicht allzu überrascht sein sollte, wenn sich das Haifischbecken, in das man steigt, dann auch als Haifischbecken herausstellt.
Es gibt aktuell schwere Plagiats-Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf, die Universität Hamburg hat laut Medien ein Prüfverfahren gestartet. Ob die Vorwürfe des selbsternannten „Plagiatsjägers“ Stefan Weber seriös sind, bleibt abzuwarten – Brosius-Gersdorf geht nun laut Medien juristisch dagegen vor.
Brosius-Gersdorf ist nicht wehrlos: Sie hatte zahlreiche wütende Kontrahenten, die in ihrem Furor teils unfair, unseriös und persönlich verletzend ausgeteilt haben, was zu kritisieren ist – aber sie hat auch viele mächtige Fürsprecher in Medien und Politik. Sie durfte sich im Juli 2025 sogar als einziger Gast bei der Talkshow Markus Lanz selber promoten – ein banaler Werbe-Auftritt in eigener Sache, der angesichts des höchstrichterlichen Amtes, das sie damals angestrebt hatte, als unangemessen einzuordnen ist.
Eifrige Vertreterin der „radikalisierten Mitte“
Offensichtlich wirkt Brosius-Gersdorf provozierend auf viele Bürger – und eben nicht nur auf solche, die sich als rechtsextrem einordnen würden. Für mich erscheint sie wie eine besonders eifrige Vertreterin einer „radikalisierten Mitte“, ich finde sie darum für den ausgleichenden Job als Verfassungsrichterin ungeeignet. Um zu diesem Standpunkt zu kommen, braucht es keine „Kampagne eines rechten Mobs“.
Titelbild: Screenshot/ZDF
Kulturkampf um die designierte Verfassungsrichterin Frauke Brosius-Gersdorf
Die „Geisterfahrer“ der radikalen Mitte: Alles Extremisten – außer mir!
Was sind denn „absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte der Gesellschaft“? Uninteressant, nutzlos!